Freitag, 8. Dezember 2017

Das Ästhetische an einem Gedicht.











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Bilder im Kopf – das
Geheimnis schöner Gedichte

Andrea Treber
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik

05.12.2017 13:37 

Eine neue Studie der New York University und des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik zeigt, dass lebendige bildhafte Sprache die Attraktivität von Lyrik am stärksten beeinflusst. Die Ergebnisse verbessern unser Verständnis von ästhetischen Präferenzen im Allgemeinen.

Frankfurt - Die Wirkung poetischer Sprache wurde bislang vor allem anhand objektiver Kriterien wie Versmaß und Rhythmus gemessen. Zur ästhetischen Wahrnehmung gehört aber auch die subjektive Beurteilung. Wissenschaftler der New York University und des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik haben nun am Beispiel von Gedichten subjektive Faktoren identifiziert, die unsere ästhetischen Präferenzen prägen. Das Ergebnis zeigt: Je stärker ein Gedicht lebhafte Sinnesbilder hervorruft, desto mehr gefällt es uns.

Mehr als 400 Teilnehmer bewerteten im Rahmen der Studie Gedichte der Gattungen Haiku und Sonett. Nach der Lektüre jedes Gedichtes gaben sie eine Beurteilung anhand von vier subjektiven Kriterien ab: Die Probanden stuften die Lebendigkeit der sprachlichen Bilder ein (zum Beispiel "wie ein sich ausbreitendes Feuer") und die Valenz, d.h. ob sie das Thema positiv oder negativ wahrnahmen. Zudem wurde ihre emotionale Erregung abgefragt sowie die ästhetische Anziehungskraft (wie sehr mag der Leser das Gedicht).

Edward Vessel, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, der die Studie gemeinsam mit Amy Belfi und Gabrielle Starr (New York University) durchführte, erklärt: "Wir vermuten, dass der Grund für den starken Einfluss der sprachlichen Bilder in ihrem Potential liegt, Bedeutung zu transportieren. Eine lebendige Sprache gibt dem Leser die Möglichkeit, Dinge durch seine Vorstellungskraft zu sehen, zu hören oder zu fühlen und so eine quasi-sinnliche Dimension zu erfahren." Der zweitstärkste Einflussfaktor für die ästhetische Anziehungskraft eines Gedichtes war eine positive Valenz. Der Grad der emotionalen Erregung hatte keinen starken Bezug zur empfundenen Attraktivität.

"Weil der Einfluss intensiver mentaler Bilder in unserer Studie so groß war, gehen wir davon aus, dass dieser Faktor auch unsere Präferenzen in anderen ästhetischen Genres beeinflussen kann", führt Vessel aus. Weitere Studien werden zeigen, inwieweit auch die Attraktivität beispielsweise von Musikstücken mit der Fähigkeit verbunden ist, Bilder in unseren Köpfen zu erzeugen.

Originalpublikation:

Belfi, A. M., Vessel, E. A., & Starr, G. G. (2017). Individual Ratings of Vividness Predict Aesthetic Appeal in Poetry. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts. Advance online publication. dx.doi.org/10.1037/aca0000153

Kontakt:

Edward Vessel (Co-Autor)
Tel.: +49 69 8300 479 327
edward.vessel@ae.mpg.de

Andrea Treber (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)
Tel.: +49 69 8300 479 652
presse@ae.mpg.de


Nota. - 'Zur ästhetischen Wahrnehmung gehört aber auch die subjektive Beurteilung': Das ist schön, so etwas zu lesen vonseiten eines Instituts für empirissche Ästhetik! Es ist nur nicht sicher, was sie unter 'ästhetischer Wahr- nehmung' verstehen wollen. Die subjektive Beurteilung allein wirds ja wohl nicht sein. Was also ist an einer Wahrnehmung ästhetisch?  

Ich meinte (und meine) bis jetzt, eben dies, dass die keine 'Bedeutungen transportieren', sondern ohne dies 'ge- fallen'. "Ohne Interesse", heißt es bei Kant, und Interesse ist, was eine Bedeutung ausmacht. Da ist es heikel, beim Verstehen des Ästhetischen gerade bei der Wortkunst anzufangen. Denn welche Lautverbindungen nennen wir Wörter, wenn nicht solche, die eine Bedeutung bezeichnen (nicht "transportieren")?

Wenn nun der Bilderreichtum der Gedichte 'lebhafte Sinnbilder' hervorruft, muss es wohl daran liegen, dass er eine andere Bedeutung hervorruft, als die Wörter selber hatten. Das Ästhetische wäre dann nicht, dass sie 'Be- deutung transportieren', sondern dass sie Bedeutung verrätseln. Dass sie also Begriffe zu Bildern verflüssigen, und die sind naturgemäß vieldeutig. Dass sie schließlich 'Bedeutung' nicht "transportieren", sondern den Hörer oder Leser, der sie sich ausmalt, anhält, sie selber zu 'deuten'. Dass sie, kurz gesagt, den Hörer oder Leser zum Mitdichten verleiten.

Ob es zu dieser Erkenntnis der Experimente einer "empirischen Ästhetik" bedurft hätte?
JE 

 

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