Mittwoch, 3. Mai 2017

Die Wahrnehmung des Raumes ist kulturell geprägt.

aus derStandard.at, 1. Mai 2017, 17:02                                                                            Tintoretto, Abendmahl, 1594

Ostasiaten nehmen Räume ganz anders wahr als Europäer
Wissenschafter weisen kulturelle Unterschiede bei der räumlichen Wahrnehmung nach

Tübingen – Die Kultur, in der man aufgewachsen ist, hat wesentlich Einfluss auf das Denken. Auch die räumliche Wahrnehmung ist davon betroffen, wiewohl diesbezügliche kulturelle Unterschiede bisher noch weitgehend unerforscht sind. Nun hat ein Team um Aurelie Saulton vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik anhand von Experimenten nachweisen können, dass Menschen aus Ostasien Räume anders erfahren als beispielsweise Deutsche.

Die Wissenschafter verwendeten eine psychophysische Aufgabe, bei der die Probanden beurteilen mussten, ob ein rechteckiger Raum größer oder kleiner als ein quadratischer Referenzraum war. Die Forscher variierten in der Folge systematisch die Rechtwinkligkeit (Tiefen- zu Breiten-Seitenverhältnis) und den Blickpunkt (Mitte der kurzen Wand gegenüber der langen Wand) von dem der Raum betrachtet wurde.  

Kontextabhängige Verarbeitungsstrategien 

Bei Südkoreanern lösten die Rechteckigkeit des Raums und der Blickpunkt deutlich weniger Vorannahmen aus als bei ihren deutschen Pendants. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Vorstellungen, die besagen, dass allgemeine kognitive Verarbeitungsstrategien in ostasiatischen Gesellschaften eher kontextab- hängig sind als in westlichen. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Notwendigkeit, kulturspezifische kognitive Verarbeitungsstrategien in der visuellen räumlichen Kognitionsforschung zu untersuchen.  

Insgesamt bestätigen die im Fachjournal "Plos One" veröffentlichten Ergebnisse die bestehende Hypothese, dass Deutsche in der Raumgrößenwahrnehmung, aufgrund des übermäßigen Gebrauchs einer einzigen Dimension (der Tiefe), eher empfindlich für Vorannahmen sind, statt alle Dimensionen des Raumes zu berücksichtigen. Obwohl man nicht definieren kann, welche kognitiven Prozesse den Strategien der jeweiligen Bevölkerung zur Bewältigung dieser Aufgabe zugrunde liegen, wirft sie interessante Fragen über kulturelle Unterschiede bei Wahrnehmungsprozessen von Innenräumen auf.

Varianten der Raumgestaltung 

Diese Resultate zeigen Möglichkeiten zur kulturell sensiblen Gestaltung öffentlicher und privater Räume auf (z. B. bei Raumstationen). Ein weit verbreitetes Thema bei der Stadtplanung in Bezug auf Wohnräume und Transport ist, wie man das Gefühl von Weitläufigkeit innerhalb eines begrenzten physischen Raumes erzielt. Die Studien am MPI für biologische Kybernetik könnten als Leitfaden bei der innenarchitektonischen Gestaltung verwendet werden, um die Wahrnehmung von Raumgrößen vorherzusagen. (red.)  

 

Abstract 
Plos One: "Cultural differences in room size perception."  


Nota. - Die Zentralperspektive und damit die Tiefe des Raumes waren eine Errungenschaft der italienischen Renaissance und haben Jahrhunderte gebraucht, um sich, erst bei den Malern, dann beim Publikum, durch- zusetzen. Immerhin ist die Veränderung von den Zeitgenossen als so erheblich wahrgenommen worden, dass die Manieristen - s. o. - schon wieder Furore machen konnten, indem sie an der Perspektive drehten. In andern Teilen der Welt und nicht nur in Ostasien ist nichts dergleichen geschehen. Der perspektivische Blick scheint weiterhin eine westliche Angelegenheit zu sein.   

Paul Gf. Yorck hat "Verräumlichung" als den spezifischen Charakter unserer neuzeitlichen 'Bewusstseinsstel- lung' angesehen. Unter den japanischen Künstlern haben einige im 20. Jahundert versucht, ihre traditionelle Malweise mit der Perspektive anzureichern. Das Ergebnis ist verheerend:
 
Hiroshi Yoshida

Es ist einfach Kitsch.
JE

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