Mittwoch, 4. Oktober 2017

Klee abstrakt bei Beyeler.


aus Badische Zeitung, 3. 10. 2017                                                                                Kairuan, vor dem Thor,1914

Heimlicher Draht zur Wirklichkeit
Malerpoet und Bildmagier: Die Fondation Beyeler in Riehen zeigt die Ausstellung "Paul Klee – Die abstrakte Dimension".

von Heinz-Dieter Fronz

Er zählt nicht wirklich zu den abstrakten Künstlern. Paul Klee gilt als Malerpoet und Bildmagier, dessen Schöpfungen selbst dort, wo sie abstrakt anmuten, am Ende verlässlich eine Verbindung zur Wirklichkeit aufrechterhalten – und wäre es über den Draht des Titels. Seine Bildbenennungen sind Deutungsangebote an den Betrachter gerade dann, wenn in einer Malerei nichts Gegenständliches mehr erkennbar ist. Während die Standardformel "ohne Titel" geradezu zur Grundausstattung der Abstrakten gehört, gibt es bei Klee (fast) kein "o. T.".

Le rouge et le noir, 1923

Dabei enthält sein überreiches Œuvre Werke zuhauf, die man als im strengen Sinn abstrakt klassifizieren müsste. Zu recht und erstmals überhaupt macht deshalb die Ausstellung "Paul Klee – Die abstrakte Dimension" der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel Klees Verhältnis zur Abstraktion zum Thema – mit reichem Ertrag. Für Anna Szech, die Kuratorin, ist Klee einer der großen Pioniere der Abstraktion. Nur dass er aus ihr, anders als Kandinsky, Malewitsch oder Mondrian, kein Glaubensbekenntnis machte. Für ihn war sie eine von verschiedenen Möglichkeiten. Klee spielt mit der Abstraktion – und hält sich klammheimlich stets ein Hintertürchen zur Gegenstandswelt offen: in Bildern, die, in wechselnden Mischungsverhältnissen, häufig beides enthalten, gegenständliche wie abstrakte Elemente.

Die Feuerquelle 1938


Ist Abstraktion für Klee eine jenseitige Kunst?

Geboten werden 110 Werke, darunter neben zahlreichen selten bis nie gezeigten Malereien aus Privatbesitz auch zehn Arbeiten aus den Beständen der Fondation Beyeler. Nach der dem Spätwerk gewidmeten Ausstellung von 2003 ist es an Ort und Stelle die zweite Schau über den für die Sammlung wie auch für den Gründer der Fondation, Ernst Beyeler, so zentralen Künstler. In sieben Sälen und chronologischer Abfolge führt sie verschiedene Werkgruppen als Belege für Klees Hinwendung zur Abstraktion auf – von Werken der Münchener Zeit bis hin zum Spätwerk, in dem Klee häufig mit abstrakten Zeichenelementen arbeitet.

 An den Wassern zu  Babel, 1918 

"Abstraktion. Die kühle Romantik dieses Stils ohne Pathos ist unerhört", notierte Klee 1915 in sein Tagebuch. Im selben Jahr lesen wir, in Anspielung auf die Prüfungen des Ersten Weltkriegs: "Je schreckensvoller diese Welt (wie gerade heute) desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt." – Ist Abstraktion für Klee also eine jenseitige Kunst? Womöglich im Sinne einer Flucht aus der bedrängenden Wirklichkeit? Der Künstler selbst dagegen malt in den Kriegsjahren keineswegs abstrakt. Seine Rückzugsorte aus der Realität sind, aus Farbe gebaut, poetische Architekturen, Gärten und Parks. Eine Art "Hortus conclusus" nennt Anna Szech letztere.

Villen im Herbst, 1912 

Das früheste Beispiel der Schau für Kleesche Abstraktion ist das Aquarell "Villen im Herbst" von 1912; das gegenständliche Motiv wird hier an den Rand der Abstraktion geführt. In dieser Zeit tauchen bei Klee erstmals abstrakt anmutende Bilder aus rasterartig nebeneinander gesetzten bunten Farbflächen auf. Sie entwickeln sich zur konstanten Bildidee. Seit der Tunis-Reise 1914 lädt Klee diese Bilder intensiv mit Farbe auf. Solche abstrakte Farbmalerei auf Papier und Leinwand ist seitdem fester Bestandteil seines Schaffens. Die einzigen Realitätselemente des Aquarells "Kairuan, vor dem Thor", einer Frucht dieser Reise, sind – am Rand zerlaufender Farbrechtecke lediglich angedeutet – kleine Figuren und ein Kamel. Noch abstrakter wirkt das Aquarell "Abstraction eines Motivs aus Hammamet". Lediglich Farbe erzeugt hier gegenständliche Empfindungswerte. Dagegen legen in "Le rouge et le noir" weder der kleine rote noch der schwarze Kreis – die beiden einzigen Bildelemente – eine Deutung der Malerei als abstrahierte Landschaft nahe.

Abstraction eines Motivs aus Hammamet 1914

Das Aquarell "Und es ward Licht" charakterisiert Kunst unterschwellig als Creatio ex nihilo – als Schöpfung aus dem Nichts, die sich auf Realität schon deshalb nicht beziehen kann, weil sie sie zu allererst hervorbringt. In dem abstrakten "Mondaufgang" aus Farbrechtecken wiederum stiftet allein der Himmelskörper als gelber Kreis einen gegenständlichen Bezug. Bisweilen rechtfertigen bereits minimalistische Realitätspartikel wie die beiden Bogenformen in "Städtebild" gegenständliche Titel.

Und es ward Licht 1918

In informelle Farbnebel getauchte Motive schaffen eine eigentümliche Zwischenwelt, in der ein einziges, isoliertes gegenständliches Element zum Vehikel einer Reise ins Ungegenständliche werden kann. In den so genannten Quadratbildern, Schichtbildern und Lagenbildern der Bauhaus-Zeit streift Klee dann noch die letzten gegenständlichen Schlacken ab. Auch "Klassische Küste" von 1931 würde man ohne den Titel vermutlich als Abstraktion interpretieren. Die in der Überschrift mitschwingende Ironie – ist doch das Bild kein bisschen eine klassische Küstenlandschaft – weckt grundsätzliches Misstrauen gegenüber Klees Titeln.

Bildarchitektur rot gelb blau 1923

Verweist "Bildarchitektur rot gelb blau" von 1923 womöglich gar nicht auf Gebautes und ist vielmehr das Bild selbst als abstrakte Komposition die Architektur? Derartige Abstraktionen reichert Klee im letzten Lebensjahrzehnt mit zeichenartigen Elementen an wie in "Zeichen in Gelb" (1938). Einige späte Werke aber scheinen bereits das Nachkriegsinformel vorwegzunehmen, das Klee, der 1940 starb, selbst nicht mehr erlebte. Gegenständliche Bildtitel wie "Bergrücken" oder "Steinbruch" wirken hier wie Beschwörungsformeln gegen den Horror vacui vor dem Abstrakten.

Fondation Beyeler, Baselstr. 77, Riehen. Bis 21. Januar, tägl. 10–18 Uhr, Mi bis 20 Uhr.

aus Badische Zeitung, 27. September 2017                                    Ohne Titel [Gefangen, Diesseits - Jenseits/Figur], um 1940

"Klee - Die abstrakte Dimension"
Fondation Beyeler in Riehen zeigt in sieben Sälen retrospektiv Paul Klees Werk. 

Vom 1. Oktober bis 21. Januar präsentiert die Fondation Beyeler in Riehen eine umfangreiche Ausstellung des Künstlers Paul Klee, eines der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts. Zum ersten Mal überhaupt wird im Rahmen von "Klee – Die abstrakte Dimension" sein Verhältnis zur Abstraktion, jener Errungenschaft der modernen Malerei, beleuchtet.

 Daphne

Wie viele seiner europäischen Künstlerkollegen stellte sich auch Paul Klee dieser Herausforderung. In seinem Oeuvre lassen sich vom Früh- bis Spätwerk Beispiele für die Abkehr vom Gegenständlichen hin zur Gestaltung abstrakter Bildwelten beobachten. Natur, Architektur, Musik und Schriftzeichen sind die zentralen, wiederkehrenden Themen. Anhand von 110 Werken aus 12 Ländern rückt die Ausstellung diesen bislang unbeachtet gebliebenen Aspekt von Klees Schaffen in den Fokus.


Felsige Küste

Beginnend im Jahr 1912 zeigt die retrospektiv gestaltete Ausstellung verschiedene Werkgruppen in chronologischer Reihenfolge , anhand derer sich die entscheidenden Etappen von Klees Entwicklung nachverfolgen lassen: Die sich über sieben Säle erstreckende Schau beginnt mit Klees Anfängen als Maler in den 1910er Jahren in München und der berühmten Tunis-Reise von 1914, thematisiert dann die Zeit des Ersten Weltkrieges und des Bauhaus-Jahrzehnts von 1921 bis 1931 mit den bekannten Schachbrettbildern, Schichtaquarellen und Werken, die auf die Auseinandersetzung mit der Geometrischen Abstraktion in den 1930er Jahren verweisen. Die in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren entstanden Gemälde führen schließlich zu den Zeichenbildern im Spätwerk des Malers sowie seinen Bildentwürfen für die Nachkriegskunst.

Her Pursuit, 1939 

Für die groß angelegte Ausstellung konnte die Fondation Beyeler eine Vielzahl von wertvollen Leihgaben aus 35 international bedeutenden Museen und öffentlichen Sammlungen gewinnen, darunter das Metropolitan Museum und Museum of Modern Art in New York, das Centre Pompidou in Paris, die Albertina in Wien oder das Zentrum Paul Klee in Bern. Zudem zeigt die Werkschau 52 Werke aus Privatsammlungen aus Europa und Übersee, die der Öffentlichkeit sonst nicht oder nur selten zugänglich sind. 13 Gemälde kommen aus dem Zentrum Paul Klee und 10 Werke stammen aus der eigenen Sammlung der Fondation Beyeler.



Monument im Fruchtland, 1929

Zu den Höhepunkten der Ausstellung gehören die Werkgruppen der Schachbrettbilder, insbesondere Blühender Baum, 1925, 119 aus dem Nationalmuseum für moderne Kunst, Tokio, und Blühendes 1934, 199 aus dem Kunstmuseum Winterthur sowie die Schichtaquarelle. Für Ernst Beyeler gehörte Klee zu den bedeutendsten Malern des 20. Jahrhunderts. (BZ)

Abstrakt mit Bezug auf einen blühenden Baum 1925

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen