Mittwoch, 23. Januar 2019

Alfred Kubin im Lenbachhaus.

Verpuppte Welt, 1906
aus derStandard.at, 22. Jänner 2019, 

Kubin und Blauer Reiter: 
Seelische Abgründe  
Das Münchner Lenbachhaus beleuchtet die Verbindung des österreichischen Zeichners zu der wegbereitenden losen Künstlergruppe 

von Ivona Jelcic 

"Lieber Kubin!", schreibt Wassily Kandinsky im April 1910 nach Zwickledt in Oberösterreich, "Arbeiten Sie? Viel? Träumen Sie? Ich mache jetzt endlich das, was ich ,Compositionen' nennen möchte, und höre beinahe ausschließlich Schimpfe (...) Ihnen möchte ich gerne die Sachen zeigen." Alfred Kubin antwortet begeistert: "Vielleicht wird man in Ihnen später den Beginn einer neuen Kunstepoche sehen." 


In der Tat kündigt sich Neues an: Kandinsky hat begonnen, Farben und Formen frei auf der Leinwand einzusetzen, 1911 weist die Neue Künstlervereinigung München seine abstrakte Komposition V für eine Ausstellung zurück. Zusammen mit Franz Marc und Gabriele Münter tritt er daraufhin aus der Vereinigung aus. Auch Kubin wird von Münter eilig per Post informiert. Er soll bei der Geburtsstunde des Blauen Reiters dabei sein. 

 Die Dame auf dem Pferd, 1901

Irrationale Bedrohungen 

In der zweiten Ausstellung der Künstlergruppe im Frühjahr 1912 ist Kubin mit Blättern aus dem Mappenwerk Sansara. Ein Cyklus ohne Ende vertreten. In vielfigurigen Szenen brechen irrationale Bedrohungen in die behäbige bürgerliche Welt ein. Aber Schlangen in der Stadt sind längst nicht das unheimlichste Gezücht, das Kubins Albtraumwelten bewohnt. Bereits in den frühen Zeichnungen wimmelt es von spukhaften Visionen und grausigen Deformationen. Unter den messerscharfen Kufen eines Schaukelpferds werden menschliche Leiber zerstückelt, Die Angst hängt als Gespenst am Bein des gestürzten Reiters, um ihn in den Abgrund zu ziehen. Um 1899 war Kubin, gerade zum Studium nach München gezogen, unter dem Eindruck der symbolistischen Radierungen Max Klingers in einen Schaffensrausch geraten. In wenigen Jahren entstand ein riesiges Konvolut an Tuschfederzeichnungen, die in die Abgründe der Seele schauen.

 Mythisches Tier

Gegenseitige Wertschätzung 

 Und es war Kandinsky, der Kubins Arbeiten 1904 in der Künstlervereinigung Phalanx erstmals in München präsentierte. Die enge Verbindung und gegenseitige Wertschätzung der beiden sollte bis weit über das durch den Ersten Weltkrieg bedingte jähe Ende des Blauen Reiters hinaus bestehen bleiben. Und doch war darüber bisher wenig Konkretes bekannt. Im Münchner Lenbachhaus, das neben der weltweit größten Sammlung zur Kunst des Blauen Reiters auch das Kubin-Archiv mit fast 400 Zeichnungen, Skizzen- und Tagebüchern beherbergt, werden die künstlerischen und persönlichen Verflechtungen erstmals eingehender beleuchtet. 

um 1901

Spannende Einblicke geben die Briefwechsel Kubins mit den KünstlerInnen des Blauen Reiters. Bibelillustration Über die formalen Gegensätze hinweg war das Interesse am "Geistigen in der Kunst" ein verbindendes Element. Stilistische Resonanzen zeigen sich zwischen Kubin und Paul Klee. Die von Annegret Hoberg kuratierte Münchner Schau zeichnet anhand ausgewählter Arbeiten auch Entwicklungslinien nach. Und landet dabei in einer Phase Kubins, die von der Suche nach neuen Impulsen geprägt war und unter anderem zu Experimenten an einer flächigen Malerei à la Gauguin geführt hat. 

Jede Nacht besucht uns ein Traum, um 1902

Interessanter sind da noch Kubins in Wien aufgesaugte Einflüsse von Koloman Moser, der ihn in die Technik der Kleisterfarbenbilder einführte. Für eine Weile tauchte er da zu Tiefseegespenstern ab. 1912 war bereits ein lockerer Federstrich charakteristisch für Kubin geworden. Drei Jahre zuvor hatte er seinen fantastischen Roman Die andere Seite veröffentlicht, bereits 1908 einen Erzählband von E. A. Poe illustriert. Kandinsky wünschte sich für den Almanach Der Blaue Reiter einen Text ("Schreiben Sie davon, was Sie zum Frühstück aßen, bei wem Sie Schuhe kaufen – alles, was Sie machen, wird gut und mit Dank aufgenommen!") – geliefert hat Kubin Gezeichnetes. 1913 fragte Franz Marc bei ihm für ein Bibelillustrationsprojekt mit Kandinsky, Klee oder Kokoschka an. Kubin war der Einzige, der seine Arbeit noch abliefern konnte. Marc starb 1916 bei Verdun. 

Bis 17. 2. Lenbachhaus 

Donnerstag, 17. Januar 2019

Den werden Sie kaum kennen...


...aber vielleicht erraten Sie, in welcher Epoche und in welchem Land er dieses Bild gemalt hat?


Montag, 14. Januar 2019

Raten Sie...


...von wem das ist.

Ein Tipp: Nicht von Kokoschka.


Na schön, ich verrate es Ihnen: Es heißt Somerset House Terrace from Waterloo Bridge und ist von John Constable; um 1819.



Donnerstag, 3. Januar 2019

Ästhetische Betrachtung ist Anschauung gegebener Verhältnisse.

  C. D. Friedrich

... Ästhetische Betrachtung ist Anschauung gegebener Verhältnisse. Sie geschieht ohne andere Absicht als eben die: Ver- hältnisse anzuschauen.

Ob sie eine natürliche (primäre) oder eine künstliche (sekundäre) ist, hängt davon ab, ob 'der Mensch' als ursprünglich ab- sichtsvoll oder als ursprünglich betrachtend aufgefasst wird. Das ist so simpel nicht, wie es scheint. Denn der ursprüngliche Mensch lebte mit seiner Umwelt im Einklang, mit ihr hatte er natürlichen Stoffwechsel, aber darüber hinaus gehende Zwecke setzte er sich nicht. Die semantische Falle: In diesem Zustand war er ursprünglich, aber noch kein Mensch. Die Hominisation war der Prozess, in dem der Mensch seinen ursprünglichen Naturzustand verließ und sich in der Fremde Zwecke setzen musste.

Doch viel weiter als das sich Darbietende abzuweiden reichten seine frühesten Zwecke nicht. Noch heute verbringen die we- nigen überlebenden und in unwirtlichen Gegenden abgedrängten Jäger-und-Sammler-Völker weniger Zeit mit dem Nahrungs- erwerb als ein Bürger der Industriegesellschaft. Ihr Leben ist noch keineswegs von morgens bis abends "verzweckt", Muße haben sie reichlich. Hätten unsere Vorfahren nicht durch neugieriges Betrachten der Erscheinungen ihren Gesichtskreis er- weitert, hätten wir nie Gelegenheit bekommen, uns über Erkennen und Anschauen Gedanken zu machen.

Doch die Erfindung der Arbeit wurde zu einem Flaschenhals. Die Zeit wurde knapp, der Horizont wurde eng. Das müßige Betrachten wurde zum Privileg der Herrschenden, und weil sie, wenn sie nicht Krieg führten, nichts besseres zu tun hatten, konnten sie es kultivieren.

Da sind wir nur. Zweckhaftes Erkennen und uninterssiertes Anschauen haben sich getrennt und unabhängig von einander fortentwickelt. Auf der einen Seite die Industrie, auf der andern die Kunst. Aber im wirklichen Leben nehmen sie keineswegs denselben Rang ein. Der Mensch in der Arbeitsgesellschaft ist in erster Linie absichtsvoll, Betrachten ist ein Luxus, den er sich allenfalls nach getaner Arbeit leisten kann. Oder weil er den herrschenden Klassen angehört und andere für sich arbeiten lässt.


Nachtrag. -
Dass ästhetische Betrachtung weniger Werten von Qualitäten als insbesondere Anschauung von Verhältnissen ist, hat zuerst J. F. Herbart bemerkt; siehe Praktischen Philosophie. Qualifizieren von Verhältnismäßigem - das ist ein origineller Gedan- ke.