aus FAZ.NET, 17.11.2018-19:14                                                        Lakkis elliptische Markthalle mit RechteckturmGriechische Insel Leros
Mussolinis Architektur als Welterbe?
von Monika Etspüler, Lakki
Die griechische Insel Leros will für ihre Architektur den Welterbestatus. Die dort gelegene Stadt Lakki wurde als Einheit im Stil des Rationalismus gebaut, sie entstand, als die Insel zu Italien gehörte.
Die Insel Leros ist so etwas wie die Unbekannte der griechischen Dodekanes-Gruppe in der östlichen Ägäis. Im Hauptort des Eilands mit achttausend Einwohnern, Agia Marina, findet man die klassische Postkartenidylle enger Gassen, weißer Fassaden und strahlendblauem Himmel über azurfarbenem Meer. Doch Leros hat noch ein anderes Gesicht, zu finden auf der Westseite der Insel in dem Ort Lakki. Die prägenden Elemente dort sind breite Straßen, Alleen mit Eukalyptusbäumen und großzügig angelegte Gebäude.
Die Uferpromenade ziert ein
 hufeisenförmiges Kino, dessen zylindrische Front sich dem Meer 
entgegenwölbt. Unweit des ehemaligen Hotels Roma ragen die hohen, 
schmalen Arkaden der Grundschule empor, an die sich wie ein Ufo ein 
rundes Atrium anschließt. Eines der architektonisch kühnsten Gebäude ist
 das Ensemble der elliptischen Markthalle mit viereckigem Uhrenturm, bei
 dem rechte Winkel, kubische und Kreisformen eine gewagte, aber 
harmonische Synthese eingehen.
Der Ort beginnt
 sich herauszuputzen. Doch viele Gebäude dämmern dem Zerfall entgegen. 
Dennoch ist George Trampoulis, der Leiter des historischen Archivs von 
Leros, der Ansicht, Lakki verdiene es, in die Liste des Unesco-Welterbes
 aufgenommen zu werden. Trampoulis argumentiert mit den baulichen und 
historischen Besonderheiten der in den dreißiger Jahren errichteten 
Architektur. Lakki ist die einzige Stadt außerhalb Italiens, die als 
funktionsfähige Einheit im Stil des Rationalismus geplant und errichtet 
wurde. Diese italienische Variante der Klassischen Moderne, die sich 
durch Minimalismus und Funktionalismus auszeichnet, darf in einem 
Atemzug mit Mies van der Rohes Weißenhofsiedlung in Stuttgart genannt 
werden. Doch während die Wohnsiedlung des deutschen Werkbundes wegen 
ihrer weißen Dachterrassen als „Araberdorf“ verspottet wurde und Hitler 
sie abreißen lassen wollte, entwickelte sich die „Architettura 
Razionale“ unter Benito Mussolini zu einer Hauptströmung in der italienischen Architektur und zur vorherrschenden Stilrichtung des Faschismus.
Vormachtstellung in der Ägäis
Vorhersehbar war das nicht. Im Gegensatz 
zum nationalsozialistischen Deutschland hatte das faschistische Italien 
lange keine einheitliche Kultur- und Kunstideologie. Unterschiedliche 
Architekturströmungen bekämpften einander. Noch in den zwanziger Jahren 
dominierten verschiedene Ausprägungen des Historismus. Eine Gruppe 
junger italienischer Architekten war es, die diese Bauweisen angesichts 
der technischen und industriellen Entwicklung des frühen zwanzigsten 
Jahrhunderts als nicht mehr zeitgemäß empfand. Sie forderte eine 
Rückbesinnung auf die geometrischen Formen der Antike. Baumaterialien 
wie Beton, Stahl und Glas sollten Transparenz und Funktionalität 
unterstreichen. Damit war die Bewegung der Architettura Razionale 
begründet.
Als 
Paradebeispiele für sie gelten Musterstädte wie Sabaudia, Pontinia oder 
Pomezia südlich von Rom. Sie zeichnen sich durch monumentale Gebäude mit
 schmucklosen Fassaden aus, die einer strengen Geometrie gehorchten und 
entlang axialer Straßen und großer Plätze angeordnet waren. Auch auf den
 Inseln des Dodekanes und in den ehemaligen afrikanischen Kolonien der 
Italiener finden sich zahlreiche Beispiele rationalistischer 
Architektur. Doch wie kam es, dass fern von Rom eine ganze Stadt in 
diesem Stil aus dem Boden gestampft wurde?
Nach
 Jahrhunderten unter osmanischer Herrschaft gingen die Dodekanes-Inseln 
1923 in den Besitz des Königreichs Italien über. Mussolini betrachtete 
die Inselgruppe als wichtigen Standort zur Sicherung seiner 
Vormachtstellung in der Ägäis. Lakki war damals ein unbedeutendes Dorf 
in sumpfiger Gegend; der Ort besaß aber den größten natürlichen Hafen im
 östlichen Mittelmeer, der sich hervorragend für militärische Zwecke 
eignete. Mussolini ließ ihn zu einem zentralen Flottenstützpunkt mit 
Fliegerbasis ausbauen. Parallel entstand die Stadt Lakki. An ihrer 
Grundstruktur hat sich bis heute nichts geändert. In Hafennähe liegt der
 Wirtschafts- und Geschäftsbezirk mit Kino, Hotel und Markt. Dahinter 
erstrecken sich die Wohnviertel, in denen die italienischen Arbeiter, 
Offiziere und Unteroffiziere ihre Quartiere hatten. Der Ort, geplant für
 einige tausend Menschen, erhielt ein Krankenhaus, eine Kirche und hieß 
fortan nicht mehr Lakki, sondern – wohl in Anspielung auf das riesige 
Hafenbecken – Porto Lago.
„Lakki ist zwar
 im rationalistischen Stil erbaut, jedoch nicht vergleichbar mit Städten
 wie Sabaudia“, urteilt Trampoulis. Die Architektur erreiche hier ein 
viel höheres Maß an Individualität und Gestaltungsvielfalt als in 
Italien. „Vermutlich verschaffte die große Entfernung zu Rom den 
Städtebauern mehr Freiräume und Möglichkeiten zum Experimentieren“, 
meint er. Ähnlich äußerte sich der griechische Architekt Anthony C. 
Antoniades schon in den achtziger Jahren. Antoniades schrieb damals, die
 Gebäude von Lakki sollten als glücklicher Unterschied zu den zentralen 
Positionen und Praktiken in ihrer dezentralen Kreativität und relativen 
Freiheit betrachtet werden. 
Antoniades verlangte auch, endlich die 
rationalistische Architektur als solche zu würdigen statt sie nur mit 
dem Faschismus gleichzusetzen. Architekturkritiker diskutieren freilich 
weiterhin darüber, ob es angemessen sei, Bauten unter rein ästhetischen 
Gesichtspunkten zu beurteilen, ohne die mit ihnen verknüpfte Ideologie 
zu berücksichtigen.
Eindeutig fiel jedoch die Reaktion der einheimischen Bevölkerung aus, nachdem die Inselgruppe 1947 an Griechenland abgetreten wurde. Für die Menschen war zunächst alles, was mit italienischer Architektur zu tun hatte, mit ihren Erfahrungen unter dem italienischen Faschismus verbunden. Diese extreme Ablehnung erklärt sich nicht zuletzt durch die Figur des Cesare Maria De Vecchi, der ab 1936 Gouverneur auf den Dodekanes war. Mit seiner aggressiven Italianisierung brachte er die Bevölkerung gegen sich auf. Er erklärte Italienisch zur offiziellen Sprache, entzog den Einheimischen das Wahlrecht. Außerdem setzte De Vecchi die antisemitischen Rassengesetze auf den Dodekanes um. Als er 1940 die Inseln verließ, blieben vor allem Ressentiments gegen alles, was mit ihm in Verbindung gebracht wurde. Mit der Folge, dass auch die rationalistischen Gebäude von Lakki verrotteten.










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