Dienstag, 6. Mai 2014

Stanley Kubrick, Fotograf.

aus Die Presse, Wien, 6. 5. 2014                                                                                     Shoe shine boy on an fence


Bank Austria Kunstforum: 
Wie Kubrick das Erzählen in Bildern lernte
Stanley Kubrick war einer der bedeutendsten Filmregisseure des 20. Jahrhunderts. Sein erstaunliches Frühwerk als Fotograf wurde erst nach seinem Tod wiederentdeckt – und ist nun in Wien zu sehen.


Die einzigartige Karriere des US-Regisseurs Stanley Kubrick (1928–1999) hat zwei Gesichter. Das berühmtere, mythisch verbrämte ist dasjenige des späten Kubrick, der als Hollywood-Genie mit Guru-Bart und im Studiosystem mit schier unvergleichlichen Freiheiten zurückgezogen im englischen Exil an virtuosen Gesamtkunstwerken arbeitete. Jeder dieser Filme, darunter „2001: Odyssee im Weltraum“, „Shining“ oder „Eyes Wide Shut“, polarisierte unweigerlich beim Erscheinen und wurde rasch als Klassiker in den Pantheon erhoben.

Kubrick fotografiert das Showgirl Rosemary Williams, 1947

Als Kino-Ikone war Kubrick sowohl als Künstler wie als populäre Figur jedem ein Begriff – Letzteres ironischerweise auch wegen der Legenden, die den detailversessen arbeitenden Filmemacher umgaben: Er sei ein Einsiedler und Kontrollfreak, ein Universalgenie mit Neurosen, über die heftig spekuliert wurde. Dass Kubrick trotz seines Pilotenscheins unüberwindliche Flugangst entwickelte, stimmt – aber nicht, dass er seinen Chauffeur aus Unfallangst nie schneller als 30 Meilen pro Stunde fahren ließ, während er selbst sicherheitshalber einen Football-Helm im Auto trug. So mochte der tatsächlich publicityscheue Regisseur in seltenen Interviews erklären, dass er keinen Chauffeur habe, und sich unerwartet für Bierwerbungen als Meisterwerke der filmischen Montage begeistern, aber der Kubrick-Mythos hatte längst die Realität überdeckt.

Balance-Akt mit Trapez-Akrobaten, 1947

Die Geschichte eines Wunderkinds

Das zeigte eben die Dokumentation „Room 237“ über seltsame Theorien zu „Shining“ – die aber eigentlich der Kubrick-Mythos produziert: Er habe die Mondlandung inszeniert usw. Etwas ins Hintertreffen geraten war darüber die erste Karriere Kubricks, dessen ebenfalls legendäre Züge noch nicht so sehr vom darauf projizierten? Größenwahn gezeichnet waren: als überambitioniertes Wunderkind aus der Bronx, das als Teenager sein erstes Foto an das renommierte Magazin „Look“ verkaufte, dort bald als Fotograf angestellt wurde und entscheidende Lehrjahre verbrachte, bevor er unabhängiger Filmemacher wurde – und auch da rasch als Wunderkind galt.

Betsy von Fürstenberg - Ein Drehbuch lesend am Fenster, 1950

Hielt Kubrick sein Spielfilmdebüt „Fear and Desire“ (1953) bekannterweise unter Verschluss – das allegorische Drama schien ihm trotz Kritikerlob später peinlich „amateurhaft“, erst seit Kurzem gibt es eine DVD –, hatte er die frühe Fotoarbeit im Zuge der Weiterentwicklung aus den Augen verloren. In den 15 Jahren seit Kubricks Tod ist sie wiederentdeckt worden, eine feine Selektion hängt nun im Bank Austria Kunstforum.

Trotz mehr oder minder direkter ästhetischer und thematischer Verbindungen – Kubricks erster Kurzdokumentarfilm „Day of the Fight“ (1951) folgte Boxer Walter Cartier, den er 1949 für „Look“ als „Prizefighter“ porträtiert hatte –, sollte man sich nicht in weitere wahnwitzige Kubrick-Assoziationen verstricken. Sondern ein Talent verfolgen, das in Auftragsarbeiten an seiner Kunst feilte. Wobei „Look“-Fotografen immerhin Sujet-Vorschläge machen duften: Von Sport bis Jazz – wie im atmosphärischen Fotoessay „Dixieland is ,Hot‘ Again“ (1950) über Klarinettist George Lewis – zog es den jungen Kubrick zu Dingen, die ihm lebenslang wichtig blieben.

F.D.R. Dead, 1945

Sein erstes verkauftes Foto („F.D.R. Dead“, 1945) aber entstand auf dem Schulweg: Zwischen Blättern mit Schlagzeilen zum Tod Präsident Roosevelts sitzt ein Zeitungsverkäufer nachdenklich im Kiosk, sein sorgenvoller Blick ruht auf der Titelzeile „Truman Takes Office“. „Ich glaube, die gültigste, ausdrucksvollste Verwendung von Fotografie entsteht durch die ästhetische Aufnahme von spontaner Aktion und nicht durch sorgfältiges Posieren“, deklarierte Kubrick zwar kurz darauf in einem Interview, aber er hatte dem Zeitungsmann exakte Anweisungen für seine Pose gegeben – im scheinbaren Widerspruch ist der Kern des Kubrick-Kinos zu ahnen, dessen Schöpfer kühne Stilisierungen ersann, um den Zusehern „direkte Erfahrungen“ zu bieten.

shoe shine boy Mickey, 1947

So finden sich in den Fotoserien Vorstudien zu den supersymmetrisch komponierten Filmbildern, die ein Kubrick-Markenzeichen wurden, oder lassen die Gesichter aus „Waiting in the Dentist's Office“ (1946) an spätere serielle Szenenfolgen-Arrangements denken. Ein Zirkus-Porträt beeindruckt mit genau austariertem Akrobaten-Arrangement auf dem Drahtseil im Hintergrund oder zeigt unscharf vorne einen Affen im Käfig vor fokussierten Zusehern – die skeptischen Sozial- und Menschenbilder der Kubrick-Filme liegen nahe, ebenso das Bewusstsein für demonstrative Inszenierungen: In der Fotostrecke „Showgirl – Rosemary Williams“ (1948) setzt sich Kubrick überhaupt mit in ein Bild, das mehrfach mit Spiegelung arbeitet (s. o.).

Pistole, die für die Produktion der Fernsehshow Paddy Wagon verwendet wurde, 1948

Die Gefängniswagen-Serie „World's Most Escape Proof Paddy Wagon“ (1949) nimmt in der Fusion von New-York-Straßenbild und Krimi-Ikonografie Kubricks frühe Noir-Filme wie „Killer's Kiss“ (1955) vorweg. Abgesehen von der stupenden Qualität einzelner Fotos kann man in der Schau vor allem lernen, wie Kubrick über das Erzählen in Bildern nachdenkt – wobei im „Look“-Layout (in Vitrinen sind Magazine zum Studium ausgelegt) das Zusammenspiel mit Text entscheidend war. Was noch fehlt, ist der Schnitt, in dem Kubrick das Einzigartige des Films erkannte. In seinem Lobpreis für die Montage der Michelob-Werbungen meinte er: „Wenn man vergisst, was sie machen – Bier verkaufen – ist es visuelle Poesie.“ Das gilt (ohne Bier) auch für viele seiner Fotos. Ein Besuch lohnt.

„Eyes Wide Open. Stanley Kubrick als Fotograf“ im Bank Austria Kunstforum, Freyung 8, 1010 Wien; tgl. 10–19h, freitags 10–21h. Von 8. Mai bis 13. Juli 2014.

shoe shine boy Mickey with pidgeons

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