Donnerstag, 15. November 2018

So bunt war die Antike.

aus Die Presse, Wien, 11. 11. 2018

Bunte Antike

Nicht nur Marmorstatuen waren einst bunt bemalt. Auch Bronzeskulpturen waren über und über farbig gestaltet.


Spätestens seit einigen Großausstellungen – zuletzt 2012/13 auch im Wiener Kunsthistorischen Museum – ist der interessierten Öffentlichkeit klar, dass das Bild der Antike in unseren Köpfen nicht immer der Realität entspricht. Konkret: Antike Statuen erstrahlten nicht in makellosem Weiß, sondern waren über und über bunt bemalt. Anders als dies der Vater der Archäologie, Johann Joachim Winckelmann, lange Zeit propagierte, wurden Gesichter einst fleischfarben gefärbt, Gewänder waren bunt gemustert, Augen lebensecht nachgebildet usw. Das zeigten moderne Analysemethoden wie etwa UV-Reflektografie oder -Fluoreszenz, mit deren Hilfe Farbreste auf dem Marmor nachgewiesen wurden.
 

Dass die Antike bunt war, ist heute Stand des Wissens – Rekonstruktionen des früheren Erscheinungsbildes sind in allen großen Museen zu bestaunen, inklusive denen in Rom und Athen.

Bei Bronzestatuen sieht die Sache anders aus: Da mit herkömmlichen Analysemethoden auf Metall kaum Spuren von Überzügen etc. nachgewiesen werden können, war man bis vor Kurzem der Meinung, dass die Metallkunstwerke ausschließlich durch die Kraft ihrer bildhauerischen Gestaltung wirken. Doch mit neuen Analysemethoden (Röntgenfluoreszenz, Thermografie) zeigte sich, dass diese Kunstwerke ebenfalls farbig gestaltet waren.

Eine auf solchen Erkenntnissen beruhende Rekonstruktion ist derzeit im Liebieghaus in Frankfurt/Main zu bewundern. In der Sonderausstellung „Medeas Liebe“ werden Nachbildungen von zwei lebensgroßen Statuen gezeigt, die 1885 am Quirinalshügel in Rom gefunden wurden. Laut Ausstellungskurator Vinzenz Brinkmann handelt es sich um Amykos und Polydeukes, zwei Gestalten aus der Argonautensage, die sich einen heftigen Faustkampf geliefert haben. Die Platzwunden, Beulen, Blutergüsse und -tropfen sind mit roten Kupfer- und Granateinlagen betont (für die es im Original Aussparungen in der Bronze gab), die Augäpfel wurden mehrfarbig aus geschnittenen Steinen ergänzt, die Haut- und Haarpartien mit schwefeligen Substanzen und mit in Leinöl gelöstem Bitumen gezielt in unterschiedlichen Farbtönen patiniert.


Im Detail kann man über die Rekonstruktionen sicherlich streiten – Brinkmann spricht auch von einem „Vorschlag zum originalen polychromen Erscheinungsbild“. Doch der Gesamteindruck ist schlicht überwältigend! So wird Antike erlebbar – und selbst jene alten Mythen, die wir aus der Schulzeit als verstaubt und verworren in Erinnerung haben, werden wieder lebendig.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.


(C) Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main


Pressetext Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main: 

Besonders interessant ist, dass die Macher der Ausstellung den Faustkämpfer vom Quirinal in der Argonautensage verorten. „Die Argonautensage ist Themenkomplex der griechischen Mythologie und handelt von der Fahrt des Iason und seiner Begleiter nach Kolchis im Kaukasus, der Suche nach dem Goldenen Vlies und dessen Raub. Die Reisegefährten werden nach ihrem sagenhaft schnellen Schiff, der Argo, die Argonauten genannt.“ (Wikipedia) „Seit ihrer Auffindung 1885 ist die Deutung der berühmten Bronzen vom Quirinal, des sog. Faustkämpfers und des sog. Thermenherrschers, umstritten. Untersuchungen im Kontext der vom Liebieghaus betriebenen Polychromieforschung haben neue Erkenntnisse zur formalen und erzählerischen Gestaltung der beiden Bronzen erbracht und ihre Deutung als Darstellung eines der zentralen Abenteuer der Argonautensage bestätigt. Dadurch rückt die Gruppe in den Fokus des Ausstellungsprojektes, für das ein aufwendiger Nachguss der Statuen realisiert wurde. (…)

Seit ihrer Auffindung 1885 in Rom ist die Deutung des sog. Faustkämpfers und des sog. Thermenherrschers, zwei der wenigen im Original erhaltenen griechischen Großbronzen, umstritten. Anfänglich wurden beide Bronzefiguren einer Statuengruppe zugeordnet. Später konstatierte man einen abweichenden Zeitstil und bestritt die Zusammengehörigkeit.
 

Als man noch eine gemeinsame Herkunft der Bronzen annahm, schlug man für die Deutung der Figuren bereits eine Begebenheit aus der griechischen Argonautensage vor: Der griechische Held Polydeukes, Bruder des Kastor, besiegt im fernen Thrakien Amykos, den boxsüchtigen König der thrakischen Bebryker, im Faustkampf. (…).


 
Die Untersuchungen im Kontext des Liebieghaus Polychromieprojekts haben neue Erkenntnisse zur formalen und erzählerischen Gestaltung der beiden Bronzen erbracht. Es kann nun in der Ausstellung gezeigt werden, dass der sog. Thermenherrscher Schwellungen an Gesicht und Ohren sowie an den Händen aufweist. Dies legt nahe, dass auch diese Statue eine Person zeigt, die gerade einen schweren Boxkampf gerungen hat. Ebenso ließen sich für den Faustkämpfer neue Erkenntnisse gewinnen: An seiner Brust haben sich Ritzungen einer „barbarischen“ Körperbehaarung finden lassen. Dieses „ungepflegte“ Körperhaar macht die Figur unzweideutig zur Darstellung eines Nichtgriechen.
 
Durch die Bestätigung der Deutung der berühmten Bronzen vom Quirinal als Darstellung eines der zentralen Abenteuer der Argonautensage rückt die Gruppe in den Fokus der Ausstellung. Die soeben fertiggestellten spektakulären Rekonstruktionen der Statuen zeigen wichtige narrative Elemente, die die Erzählung um die Figuren Polydeukes und Amykos besonders anschaulich machen. 

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