Freitag, 6. November 2015

Wie sich das Logische aus der Lebenswelt verselbstständigt, so das Ästhetische.

aus Über das ÄsthetischeZwischenbericht.

Analog zur Verselbständigung 'des Logischen' gegenüber dem Sinnlich-Gegebenen geschieht historisch eine Emanzipation 'des Ästhetischen' vom Praktisch-Nützlichen (und ipso facto vom Gegenständlichen). Aber dadurch gelangen beide, das Logische wie das Ästhetische, nicht etwa zu einer selbständigen Existenz unabhängig vom Wirklichen'; sondern sie gewinnen ihre 'eigene Bedeutung' lediglich durch ihre ironische Bezogenheit auf dasselbe: als dessen Hohlspiegel (was den Möglichkei-ten einer rein ungegenständlichen Kunst Grenzen setzt). 

Wobei das Ästhetische unmittelbar in das praktische Leben eingreifen kann, das Logische aber nur vermittelt durch die the-oretischen Wissenschaften - und deren Niederschlag in der industriellen Technik! (Die esoterische Loslösung des modernen Kunstbetriebs vom normalen Leben ist ein kommerzielles Phänomen, kein ästhetisches.) Seine ("ontologische") Rechtferti-gung erfährt das Ästhetische  durch seinen spezifischen Gegensatz gegen die Bestimmtheit der modernen (Arbeits-) Welt.



'Bestimmen' heißt mehr als nur (im logischen Sinn) vereindeutigen; nämlich: eine Sache anhand ihrer 'Merkmale' erfassen und operationalisierbar machen = ihre Merkmale einem möglichen Handlungszweck zuordnen. Der Handlungszweck mag seinerseits einstweilen ein rein logischer sein. Man kann Theorie durchaus auch um ihrer selbst willen betreiben. Das ändert aber nichts daran, daß die fortschreitende logische Durchdringung der Welt seit der Herausbildung der Arbeitsgesellschaft ihren mächtigen Antrieb im praktischen Interesse gefunden hat. Die Logik sei 'selber eine praktische Wissenschaft', steht bei F. Schlegel. (Hat er freilich anders gemeint; nämlich: sie lehrt, wie es sein soll.)

Wobei also Bestimmung mit der Zerlegung (Analyse) des Gegenstands in Merkmale beginnt. Der Zusammenhang der Dinge ergibt sich aus der jeweiligen Übereinstimmung dieses oder jenes operationalisierbaren Merkmals; folgt die logische Verknüpfung (Synthesis). Dieses Verfahren ist das diskursive Denken; es beruht darauf, daß die jeweiligen Merkmale sich durch eindeutige Symbole bezeichnen lassen: digitalisieren

Das ästhetische Phänomen ist aber eines, das sich (als solches) nicht analytisch in Merkmale zerlegen, digitalisieren und operationalisieren läßt. "Es läßt sich" nicht? Selbstverständlich kann ich, wenn ich klug genug bin, jedes Phänomen nach Merkmalen beschreiben! Selbstverständlich kann ich nicht nur ein Kunstwerk, sondern auch jedes Naturbild analysieren. Ergo: 'Das Ästhetische' entsteht dadurch, daß ich mich entscheide, es als nicht-analysierbar anzuschauen: Bestimmung als ein Un-Bestimmtes!

Es entsteht (historisch) als eine Entgegen-Setzung zur operationalisierten Welt der industriellen Zivilisation; als der Entschluß, die Dinge nicht als funktional, sondern als autonom aufzufassen; so, wie sie an sich sind. Aber nicht, wie die Bilder von C. D. Friedrich vermuten lassen können, aus einem genuinen metaphysischen Bedürfnis des Menschen heraus; nicht, weil er im Ästhetischen das Objektive anzuschauen meint; sondern aus dem subjektiven Motiv heraus, daß er sich selbst schäbig vorkommt, wenn er all die Dinge der Welt lediglich unterm Gesichtspunkt ihrer Brauchbarkeit, d. h. seines Vorteils anschaut. Also weil er von sich selber erwartet, mehr als ein bloßer Ökonom zu sein.


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