Sonntag, 20. September 2015

Mehr oder weniger Neues über Schiele.

 aus Der Standard, Wien, 19.9.2015

Lesefutter für Schiele-Markt
Zu seinem Werk ist noch nicht das letzte Wort gesagt, die letzte Analyse nicht geschrieben worden. Von einer aktuellen und in Arbeit befindlichen Publikationen

von Olga Kronsteiner

Es gibt Künstler, über die wohl nie das letzte Wort geschrieben und kaum ein Jahr ohne neue Publikation vergehen wird, in der ihnen nicht wenigstens ein Kapitel gewidmet ist. Je bekannter, desto größer scheint der Bedarf, lautet die simple Kalkulation der Verlage. Gemessen am Gehalt ist das Qualitätsgefälle enorm, wiewohl auch Souvenirprodukte in Museumsshops als "Einstiegsdroge" ihre Berechtigung haben.
Für Versierte spielen Ausstellungskataloge und Fachbücher, die sich bestimmten Aspekten rund um das Schaffen des Künstlers widmen, die relevantere Rolle. Das Wichtigste ist und bleibt jedoch das Werkverzeichnis, jene wissenschaftliche Grundlage, an der sich die Fachwelt orientiert und nächste Generationen von Kunsthistorikern anknüpfen.
Das ist bei Egon Schiele nicht anders als bei anderen international renommierten Künstlern. Auch zu seinem Werk ist noch nicht das letzte Wort gesagt, die letzte Analyse geschrieben worden. Sei es von Institutionen, die nennenswerte Bestände ihr Eigen nennen und dieses Zugpferd über Ausstellungen immer wieder in den Mittelpunkt stellen (v. a. Leopold-Museum), sei es von Kunsthistorikern "neutraler" Provenienz.
Schiele für den Coffee-Table

Letzterer Kategorie gehört nach dem Rücktritt als museologischer Direktor im Leopold-Museum (Oktober 2013) nun auch Tobias Natter an. Er arbeitet derzeit im Auftrag des Taschen-Verlags an einem Verzeichnis der Ölgemälde, das im Herbst 2016 erscheinen wird. Jane Kallir, Autorin des Werkverzeichnisses (Egon Schiele – the complete works, 1990, u. a. Verlag Thames & Hudson), hatte zuvor abgewinkt, wie sie auf Anfrage bestätigt. Dem Vernehmen nach seien die Vertragsbedingungen rechtlich schlicht nicht akzeptabel gewesen. Natter stützt sich wiederum auf den Erfolg des Gustav Klimt gewidmeten "Vorläufers", der zeitgleich in vier Sprachen erschien.
Gleiches ist also für Schiele geplant, ein Monsterformat, für das Coffee-Tables erst leergeräumt werden müssten, so sie dem Gewicht standhalten. Inhaltlich wird jedenfalls Kallirs bisherige Arbeit aufgegriffen und um für die Forschung bedeutende Details (Korrespondenz, Ausstellungsvita, zeitgenössische Kritiken) ergänzt.
Im Zuge der systematischen Durchforstung und Auswertung der Quellen fand Tobias Natter auch Hinweise auf fünf Gemälde, die in der bisherigen Fachliteratur (auch bei Rudolf Leopold 1972) nicht berücksichtigt wurden. Fünf Werke, deren Existenz nachweisbar, deren Verbleib jedoch teils unbekannt ist.

Aus dem Leben des Künstlers

Zu den engagierten Autoren an der Schiele-Front gehört auch Christian Bauer, der nach diversen Stationen im Kunstbetrieb (u. a. St. Pöltener Landesmuseum, Kunstmeile Krems) zwischendurch an die Forschungsfront zurückkehrte, das Schiele-Geburtshaus in Tulln konzipierte und 2013 eine Publikation veröffentlichte, die Licht in die frühen Schaffens- und Lebensjahre brachte (Egon Schiele – Der Anfang, Hirmer-Verlag).
Vor kurzem erschien der Folgeband (Fast ein ganzes Leben, Hirmer-Verlag), der bislang wenig bekannte Aspekte der von mehreren Autoren bearbeiteten Einflüsse versammelt: aus der Beschäftigung mit Röntgenbildern etwa oder aus der Zeit der Akademie (Hermann Hellers Ausdruckslehre), jener Orte und Landschaften, die als Motive sein OEuvre bevölkern (Krems, Stein, Mühling), oder auch seines privaten Umfelds, konkret ein sehr erhellendes Kapitel (von Wolfgang Krug) zur Familie Koller (Broncia und ihre Tochter Sylvia).
Ob ihm in seiner Position als künstlerischer Leiter des Kunstmuseums des Landes Niederösterreich in Krems Zeit für weitere Publikationen bleibt, kann Bauer nicht zweifelsfrei beantworten. Aber es gebe da noch hochinteressante Aspekte, etwa das Schaffen und die Person von Schieles zeitweiligem Ateliergenossen Erwin Osen.
Er war wie Schieles Schwager Anton Peschka sowohl Künstler als auch Epigone und spielt deshalb eine Rolle bei Fälschungen. Ein Bereich, der auf dem internationalen Kunstmarkt zum unbeliebten Teil des Alltags gehört. Und dessen plant sich Elisabeth Leopold, respektive das 2011 gegründete "Schiele Dokumentationszentrum" im Leopold-Museum, anzunehmen.

Buch der Fälschungen

Ja, es ist ein Buch der Fälschungen geplant, mehr will die 89-Jährige zu diesem Projekt, das teils über Anzeigenschaltungen (gegen einen "Förderungsbeitrag" von 40.000 Euro) finanziert wird, vorerst nicht sagen. Nur so viel, Material sei aus mehr als 40 Jahren Sammeltätigkeit ausreichend vorhanden, konkret auch Fotoaufnahmen von Werken, die ihr verstorbener Mann als Fälschungen deklarierte. Die Veröffentlichung solcher "Dokumente" ist sogar legitim, es sei denn, es wären Urheberrechte des jeweiligen Fotografen zu berücksichtigen.
Der Sinn und Zweck einer solchen Publikation ist für Jane Kallir, deren Expertise die international einzig anerkannte ist, nicht nachvollziehbar. Sie entlarvt jährlich an die 40 Fälschungen, "dieser Markt ist ein Fass ohne Boden" und kaum sei ein solches Buch veröffentlicht, sei es schon nicht mehr aktuell.
Davon abgesehen könnte es mit der Sammlercommunity Probleme geben. In den USA haben sich Besitzer von Kunstwerken, die als Fälschungen bezeichnet werden, in den letzten Jahren zu wehren begonnen. Denn diese Art des "Downgradings" ist selbstredend auch mit einem massiven Wertverlust verbunden. 

Nota. - Wenn ich so rumhöre: Schiele ist außerordentlich populär; ich meine, weit über den Kreis der auch sonst Kunstbeflissenen hinaus. Seit wann ist das so, wie ist es dazu gekommen? Ich fürchte ja, weil ihm ein bisschen was Anrüchiges anhaftet, und dazu passen die vielen Arbeiten, die wg. Nacktheit als erotisch gelten, obwohl sie, wie die Schinken von Lucian Freud, eher die Hässlichkeiten von menschlichen Körpern darstellen; bloß zeitgemäß dürr statt fett. 

Das ist zwar ein großer, aber doch nur ein Teil seiner Arbeit. Mindestens so zahlreich sind seine Landschafts- und Ortsansichten, die seinen ästhetischen Eigensinn viel stärker zum Ausdruck bringen. Vom Jugendstil fehlt der Kitsch, vom Expressionismus fehlt das Pathos. Und eigenartig: immer ist Herbst, sogar auf den Stillleben.
JE

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