Montag, 4. November 2013

Und nochmal Nolde.

aus Die Presse, Wien,

Am Beginn der Hausfrauenmalerei 
Emil Nolde ist eine ambivalente Künstlerfigur, er galt als "entartet", war aber Nazi. In Wien konzentriert man sich allein auf seine Bilder und ihren überraschenden Einfluss.

 

Ohne seine grimmigen Bergriesen wäre er wahrscheinlich nie zu einem der führenden Maler des deutschen Expressionismus geworden. Denn während Emil Nolde Ende des 19.Jahrhunderts in der Schweiz als Lehrer für Entwurfszeichnen arbeitete, fertigte er kleine Bergporträts an: Matterhorn, Finsteraarhorn, St.Gotthard – Nolde verwandelte die Berge in finster blickende, lächelnde oder flirtende Wesen. Diese Bildchen waren derartig erfolgreich, dass der damals 30-jährige Künstler 30 Motive als Postkartenserie in der stolzen Auflage von 100.000 Stück drucken ließ – die nach zehn Tagen verkauft war. Mit diesem Vermögen begann Noldes Leben als Maler.


Heute gehört Nolde, 1867 als Emil Hansen im norddeutschen Dorf Nolde geboren, zu den wichtigsten und vor allem populärsten Malern der Moderne. Vor allem mit seinen Blumenbildern hat er ungeahnte, bis heute anhaltende Entwicklungen ausgelöst. Anders als die üppigen, aber doch strengen Stillleben des Barocks scheinen bei Nolde die Farben zu explodieren. Meist füllen die bunten Blüten in Nahaufnahme den unbestimmten Bildraum komplett aus. Der Verzicht auf Details, scharfe Konturen und die einschnürende Vase hat Generationen deutscher Mütter dazu angeregt, sich ebenfalls malerisch den Blumen in Garten und Wiese zu nähern. Mohnblumen in der so schön verlaufenden Aquarelltechnik – wie herrlich lassen sich damit große Gefühle ausdrücken!


Und wie heikel ist die Grenze zum Kitsch. Warum Nolde davor bewahrt blieb, ist jetzt in der umfangreichen Ausstellung im Unteren Belvedere zu studieren. Unter dem schwülstigen Titel „In Glut und Farbe“ – ein Zitat Noldes – sind knapp 180 Bilder zu sehen. Nahezu sämtliche Exponate stammen aus der Nolde-Stiftung Seebüll. Beeindruckend, diese wunderbaren Farbwelten! Jedes noch so banale Motiv wird da bildwürdig. Anders als die zarten Aquarelle leben die Gemälde von einem dick aufgetragenen, farbgesättigten Pinselstrich: aufwühlende Seestücke, grelle Wolkenbilder, groteske Menschen, die er im Berliner Nachtleben studiert hat, Religiöses, ab 1914 auch Exotisches aus fernen Ländern, denn er nahm an einer Expedition bis nach Burma und Java teil – die Motivpalette Noldes ist umfangreich. Naturalismus und Groteske, wie schon bei den frühen Postkarten, vermischen sich zu einem einzigartigen Stil, der dann in seinen späten „Ungemalten Bildern“ zu einer faszinierenden, assoziativ-emotionalen Welt führt.

 

„Ungemalt“ nannte Nolde diese 1300 Aquarelle umfassende Serie, da ihm 1941 von den Nazis jegliche künstlerische Betätigung verboten wurde. Ölfarbe wäre durch den Geruch aufgefallen. So malte er im Geheimen die vielen kleinen Aquarelle. 50 Blätter daraus sind im Belvedere ausgestellt. Aus Farbflächen und Klecksen arbeitet Nolde hier mit feinen schwarzen Umrissen Gesichter und Figuren heraus, lässt Traumwelten entstehen, die im Unklaren bleiben – der Höhepunkt dieser Ausstellung!



„Entarteter“ Künstler oder Nazi?

Das Kapitel des Bilderverbots wird in der Ausstellung nur kurz angesprochen, dabei ist es ein heikles Thema. Zwar wurden seine Werke 1937 als „entartet“ beschlagnahmt. Neueste Funde aus einem Schweizer Nachlass belegen jedoch, dass Nolde überzeugter Nazi und Antisemit war. Das Malverbot kam für ihn daher völlig überraschend, er empfand es als ungerecht. Damit steht eine alte Diskussion im Raum: Ändert das Wissen über die politische Gesinnung unsere Wahrnehmung von Kunst? Lesen wir Farben, Motive anders? Ist Gottfried Benn ein schlechter Dichter, weil er 1933 in seinem „Verwandlungsbrief“ seine – später widerrufene – Kehrtwende zum Nazi bekennt? Ist Ezra Pounds Werk neu zu bewerten, weil er sich mit Mussolini einließ, oder Andy Warhol, weil er mit dem persischen Schah Reza Pahlavi durch die Welt flog? Diese Diskussionen müssen geführt werden – aber nicht unbedingt in Ausstellungen. Solange die politische Überzeugung in den Werken nicht ablesbar wird, sollte damit umsichtig umgegangen werden – wofür sich auch das Belvedere bzw. Kurator Stephan Koja entschied und das Kapitel kurzerhand komplett ausblendet.



Aber warum überhaupt ist ein deutscher bzw. dänischer Maler derartig umfangreich hier zu sehen? Im Besitz des Museums befindet sich nur ein Gemälde Noldes: „Joseph erzählt seine Träume“ von 1910, angekauft 1922 vom damaligen Direktor Franz Martin Haberditzl für 60.000 Mark. So weit ein Angelpunkt. Der andere liegt darin begründet, dass Nolde, der 1914 im Wr. Künstlerhaus ausstellte, „weitreichende Spuren“ in der österreichischen Kunst hinterließ, wie es Koja formuliert. So sehen wir also im vorletzten Raum eine kleine Zusammenstellung der Ergebnisse dieses Einflusses: Werke von Robin Christian Andersen, Werner Berg, erneut Herbert Boeckl, Oskar Kokoschka, Werner Scholz, Max Weiler – ein interessanter Vergleich. Es ist alles recht farbenfroh. Aber es sind deutlich gezähmte Bilder, die Noldes stilistische Wucht nochmals herausstreichen.

Bis 2.Februar 2014, täglich: 10–18Uhr, Mittwoch: 10–21 Uhr, Rennweg 6, Wien 3.



Nota.

Auch diese Rezensentin kann es sich nicht verkneifen, das Wort Kitsch in den Mund zu nehmen; wie keiner derer, die besagte Ausstellung in Berlin und Wien besprochen haben. Und wie alle andern lässt sie das Thema gleich wieder fahren - mit der nicht weiter erläuterten Aussage, dass "Nolde davon bewahrt blieb". Blieb er? Aber bestimmt nicht immer! Würde man sagen, dass alles sei 'hart an der Grenze', bliebe immer noch zu spezifizieren: hart auf welcher Seite?

Sie fragt nach dem Grund für die gewaltige Wirkung dieser Bilder; das ist er! Er spielt mit dem Kitsch, aber ganz unironisch, nämlich ohne es zu wissen, und wenn man sagt, den Kitsch mache - im Unterschied zur Kunst, die 'den Menschen entzweit' - dies aus, dass er den Betrachter in Selbstgefallen wiegt (ich sagte das), so ist es hier, mindestens beim aufmerksamen Betrachter, ein vergiftetes Selbstgefallen: 'Wie kann mir wohlsein bei so einem schrillen Zeug?' Denn tatsächlich ist einem dabei nicht ganz wohl.

Horribile dictu: Vorm haltlosen Untergehn im Kitsch hat ihn das Malverbot der Nationalsozialisten bewahrt, die ihn gottlob als einen Entarteten erkannten. Man stelle sich vor, sie hätten ihm den Gefallen getan und ihn zum Staatsmaler befördert: Die Ungemalten Bilder statt in Wasserfarbe auf kleinen Zeichenblöcken - in Öl und im Breker/Thurack-Format! Man muss vielmehr sagen, sie haben ihn auf das Format festgenagelt, dass seiner Ästhetik am zuträglichsten ist, und das hätte er ihnen danken sollen.

"Als ob das Format die ästhetische Qualität tangieren könnte!" - Und ob das Format die ästhetische Qualität tangiert. Stellen Sie sich eine Wagner-Oper in Kammerbesetzung vor - ich meine das Orchester! - in einem Kurhotel in Bad Ischl; glauben Sie nicht, dass das ein anderes Kunstwerk wäre, als was Sie in Bayreuth erleben? Ob besser oder schlechter kann man in bloßer Phantasie nicht beurteilen. Aber kitschig, schwülstig und pompös könnte es unter diesen Umstünden auch dann nicht ausfallen, wenn man sich jede parodistischen Verfremdung versagte. Oder könnte es gar sein, dass es nur als Persiflage kitschig wäre? Für Feingeister, die sich ohnehin schon selbst gefallen?
JE

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