Samstag, 4. Oktober 2014

Investorenarchitektur.

Verpackungsarchitektur – die Shoppingmall «Emporia» von Gert Wingårdh in Malmö, 2012.
aus nzz.ch, Shoppingmall «Emporia» von Gert Wingårdh in Malmö, 2012.


Boomende Investorenarchitektur
Noch (k)eine Langeweile?
Weltweit wird die gebaute Umwelt zunehmend durch die sogenannte Investorenarchitektur geprägt. Doch deren stilistische Eigenschaften und bildliche Aussagen sind bisher erst wenig in den Blick der Architekturkritik geraten.

von Ursula Seibold-Bultmann

Was gross daherkommt und sich breitmacht, wird nicht dadurch kleiner, dass man es ignoriert. Das gilt auch für die sogenannte Investorenarchitektur. Trotz den offenkundigen Verflechtungen zwischen Baugeschehen und Finanzmärkten wird sie in Architekturdiskursen gern ausgeblendet – so gern, dass die 2009 von der Stiftung Bauhaus Dessau angebotene Konferenz über «Architektur und Stadt in der Finanzkrise» als seltener Beitrag zum mehr als naheliegenden Thema beworben wurde. Doch allmählich rückt das primär renditeorientierte Bauen stärker in den Blick des Fachjournalismus. So ist das August-Heft 2014 der Schweizer Zeitschrift «Archithese» der «Architektur lukrativer Spekulationen» gewidmet, wobei es betont multiperspektivisch von finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen zur Höhe von Wolkenkratzern über die immer aktuellere Frage nach dem Redevelopment grosser Bestandsbauten bis hin zu einer geisteswissenschaftlichen Betrachtung des Monopoly-Spiels reicht. Daneben bot etwa auch das E-Magazin «German Architects» im letzten Jahr eine Reihe erhellender Beiträge zur Investorenarchitektur von der Architekturpublizistin Ursula Baus.

Getrennte Welten

Schon sprachlich klaffen die Sphären der Immobilienwirtschaft und der Baukunst weit auseinander. Wo die Vertreter der einen Seite von «Wertschöpfungsobjekten» sprechen oder sich im «Premium-Segment» engagieren, rufen die der anderen nach Bauten mit «zeichenhafter Präsenz» oder «immaterieller Ausstrahlung». Bereits die Ausbildungsgänge der Akteure verlaufen weitgehend getrennt. Die Entscheidungsträger der Immobilienbranche bleiben dann später auch auf Messen und Jahrestreffen wie der MIPIM in Cannes und Quo Vadis in Berlin vorwiegend unter sich oder pflegen dort Kontakte mit politischen Partnern, während sich die intellektuelle Architekturszene eher bei akademischen Konferenzen trifft. Deren Teilnehmer lesen in der Regel das «Journal of Real Estate Finance and Economics» ebenso wenig, wie Developer die Architekturzeitschrift «Perspecta» aus Yale abonnieren. Die Kluft zwischen den unterschiedlichen Milieus wird gedanklich selten überbrückt – zum Nachteil der gebauten Umwelt, die so in renditeorientierte «Immobilien» und anspruchsvolle «Architektur» zerfällt.

Aber wo genau verläuft die Grenze zwischen beiden? Rasterfassaden aus Fertigkomponenten etwa gelten als typisch für das Feld der «Immobilien» – doch hat das Architekturbüro Barkow Leibinger mit dem Total-Turm am Berliner Hauptbahnhof (2012) bewiesen, dass man auch mit diesen Mitteln einen bemerkenswerten Formkörper schaffen kann. Andererseits zeigt ein Bau wie Norman Fosters HSBC-Hauptsitz in den Londoner Docklands (1997–2002), dass bedeutende Architekten hin und wieder durchaus Beispiele charakteristischer «Investorenarchitektur» verantworten. Im üblichen Gebrauch hat sich dieser Begriff für mächtig dimensionierte und monoton gegliederte Baukörper aus Stahl und Glas – häufig auch mit dünnen vorgehängten Natursteinpartien – etabliert, deren flache Fassaden sich dadurch erklären, dass es im Innern auf die Maximierung renditestarker Nutzfläche ankommt.

Tatsächlich sind solche Bauten, denen man ganz zu Recht so oft vorwirft, gewachsene Quartierstrukturen zu zerstören, heute auf der ganzen Welt zu finden. Aber mit einem pauschal abwertenden Begriff ist niemandem geholfen. Wenn die Architekturkritik gestalterische Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen will, darf sie sich nicht zu fein sein, auch Beispiele banaler oder schlichtweg schlechter Gestaltung zu analysieren und zu klären, ob und inwiefern sich Gründe für die ästhetischen Defizite bei den gegebenen Finanzierungs- und Entscheidungsabläufen finden lassen.

Strategie des Spektakels

Allerdings werden Projekte kommerzieller Entwickler keineswegs nur in einer optisch langweiligen, sondern auch in einer spektakulären Variante angeboten, die zwangsläufig daran erinnert, dass manche Beobachter Parallelen zwischen der Spekulation am Finanzmarkt und der Mode sehen. In solchen Fällen steht man nicht schematischen Allerweltsbauten im XXL-Format gegenüber, sondern baulichen Paradenummern, die mittels Höhe, Farbe, Material oder skulpturaler Form werbewirksames Aufsehen erregen. Ein gutes Beispiel ist das mehrfach preisgekrönte Shoppingcenter «Emporia» des schwedischen Architekten Gert Wingårdh am Hyllie Boulevard in Malmö (2012), das aussieht wie eine goldbraun schimmernde, in der Mitte von einem heissen Geschoss durchschlagene und angeschmolzene Verpackungsschachtel für weiter nicht definierte Luxusgüter. Ob die Entwerfer wirklich beabsichtigt haben, dass die formale Aussage ihres Baus die Konsumgesellschaft am Rande des Abgrunds verortet?

Überhaupt wäre es spannend, primär renditeorientierte Bauten konsequent auch auf ihre bildlichen Botschaften hin zu befragen. Bisher gibt es hierzu immerhin genug Anhaltspunkte, um folgende Hypothese zu wagen: Langweilige wie spektakuläre Beispiele scheinen die Eigenschaft zu teilen, dass sie sich in ihrer Gestaltung ausser auf die angestrebte Rendite selten auf etwas anderes beziehen als auf weitere Beispiele ihrer eigenen Gattung, sei es mit dem Ziel von Anpassung oder Übertrumpfung. Wo die Architektur mit ihren räumlichen Mitteln und ihrem starken Bilderangebot zu neuen Perspektiven auf die Welt einladen könnte, bilden solche rein wirtschaftlich konzipierten Gebäude also vor allem ihr eigenes Wesen ab. Für alle Beteiligten wäre es belebender, in Denk-Räumen von grösserer Weite agieren zu dürfen.

Zur weiteren Lektüre empfohlen: Archithese, Heft 04/2014. – Mona Mahall und Asli Serbest: How Architecture Learned to Speculate, Stuttgart (Igmade.edition) 2009. – www.german-architects.com vom 13. 2., 27. 2. und 15. 5. 2013.



Nota.

Das Problem sind nicht die Investoren. Immer waren es die ganz großen Investoren, die mit ihren Repräsentationsbauten die Gesichter der Städte stärker geprägt haben, als viele hundert Kleinbürger in der Nachbarschaft zusammenbenommen; schon die mittelalterlichen Kathedralen zeugten nicht nur vom Ruhm Gottes, sondern auch von Wohlstand und Macht ihrer Bürgerschaften. 

Das Problem ist ein - ästhetisches, wer hätte das gedacht? Neu ist nämlich, dass das Zeitalter keinen als verbindlich geltenden Stil mehr entwickelt, der bei aller Geltungsssucht im Einzelnen doch ein ansehnliches Gesambild der Städte hervorbringt. Aber schon die letzte noch allgemein anerkannte, der International style der Fünfziger und frühen Sechziger, war eigentlich nur noch für spektakuläre Großbauten geeignet, nicht für den gewöhnlichen Hausbau in den Innenstädten. "Das große Geld ist schuld" ist eine faule Ausrede der Architekten, denen außer an den Haaren herbeigezogenen Solitären nichts mehr einfällt, und schon gar nichts, was den öffentlichen Geschmack bilden könnte. 

Na ja,eine Frage von Phantasie und gutem Willen ist es vielleicht nicht nur. Die Bildende Kunst steht auch ratlos vor dem Umstand, dass man "heute nichts mehr malen kann", was nicht schon längst dagewesen ist und ranzig schmeckt. Wenn die Architektur ein ähnliches Problem hätte, dürfte man die Lösung nicht von einem Einzelnen erwarten. Aber von den Einzelnen schon, von wem denn sonst? 

Als erstes müsste ihnen aber einsichtig werden, dass sie keine zweckfreie Kunst ausüben, sondern ein nützliches Handwerk
JE 

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