... Ästhetische
Betrachtung ist Anschauung gegebener Verhältnisse. Sie geschieht ohne
andere Absicht als eben die: Ver- hältnisse anzuschauen.
Doch viel weiter als das sich Darbietende abzuweiden reichten seine frühesten Zwecke nicht. Noch heute verbringen die we- nigen überlebenden und in unwirtlichen Gegenden abgedrängten Jäger-und-Sammler-Völker weniger Zeit mit dem Nahrungs- erwerb als ein Bürger der Industriegesellschaft. Ihr Leben ist noch keineswegs von morgens bis abends "verzweckt", Muße haben sie reichlich. Hätten unsere Vorfahren nicht durch neugieriges Betrachten der Erscheinungen ihren Gesichtskreis er- weitert, hätten wir nie Gelegenheit bekommen, uns über Erkennen und Anschauen Gedanken zu machen.
Doch die Erfindung der Arbeit wurde zu einem Flaschenhals. Die Zeit wurde knapp, der Horizont wurde eng. Das müßige Betrachten wurde zum Privileg der Herrschenden, und weil sie, wenn sie nicht Krieg führten, nichts besseres zu tun hatten, konnten sie es kultivieren.
Da sind wir nur. Zweckhaftes Erkennen und uninterssiertes Anschauen haben sich getrennt und unabhängig von einander fortentwickelt. Auf der einen Seite die Industrie, auf der andern die Kunst. Aber im wirklichen Leben nehmen sie keineswegs denselben Rang ein. Der Mensch in der Arbeitsgesellschaft ist in erster Linie absichtsvoll, Betrachten ist ein Luxus, den er sich allenfalls nach getaner Arbeit leisten kann. Oder weil er den herrschenden Klassen angehört und andere für sich arbeiten lässt.
Nachtrag. - Dass ästhetische Betrachtung weniger Werten von Qualitäten als insbesondere Anschauung von Verhältnissen ist, hat zuerst J. F. Herbart bemerkt; siehe Praktischen Philosophie. Qualifizieren von Verhältnismäßigem - das ist ein origineller Gedan- ke.
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