Sonntag, 30. April 2017

Schamlose Weiber.


aus Die Presse,  

Kunsthistorisches Museum, Wien 
Unterm Rock der Amazonen und Perserinnen Sie waren hinter Wänden versteckt und in jämmerlichem Zustand: Jetzt bekommen zwei Gemälde mit ungewöhnlichen, starken Frauenszenen von Rubens' Lehrer wieder die Beachtung, die sie verdienen.

 

Zwei starken Frauen ist es zu verdanken, dass zwei Gemälde aus den Untiefen der musealen Depots gehoben wurden, die die tradierte Darstellung von Frauen in der Kunst – nackt, verführerisch, passiv – um seltene Gegenbilder ergänzen. Dabei war es ein Zufall, ein gemeinsamer Brüsseler Freund, dass die New Yorker Malerin R. H. Quaytman auf die Forschungen der Kuratorin für flämische Malerei am Kunsthistorischen Museum, Gerlinde Gruber, aufmerksam wurde, die seit Jahren zwei seltsame, seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr ausgestellte Gemälde aus der KHM-Sammlung bearbeitete.

Zwei Bilder, von denen man nicht einmal zeitnahe zu ihrer Entstehung so recht wusste, was auf ihnen eigentlich zu sehen ist: Auf beiden entkleiden sich Frauen mit fast aggressiver Geste selbst, einmal um Soldaten zu verführen, ein anderes Mal, um Soldaten zu verjagen. Letzteres gelingt ihnen, indem sie wie drohend ihre Röcke heben, um ihr Geschlecht zu zeigen. Worauf der Heeresanführer wie beim Anblick des Teufels sogar den Arm schützend vor die Augen reißt. Vor Schrecken scheinen die Kämpfer umzudrehen und, von der Front der Geschlechter fliehend, wieder in die Schlacht unter Männern zu ziehen. Siegreich, wie sich herausstellt.

Ab in den Wald mit den Amazonen

Was soll das für eine Geschichte sein? 1991, als die beiden Tafelbilder erstmals ins Verzeichnis der Gemälde des KHM aufgenommen wurden, dachte man noch, es handle sich um eine wirre Version von „Coriolan und die Frauen“. Und bei der anderen Tafel um eine wohl orgiastische „Szene aus der römischen Geschichte (?)“. Ihr Maler gab ähnliche Rätsel auf, niederländisch, Ende 16. Jahrhundert, lautete die Zuschreibung. Gruber, die Rubens-Spezialistin, begann mit der Lösung, diskutierte sie in Fachkreisen, und heute steht fest: Bei der Paarungs-Szene der Nackten und der Soldaten handelt es sich um die Verbindung der beiden Völker der „Amazonen und Skythen“, wie Herodot sie in seinen „Historien“ beschrieb. Man sieht noch, wie eine der Frauen dieses stolzen Kriegerinnen-Stammes sich ihrer eigenen Rüstung entledigt. Bevor man sich auf die anrückenden jungen Skythen stürzte – um mit ihnen in die Wälder abzurauschen. Heraus kam bei all dem ein neues Völkchen, die Sauromaten, historisch gesehen ein iranisches Reitervolk aus dem 6. Jh. v. Chr.

Otto van Veen, Amazonen und Skythen

Im Iran spielt auch das (wahrscheinliche) Pendant-Bild, die Röcke-hebenden Frauen: Gruber hat hier 
„Die Perserinnen“, eine Geschichte, die Plutarch in den „Moralia“ erzählt, identifiziert. Als die Perser nach einer verlorenen Schlacht nach Hause fliehen wollten, trieben ihre Frauen sie mit besagter Geste und folgendem Satz an die Front zurück: „Wohin wollt ihr, die Feigherzigsten unter Allen? Denn dahin könnt ihr nicht wieder zurückkehren, von wo ihr herausgekommen seid.“ Die Männer drehten um und besiegten den Feind. Das faszinierte (nicht nur) die US-Künstlerin Quaytman, die sich daraufhin gemeinsam mit der österreichischen Phileas-Stiftung für die Finanzierung von Erforschung und Restaurierung der in erbarmungswürdigem Zustand befindlichen Gemälde engagierte. Was auch mit ein Grund gewesen sein durfte, dass die Bilder in der ehemaligen Sekundärgalerie des KHM hinter mobilen Wänden (Wangen) verborgen gewesen sind; der damals irritierende Inhalt dürfte sein Übriges dazu beigetragen haben.

Jetzt konnte die erste der beiden großformatigen bemalten Eichenholztafeln aus der aufwendigen Restaurierung durch Michael Odlozil entlassen werden. Erstmals dürfen auch die „Amazonen und Skythen“ in die große Gemäldegalerie des KHM, wo sie im Rahmen der Einzelpräsentations-Reihe „Ansichtssache“ zu sehen sind, inklusive einer ausführlichen begleitenden Publikation. Auf die „Perserinnen“ muss man dagegen noch ein wenig warten, sie dürfen erst im Herbst in der Secession ihre Röcke auslüften, im Rahmen der Einzelausstellung von Quaytman, die sich in ihren eigenen Arbeiten auf das Gemälde bezieht. Parallel dazu wird im KHM die große Rubens-Ausstellung stattfinden, wo die „Amazonen und Skythen“ integriert sind, um das Frühwerk Rubens besser verstehen zu lernen, hofft Kuratorin Gruber.

Denn mittlerweile konnte der seit Mitte der 1980er-Jahre vermutete flämische Maler bestätigt werden, der die zwei Bilder wohl einst für die Prager Sammlung von Kaiser Rudolf II. anfertigte (im prüden gegenreformatorischen Flandern hätte sich niemand so ein Motiv zu besitzen getraut, so Gruber): Otto van Veen (1556–1629) war der frühe und wichtigste Lehrer von Barock-Star Peter Paul Rubens. Zwischen 1594/95 und 1598 war der in van Veens Antwerpener Werkstatt als Lehrling beschäftigt (und wohnte auch bei ihm zu Hause). Ob Rubens in dieser Funktion auch an den „Amazonen“ und „Perserinnen“ mitgearbeitet hat, traut Gruber sich nicht mit Sicherheit zu sagen. Jedenfalls sei diese Zeit bei van Veen wesentlich, um Rubens Frühstil nachvollziehen zu können, als die Frauenfiguren noch recht gedrechselt wirkten und die Knie, Ellbogen und Hinterteile gerötet waren, wie man es von van Veen kennt. So detailliert wie sein Lehrer das weibliche Geschlecht in den „Perserinnen“ darstellte, traute Rubens sich das allerdings nie.

Ansichtssache. Otto van Veen, bis 16. Juli, KHM.




Samstag, 29. April 2017

Wie konnte man solchen Bildern überhaupt eine rein erotische Intention nachsagen?

aus Badische Zeitung, 18. 4. 2017

Auftakt des Gedankjahrs
Die Wiener Albertina zeigt Egon Schieles Kunst in neuem Licht
Der österreichische Künstler Egon Schiele galt als das "enfant terrible" der Wiener Moderne. 100 Jahre nach seinem Tod erscheint sein Kunst in der Albertina in neuem Licht

von Friederike Zimmermann 

Er hat den eleganten schwarzen Anzug hervorgeholt, den er über der gemusterten Weste und der stilvollen Halsbinde trägt. Wirr steht ihm das Haar vom Kopf, doch aufrecht wie in sonst keinem seiner Konterfeis blickt der Künstler im "Selbstbildnis mit Pfauenweste" (1911) den Betrachter aus seiner hellen Aureole heraus selbstbewusst, geradezu herausfordernd an: Ja, der österreichische Künstler Egon Schiele (1890-1918) galt als das "enfant terrible" der Wiener Moderne. 



Dass er bereits im Alter von sechzehn Jahren als jüngster Student in die Wiener Kunstakademie aufgenommen wurde, befeuerte sein künstlerisches Ego. In den 28 Jahren seines Lebens fertigte er sage und schreibe 170 Selbstporträts an. Die meisten zeigen ihn nackt, mit ausgemergeltem Körper und irrem Blick. War er deshalb aber ein manischer Narzisst?


Viele bisherige Deutungen wollten genau das glauben machen, stilisierten den Maler als jungen, sexbesessenen Wilden, der sich, in der Absicht, die Spießbürger so richtig erzittern zu lassen, in den sozialen Abgründen Wiens verlor. Anders die Albertina, die als Auftakt zum Gedenkjahr 2018 bereits jetzt mit 160 seiner schönsten Gouachen und Zeichnungen eine umfassende Ausstellung von Egon Schieles Werk zeigt und den Künstler auf der Grundlage der Forschungen von Johann Thomas Ambrózy in einen völlig neuen Zusammenhang stellt.



Gewiss: Die zu Papier gebrachte Nacktheit als eigenständiges Genre war zu Schieles Zeit neu und galt als absoluter Tabubruch. Obwohl er auch Landschaften, Städtebilder, Porträts, Stillleben und allegorische Arbeiten schuf, wurde der Künstler zeitlebens auf seine Aktdarstellungen festgelegt. Erst gegen Ende wurde ihm jene Anerkennung zuteil, die ihn neben Kokoschka und Klimt, der zeitweise sein Lehrer war, als bahnbrechenden Avantgardisten der Wiener Moderne auswies.


Schuld an den verspäteten Lorbeeren hatte auch sein kantiger Stil. Dieser war weniger dazu angetan, die Schönheit seiner meist sehr jungen Modelle zu mehren, als vielmehr deren Armut und Versehrtheit zu betonen – in rot entzündeten Lidern oder verschrofelten Handknochen. Dadurch haftet den erotischen Darstellungen immer etwas Gequältes oder Getriebenes an. Manche wirken in ihrer zeichnerischen Reduktion (vor allem ab 1914) fast hölzern. Wieder andere erscheinen in ihrer eruptiven Bewegung vor monochrom-flächigem Hintergrund wie haltlos. Nun freilich fragt man sich: Wie konnte man solchen Bildern überhaupt eine rein erotische Intention nachsagen? In diesem Widerspruch zeigt sich einmal mehr die Doppelmoral des Fin de Siècle und weit darüber hinaus: Wenn schon nackt, dann, bitte sehr, schön nackt.

Andacht

Zu diesen Bildern setzt die Albertina erstmals eine bislang verkannte Werkgruppe in Beziehung, die Schieles Schaffen mit neuem Licht überstrahlt: Zwischen 1912 und 1918 schuf er eine Reihe von Werken, die – wie sich herausstellte – den Heiligen Franziskus und sein Wirken zum Thema haben. Die Bilder tragen pathetische Titel wie "Erlösung", "Andacht" oder "Die Wahrheit wurde enthüllt" und zeigen Männer in ärmlichen Gewändern. Schiele habe sich völlig mit Franz von Assisis asketischem Armutsideal identifiziert und seine Menschenbilder als Aufschrei und Protest wider den Materialismus und Luxus seiner Zeit erschaffen, heißt es. Aber kann man deshalb allen Werken – selbst jenen, die Schieles (vorurteils)freie Sicht auf die geschlechtliche Realität zur Schau stellen – einen ethischen Hintergrund nahelegen?

Kreuzigung, 1917

"Auch das erotischste Kunstwerk hat Heiligkeit", war Schiele überzeugt. Zumindest erklärt sich so der helle Konturrahmen, der viele seiner Figuren wie eine Aura umgibt. Dazu passt ein weiterer Aspekt, dem die Schau große Aufmerksamkeit widmet: In vielen (Selbst-)Bildern Schieles taucht ein ostentatives, enigmatisches Handzeichen auf, die sogenannte V-Geste, bei der die flach ausgestreckte Hand Zeige- und Mittelfinger zur V-Form aufspreizt. Wie sich nun herausstellt, übernahm Schiele diese Geste aus der christlichen Kunst, mit der er die Dargestellten einschließlich seiner selbst zu einer Art Schöpfergott stilisiert.


Selbst als hl. Sebastian

"Ich bin so reich, dass ich mich fortschenken muss", vertraute der Künstler seinem Freund Arthur Roessler einmal an. Gerade in der Aussparung zeigt sich, was er damit meinte. Etwa in "Umarmung" (1914) ist lediglich eine nackte stehende Frau mit nach vorn gebeugten Armen zu sehen. Alles andere – der oder die Umarmte – ist nicht von künstlerischem Interesse. Worauf es Schiele ankommt, ist ihr Gefühl – ihre Sendung. Kein Empfänger, keine Paargeschichte, kein Glück. Nur einsames, hingegebenes Menschsein.

Albertina, Wien. Bis 18. Juni. Täglich 10-18 Uhr, Mi 10-21 Uhr.



Vier Kommentare.

Nota. - Ich nehme an, diese Sorte von Schiele-Bildern kennen Sie alle. Finden Sie das erotisch? Ich sehe gar nichts Aufreizendes darauf, eher das Gegenteil. Was ihn am menschlichen Körper am meisten fasziniert zu haben schint, war seine capability zur Hässlichkeit; wenigstens dazu, als hässlich dargestellt zu werden.

Dass Schiele heute fast so populär ist wie van Gogh in den 50er Jahren, kann man nur begrüßen. Dass sich aber diese Popularität aber immer noch auf seine schrundigen Nackten beschränkt, ist zu beklagen. Daran hat die Ausstellung in der Albertina nichts geändert, und wohl auch nicht ändern wollen.

 

 
Die Werke der Kunst aus den Biographien der Künstler, aus ihren Schickalen und Vorlieben zu interpretieren, ist weit verbreitet und verschafft kustgeschichtlich manchen Aufschluss. Aber es muss sich in den meisten Fällen ans Motivische halten; eigentlich ästhetische Einsichten sind so nicht zu erlangen. Das ist aber das, was mich mehr interessiert. Und da ist es mir ziemlich gleichgültig, ob er ein pädophile Pornograph oder ein religiöser Schwärmer war. Und da interessieren mich seine Landschaften, Hausansichten und Stillleben mehr als das welke nackte Fleisch. Vielleicht sollte ich mir im Internet meine eigene Schiele-Ausstellung zusammensuchen?
JE



Nota. - Als Lucian Freud starb, habe ich mich gefragt: Warum muss ich mir sowas ansehen? Dass es mehr hässliche als schöne Menschen gibt, weiß ich längst, man muss ja nur mal am Nachmittag in den Stadtpark gehen. Eine ästhetische Offenbarung ist es jedenfalls nicht. Ist es aber eine message? Dann ist es erstens keine dringend benötigte, und zweitens würde Kunst, wenn sie sich ästhetisch rechtfertigen könnte, eine solche nicht brauchen: Es ist einfach veraltet. 


Anders als der Autor nehme ich nicht jede Gelegenheit wahr, Schiele-Bilder zu sehen; nämlich nicht die - ganz unero- tischen - Aktbilder: Dass es mehr hässliche als schöne Menschen gibt, usw. ... Aber nun erfahre ich: Es ist die metaphy- sische Unbehaustheit, die existenzielle Geworfenheit, the ontological insecurity des modernen Menschen, die hier zu sehen ist. War: zu der Zeit, als die Belle Époque gerade in den Weltkrieg abrutschte. Es ist wahr, ein Künstler wäre als Mensch nicht ernstzunehmen, wenn ein solcher Zeitbezug seinen Bildern nicht anzumerken wäre, aber vollständig kann das eine ästhetische Rechtfertigung nicht ersetzen. Muss es bei Schiele auch nicht, die Expressivität ist selber eine ästhetische Qualität und braucht als solche keine Erklärung. 

Lucian Freuds Nackte sind nicht existenziell geworfene Haut und Knochen, sie sind etwas zu prall im Leben, sie illustrieren nur die Selbstreflexivität der allermodernsten Kunst: 'Was kann man heute noch malen?'

 

Lucian Freud, Two japanes wrestlers by a sink, 1983/87

Freud hat wie Schiele eine Antwort aber gekannt, doch keine, die beim Publikum durchdringt und auch keine, die sie als solche selber wahrgenommen hätten - es sind ihre mehr beiläufigen Landschafts-, Architektur- und Pfanzenstudien, die in Wahrheit auf Motiv und Message verzichten, indem sie die Gegenstände ganz in ihrem ästhetischen Schein versinken lassen.
JE

 
Nota. - Wenn ich so rumhöre: Schiele ist außerordentlich populär; ich meine, weit über den Kreis der auch sonst Kunstbeflissenen hinaus. Seit wann ist das so, wie ist es dazu gekommen? Ich fürchte ja, weil ihm ein bisschen was Anrüchiges anhaftet, und dazu passen die vielen Arbeiten, die wg. Nacktheit als erotisch gelten, obwohl sie, wie die Schinken von Lucian Freud, eher die Hässlichkeiten von menschlichen Körpern darstellen; bloß zeitgemäß dürr statt fett. 

Das ist zwar ein großer, aber doch nur ein Teil seiner Arbeit. Mindestens so zahlreich sind seine Landschafts- und Ortsansichten, die seinen ästhetischen Eigensinn viel stärker zum Ausdruck bringen. Vom Jugendstil fehlt der Kitsch, vom Expressionismus fehlt das Pathos. Und eigenartig: immer ist Herbst, sogar auf den Stillleben.
JE 


 
...An Egon Schiele habe ich mir unlängst den Mund verbrannt. Ich habe behauptet, an seinen nackerten Buidln wär gar nix Erotisches, was ihn am menschlichen Körper am meisten fasziniert habe, sei seine Fähigkeit zur Hässlichkeit gewesen, lediglich bei seiner Ehefrau habe er mal eine Ausnahme gemacht.

Das ist nicht wahr, ich nehme es zurück. In meinem Eifer, Landschafts- und Dorfbilder von ihm zu sammeln, habe ich auf seine Nackten nur einen Seitenblick geworfen, und aufgefallen sind mir dabei nur die Hässlichen - die Wohlgestalteten sind ja eher konventionell. Aber erotisch waren sie schon gemeint, ich habe mir die Sammlung auf meiner Festplatte in Ruhe angesehen und gebe es zu.  


28. 3. 2017 




 

Donnerstag, 27. April 2017

Gerhard Richter zum Fünfundachtzigsten.

 aus Die Presse, Wien, 28. 4. 2017                                                        Ema (Akt auf einer Treppe) 1966

Der unsichere Blick
Zu seinem 85er gönnt sich der teuerste lebende Maler ein paar Ausstellungen. Die in Prag ist ihm eine Herzensangelegenheit.

 

„Ich sammle keine Fotos, sondern Malerei.“ Mit diesen Worten katapultierte sich 1967 der damalige Direktor der Berliner Nationalgalerie, Werner Haftmann, als Spottfigur in die Kunstgeschichte. Er hatte gerade eines der – rückblickend gesehen – Hauptwerke eines jungen Malers abgelehnt, der gerade aus der DDR in den Westen gezogen war, kurz vor dem Mauerbau, Gerhard Richter war sein Name.
 
4096 Farben, 1974

„Ema“ zeigt eine nackte blonde Frau, die die Treppen heruntergeht, fotorealistisch gemalt, aber verfremdet, verschwommen, wie durch Milchglas gesehen. Es ist das erste Gemälde, das Richter nach einem von ihm selbst geschossenen Foto schuf. Es ist eines seiner persönlichsten Bilder, zeigt es doch seine damalige Frau, die gerade schwanger war (was man nicht erkennt).


Unheimliche Unsummen

Ein weiblicher, blonder Akt konnte in den konzeptuellen 1960er-Jahren allerdings als Affront gelesen werden. Das Treppenmotiv wies noch dazu eindeutig auf Marcel Duchamps berühmten „Akt, eine Treppen heruntergehend“ hin, mit dem dieser ab 1912 die traditionelle Malerei (für sich selbst zumindest) als beendet sah. Gerhard Richter aber malt immer noch. Auch jetzt, mit 85, soll er jeden Tag noch in sein Atelier in Köln gehen. Eine mythische deutsche Künstlergestalt, die nichts mehr hasst, als über ihre Kunst zu sprechen. Braucht er auch nicht mehr, sie wird trotzdem gekauft. Und zwar um Unsummen, die ihm selbst unheimlich sind, wie er in einem der seltenen Interviews zugab.

M. Duchamp, Nu descendant un escalier

Seit Jahrzehnten gilt er als teuerster lebender Maler. 2015 wurde in London eines seiner „Abstrakten Bilder“ um den Rekordpreis von 41 Millionen Euro versteigert, ein Rekord nicht nur für ihn, auch für die zeitgenössische Malerei. Man möchte sich nicht vorstellen, wie viel „Ema“ erzielen würde. Die mittlerweile hinter Panzerglas im Kölner Ludwig-Museum hängt; der Kölner Pop-Art-Sammler Peter Ludwig hat sich das Bild nach dessen erster (und wohl letzter) Schmähung hurtig gesichert. Es ist heute eine der Ikonen des Museums hinter dem Kölner Dom, wo Richter zu seinem heurigen 85. Geburtstag seine „Neuen Bilder“, so der Ausstellungstitel, zeigt.

 Abstraktes Bild (947-2), 2016

Er zeigt. Und der museale Platz wird ihm natürlich gegeben. Durch den Kunstmarkt-Hype haben sich die Machtverhältnisse umgekehrt, die Museen sind außerstande, sich Werke von Malern wie Richter zu leisten. Sie sind auf Schenkungen der Künstler angewiesen, die sich natürlich dementsprechend hofieren lassen, ob gewollt oder ungewollt, zu Recht oder Unrecht, man ist sich da nicht mehr so sicher – siehe die Geschichte des unglücklichen Direktors der Berliner Nationalgalerie. So erklären sich viele große Retrospektiven und Ausstellungen der immer selben Künstler in vielen Moderne-Museen, etwa auch der Wiener Albertina. Denen dann zumindest großzügige Schenkungen folgen.
Auch Richter schenkte, dem Ludwig-Museum einen großformatigen, verschieden grau schattierten Doppelspiegel, in dem sich der Betrachter erkennt, als wäre er in ein Richter-Bild gebeamt worden, grau in grau, wie Richter es gern mit historischen Fotos handhabt, ähnlich verschwommen.

11 Scheiben, 2003

Was liegt unter der Farbe?
 
Im Mittelpunkt aber stehen 26 unterschiedlich große, sehr bunte, sehr abstrakte Bilder von 2015/16. Isoliert könnte man mit ihnen wenig anfangen, außer ihnen dekorativen Wert zuzuschreiben, sie sind aufwendig Schicht über Schicht gespachtelt, verwischt, gerakelt, also mit einem Abstreifholz überarbeitet. Anders als Richters frühere abstrakte Bilder, die immer schon parallel zu den gegenständlichen entstanden, aber nicht mit großer Gestik ausgeführt, sondern mit extrem kleinteiliger, die Struktur aus Löchern und Schlieren und Strichen ist wahnsinnig dicht.

Abstraktes Bild (947-8) 2016

Es ist die Information, dass hinter diesen Farbschichten ein Bild liegt bzw. liegen könnte, dessen Zugang, dessen „einfache Interpretation“, einem dadurch verwehrt wird, ein Thema, um das es bei Richter immer geht, und wie es auch bei seinem jüngsten Aufreger war, dem Birkenau-Zyklus, für den er die einzigen historischen Fotos aus dem KZ Birkenau übermalte. Die Serie ist übrigens seit gestern in der Prager Nationalgalerie zu sehen, als Teil der ersten Richter-Retrospektive in Osteuropa – für den 1932 in Dresden geborenen Richter eine, wie er zur Eröffnung sagte, „Herzensangelegenheit“. 

Fünf Türen, 1967 

Richter-Ausstellungen zum 85. Geburtstag: Museum Ludwig Köln, „Neue Bilder“, bis 1. Mai. Das Museum Folkwang zeigt die Editionen bis 30. Juli. Das Kunstmuseum Bonn das Frühwerk von 15. 6. bis 1. 10. Die Prager Nationalgalerie eine Retrospektive bis 3. 9.

Nota. - Dass ein Künstler erwiesenermaßen alles kann, ist zu wenig, wenn er nicht weiß, was er will.
Denn dass er "alles" wollte, hieße ja, dass er keinen Geschmacksmaßstab hätte. Dann wäre er bloß Handwerker und kein Künstler.

JE


Entartet.

Adolf Hitler, Hügellandschaft, 1910



Dienstag, 25. April 2017

Was stellt das dar = was kann man damit anfangen.


Die Gestalt der Dinge sei eine"Darstellung unserer Handlungsmöglichkeiten, die in dem Dinge ausgedrückt sind; alles, was ich daraus machen könnte", heißt es bei Fichte.  

Das ist ein Kernsatz der Ästhetik. 

Gemeint sind die Dinge, wie sie im praktischen Leben wirklich sind. Das betrifft auch noch die Dinge im kultischen Bild: nicht nur, was ich faktisch, sondern auch, was ich im Glauben daraus machen kann. Aber doch eben ich. 

So die Kunst unbeirrt bis in die Renaissance. Erst mit dem Aufblühen der Landschaftsmalerei kommt die Idee auf, die Dinge so darzustellen, wie sie "an sich selber sind"; ohne Hinblick auf das, was ich daraus machen kann. Das ist ein unnatürlicher Blick, er erfordert eine besondere Konzentration, ein absichtliches Absehen von aller Absicht

Dazu eignet sich kein wirkliches Ding eher als die Landschaft. Und wer sich auf die Darstellung der Landschaft verlegt, wird früher oder später darauf verzichten, 'Handlungsmöglichkeiten' in ihr zu erspähen, und sich auf die Anschauung des 'rein Ästhetischen' beschränken.

Dass die Kunst zeitweilig ungegenständlich wurde, war kaum zu umgehen, hat sich aber auch bald erschöpft. Wo keine Gegenstände sind, sind auch keine Handlungsmöglichkeiten, und die Abstraktion abstrahiert von gar nichts. Die ästhetische Pointe ist ja eben: an den Gegenständen von den wirklichen Handlungsmöglichkeiten absehen. Ungegenständliche Bilde wirken seit ein paar Jahrzehnten beliebig und rein dekorativ.




Freitag, 21. April 2017

Der die Klassik erfunden hat.

aus Tagesspiegel.de,

Ausstellung zu Johann Joachim Winckelmann 

Der Erfinder einer idealen Antike
Weimar erinnert an Winckelmann, den Künder griechischer Schönheit und Begründer der modernen Kunstgeschichte.

von  

In Triest, diesem Kreuzungspunkt der Nationen, Sprachen und Kulturen, kam am 8. Juni 1768 Winckelmann gewaltsam zu Tode. Ein Kleinkrimineller hatte ihn ermordet. Das gebildete Europa war entsetzt – ganz Europa, denn Johann Joachim Winckelmann, 1717 in Stendal geboren und aus kleinen Verhältnissen zum bedeutendsten Altertumshistoriker seiner Zeit aufgestiegen, war eine europäische Erscheinung. Seine Schriften wurden schneller als die irgendeines anderen Autors in die Verkehrssprachen des Kontinents übersetzt; ganz abgesehen davon, dass er selbst auf Deutsch, Italienisch und Französisch schrieb.


Apoll vom Belvedere

Mit den „Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst“, die er 1755 in einer Auflage von nur 50 Exemplaren veröffentlichte, wurde Winckelmann in gelehrten Kreisen bekannt. Weit mehr als das: Seine Überlegungen, 1764 ausgebaut zur „Geschichte des Alterthums“, revolutionierten das ästhetische Denken Europas. Der Klassizismus, der die griechische Kunst und Kultur zum absoluten Vorbild erhob, fand in Winckelmanns Schriften seine Begründung.

Goethe vertiefte sich immer wieder in Winckelmanns Bücher

Die „Weimarer Klassik“ um Goethe und Schiller ist ohne Winckelmann nicht zu denken. Zumal Goethe vertiefte sich immer wieder in dessen Bücher und verfasste 1805 die Schrift „Winckelmann und sein Jahrhundert“, in der er dem eine Generation Älteren bescheinigt: „Er fühlte und kannte das Alterthum, so wie das Würdige der Gegenwart, des Lebens und des Charakters (...).“

Torso des Belvedere

Goethe und Winckelmann: Das ist eine geistige Beziehung, deren zweite Hälfte uns verloren gegangen ist. So ist die Ausstellung, die die Klassik Stiftung Weimar jetzt unter dem Titel „Winckelmann. Moderne Antike“ veranstaltet, ein Stück geistesgeschichtlicher Ausgrabung. Ihr spiritus rector ist die Französin Elisabeth Décultot, die als Humboldt-Professorin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die 2015 eingerichtete Professur für neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer innehat.

Über Winckelmann schreibt sie gemeinsam mit Martin Dönike und Claudia Keller in der Einleitung zum opulenten Katalog: „Diese dreifache Eigenschaft als Vater der Kunstgeschichte und Archäologie, als Heros der griechischen Schönheit und als Virtuose der deutschen Sprache, macht aus ihm eine der ersten Klassikerfiguren der deutschen Literatur- und Kunstgeschichte.“ Doch setzt das Weimarer Vorhaben gegen die nationale Verengung der Winckelmann-Rezeption im 19. Jahrhundert auf die internationale Ausstrahlung: „Mit Winckelmann verlässt die deutsche Literatur ihre angestammte Heimat und wird zum Exportprodukt.“

Venus de Medici

Winckelmann verschlang die Bildungsliteratur seiner Zeit

Als Beleg zeigt die Ausstellung eine Fülle von gedrucktem Material, von Büchern, Briefen und Exzerpten: Winckelmann verschlang geradezu die Bildungsliteratur seiner Zeit. Die von dem Berliner Büro „chezweitz“ auf anregende Weise gestaltete Ausstellung zeigt ehrfurchtgebietende Bücher, minutiöse Eintragungen und schließlich stolze Titelseiten eigener Veröffentlichungen Winckelmanns als einen europäischen Bildungsroman. Nichts hatte ihn, der sich in jungen Jahren als Hauslehrer verdingen musste, ehe er fünf Jahre lang als Konrektor einer Lateinschule in der Provinz dahinkrebste, zu einer solchen Karriere bestimmt.

So hat Winckelmann den Laokoon gekannt: in der Rekostruktion von Giovanni Angelo Montorsoli aus dem frühen 16. Jahrhundert

Winckelmann war enorm fleißig – und lebte lange in prekären Verhältnissen. In Dresdens Königlicher Galerie konnte er erstmals antike Skulpturen sehen. 1755 veröffentlichte er seinen anfangs unbeachteten und dann Epoche machenden Erstling. Dann ging er nach Rom, diesen „kulturhistorischen Sehnsuchtsort“, wie es im neuen, ihm gewidmeten Jahrbuch 2017 der Klassik Stiftung Weimar heißt. Winckelmann hatte nichts zu verlieren – aber er muss ein enormes Talent gehabt haben, Kontakte zu knüpfen und auszubauen. Ein europäisches Netzwerk entsteht.

"Dresden wird nunmehro Athen für Künstler"

„Die reinsten Quellen der Kunst sind geöffnet“, hatte er 1755 geschrieben: „Diese Quellen suchen, heißt nach Athen reisen; und Dresden wird nunmehro Athen für Künstler.“ Doch allein in Rom war die Antike zu sehen; Griechenland war unerreichbar. Vieles, das Winckelmann als griechisch wahrnahm und pries, war römische Kopie; bemerkenswert insofern, als er später, in seinem Urteil gefestigt, gerade die römische Kunst als epigonal tadelt. Zumindest die Hauptwerke waren jedoch griechisch, so der „Apoll vom Belvedere“, jener Jüngling in Schrittstellung mit ausgestrecktem linken Arm, der nun in Weimar als Gipsabguss zu sehen ist, ebenso wie der muskuläre „Torso vom Belvedere“ oder, als Ideal weiblicher Schönheit, die anmutige „Venus Medici“.

So waren die Fragmente 1506 gefunden worden; nur der rechte Arm des Mannes fehlte, er wurde erst im 20. Jhdt. entdeckt.

„Edle Einfalt und stille Größe“ – diese bis heute halbwegs geläufige Kurzdefinition für das „allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke“ gewinnt Winckelmann ausgerechnet an der bewegten Laokoon- Gruppe, denn es „zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele“. In Weimar werden solche Sätze am Objekt nachvollziehbar. Der Darstellung von Winckelmanns Weg im Obergeschoss des „Neuen Museums“ folgt diejenige von Winckelmanns Wirkung im Erdgeschoss.

Winckelmanns Nachlass wurde von Napoleons Truppen verschleppt

Dass der handschriftliche Nachlass des Antikenkenners, der sich bei seinem Tod in Rom befand, von Napoleons Truppen nach Paris verschleppt wurde, verstanden als „Heimholung ins Vaterland“ – das der Freiheit nämlich –, sodass Einzelblätter von Winckelmanns Hand nun aus der dortigen Bibliothèque nationale ausgeliehen werden, gehört zur europäischen Geschichte des „außerordentlichen Menschen“, wie Herder – noch ein Weimarer Klassiker – ihn 1781 rühmt.

Rekonstruktionsvorschlag aus der Berliner Humboldt-Universität

Am Schluss ist der Ausstellung noch Heutiges beigemischt; Ausdruck des Bemühens, jüngere Besucher zu gewinnen. Dabei genügt es doch, sich den Lebensweg zu vergegenwärtigen, den Winckelmann beschritten hat: aus der Enge der Provinz in die universale Weite der Bildung. So gewinnt auch die Sottise des Romantikers Friedrich Schlegel von 1798 eine andere, eine positive Bedeutung: „Jeder hat noch in den Alten gefunden, was er brauchte, oder wünschte; vorzüglich sich selbst.“ Ja, in Weimar ist Selbst-Findung möglich.

Weimar, Neues Museum, bis 2. Juli. Katalog bei Hirmer, 29,90 €. – Rahmenprogramm unter www.klassik-stiftung.de


Nota. - Zur klassizistischen Vorstellung von edler Einfalt und stiller Größe trug maßgeblich ein Missverständnis bei, für das Winckelmann freilich keine Schuld trifft; nämlich das Bild einer weißen Antike. Allerdings waren die von der Renaissance wiederentdeckten antiken Statuen weiß - sie waren ja  anderthalb bis zwei Jahrtausende alt. Im vorigen Jahrhundert hat man mit modernen Methoden festgestellt, dass nahezu alle Standbilder, auch die bronzenen, und ein großer Teil der Tempel bemalt gewesen sein müssen - bunter und knalliger als die äyptischen:









Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Nicht edle Einfalt und stille Größe, sondern Disneyland und Karneval in Rio. Darum mögen wir uns auch heute nicht von Winckelmann verabschieden. Richtiger wärs aber.
JE