Montag, 30. Juni 2014

Macht der Rhythmus die Musik?

aus scinexx                                                                                         Free Voices 

Auch Schimpansen mögen Musik 
Menschenaffen bevorzugen afrikanische Rhythmen gegenüber westlicher und japanischer Musik 

Wechselnde Rhythmen statt stampfender Beats: Typisch westliche Musik verschreckt Schimpansen, für abwechslungsreiche afrikanische und indische Rhythmen haben sie jedoch eine Vorliebe. US-Forscher haben herausgefunden, dass die Affen solche Musik sogar lieber hören, als im Stillen zu hocken. Ein Sinn für Musik könnte damit ein weiteres Merkmal sein, dass Menschen und Primaten miteinander verbindet, schreiben die Wissenschaftler. 

Musik ist etwas, das alle Menschen verbindet, auch wenn jede Kultur ihre eigenen unterschiedlichen Melodien und Rhythmen entwickelt hat. Menschenaffen dagegen musizieren nicht selbst – sie haben aber sehr wohl einen gewissen Sinn für Musik, wie frühere Studien herausgefunden haben. Bestimmte Vorlieben ließen sich bei den Primaten bislang allerdings nicht zuverlässig erkennen, abgesehen davon, dass sie langsamere Rhythmen zu bevorzugen schienen. In allen bisherigen Studien vermieden die Affen die Musik jedoch gänzlich, wenn sie die Möglichkeit hatten. 

Bisher allein westliche Musik erforscht 

Wissenschaftler um Frans de Waal von der Emory University in Atlanta haben allerdings festgestellt, dass sich die Forschung zum Musiksinn bei Primaten bisher allein auf westliche Musikrichtungen wie Pop, Blues und klassische Musik konzentrierte. Diese folgen jedoch gemeinsamen musikalischen und akustischen Mustern – möglicherweise gibt es für die Primaten also keinen entscheidenden Unterschied. 

De Waal und seine Kollegen studierten darum die Reaktionen von Menschenaffen auf eine Auswahl von Musikstilen mit größeren Unterschieden: afrikanische, indische und japanische Musik. "Wir wollten keine unterschiedlichen Vorlieben für Musik verschiedener Kulturen nachweisen", erklärt de Waal die Auswahl der Musik. Es sei aber wichtig, akustische Eigenschaften der Musik genau bestimmen zu können, wie bei den gewählten kulturellen Musikarten. 

Morgendliche Zufallsmusik 

Zwei Gruppen von insgesamt 16 Schimpansen bekamen zwölf Tage lang jeden Morgen für 40 Minuten Musik aus einer der drei Stilrichtungen vorgespielt. Alle Musikstücke wurden in zufälliger Reihenfolge und in derselben Lautstärke gespielt. Dabei beobachteten und filmten die Wissenschaftler, wo die Affen sich in ihrem Gehege aufhielten. 

Die Unterschiede waren deutlich sichtbar: Bei afrikanischer und indischer Musik hielten die Schimpansen sich gern in der Nähe der Lautsprecher auf und hörten lieber Musik als in den ruhigen Ecken zu bleiben. Bei den japanischen Stücken suchten sie jedoch das Weite und befanden sich eher in Bereichen des Geheges, wo die Musik kaum oder gar nicht hörbar war. 

Lieber Musik hören als Stille 

Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Affen die afrikanische und indische Musik aufgrund ihres Rhythmus bevorzugen. Sie beinhalten große Unterschiede und häufige Wechsel zwischen stark ausgeprägten und schwächeren Beats. Die japanische Musik dagegen zeichnet sich durch kräftige und regelmäßige Beats aus, wie sie auch für westliche Musik typisch sind. "Schimpansen könnten diese starken, berechenbaren rhythmischen Muster als bedrohlich empfinden", erklärt de Waal, "denn die Drohgebärden von Schimpansen beinhalten oft rhythmische Geräusche wie Stampfen, Klatschen und das Aneinanderschlagen von Gegenständen."

Bedeutend ist für die Wissenschaftler, dass die Affen nicht nur eine Vorliebe für bestimmte Musik haben, sondern diese auch gegenüber Stille bevorzugen. Erstautor Morgan Mingle von der Emory University bezeichnet diese Tatsache als "überzeugenden Beweis, dass unsere gemeinsame Evolutionsgeschichte eine Vorliebe für Geräusche beinhaltet, welche bei Menschen wie Schimpansen keine überlebenswichtigen Signale darstellen." Musikhören aus reiner Freude an der Musik haben wir demnach mit unseren entfernten Vettern gemeinsam. In weiteren Untersuchungen wollen die Forscher nun anhand der breiten Auswahl menschlicher Musik herausfinden, welche Muster in der Musik möglicherweise einen gemeinsamen evolutionären Ursprung haben. 

(Animal Learning and Cognition, 2014; doi: 10.1037/xan0000032

(American Psychological Association, 27.06.2014 - AKR) 

Nota.
Muss man bei der Gelegenheit daran erinnern, dass Hono sapiens auf Afrika stammt?
JE 

Sonntag, 29. Juni 2014

Architekten und Ingenieure.

Zusammenklang von Architektur und Ingenieurtechnik – Santiago Calatravas rechtswissenschaftliche Bibliothek der Universität Zürich. 
aus nzz.ch, 29. 6. Santiago Calatravas rechtswissenschaftliche Bibliothek der Universität Zürich

Architekt und Ingenieur
Die Unteilbarkeit der Baukunst



Der Homo Faber, wie ihn Max Frisch geschaffen hat, war ein Ingenieur, ein Mensch, der alles im Reich der Technik begriff und die Welt auf das Machbare, das Funktionierende reduzierte. Mit dieser – alles andere als untypischen – Einstellung hat er sich in eine selbstgewählte Isolation begeben, die im Metier selbst keineswegs angelegt ist. Denn Ingenieure wie Architekten beziehen sich auf ein und dasselbe: den Baumeister. Gleichwohl ist das heutige Verhältnis zwischen Architekten und Ingenieuren – freundlich gesagt – verbesserungsfähig. Wenn diese auf jene gucken, dann häufig mit boshafter Distanz. Erinnert sei hier an das Speichenrad. Hier herrscht die Meinung, dass man dieses Pars pro Toto als Werk eines Ingenieurs sehen müsse: Die Felge mit ihrem Querschnitt zur Aufnahme des Reifens, die spannbaren Speichen, ihre Abwicklung, die Nabe, der Schlauch, das alles macht ein komplexes, wiewohl überzeugendes Produkt. Hätte man einen Architekten mit dem Entwurf eines Fahrrads beauftragt, so wäre unter Umständen aus einem Vollwandmaterial eine Kreisscheibe ausgeschnitten und rot, gelb oder blau angemalt worden. Umgekehrt lassen sich die Architekten zumeist nicht lumpen, wenn es die Fähigkeiten und Leistungen des Ingenieurs zu «würdigen» gilt: etwa als «Zahlenknecht», der über die Berechnung der Biegesteifigkeit die Komplexität der Entwurfsanforderungen aus den Augen verliert.

Zweckerfüllung ohne Gestaltungswillen

Sind solche Zuschreibungen schon recht ernüchternd, so fällt der Befund insgesamt noch schwerwiegender aus: Unter dem Stichwort Baukultur guckt man – mit Ausnahme der Brücken, die derzeit ja viel Aufmerksamkeit erfahren – nicht auf jene zahlreichen Errungenschaften, die als Ingenieurbauten subsumiert werden: Strassen, Eisenbahnlinien, Starkstromleitungen, Kraftwerke und Müllverbrennungsanlagen, Kläranlagen, Wasserwerke und Sendemasten. In diesen Bauwerken steckt ein Investitionsvolumen, das dem in Architektur und Hochbau zumindest ebenbürtig ist. Sie stehen zumeist unübersehbar in der Landschaft und werden doch kaum wahrgenommen. Das Auge hat sich an ihre Belanglosigkeit gewöhnt. Das sind «Zweckbauten», lautet die stille Übereinkunft, und es verbietet sich fast, an sie besondere Ansprüche zu stellen. Warum eigentlich?

Coalbrookdale-Bridge über den Fluss Severn

Offenbar tut es Not, daran zu erinnern, dass es Ingenieurbauten waren, die die Architektur revolutionierten: Abraham Darbys Coalbrookdale-Bridge über den Fluss Severn, zwischen 1775 und 1778 als erste gusseiserne Brückenkonstruktion verwirklicht, ebenso wie achtzig Jahre später Joseph Paxtons Crystal Palace zur Weltausstellung in London. Solche Eisenkonstruktionen, meinte vor fast hundert Jahren der Kunsthistoriker A. G. Meyer, bedürften zu ihrer Entstehung arithmetischer Operationen und algebraischer Formeln, und dies sei eine Angelegenheit, die sich durchaus auf rationalem Boden abspiele. Damit aber sei es nicht getan, denn das Rechnen ziele auf das Bauen ab, setze also einen anderen Schritt voraus, welcher erlaube, sich das fertige Gebilde schon vor seiner Entstehung bildlich vorzustellen. Also das Ende eines synthetischen Weges, auf dem sich konstruierende Verstandestätigkeit und sinnliche Vorstellungskraft – jenes Vermögen, das gemeinhin den Künstler auszeichnet – vermählen.

Crystal Palace

Allerdings scheint die Mehrzahl dieser Zweckbauten seit dem Zweiten Weltkrieg keine allzu grosse Herausforderungen an die Erfindungsgabe der Entwerfer gestellt zu haben. Es ist müssig zu diskutieren, was Ursache und Wirkung dieses Phänomens ist, ob Unkenntnis der grundlegenden statischen Prinzipien seitens der Architekten zu einer Verkümmerung des Formenrepertoires führte oder ob im Gegenteil die aus einer philosophisch-künstlerischen Haltung entsprungene Selbstbeschränkung den Verlust dieses Wissens verursachte. Hat der Berufsstand der Bauingenieure seinen Blick von allem abgewendet, was jenseits des numerisch Fassbaren liegt? Vernachlässigt er den intuitiven Zugang, die imaginativen bildhaften Methoden der Lösungsfindung?

Gewiss gibt es hervorragende Beispiele für die virtuose Gestaltung von Tragwerken. Persönlichkeiten wie Nervi, Maillart, Candela haben sie hervorgebracht. Zunächst also Ingenieure, die einen ausgeprägten Sinn für Form, Gestalt und Harmonie besassen. Sie hatten teilweise noch zusätzlich als praktizierende Unternehmer Einflussmöglichkeit auf die Ausführung ihrer Bauten. Auch Architekten wie Buckminster Fuller, Konrad Wachsmann oder Jean Prouvé schufen Beispielhaftes, insbesondere auf dem Gebiet der Formfindung, Konstruktion und industriellen Fertigung.

Buckminster Fuller, Dymaxion House 1927

Unter den Zeitgenossen spielt namentlich Santiago Calatrava eine eminente Rolle, da er sich gleichermassen als Konstrukteur und Baukünstler versteht, wie etwa der Zürcher Bahnhof Stadelhofen oder die Bibliothek des Rechtswissenschaftlichen Instituts der Universität Zürich zeigen. Bei der Bibliothek implementierte er in den Kern eines Altbaus eine ovale, sechsgeschossige Stahlkonstruktion mit elaborierten Details und von verblüffend schwereloser Wirkung. Der geschwungene Raum fliesst harmonisch, um sich nach zwei Seiten hin zu verjüngen. Unter einer Glaskuppel werden hier unterschiedliche bauliche Strukturen so spektakulär wie detailversessen integriert. Auch der 2007 verstorbene Tessiner Architekt Livio Vacchini offenbarte sich immer wieder als Anhänger der Ingenieurskunst, etwa in der skulptural facettierten Müllverbrennungsanlage bei Bellinzona. Diese ist weniger ein Zweckbau in einer einprägsamen Form als vielmehr Ausdruck des Versuchs, eine Vielzahl von Aspekten und Funktionen in einen einzigen, logischen Körper einzubinden, dessen Massen, Hohlräume und Aufrisse aufgrund präziser Geometrien entworfen und wirkungsvoll zur Geltung gebracht wurden.

Livio Vacchini Müllverbrennungsanlage bei Bellinzona

Welche Art Denken, Arbeiten, Planen, Entwickeln kann zu solch integrativen und innovativen Meisterleistungen führen? Für die Suche nach Neuem sind ja nicht unbedingt freie Experimentierfelder nötig, kann sie doch auch innerhalb eines strikten formalen Kanons erfolgen. Man denke nur an die Kathedralbaumeister, die, typologisch, liturgisch und statisch-konstruktiv eingeschränkt, trotzdem lebhaft – und mit Erfolg – laborierten.

Kooperation im kreativen Prozess

Nun ist allerdings die Kooperation in einem schöpferischen Akt nicht so einfach. Weder lässt sie sich postulieren oder verordnen, noch führt sie zwangsläufig zum Erfolg. Es ist sogar fraglich, ob der eigentliche kreative Akt des konzeptionellen Entwerfens in Teamarbeit geleistet werden kann. Zumindest spricht einiges dafür, dass es einen Spiritus Rector geben muss, der den Entwurf durchgängig bestimmt. Die beeindruckende Stadionanlage, die anlässlich der Olympischen Spiele von 1972 in München realisiert wurde, ist das Produkt einer Idee: des Architekten Günter Behnisch. Dass sie verwirklicht werden konnte, verdankt sich aber wesentlich der Arbeit von Ingenieuren. Zumindest die wichtige Phase der Verifizierung wurde massgebend von Fritz Leonhardt, Frei Otto und Jörg Schlaich mitgetragen. Offensichtlich war die Idee stark genug, um bei der Vollendung des kreativen Prozesses mitzuwirken und eine neue, unpathetische und leichtfüssige Architektur durch eine innovative, anspruchsvolle Technik zu zeitloser Baukunst aufzuwerten.

Olympiastadion, München

Es ist freilich nicht mit der Forderung getan, dass der Ingenieur Gestaltungskompetenz erwerben muss. Zumal das eigentliche Problem heute weniger in der Trennung zwischen Wissenschaft und Kunst liegt als vielmehr in der fortschreitenden Erosion von Kultur ganz allgemein. Wenn sich alles nur noch darum dreht, so billig wie möglich zu bauen, dann avanciert der Bauunternehmer, der sich im Allgemeinen nicht um kulturelle Werte schert, zur Zentralfigur. Und mit ihm, so Richard Rogers, «steigt dann ein neuer Typ des Ingenieurs empor, der ‹Buchhalter-Ingenieur›, der eine echte Gefahr bedeuten kann, denn Buchführung sucht nicht nach Langzeitlösungen, sondern rechnet kurzfristig». – Wenn es stimmt, dass Baukunst unteilbar ist, dann kann es keine getrennte Verantwortung für die Gestalt einerseits und die Statik andererseits geben. Architekten und Ingenieure müssen eine neue Kreativität im Zusammenspiel entwickeln – und diese für Qualität nutzen.

Robert Kaltenbrunner ist Architekt und arbeitet beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in Bonn und Berlin.
Modellino di rivellino, da un disegno di Leonardo da Vinci


Samstag, 28. Juni 2014

Afrikanische Felsmalerei in Paris.


institution logoAusstellung in Paris: „Auf dem Weg nach Atlantis: Leo Frobenius und die Felsbilder Afrikas“

Ulrike Jaspers  
Marketing und Kommunikation
Goethe-Universität Frankfurt am Main 

26.06.2014 09:22

PARIS/FRANKFURT. Das Goethe-Institut in Paris zeigt bis 22. Juli eine Reihe weltweit einzigartige Felsbilder aus dem Archiv des Frankfurter Frobenius-Instituts an der Goethe-Universität, darunter ein Großbild von 2,5 x 11 Meter. Die Ausstellung „Auf dem Weg nach Atlantis: Leo Frobenius und die Felsbilder Afrikas“ geht der abenteuerlichen Entstehungsgeschichte dieser Bilder in der Zentralsahara und den Savannen Simbabwes nach, die gleichzeitig einen Startpunkt für die öffentliche Wahrnehmung der älteren Geschichte des afrikanischen Kontinents in Deutschland darstellte.

 
Der Frankfurter Kurator Dr. Richard Kuba, Ethnologe und Leiter der Sammlung am Frobenius-Institut, erläutert die Hintergründe: „Unsere Ausstellung erzählt auch die spektakuläre Ausstellungsgeschichte der Sammlung, die in den 1930er Jahren u.a. im Berliner Reichstag, im Pariser Pleyel und im Trocadéro sowie im New Yorker MoMA gezeigt wurde. Als Wissenschaftsbilder längst überholt und heute weitgehend vergessen, waren diese ungesehenen Bilder eine Quelle der Inspiration für die künstlerische Avantgarde.“ Verbunden mit der Pariser Ausstellung sind auch öffentliche Vorträge und ein Kolloquium zur „Verflechtungsgeschichte der Ethnologie“.


Bereits auf seinen ersten Expeditionen durch den belgischen Kongo von 1904 bis 1906 und durch Westafrika von 1907 bis 1909 war der deutsche Ethnologe Leo Frobenius (1873-1938) auf der Suche nach den ursprünglichen Formen afrikanischer Kulturen und glaubte sich bisweilen auf den Spuren des alten Atlantis. Ab 1912 haben Malerinnen und Maler, die Frobenius für seine insgesamt 12 Afrika-Expeditionen engagierte, Kopien von Felsbildern angelegt. Dazu Kuba: „Vor Ort in Nordafrika, in der Sahara und im südlichen Afrika haben sie die prähistorischen Malereien und Gravuren in Farbe und und oftmals in Originalgröße auf Leinwand kopiert.“ In den 1930er Jahren folgten dann Felsbild-Expeditionen in europäische Länder sowie nach Australien und Indonesien. Bis zu Frobenius Tod im Jahre 1938 entstand so eine weltweit einzigartige Sammlung von fast 5000 Felsbildkopien, die noch heute überwiegend im Archiv des Frobenius-Instituts erhalten ist.


Leo Frobenius war eine schillernde und doch faszinierende Persönlichkeit: Abenteurer und Afrika-Entdecker, Ethnologe und Kulturphilosoph, Monarchist und Ideenspender für ein neues Afrika-Bild, das in der nachkolonialen Phase entscheidenden Einfluss auf die Entstehung der emanzipatorischen Négritude-Bewegung hatte. Frobenius, der Mitte der 1920er Jahre an das eigens für ihn gestiftete Institut für Kulturmorphologie an die Universität Frankfurt kam, war getrieben von der Vorstellung, sich mit aller Kraft gegen Modernisierung und Rationalisierung stemmen zu müssen. Und in Afrika schien er all das in den Mythen, Masken und Malereien zu finden, was in Europa an Wert verlor.


Soeben ist übrigens in der von der Goethe-Universität herausgegebenen Biographie-Reihe „Gründer, Gönner und Gelehrte“ ein Band über Leo Frobenius im Societäts-Verlag erschienen. Der Autor und Ethnologe Prof. Dr. Bernhard Streck von der Universität Leipzig setzt sich intensiv mit Frobenius und seiner Kulturmorphologie auseinander.

Informationen: Dr. Richard Kuba, Frobenius-Institut, Campus Westend, Tel.: 069-798-33056, Kuba@em.uni-frankfurt.de 

Donnerstag, 26. Juni 2014

Mittwoch, 25. Juni 2014

Heute vor fünf Jahren

Justen Beer

...starb Michael Jackson.


But his soul goes marching on,


today, tomorrow, and the day after.


Nota.

Dass Sie mich richtig verstehen: Das ist Ganz Große Kunst. Dass sie nicht dauern kann, schmälert sie nicht, sondern erhöht sie. Und sie kommt von nun an immer wieder.




Dienstag, 24. Juni 2014

Was ist 'das Ästhetische'?

   
 
Lupo, pixelio.de                                                                                                                                                              aus Über Ästhetik, Rohentwurf; 3
 
Def.: ‚Das Ästhetische’ ist eine sinnliche Qualität ‚an’ den Erscheinungen, die „so aussieht, als ob“ sie (‚symbolisch’) ‚für’ eine andere, unsinnliche Qualität derselben (!) stünde (‚darauf verwiese’), die als solche selber nicht ‚erscheinen’ kann. -

Der Rätselcharakter des Ästhetischen: Unsinnliche Qualitäten ‚gibt es’ in Wirklichkeit sowieso nicht. ‚Wirklich’ ist nur das, was - irgendwie: in zweiter, dritter, vierter Instanz („Vermittlung“) - operationalisierbar ist; das heißt „durch Praxis“ aus dem Stadium unsinnlicher ‚Latenz’ (dynamis: „Idee“) ins Stadium sinnlicher ‚Aktualität’ (energeia: „Werden“) überführt werden kann: „Man kann was damit anfangen“ (‚damit umgehen’, sagt das Arschloch). - Bei den prima facie ästhetischen Qualitäten der Dinge ist es eben zunächst („anschaulich“) unklar (cf. Erotik: Ausdruckswert, Sexualcharakter), ob sie sich nicht am Ende wohl doch noch als „operationalisierbrar“, nämlich irgendwie nutzbar erweisen, oder nicht. Das „rein-Ästhetische“ ist das, was sich bis zum Schluß als der „menschlichen Praxis“ inkommensurabel behauptet und dennoch weiterhin „über sich hinaus weist“; das, was ‚es’ nur als Erlebnis ‚gibt’. Es ist eben „schön“.  


[‚Erwiesen’ wird es pragmatisch, qua Reduktion: ‚das, was übrigbleibt, wenn alles Brauchbare abgezogen ist’.]

Rainer Sturm, pixelio.de

Nota 2014:
 
Nicht zu vergessen, dass das alles Einfälle sind, die vor rund fünfzehn Jahren aufgeschrieben wurden: unausgegoren, aber dafür noch ganz frisch, darum habe ich sie Rohentwurf genannt. Meine späteren Einträge auf diesem Blog sind durchdachter; aber auch voller Rücksichten und Vorbehalte. JE

Montag, 23. Juni 2014

Ästhetik als Fach.

David Teniers d. J., Bildergalerie Fürst Leopolds
 
Nicht nur die Wortprägung Ästhetik geht auf Alexander Gottlieb Baumgarten zurück, wobei freilich aesthetica nicht als ein Singulare femininum, sondern als ein Neutrum plurale gedacht war; sondern auch das akademische Fach dieses Namens hat er begründet.
 
...Baumgarten hat sein neugeschaffenes 'Fach' gleich selber mit den Fußangeln versehen, die es dann lange Zeit gefangen hielten.

Die Beschränkung des Ästhetischen auf die Kunstwerke hat zwar schon bei Kant die Einsicht befördert, dass historisch die Wahrnehmung des Naturschönen ein Abkömmling des Kunstschönen war; hat das Phänomen, dass die Kunst (seit der Renaissance) nur dann als schön erkannt wurde, wenn sie... die Natur nachahmte, aber leider gedanklich unfruchtbar bleiben lassen. Noch lange sollte "das Schöne" an sich Gegenstand ästhetischer Betrachtung bleiben, statt als eine kultur- und mentalitätsgeschichtlich spezifische Gestalt dessen verstanden zu werden, was dem (pp.) ästhetischen  Empfinden je als das Erhebliche ins Auge springt. - Die Verengung 'des Ästhetischen' auf das Schöne ist eine Aporie, weil sie die Bestimmung des Schönen außerhalb der ästhetischen Anschauung im Begriff vermuten und suchen lässt; wo sie freilich nicht zu finden ist. Vielmehr ist das Verständnis des ästhetischen Phänomens zirkulär, weil 'das Ästhetische' nur als Gegensatz zum haushälterisch-Nützlichen, d. h. uno acto mit ihm zusammen 'gefasst', d. h. angeschaut werden kann.

Die zweite große Fußangel ist sie Auffasung der ästhetischen Wahrnehmung als das "niedere Erkenntnisver- mögen". Damit wird einerseits Erkenntnis als eigentliche Bestimmung des Menschen unterschoben und andererseits das Ästhetische dem "dunklen Grund der Seele" zugewiesen. Beides hat sich seither in der ästhetischen Literatur als stetes Schwanken zwischen geistreichem Wortgeklingel hier und mystifizierendem Schwulst dort niedergeschlagen...

Ihre schillernde Vieldeutigkeit hat sich die Ästhetik auch als Fach bis heute erhalten. Es ist ein faule Ausrede, dass das in der Natur seines Gegenstandes läge. Dass die Sache selber nicht fassbar, weil nicht positiv bestimmbar ist, muss einen nicht daran hindern, immerhin das zu fassen und zu bestimmen, was diese Sache nicht ist. Mit andern Worten, das Ästhetische ist natürlich nicht an sich zu verstehen, sondern aus seinem Gegensatz. Ästhetik hat nur faktisch, und das heißt beiläufig mit der Kunst zu tun; wesentlich ist sie das Mittelstück, das Anthropologie und Transzendentalphilosophie scheidet oder verbindet - wie man will.


 

Mittwoch, 18. Juni 2014

Die Welt zerfällt in zwei Teile.


wuerstekl

Da sind einmal die Sachen, die uns aus Interesse gefallen.
Das nennen wir das Ökonomische. Zu ihm gehören Arbeit und Kalkül.

Und dann sind da Sachen, die uns ohne Interesse gefallen.
Das ist das Ästhetische. Dazu gehören Einbildungskraft und Spiel. 

Pusteblume

Ein drittes gibt es nicht. 





Dienstag, 17. Juni 2014

Das Interesse der Alten Holländer für ihre Landschaft.

aus nzz.ch, 11. Juni 2014, 05:30                                                                                            Pieter Snayers Belagerung von Gravelines, 1653 

«Mapping Spaces» in Karlsruhe
Zum Sehen geboren, zum Schiessen bestellt



Von der in ihrer Existenz gefährdeten Landschaft ist heute immer wieder die Rede. Berichte von absterbenden Wäldern, eingestürzten Bergwerken, verlegten Flussbetten kann man regelmässig lesen. Eine Situation, zu der es eine Vorgeschichte gibt. In einer Ausstellung in Karlsruhe ist sie zu besichtigen.

Landschaft ist das externe Zuhause des Menschen. Eine Selbstverständlichkeit, über die er manchmal erst nachzudenken beginnt, wenn er dieses Zuhause verlässt. Oder es verliert, zum Beispiel durch Eingriffe anderer Menschen, die Häuser abreissen, Bäume fällen und Hochhäuser errichten.

Jacob van Ruisdael, Ansicht von Naarden, 1647

Landschaft ist ein realer, aber auch ein hochgradig emotionaler Ort. In der Literatur und Malerei gibt es seit dem 18. und besonders im 19. Jahrhundert vor allem in Nordeuropa eine intensive Widerspiegelung dieses Phänomens, das schwärmerisches Entzücken hervorruft, durch plötzliche Naturkatastrophen das Leben aber auch erschweren und gefährden kann. In England, dem wir die Vermählung von Natur und Kultur unter dem Namen «englischer Garten» verdanken, gibt es nicht nur die «landscape», sondern auch die «seascape», man ist ja schliesslich eine Insel, und was für eine. In Deutschland hat die Begegnung von Kunst und Landschaft mit Caspar David Friedrich den romantischen Maler par excellence gefunden. Friedrich, ein schweigsamer und introvertierter Mann, hinterliess keine grosse Theorie, aber einen bekenntnishaften Satz: «Schliesse dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehst dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andre von aussen nach innen.»

Johannes-Klencke-Atlas, 1660 erschienen

Was hinter dem Horizont liegt

Eine Gebrauchsanweisung für das Sehen (und Malen), die man sich in den nachbarlichen Niederlanden nicht vorstellen kann, egal, in welchem Jahrhundert. Und auch nicht die der Innenansicht von Friedrich entsprechenden Bilder, den «Wanderer über dem Nebelmeer» (1818) oder die junge «Frau am Fenster» (1822), die für Friedrich typischen Rückenansichten, wir schauen mit den Menschen ins Land, in die Ferne, keiner weiss, was hinter dem Horizont liegt. Wohingegen zum Beispiel in Vermeers sorgfältig inszenierten Interieurs die verschwiegene Poesie oft hinterfangen ist von einer als Wanddekoration dienenden Landkarte, zum Beispiel auf dem Bild «Die Malkunst» (1666).

Adam Frans van der Meulen, Die Truppen von Ludwig XIV. vor Naarden am 20. Juli 1672, 1672–1690.

Zu diesem Realitätssinn passt es auch, dass man in den Niederlanden, die ihren bildnerischen Reichtum gern in der Formel des «Goldenen Zeitalters der Malerei» akkumuliert sehen, ein sehr neues, auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gegründetes Gebiet künstlerischer Betätigung erkannt und ausgebaut hat. In der Ausstellung «Mapping Spaces – Netzwerke des Wissens in der Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts» im Museum für Neue Kunst des ZKM Karlsruhe ist diese Kunst der weit geöffneten Augen samt der sie unterstützenden Werkzeuge und Instrumente sowie der naturwissenschaftlichen Schriften und philosophischen Traktate neu zu entdecken.


Auch hier geht es selbstverständlich und mehr denn je um Gold, aber nicht als metaphorische Nobilitierung, sondern als reales Ergebnis von Landeroberung und Landgewinnung, Macht- und Besitzmaximierung. Dass dabei ein Krieg die Forschung begünstigt hat, mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen dann gleichzeitig die Menschen bedroht, vertrieben und oft auch vernichtet wurden, ist nach den Erfahrungen zweier Weltkriege keine Neuigkeit mehr, wird aber durch den 1568 von den spanischen Habsburgern geführten Krieg gegen die calvinistisch gesinnten Niederländer, der erst 1648 mit dem Westfälischen Frieden endete, zum ersten Mal in der Kunst sichtbar.

Jacques Callot, Die Belagerung von Breda

Die im Halbdunkel der Räume und im Wechsel von Bildern, Folianten und Objekten installierte Ausstellung beginnt mit dem Sonderauftritt eines Durchschnittsbildes, Jacob van Ruisdaels «Ansicht von Ootmarsum». Ein Kirchturm ragt in einer wohlgeordneten Landschaft Orientierung gebend in den stark bewölkten Himmel. Die minimale Irritation folgt dann bei Ruisdaels «Ansicht von Haarlem von den Dünen bei Overveen». Hier ist zum Ende der eher geschichteten als akkumulierten Landschaft eine leichte Krümmung des Horizonts wahrzunehmen. Dass man aber aus solchen für das Besucherauge doch recht unspektakulären Ansichten neue, kopernikanische Weltbilder erahnen, dass man hier auch meteorologische Informationen ablesen kann, sieht nur der Fachmann (in diesem Fall Franz Ossing, von dem ein Katalogbeitrag zur Meteorologie in der Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts stammt).

David Teniers der Jüngere, Ansicht der Stadt Valenciennes 1656

Topografie der Schlachten

Bei Pieter Snayers, dem mit vier grossen Bildern am häufigsten präsenten Künstler, lassen schon die Titel keinen Zweifel an seinen Ambitionen. «Die Belagerung von Gravelines vom 11. April bis 17. Mai 1652», «Die Schlacht von Kirchholm», «Der Entsatz von Meissen» und «Der Entsatz von Löwen» weisen ihn als versierten Maler der Topografie der Schlachten und Belagerungen aus, der bei diesen Ereignissen nie dabei war, dafür aber Kriegsberichte und Landkarten kannte und durch erzählerische Ergänzungen im Bild auch die Auftraggeber ins rechte Licht zu setzen wusste. – In der Karlsruher Ausstellung sind die wunderbaren, die Präzision, mit der sie funktionieren sollen, selber ästhetisch verkörpernden Instrumente eine sinnlich dreidimensionale Ergänzung zu den Bildern, in denen, das war die Aufgabe der Künstler, der ökonomische und geopolitische Zeitgeist dokumentiert und nicht interpretiert wurde. Und da gewinnen die Messinstrumente, mit denen der Himmel abgefragt und die Erde vermessen wurde, da gewinnen Jakobsstab und Seeastrolabium, Quadrant und Linsenfernrohr, Reduktionszirkel und Triangularinstrument unter Glasstürzen oder in Vitrinen die Aura kostbarer Preziosen. Und sind doch auch die Werkzeuge einer geodätischen Vermessung zum Zwecke politischer Kontrolle und Annexion.


Mit Hilfe dieses Instrumentariums wurde von Karl V. der Auftrag erteilt, in den Niederlanden Städte, Dörfer, Flüsse, Kanäle, Landstriche und Zufahrtswege zu vermessen. Der Kartografierung folgte parallel zu den kriegerisch politischen Intentionen eine bereits früher begonnene, aber nun systematisch betriebene Landgewinnung. Land wurde geflutet oder dem Meer abgewonnen, je nachdem. Eine über weite Strecken geometrisierte Polder-Landschaft entstand. Bei Betrachtung eines Bildes, auf dem unter einem schmalen Himmelsstreifen der dunkle Boden mit hellen Linien quadriert ist wie das Papier in einem Rechenheft, kommt der Gedanke an Mondrian wie von selbst.

Pieter Wouwerman, Die Stürmung Coevordens am 30. Dezember 1672 1672–1682

«Schussraum und Sehraum»

Mit dem Umbau der Landschaft verändert sich auch die den neuen Notwendigkeiten und kriegerischen Absichten adäquate Architektur. Stadtmauern werden zu Festungswällen aufgerüstet, polygonale Festungsmodelle auf Papier entworfen. In seinem Katalogtext «Die Landschaft des Ingenieurs», in dem Wolfgang Pircher den kriegsbedingten Umbau der niederländischen Landschaft und der Befestigungen der Städte beschreibt, konstatiert er das finale «Zusammenspiel von Schussraum und Sehraum». Goethes Türmer, «zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt», ist mit einem Fernrohr, dann mit Gewehr und Kanone bewaffnet. Heutzutage kann die bildgesteuerte Zielerfassung, das zeigt zum Schluss der Ausstellung Harun Farockis Doppelprojektion «Auge-Maschine» (2003) mit Sequenzen aus dem ersten Golfkrieg, mithilfe von Drohnen elektronisch umgesetzte, präzise Vernichtungsarbeit leisten.

Schulwandbild Holländische Polderlandschaft

«Der Blick von oben ist politisch», schreibt Andreas Beitin im Katalog, die Durchsetzung entsprechender Absichten findet im Luftraum statt. Kartografen machten den Umbau der Landschaft möglich. Künstler hielten diese Veränderungen im Bild fest und überwölbten sie durch neu akzentuierte Horizontlinien und Himmelsblicke, zu denen das heliozentrische Weltbild von Nikolaus Kopernikus den Hintergrund bot. Heute kann sich ein japanischer Blumenfreund mithilfe von Google Earth über den Stand der Rosen in Angela Merkels Garten informieren. ...

Mit der von Ulrike Gehring und Andreas Beitin konzipierten Ausstellung «Mapping Spaces» hat man im Karlsruher ZKM wieder einmal ein neues Kapitel der Künste im technischen Zeitalter aufgeschlagen.

Mapping Spaces – Netzwerke des Wissens in der Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts. ZKM-Museum für Neue Kunst, Karlsruhe. Bis 13. Juli 2014. Der umfangreiche Katalog wird im Hirmer-Verlag, München erscheinen.

David Vinckboons, Ein Geograf, o. J.

Montag, 16. Juni 2014

Bilder.

John Singer Sargent - Mannikin in the Snow [c.1891-93]

Jacob van Ruisdael, Blick auf Naarden, 1647


François Bonvin - Still Life with Book, Papers and Inkwell,1876

Hendryk ter Brugghen, Kreuzigung mit Maria und Johannes, um 1625
  
 Jean-François Garneray - Portrait of Ambroise-Louis Garneray

Pieter de Hooch, Der Überbringer des Briefs, 1670


Peter Paul Rubens, Schafhirt mit seiner Herde, um 1620



Sonntag, 15. Juni 2014

Das ästhetisch Erhebliche.


w.r.wagner, pixelio.de
 
Das Elementardatum unserer Gewärtigkeit (Gewahrseins, Zur-Welt-Seins...) ist weder die Vorstellung (im Symbolsystem: "Denken") noch die Wahrnehmung ("Sinnlichkeit"). Beide werden erst nachträglich in der Reflexion (=durch das "Eintreten" der sprachlichen Repräsentation!) von einander geschieden. Und schon gar nicht so, daß "erst" die sinnliche Wahrnehmung "da" wäre und "dann" die Vorstellung "hinzukommt". Sondern zuerst ist immer Erleben "da". "Erlebnis" wäre schon zu viel gesagt: zunächst einmal ein "Strom" in einem "Feld", aus dem gelegentlich Einzelnes "herausragt", weil es Aufmerksamkeit erregt - oder es erregt Aufmerksamkeit, weil es "irgendwie" herausragt, wie die Figur aus ihrem Grund. ["auffällig": vgl. A. Gehlen, Anthropologische Forschung, S. 119] Was aber ist es, das einzelne Momente auszeichnet in (zeitlich) dem "Strom" oder (räumlich) dem "Feld"?

Schon das Feld selbst ist konstituiert von einem wie auch immer geringen Grad von Aufmerksamkeit, und wenn sich ein Moment abzeichnet, dann immer, wenn und weil sich die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat. Ja, aber warum? Weil sie Qualitäten (Washeiten) "erkennt", die sie von Anderm unterscheiden kann; weil sie nicht so sind, wie (all) das Andere; also eine Information unterscheidet von einer (relativen) Nicht-Information, Redundanz. Ein Hier-jetzt-nicht-Erwartetes von einem Sowie-so-schon-Dagewesenem. [Insofern ist Neuheit doch eine ästhetische Qualität! cf. Burke] Und später dann wird auf das So-Ausgezeichnete geachtet, ob, wann und wo man es wieder erkennt. Jetzt wird es erwartet, und wenn 'es' sich nicht wieder 'ereignet', dann ist das die Information. Also alles 'Neue' ist informativ, und eo ipso interessant. Also das Erlebnis ist die unmittelbare Gegebenheitsweise dessen, was ‚einem unbeteiligten Beobachter’ als Ereignis vorkommt - und also auch der Reflexion, in der 'ich' 'mich' anschaue, ‚als ob’ ich ein Anderer wäre.

..."Wahrgenommen" wird immer nur eine Figur in einem Grund. - Die Figur ist immer eine Störung des Grundes. D. h. nur als Störung "ist" sie Figur. Figur und Grund 'verhalten' sich nicht "dialektisch": Sie "bedingen" einander nicht! Zwar "gibt es" keine Figur ohne Grund, aber es gibt einen Grund ohne Figur. Nur "ist" er dann kein Grund. Aber er ist auch nicht Nichts. Er ist... "Strom", unausgezeichnet, unbeachtet. Er "ist", aber er bedeutet nichts. Erst wenn er als "das, was" er "ist" - nämlich nichts Bedeutendes - gestört wird, wird er etwas. (Das Auge "sieht" eine ungeordnete Fläche, aber es "nimmt" sie nicht "wahr"; es kann darauf nicht verharren; es "flackert", sucht nach einem "Anhalts-Punkt"; und wenn es keinen findet, halluziniert es ihn in die Fläche hinein - und "widmet" sie ipso facto zu einem Grund "um".) 

- Die Erwartung eines Sinns im Meer des Sinnlosen; die Erwartung einer Figur im wüst-Unbestimmten ist so tief in unsere mentale Dispostiton eingeprägt, daß gewisse optische Texturen - von Kandinski über Mondrian bis Pollock - ihre ästhetische Kraft gerade aus dem Verstoß gegen die Erwartung, aus ihrer Enttäuschung gewinnen. 

... Erlebnis ist immer singulär und eo ipso qualitativ. (Quanta "erscheinen" erst im Vergleich; also in der Reflexion auf anderes. Aber 'Figur im Grund' ist keine Relation, sondern ein Komplex (datum uno actu); erst die Reflexion "erkennt", daß der Grund auch 'allein' da wäre, wenn...; setzt also beide in Beziehung.)


Samstag, 14. Juni 2014

Alexander Gottlieb Baumgartens "Aesthetica".

Das Titelblatt des 1750 erschienenen ersten Bandes von Baumgartens «Ästhetik».
aus nzz.ch, 13. Juni 2014, 13:58


Alexander Gottlieb Baumgarten und die philosophische Ästhetik
«Eine philosophische und oft dichterische Fackel»


Auf ihn geht «Ästhetik» als philosophische Disziplin zurück: Alexander Gottlieb Baumgarten war wirkungsreich, auch wenn er selten zu den «Grossen» der Geistesgeschichte gezählt wird. – Eine Erinnerung aus Anlass seines dreihundertsten Geburtstags.

Die Dunkelheit der Philosophie zu beklagen, ist weit verbreitet und stellt eine Übung dar, die so alt sein dürfte wie die Philosophie selbst. Auch Alexander Gottlieb Baumgarten sah sich, wie er schrieb, dem Vorwurf ausgesetzt, dass «durch den ganzen Kram der Gelehrsamkeit, insonderheit der Philosophie, die Wahrheit mehr verdunkelt, als erfunden werde». Dieser Vorwurf richtete sich nicht zuletzt deshalb gegen ihn, weil er einer neuen philosophischen Disziplin den Namen gab, die eine angenehme Lektüre zu versprechen scheint: Wenn «Ästhetik» von der Kunst oder vom Schönen handelt, dann sollte ein Buch dieses Titels doch auch schön zu lesen sein . . . Baumgarten hat ihr jedoch, so bemängelt selbst Johann Gottfried Herder, einer der produktivsten und bewundernden Leser Baumgartens im 18. Jahrhundert, eine Gestalt gegeben, die «überall mit lateinischer Schulsprache umhüllet» ist und in das «Gegitter des Paragraphenstils» gepresst wird.

«Felix aestheticus»

Baumgartens Denken konnte sich jedoch nur in der Philosophie seiner Zeit entfalten. Am 17. Juni 1714 in Berlin geboren, wird Baumgarten von einer frommen, pietistischen Erziehung geprägt und studiert nach dem Willen seines früh verstorbenen Vaters Theologie in Halle. In dieser Hochburg des Pietismus macht er sich mit der Philosophie Christian Wolffs vertraut, obwohl Wolff wegen angeblichen Atheismus 1723 seine Professur in Halle verlor und aus der Stadt vertrieben wurde. Baumgarten übernimmt nichtsdestoweniger Wolffs strenge Massstäbe der philosophischen Begründung und führt religiöse Dogmen niemals als philosophische Argumente an. Er gibt seinen pietistischen Glauben aber keineswegs auf. Sein Denken fügt sich nicht den herrschenden Polemiken, weshalb er sich auch nur wundern konnte, «in wie manchen Bedeutungen man mich schon zum Wolffianer gemacht».

Dieses Bild des «Wolffianers» sollte die Wahrnehmung von Baumgarten jedoch für lange Zeit bestimmen. Die «Metaphysica» von 1739 galt als Standardwerk und brachte Baumgarten endgültig in den Ruf, der bedeutendste Philosoph seiner Generation zu sein. Seine noch einflussreichere «Aesthetica» verfasst er nach Antritt einer Professur in Frankfurt an der Oder 1740 und veröffentlicht sie in zwei Bänden 1750 und 1758. Es ist die schulphilosophische Begrifflichkeit und Systematik des Werks, die ihm Herder ankreidet: «Und so stand auch für die Aesthetik die Form bereit, ehe der Einguss da war: die Lieblingsworte der Wolffischen Schule, ihre Einteilungen und Zauberformeln, waren schon wie Grundfäden im Weberstuhl gespannet, und nun wurden die Begriffe des Schönen hindurchgeschlagen: Gessner's thesaurus gab Blumen dazu her: und hiemit war das Gewebe fertig.» Aber Herder schätzte zugleich die Fruchtbarkeit von Baumgartens «Ästhetik»: «immer barbarisch, aber auch immer so schwanger von Gedanken, dass ich kurz kein ander Wort, keine Umschreibung dagegen mag.»

Die «Ästhetik» macht die Künste und insbesondere die Literatur, die Baumgarten seit jungen Jahren fasziniert, erstmals zum Gegenstand einer eigenen Disziplin der modernen Philosophie. Ihre Sprengkraft besteht darin, dass sie die Kunst auf die Erkenntnisvermögen des Menschen bezieht, die wie die Wahrnehmung oder die Phantasie unterhalb von Verstand und Vernunft angesiedelt wurden und kaum der Aufmerksamkeit würdig schienen. Baumgarten begreift die Künste als das Feld, in dem sich diese «niederen» Erkenntniskräfte üben und vervollkommnen können, und schildert den «glücklichen Ästhetiker (felix aestheticus)» als einen Menschen, der imstande ist, Wahrnehmung und Phantasie, künstlerische Gestaltung und vernünftige Einsicht in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen.

Der Grund der Seele

Die Ästhetik ist bei Baumgarten daher nicht nur eine Philosophie der schönen Künste, sondern zugleich eine Lehre von den sinnlichen Erkenntniskräften und dem undurchsichtigen «Grund der Seele». Er befördert damit wesentlich die Psychologie seiner Zeit, die sich zunehmend der Wirklichkeit des menschlichen Seelenlebens zuwandte. Baumgarten war, so Herder, einer der «ersten Philosophen neuerer Zeit [. . .], der in diese Gegenden der Seele eine helle philosophische und oft dichterische Fackel getragen» habe.

Baumgarten ging es um eine Erweiterung des tradierten Wolffischen Systems, doch er brachte die Fundamente dieses Systems ins Schwimmen. Er stellt nämlich die traditionelle Hierarchie der Erkenntniskräfte zwangsläufig infrage, indem er den sinnlichen Vermögen eine eigene Form der Erkenntnis zuspricht und für sie eine besondere «ästhetische Wahrheit» in Anspruch nimmt. Diese Wahrheit fasst, anders als die Vernunft, nicht alle Dinge unter möglichst allgemeine Begriffe. Vielmehr zielt sie auf die einzelnen Dinge und deren konkrete wie vielfältige Bestimmungen ab. Baumgarten weist damit zum einen auf die Verluste hin, die alle allgemeinen Wahrheiten in Kauf nehmen müssen: «Denn was ist die Abstraktion, wenn nicht ein Verlust? Ebenso brächtest du aus einem Marmor von unregelmässiger Form keine Marmorkugel heraus, wenn nicht durch wenigstens so viel Einbusse an Material, in welchem Masse sie der höhere Wert der Rundheit verlangen wird.»

Zum anderen eröffnet die ästhetische Wahrheit eine Alternative zur traditionellen «logischen Wahrheit»: Sie misst nicht nur unsere Vorstellungen am Einzelnen und am «Reichtum» seiner konkreten Bestimmungen, sondern bringt auch die eigenen Ansprüche und die «Lebendigkeit» der künstlerischen Darstellung in den Blick. Der glückliche Ästhetiker ist durchaus ein Freund der logischen Wahrheit, er ist aber nicht ihr Sklave und bewahrt ihr gegenüber seine «poetische Freiheit». In den Künsten hat eine mit den Sinnen verbundene Gestalt der Wahrheit ihr eigenes Refugium. – 

Baumgartens Denken entfaltete grosse Wirkung, seine «Aesthetica» ging dennoch bald vergessen. Dieses Werk blieb nicht nur unvollständig, da Baumgarten bereits 1762, knapp achtundvierzig Jahre alt, starb. Es war auch einer breiteren Leserschaft beraubt: Baumgarten hatte am Lateinischen festgehalten, als die Nationalsprachen mehr und mehr Einzug in die Philosophie hielten, und verwob seinen eigenen Text mit einer Fülle von Zitaten lateinischer Klassiker, was einige Jahrzehnte später bereits ausser Mode war. Die unmittelbare Wirkung Baumgartens verdankte sich daher in erster Linie seinem Schüler Georg Friedrich Meier, der noch vor dem Erscheinen der «Aesthetica» Baumgartens Gedanken in den «Anfangsgründen aller schönen Wissenschaften» (1748–1750) popularisierte. In Vergessenheit geriet Baumgartens Werk schliesslich durch Immanuel Kant, der die Philosophie in der Tradition Wolffs grundlegend kritisierte und ihrer Dominanz damit ein Ende bereitete.

Abschwung und Wiederaufschwung

Als die Ästhetik als philosophische Disziplin um 1800 eine erste Konjunktur erlebte, stand sie bereits unter anderen Prämissen – daher wirkte die «Aesthetica» ihres Namensgebers überholt. A. W. Schlegel, F. W. J. Schelling und G. W. F. Hegel lösten die Kunst aus dem anthropologischen und vermögenspsychologischen Zusammenhang heraus, in dem sie Baumgarten und noch Kant gesehen hatten. Stattdessen betrachteten die Ästhetiker um 1800 die Kunst wie die Religion oder die Philosophie als eine kulturelle und historische Form des Welt- und Selbstverständnisses des Menschen. 

Die Ästhetik widmete sich von da an ausschliesslich den Künsten und ihrer Geschichte, sie war zur Philosophie der Kunst geworden. Diese Auffassung der Ästhetik wird jedoch seit den 1980er Jahren zunehmend als zu eng befunden. Die Kunst und die Kunstwerke werden erneut auf ihren Zusammenhang mit den Bedingungen des Menschseins befragt. Nicht nur fordert die Kunst dazu heraus, die sinnlichen Vermögen zu vervollkommnen und damit die Potenziale unserer reflektierten Wahrnehmung anzuerkennen. Mit Verweis auf Baumgartens dunklen «Grund der Seele» wird die Kunst zugleich als ein Ort gesehen, an dem sich eine Kraft des Sinnlichen entfaltet, die sich unserer Beherrschung entzieht, uns als Menschen aber doch auch ausmacht. Das Kunstwerk lässt uns, wo es uns erfasst und wir es nicht auf eine «Message» reduzieren, eine Bedingung des Menschlichen anerkennen, die wir allzu leicht ausblenden, wenn wir – wie meist im Alltag – eigene oder uns gesetzte Ziele zu erreichen versuchen.

Baumgartens Ästhetik stösst so wieder auf grosses Interesse und erfährt geradezu eine Renaissance. Über zweihundertfünfzig Jahre nach dem lateinischen Original erschien 2007 (bei Felix Meiner) eine erste vollständige Übersetzung der «Aesthetica» ins Deutsche. Sie findet neue Leser und wird neue Fragen hervorbringen. Eine solche verspätete und «umwegige» Wirkung ist in der Philosophie nicht selten. Für Baumgartens «Ästhetik» ist sie aber geradezu charakteristisch. Sie verflüssigte ein philosophisches System, das schon bald überholt schien, und verblieb selbst meist ungelesen in den Regalen, als die durch sie begründete philosophische Disziplin ihre erste Hochzeit hatte. Als diese Ästhetik selbst an ihre Grenzen stiess und sich mit neuen Fragen verband, stand Baumgartens «Aesthetica» nach wie vor in den Bibliotheken. Sie musste nur etwas entstaubt werden, um ihre Aktualität erneut unter Beweis zu stellen.

Prof. Dr. Arno Schubbach lehrt Philosophie an der Universität Basel. Im Winter 2014/15 erscheint seine Monografie zur Entstehung von Ernst Cassirers Kulturphilosophie im Meiner-Verlag.


Nota.

Baumgarten hat sein neugeschaffenes 'Fach' gleich selber mit den Fußangeln versehen, die es dann lange Zeit gefangen hielten. 

Die Beschränkung des Ästhetischen auf die Kunstwerke hat zwar schon bei Kant die Einsicht befördert, dass historisch die Wahrnehmung des Naturschönen ein Abkömmling des Kunstschönen war; hat das Phänomen, dass die Kunst (seit der Renaissance) nur dann als schön erkannt wurde, wenn sie... die Natur nachahmte, aber leider gedanklich unfruchtbar bleiben lassen. Noch lange sollte "das Schöne" an sich Gegenstand ästhetischer Betrachtung bleiben, statt als eine kultur- und mentalitätsgeschichtlich spezifische Gestalt dessen verstanden zu werden, was dem (pp.) ästhetischen  Empfinden je als das Erhebliche ins Auge springt. - Die Verengung 'des Ästhetischen' auf das Schöne ist eine Aporie, weil sie die Bestimmung des Schönen außerhalb der ästhetischen Anschauung im Begriff vermuten und suchen lässt; wo sie freilich nicht zu finden ist. Vielmehr ist das Verständnis des ästhetischen Phänomens zirkulär, weil 'das Ästhetische' nur als Gegensatz zum haushälterisch-Nützlichen, d. h. uno acto mit ihm zusammen 'gefasst', d. h. angeschaut werden kann.

Die zweite große Fußangel ist sie Auffasung der ästhetischen Wahrnehmung als das "niedere Erkenntnisver- mögen". Damit wird einerseits Erkenntnis als eigentliche Bestimmung des Menschen unterschoben und andererseits das Ästhetische dem "dunklen Grund der Seele" zugewiesen. Beides hat sich seither in der ästhetischen Literatur als stetes Schwanken zwischen geistreichem Wortgeklingel hier und mystifizierendem Schwulst dort niedergeschlagen.
JE