Die Sammlung ist der Star  
Ein Plädoyer für die Plastik in der Kunsthalle Mannheim
Ein Plädoyer für die Plastik in der Kunsthalle Mannheim
Die Kunsthalle Mannheim präsentiert derzeit ihre Skulpturensammlung mithilfe von Künstlerkuratoren in einem abrissreifen Gebäude und erhofft sich dadurch neue Impulse für eine Kunstgattung, die mehr und mehr ins Hintertreffen zu geraten scheint.
von Christian Saehrendt
Glaubt man den Kuratoren der gegenwärtigen Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim, muss es schlecht um die Gattung der Skulptur stehen. Man wolle mit der Schau nicht weniger als zur «Erneuerung der Existenzform der Gattung Skulptur im Museum» beitragen, heisst es im Begleitheft. Tatsächlich muss man sich fragen, welche Zukunft vor allem die figürliche Plastik ausserhalb der Sphären der politischen Repräsentation, der touristischen Stadtmöblierung des kommerziellen Grosskitsches haben kann. Anders als die Malerei, deren antike Vorbilder verloren sind, muss die Skulptur sich bis heute an den überlieferten Werken der Antike messen und setzt deren Überlieferung zwangsläufig und zwanghaft fort. Die wenig erforschte Geschichte des Ausscheidens der figürlichen Plastik aus dem Kanon der Gegenwart steht hier wieder im Raum: Mehr als die Malerei musste sich die Skulptur in der Nachkriegszeit neu erfinden, ein Prozess, der längst nicht abgeschlossen ist und seit 1945 einerseits abstrakte, andererseits minimalistische und selbstreflexive Tendenzen in der Bildnerei beflügelt hat.
Anlass der Mannheimer Schau «Nur Skulptur» ist der bevorstehende Abriss eines Teils der Kunsthalle - der erst 1983 fertiggestellte Gebäudeteil ist ausschliesslich der Plastik vorbehalten gewesen. Der aussen mit roten Sandsteinplatten verkleidete sogenannte Mitzlaffbau erwies sich als ein klimatechnisch und raumästhetisch unzulängliches Ausstellungshaus. Es ist ein typisches Beispiel missratener Museumsarchitektur - und man darf gespannt sein, wie viele der hochambitionierten Neubauten unserer Gegenwart in wenigen Jahrzehnten ebenfalls Abrisskandidaten geworden sein werden: Hohe Unterhaltskosten, Materialermüdung, zu unflexibel und beschränkt, was die Aufnahme der Kunstwerke betrifft.
Die Chance, ein museales Gebäude 
mit einer finalen Ausstellung ruinieren zu dürfen - das ist sicher ein 
Traum vieler Künstler, die raumbezogen, performativ, prozessual arbeiten
 oder sich auf irgendeine sonstige Weise radikal gebärden. Man muss 
sofort an Gordon Matta-Clark denken und sich kühne 
Architektur-Decollagen vorstellen, mit Abrissbirnen modellierte 
Trümmerlandschaften, mit Farb- und Kunststoffmassen überzogene 
Fensterfronten, ja man träumt von kontrollierten Sprengungen und 
farblich akzentuierten Staubwolken.
Leider aber findet dies alles nur 
im Westentaschenformat statt. Der Schweizer Künstler Roman Signer durfte
 ein kreisrundes Loch in den Betonboden bohren, durch das später ein 
kleines ferngesteuertes Fahrzeug ins Untergeschoss fiel und dabei 
zerschellte - immerhin. Thomas Hirschhorn sprühte einen Raum mit 
schwarzer Farbe aus, um Russbildung nach einem Feuer zu simulieren, 
Performance-Professor John Bock liess wieder einmal ein nettes Chaos 
inszenieren, bei dem allerlei Kram durch die Gegend getragen und 
durcheinander gebracht wurde, und Thomas Rentmeister durfte ein wenig 
mit seiner bewährten Schokocrème herumpatschen.
Wo die Gegenwartskunst in ihrer 
erstarrten marktkonformen Rebellenpose nur noch langweilt, reizt der 
Blick in die Vergangenheit. Hier zeigt sich der Charme der Schau, die 
neben der zeitgenössischen Kunst Sammlungsbestände wie Fragmente, 
Stapel- oder Schwemmgut vergangener Konzepte und ästhetischer Moden 
präsentiert. Allein schon der zum Teil dicht gruppierte 
Bronzebüstenbestand versammelt auf engstem Raum Porträts aus der Hand 
von Rodin, Claudel, Maillol, Kolbe oder Fritz Cremer, dessen Leninbüste 
als Leihgabe der DKP-Zentrale Mannheim in die Sammlung gelangte. Ebenso 
staunt man über Rudolf Bellings Porträtkopf des legendären Kunsthändlers
 Alfred Flechtheim (1927), der nur aus Adlernase und dünnen Tellerlippen
 besteht.
Bedeutende Sammlung Man wundert sich über die Schätze, die sich hier auf verschlissenen Teppichböden und in verbautem Ambiente offenbaren. Die Industrie- und Rheinhafenstadt Mannheim stand kulturell stets im Schatten des romantischen Heidelberg und des mit Museen reich gesegneten Frankfurt. Nahezu unbemerkt ist hier jedoch eine der bedeutendsten bürgerschaftlichen Sammlungen der deutschen und internationalen Moderne zusammengetragen worden - mit einem einzigartigen Schwerpunkt auf der Plastik. Der Reichtum und die Vielfalt der Sammlung wird in dem riesigen Depotregal veranschaulicht, das mitten in der Kunsthalle aufgebaut wurde und dicht gepackt 150 Werke unterschiedlicher Herkunft, Materialität und Qualität vereint. Dem Riesenregal gegenüber steht - mitten im leeren Raum - auf einem schlanken Sockel die Miniaturplastik von Henry Moore («Kopf», 1955). Das ist sehr effektvoll inszeniert, und es mag sein, dass hier und an anderen Stellen der Ausstellungschoreografie das «Auge des Künstlers» als Hilfskurator gute Dienste geleistet hat. Die Sammlung ist in dieser Ausstellung nicht nur Materialfundus und Ressource, sie wird angesichts ratloser Kuratoren und Künstlerkuratoren selbst zum Thema: Sie erzählt ihre Geschichte selbst, eine Geschichte wechselhafter Erwerbungsstrategien, wechselhafter Geldströme und wechselnder Wertschätzungen.
Schritt für Schritt
 
Die Kuratoren waren laut 
Begleitheft angetreten, die «altbekannten kunsthistorischen 
Meistererzählungen und eingeübten musealen Präsentationsformate auf den 
Prüfstand» zu stellen. Das ist zum Teil durchaus gelungen, wie dieser 
kleine Spass am Rande des Ausstellungsbesuchs offenbart: Man tritt 
mitten in einen Rentmeisterschen Nutellafladen hinein und verteilt die 
Crème dann auf dem Teppich zu einem abstrakten, pastosen Gemälde. 
Schritt für Schritt schmiert sich der Schuh auf diese Weise wieder 
sauber - und nebenbei wird der passive Betrachter zum aktiven 
Mitkünstler.
 Nur Skulptur. Kunsthalle Mannheim bis 17. November 2013.
Lieber Leser,
entschuldigen Sie bitte, dass ich zu den Bildern keine Künstler- und Titelangaben machen kann: Sie waren im Internet nicht zu finden. Max Ernst, Boccioni, Moore erkenne ich ja selber, und Sie wahrscheinlich auch, aber bei Maillol und Giacometti bin ich mir schon nicht mehr sicher. Interessanter sind ja sowieso die, die man nicht kennt. Durch die Anonymität bekommen sie nun einen zusätzlichen Reiz, der weniger ästhetisch wirkt als gespreizt - so wie der Nussnougatcrème-Spaß am Eingang der Ausstellung...


J.E.























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