aus Die Presse, Wien, 28. 4. 2017                                                        Ema (Akt auf einer Treppe) 1966
Der unsichere Blick
Zu seinem 85er gönnt sich der teuerste lebende Maler ein paar Ausstellungen. Die in Prag ist ihm eine Herzensangelegenheit. 
von Almuth Spiegler 
„Ich sammle keine Fotos, sondern Malerei.“ Mit diesen Worten 
katapultierte sich 1967 der damalige Direktor der Berliner 
Nationalgalerie, Werner Haftmann, als Spottfigur in die Kunstgeschichte.
 Er hatte gerade eines der – rückblickend gesehen – Hauptwerke eines 
jungen Malers abgelehnt, der gerade aus der DDR in den Westen gezogen 
war, kurz vor dem Mauerbau, Gerhard Richter war sein Name.
 
4096 Farben, 1974 
„Ema“ zeigt eine nackte blonde Frau, die die Treppen heruntergeht, 
fotorealistisch gemalt, aber verfremdet, verschwommen, wie durch 
Milchglas gesehen. Es ist das erste Gemälde, das Richter nach einem von 
ihm selbst geschossenen Foto schuf. Es ist eines seiner persönlichsten 
Bilder, zeigt es doch seine damalige Frau, die gerade schwanger war (was
 man nicht erkennt).
Unheimliche Unsummen
Ein weiblicher, blonder Akt konnte in den konzeptuellen 1960er-Jahren
 allerdings als Affront gelesen werden. Das Treppenmotiv wies noch dazu 
eindeutig auf Marcel Duchamps berühmten „Akt, eine Treppen 
heruntergehend“ hin, mit dem dieser ab 1912 die traditionelle Malerei 
(für sich selbst zumindest) als beendet sah. Gerhard Richter aber malt 
immer noch. Auch jetzt, mit 85, soll er jeden Tag noch in sein Atelier 
in Köln gehen. Eine mythische deutsche Künstlergestalt, die nichts mehr 
hasst, als über ihre Kunst zu sprechen. Braucht er auch nicht mehr, sie 
wird trotzdem gekauft. Und zwar um Unsummen, die ihm selbst unheimlich 
sind, wie er in einem der seltenen Interviews zugab.
M. Duchamp, Nu descendant un escalier 
Seit 
Jahrzehnten gilt er als teuerster lebender Maler. 2015 wurde in London 
eines seiner „Abstrakten Bilder“ um den Rekordpreis von 41 Millionen 
Euro versteigert, ein Rekord nicht nur für ihn, auch für die 
zeitgenössische Malerei. Man möchte sich nicht vorstellen, wie viel 
„Ema“ erzielen würde. Die mittlerweile hinter Panzerglas im Kölner 
Ludwig-Museum hängt; der Kölner Pop-Art-Sammler Peter Ludwig hat sich 
das Bild nach dessen erster (und wohl letzter) Schmähung hurtig 
gesichert. Es ist heute eine der Ikonen des Museums hinter dem Kölner 
Dom, wo Richter zu seinem heurigen 85. Geburtstag seine „Neuen Bilder“, 
so der Ausstellungstitel, zeigt.
 Abstraktes Bild (947-2), 2016
Er zeigt. Und der museale Platz 
wird ihm natürlich gegeben. Durch den Kunstmarkt-Hype haben sich die 
Machtverhältnisse umgekehrt, die Museen sind außerstande, sich Werke von
 Malern wie Richter zu leisten. Sie sind auf Schenkungen der Künstler 
angewiesen, die sich natürlich dementsprechend hofieren lassen, ob 
gewollt oder ungewollt, zu Recht oder Unrecht, man ist sich da nicht 
mehr so sicher – siehe die Geschichte des unglücklichen Direktors der 
Berliner Nationalgalerie. So erklären sich viele große Retrospektiven 
und Ausstellungen der immer selben Künstler in vielen Moderne-Museen, 
etwa auch der Wiener Albertina. Denen dann zumindest großzügige 
Schenkungen folgen.
Auch Richter schenkte, dem Ludwig-Museum einen
 großformatigen, verschieden grau schattierten Doppelspiegel, in dem 
sich der Betrachter erkennt, als wäre er in ein Richter-Bild gebeamt 
worden, grau in grau, wie Richter es gern mit historischen Fotos 
handhabt, ähnlich verschwommen.
11 Scheiben, 2003 
Was liegt unter der Farbe?
 
Im Mittelpunkt aber stehen 26 unterschiedlich große, sehr bunte, sehr
 abstrakte Bilder von 2015/16. Isoliert könnte man mit ihnen wenig 
anfangen, außer ihnen dekorativen Wert zuzuschreiben, sie sind aufwendig
 Schicht über Schicht gespachtelt, verwischt, gerakelt, also mit einem 
Abstreifholz überarbeitet. Anders als Richters frühere abstrakte Bilder,
 die immer schon parallel zu den gegenständlichen entstanden, aber nicht
 mit großer Gestik ausgeführt, sondern mit extrem kleinteiliger, die 
Struktur aus Löchern und Schlieren und Strichen ist wahnsinnig dicht.
Abstraktes Bild (947-8) 2016 
Es
 ist die Information, dass hinter diesen Farbschichten ein Bild liegt 
bzw. liegen könnte, dessen Zugang, dessen „einfache Interpretation“, 
einem dadurch verwehrt wird, ein Thema, um das es bei Richter immer 
geht, und wie es auch bei seinem jüngsten Aufreger war, dem 
Birkenau-Zyklus, für den er die einzigen historischen Fotos aus dem KZ 
Birkenau übermalte. Die Serie ist übrigens seit gestern in der Prager 
Nationalgalerie zu sehen, als Teil der ersten Richter-Retrospektive in 
Osteuropa – für den 1932 in Dresden geborenen Richter eine, wie er zur 
Eröffnung sagte, „Herzensangelegenheit“. 
Fünf Türen, 1967 
Richter-Ausstellungen zum 85. Geburtstag:
 Museum Ludwig Köln, „Neue Bilder“, bis 1. Mai. Das Museum Folkwang 
zeigt die Editionen bis 30. Juli. Das Kunstmuseum Bonn das Frühwerk von 
15. 6. bis 1. 10. Die Prager Nationalgalerie eine Retrospektive bis 3. 
9.
 Nota. - Dass ein Künstler erwiesenermaßen alles kann, ist zu wenig, wenn er nicht weiß, was er will.
 Denn dass er "alles" wollte, hieße ja, dass er keinen Geschmacksmaßstab hätte. Dann wäre er bloß Handwerker und kein Künstler.
JE







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