Sonntag, 4. März 2018

Gainsborough in der Hamburger Kunsthalle.


aus welt.de, 2. 3. 2018                                                                                                          Der Erntewagen, 1766
 
Welcome to Gainsborough Country
Die Hamburger Kunsthalle zeigt die erste Ausstellung zum Werk des berühmten englischen Landschafts- und Porträtmalers in Deutschland. Die Werke stammen aus den größten englischen Museen.

von Julika Pohle

Mindestens drei Bilder seien jetzt in Hamburg zu sehen, sagt Kunsthallenchef Christoph Martin Vogtherr, „die sich tief in die englische Psyche eingegraben haben“. Jeder Engländer kenne die Gemälde „Mr. und Mrs. Andrews“, „Der Erntewagen“, sowie „Die Tränke“ von Thomas Gainsborough (1727–1788), der in seinem Heimatland eine ähnliche Bedeutung besitzt wie Caspar David Friedrich bei uns.

Holywells Park, um 1748–1750

In der Hamburger Kunsthalle, die diesem wichtigsten englischen Landschafts- und Porträtmaler des 18. Jahrhunderts jetzt erstmals in Deutschland eine Ausstellung widmet, sind nicht nur diese drei, sondern rund 80 weitere Werke Gainsboroughs zu sehen, darunter 40 Gemälde. Sie stammen aus den größten englischen Museen wie der National Gallery, der Tate Gallery und dem Victoria and Albert Museum in London. Das kleine Museum Gainsborough’s House in Sudbury, das Geburtshaus des Malers, entlieh fast seine gesamte Sammlung nach Hamburg.

Gainsborough lebte in einer Umbruchszeit und gestaltete sie mit. Weil sich das England seiner Tage gerade erst zu einer Nation der bildenden Kunst entwickelte, waren die Künstler nicht von Traditionen beschwert, erklärt Vogtherr, der die Ausstellung als Experte für die Epoche selbst kuratiert und sich dabei ganz auf die Landschaftsmalerei konzentriert hat. Viele Maler fanden darum experimentelle Ansätze – wie Gainsborough: „Er schiebt immer wieder die Grenze dessen hinaus, was Malerei sein kann“.

Die Tränke, vor 1777

Mitfühlender, jedoch distanzierter Beobachter

Sein experimentelles Schaffen war aber nicht das einzige, womit das Gründungsmitglied der Royal Academy seine Zeit prägte. Ganz England befand sich an einer wirtschaftlichen und sozialen Zeitenwende. Landesweit wurde im 18. Jahrhundert der Zugang zu den ehemals gemeinschaftlich genutzten Acker- und Weideflächen eingeschränkt. Die Nutzflächen wurde den bestehenden Besitztümern angegliedert und eingezäunt.

Die Bauern gingen leer aus, ganze Dörfer zerfielen und die Landbevölkerung war gezwungen, in die Städte abzuwandern und sich dort als Lohnarbeiter zu verdingen. Aus den billigen Arbeitskräften wurde schließlich das Proletariat der Industrialisierung. Vogtherr bezeichnet Gainsborough als mitfühlenden, jedoch distanzierten Beobachter des Umbruchs. Mehrere Schlüsselwerke in der Ausstellung beweisen, wie genau er die neuen Bedingungen auf dem Land betrachtete.


Mr. und Mrs. Andrews, 1750 

Das sind zunächst „Mr. und Mrs. Andrews“ (1750). Gainsborough hat die Eheleute an den Rand einer schönen Landschaft gemalt und sie damit inmitten ihres großen Besitzes in der Nähe von Sudbury dargestellt. Auf dem Bild sind landwirtschaftlich genutzte Flächen zu sehen, im Hintergrund befinden sich die erwähnten Zäune: Offenbar haben Robert und Frances Andrews die Gebiete erst kürzlich übernommen, die früher Gemeinschaftsbesitz eines Dorfes waren. „Gainsborough sah die Landschaft als Schauplatz dessen, was die englische Gesellschaft war. Sie spiegelt die sozialen Ideale, etwa das des effektiven und entspannten Grundbesitzers“, sagt der Kurator.

„Hochgemalt am Beispiel der Holländer“

Doch der Maler wandte sich mit seinem Pinsel auch der Not der armen Bevölkerung zu. So beschreibt das Bild „Der Erntewagen“ [Kopfbild] von 1766 die Geschehnisse aus der Perspektive der Landflüchter. Hier wählte Gainsborough einen leeren Heuwagen als Metapher für den Aufbruch. Eine heterogene Gruppe von Landbewohnern drängt sich auf der Ladefläche, es wird getrunken, ein Mann mit Peitsche bändigt die Pferde, während sich rundum eine zauberhafte Landschaft mit Bäumen, Bergen und Tälern erstreckt. Doch das Land, auf dem sich diese dynamische Szene zuträgt, bietet dem einfachen Volk keine Lebensgrundlage mehr.


Landschaft mit dem Dorfe Cornard, wann?

Was die Landschaftsmalerei betraf, war Gainsborough Autodidakt. Die größte Anregung und Orientierung gab ihm die niederländische Malerei: „Er hat sich hochgedacht und hochgemalt am Beispiel der Holländer“, so Vogtherr. Weil die Niederländer, die eine unspektakuläre Landschaft bevorzugten, in der Kunsthalle stark vertreten sind, stehen Werke aus der Sammlung, etwa von Jacob van Ruisdael, Jan Wijnants oder Nicolaes Molenaer den Gemälden des Briten gegenüber. Die Parallelen werden sofort deutlich; ebenso klar ist am Ende aber die im Experiment erworbene Eigenständigkeit Gainsboroughs.

 Mountain Landscape with Figures, Sheep and_Fountain 

Vor allem im Spätwerk übte sich der Maler und Grafiker in unterschiedlichen Techniken, indem er ein Motiv, wie etwa den „Erntewagen“ immer wieder variierte: Er zeichnete entweder mit Kreide oder schuf Weichgrund- und Aquatinta-Radierungen – die letztgenannte Technik war seinerzeit nagelneu. Gainsborough behandelte manche Blätter mit Milch, mischte Glaspartikel in seine Farben oder malte direkt auf Glas: etwa das Ölbild „Küstenlandschaft mit Segelschiffen“ von 1783, das in der Schau von hinten beleuchtet wird. Zunehmend wurden Licht und Farbe, Stimmung und Atmosphäre für den Engländer wichtig. Das letzte gezeigte Gemälde, auf dem lagernde Menschen und trinkende Nutztiere ganz in der mächtigen, umgebenden Natur aufgehen, heißt „Die Tränke“ und brachte Gainsborough den Ruf ein, dem großen flämischen Maler Peter Paul Rubens ebenbürtig zu sein.

 Joshua Reynolds, Thomas Lister (The brown boy)

Nota. - Gainsboroughs großer Rivale war der zeitlebens weit berühmtere Joshua Reynolds, der als erster Präsident der Royal Academy of Arts den Geschmack seiner Zeitgenossen beherrschte. Sie wetteiferten als Porträtisten, legendär wurde ihr Streit um die angemessenen Farben (sic). Reynolds lehnte Blau strikt ab und schwor auf braun, und so entstand Gainsboroughs weltweit populärstes Bild, der Blue Boy, das Reynolds widerlegen sollte.

The Blue Boy, Portrait of Jonathan Buttall

Nicht wetteiferten sie im Fach der Landschaft, das Reynolds dem Zeitgeist gemäß als seiner nicht für würdig erachtete. Gainsborough ignorierte jedoch die Geringschätzung des Publikums und machte damit Geschichte. Bemerkenswert ist sein Motiv dafür: Die ewigen Porträts waren ihm auf die Dauer zu eintönig und eng für die künstlerische Phantasie: Er brauchte die Landschaft als kreative Abwechslung. Dass er heute um so vieles Bekannter ist als sein Rivale, verdankt er seiner ästhetischen Modernität.

PS. Reynolds' Brown Boy gefällt mir tatsächlich besser, nicht nur farblich: Er ist vor allem lebendiger. Rerynolds wird, wie das Rokkoko überhaupt, heute unterschätzt. 
JE

 

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