Mittwoch, 1. Oktober 2014

Mathematische Schönheit.

In diesem Punkt sind sich fast alle Mathematiker einig. Die Eulersche Identität, die fünf fundamentale Konstanten miteinander verknüpft, gehört zu den schönsten Formeln.
aus nzz.ch,1.10.2014            Die Eulersche Identität, die fünf fundamentale Konstanten miteinander verknüpft, gehört zu den schönsten Formeln. 

Ästhetik in der Mathematik
Der Wahrheitsgehalt schöner Formeln 
Die Schönheit von Gleichungen soll der mathematischen Forschung den Weg weisen. Dies rät ein vielfach ausgezeichneter Mathematiker; denn schöne Formeln seien meist wahr.

Dass im Kunstschaffen oft Mathematik anzutreffen ist, wird zum Beispiel durch Symmetrien in islamischer Kunst, Endlosschleifen in Escher-Radierungen, geometrische Abstraktionen bei Kandinsky und Mondrian oder Fraktale in den Gemälden von Jackson Pollock bestätigt. Aber mathematische Schönheit besitzt eine Dimension, die über das Visuelle hinausgeht. Sir Michael Atiyah, einer der profiliertesten Mathematiker der Gegenwart, referierte kürzlich am Heidelberger Laureaten-Forum über ästhetische Kategorien, die sich nur dem mathematisch Geschulten erschliessen.
 
Über den Tellerrand geschaut

Der 85-jährige, an der Universität von Edinburg wirkende Atiyah ist Träger der beiden prestigereichsten Auszeichnungen, die an Mathematiker vergeben werden, der Fields-Medaille und des Abel-Preises. Der joviale Mathematiker ruht sich jedoch keineswegs auf seinen Lorbeeren aus und ist immer noch in der Forschung aktiv, vor allem auf dem Gebiet der mathematischen Grundlagen der theoretischen Physik. Aber je älter man werde, desto mehr gerate man ins Philosophieren, sagt er, und deshalb gestatte er sich nun, über Themen nachzudenken, die bloss mittelbar mit der Mathematik zu tun hätten. Zurzeit beschäftigt ihn die Frage, ob Schönheit in der Mathematik ein Wegweiser für die Forschung sein sollte.

Dafür beruft er sich auf Aussagen berühmter Vorgänger. Zum Beispiel war der Analytiker Karl Weierstrass (1815–1897) der Überzeugung, dass niemand ein wahrer Mathematiker sein könne, der nicht die Seele eines Poeten besitze. Und der Zahlentheoretiker Godfrey H. Hardy (1877–1944) meinte, dass unschöne Mathematik keine Daseinsberechtigung habe. Der Physiker Paul Dirac (1902–1984) wiederum behauptete, dass physikalische Gesetze mathematische Schönheit besitzen müssten. Notorisch ist eine Beteuerung des Mathematikers, Physikers und Philosophen Hermann Weyl (1885–1955), der versicherte, dass er – wenn er zwischen Wahrheit und Schönheit wählen müsste –, Letztere vorziehen würde.

Oft werde Wahrheit mit Objektivität gleichgesetzt, während Schönheit als bloss subjektiver Eindruck abgetan werde. Dies sei eine falsche Einstellung, betonte Atiyah in seinem Vortrag vor 200 Nachwuchsforschern; sogar die Beweise vermeintlich wahrer Lehrsätze stellten sich mitunter als fehlerhaft heraus. Atiyah ist überzeugt davon, dass die Berücksichtigung ästhetischer Dimensionen oft verlässlichere Hinweise für die Forschung gebe als vermeintliche Wahrheit. Ohne die Möglichkeit, Vermutungen experimentell zu verifizieren, müsse sich die Mathematik eben an anderen Kriterien messen. Die Schönheit einer Vermutung, die sich in ihrer Eleganz, Klarheit, Überschaubarkeit, Originalität und Tiefgründigkeit ausdrücke, sei der Richtungsweiser, dem Mathematiker unbedingt folgen sollten.

Als Beispiel nennt Atiyah eine mit seinem damaligen Mitarbeiter Raoul Bott ausgearbeitete Formel. Als sie diese 1984 ihren Kollegen an einer Konferenz vorlegten, kamen die Fachleute zum Schluss, die Formel müsse falsch sein, da sie Gegenbeispiele gefunden hatten. In den Augen von Atiyah und Bott war die Gleichung aber zu schön, um einfach verworfen zu werden. Sie arbeiteten weiter, und siehe da, bald stellte sich heraus, dass es die Experten waren, die sich geirrt hatten.

Erregung des Gehirns

Diese Formel hingegen wurde allgemein als hässlich eingestuft. 
Diese Formel hingegen wurde allgemein als hässlich eingestuft.

Um festzustellen, ob Mathematiker beim Betrachten von Formeln ähnliche Gefühle empfinden wie Laien bei einem Kunsterlebnis, tat sich Atiyah mit dem Neurobiologen Semir Zeki vom University College in London zusammen. Sie fragten sich, wie das Gehirn eines Mathematikers auf die Schönheit reagiert, die einer intellektuellen, abstrakten Quelle wie der Mathematik entspringt. In einem Experiment wurden 15 Mathematikern 60 Gleichungen vorgelegt, die sie nach ihrer Schönheit klassifizieren sollten. Während dieses Vorgangs waren die Testpersonen an einen Magnetresonanztomografen angeschlossen, der ihre Hirnaktivitäten analysierte. Tatsächlich stellte sich heraus, dass die Betrachtung «schöner» Gleichungen dieselben Hirnregionen anregte wie die Wahrnehmung eines schönen Bildes oder eines schönen Musikstücks.

Für den Alltag eines Mathematikers mag Atiyahs These etwas zu apodiktisch wirken. Denn nicht alles, was glitzert, ist Gold, und nicht jede ästhetisch ansprechende Vermutung ist auch wahr. In kleinerem Kreis relativierte Atiyah seine These denn auch. Auf einem Punkt beharrte er jedoch: Wenn ein Theorem mit «hässlichen» Methoden bewiesen wurde, zum Beispiel durch einen computergestützten Beweis, sollte weiter nach «schöneren» Beweisen gesucht werden. Unweigerlich würden dadurch neue Zusammenhänge aufgedeckt.

Nota. 

Unter schön wird hier offenbar harmonisch und einfach verstanden; wie zu Beginn der Renaissance. Wenn sich heute noch einer getraute, bei einer ästhetische Betrachtung von Schönheit zu reden - Harmonie und Einfachheit dürfte er jedenfalls nicht so nennen. Es muss ja jetzt alles einen doppelten Boden haben, sonst wirkt etwas alt und abgegriffen. 
So sehr mir der Beitrag gefallen sollte - wenn es auch dieselben Hirnregionen sind, die bei den Mathematikern erregt werden, bedeutet das noch lange nicht, dass es dieselbe Sache ist, die da erregt. Immerhin spielt bei den Formeln das Sehzentrum wohl kaum die Hauptrolle, sonst müssten auch die die Fromeln schön finden, die sie gar nicht verstehen; ich etwa.
JE


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