aus Der Standard, Wien, 28. August 2018, 13:51
Der super Freak
Er war einer der größten Popstars aller Zeiten. Ein tragischer Solitär, der am Mittwoch seinen 60. Geburtstag gefeiert hätte
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In der Vorwoche musste er kurz den Platz räumen. Die Eagles hatten ihn überholt. Ihre Best-of-Sammlung stieß Michael Jacksons Thriller vom Thron der meistverkauften Alben – zumindest in den USA. Weltweit sollen von Thriller 66 Millionen Kopien verkauft worden sein, da kommen die Eagles nicht ran.
Diese Woche dürfte sich das wieder zugunsten von Jacko verschieben. Vor neun Jahren starb Michael Jackson, tragisch früh mit 50 Jahren, am Mittwoch wäre er 60 Jahre alt geworden. Weltweit wird des Superstars gedacht. Er war der größte schwarze Popstar. Sony Music veröffentlicht anlässlich des Geburtstages die Alben Off The Wall, Thriller, Bad, Dangerous, History und Invincible als Picture Discs und nennt die in High Definition Audio aufgelegte Edition Michael Jackson: The Diamond Celebration!
Michael Jacksons Aufstieg zum Superstar erfolgte an einer Zeitenwende. Disco war am Ausbluten, aus dem Underground kommend verwandelte sich Punk zum Postpunk und zur New Wave, der Synthesizer machte den Funk synthetisch, aus der New Yorker Bronx wummerte Hip-Hop.
Neue Ära
Eine neue Ära brach an, und mit MTV wurde ein Format geboren, das Musik für die Massen verbildlicht in die Haushalte transportierte. Gleichzeitig trat der 1958 in Gary in Indiana geborene Michael Jackson an, sich zu emanzipieren. Vier Jahre nach dem Abgang der erfolgreichen Familienformation Jackson 5 vom Label Motown veröffentlichte er das Album Off The Wall.
Michael Jackson als Leadsänger der Jackson 5 mit "I Want You Back".
Es war sein fünftes Solowerk und das erste, auf dem er alt genug war, um in Amerika einen anständigen Drink bestellen zu dürfen. Bis dahin war er ein erfolgreicher Kinderstar. Mit den Jackson 5 und solo hatte er schon vor der Volljährigkeit Millionen Platten verkauft. Mit dem Image der niedlichen Kaulquappe, dem er altersbedingt schon nicht mehr gerecht werden konnte.
Jones, Wonder, McCartney
Mit dem Produzenten Quincy Jones im Studio und Songwritern wie Stevie Wonder oder Paul McCartney sollte 1979 sein Jahr werden. Off The Wall schlug richtig ein. Es verkaufte sich 20 Millionen Mal und machte aus Jackson einen Superstar. Mit Thriller toppte er sich 1982 selbst – das Album Bad rundete 1987 ein Dreigestirn ab, an das niemand in diesem Jahrzehnt herankam. An seiner privaten Verlorenheit und den darin begründeten Depressionen änderten diese Erfolge jedoch nichts.
Beat It.
In der musikalischen Artenvielfalt der 1980er wurde Jackson zum King of Pop ausgerufen. Seine auf Hochglanz polierte Musik wurzelte in Soul, Funk und (stellenweise) Gospel, wurde aber zusehends stromlinienförmig, zugunsten der Massentauglichkeit. Jackson sprach mit seinen Songs vorwiegend ein Publikum an, das sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden befand. Dessen – und seine – Verunsicherung formulierte er mit dünner, heller Stimme.
Im Sauerstoffzelt
Persönliche Probleme hatte er, doch war er noch weit entfernt von der erratischen Figur, die sich später mit Neverland ihre eigene Märchenwelt errichtete, die mit minderjährigen Buben im selben Bett übernachtete, im Sauerstoffzelt gegen das Altern ankämpfte, sich freudlos fortpflanzte, einen Schimpansen ihren besten Freund nannte und ihre Nase den Chirurgen zum Spielen überließ. Derlei biografische Einträge erschienen ab den 1990ern bedeutsamer als seine immer desperater werdenden Versuche, mit neuen Alben an alte Erfolge anzuknüpfen.
Doch Off The Wall, Thriller und Bad definierten eine Epoche. Jacksons Erfolg riss Rassenschranken nieder, sein Amalgam aus Funk, Disco und Pop (und etwas Rock) stürmte weltweit die Charts. Trotz oft ernster Themen wurde seine Musik vornehmlich als optimistische Popmusik wahrgenommen, die den weißen Yuppie-Zeitgeist ebenso transportierte wie afroamerikanisches Selbstvertrauen.
Moonwalk in der Dorfdisco
Als Performer reichte ihm damals niemand das Wasser, als solcher hat er bis heute den Maßstab im Mainstream gesetzt. Er modernisierte die ekstatischen Bühnenshows von Soul- und Funkkünstlern wie James Brown oder Joe Tex. In jeder Dorfdisco mühte sich am Wochenende jemand am Moonwalk ab.
65. Geburtstag von Liz Taylor
Sein musikalisches Erbe zeigt sich heute in der Musik von Acts wie Weeknd und Usher oder Rappern wie Blood Orange. Und natürlich in der Musik von Stars wie Justin Timberlake, die Kaderschmieden entstammen, in denen Jackson den Herrgottswinkel definiert. Mit etwas Fantasie kann man sogar den Einsatz von Autotune als Fortsetzung von Jacksons Falsett-Kicksern betrachten, die Künstlichkeit des Ergebnisses wirkt da stimmig.
Elvis und die Beatles
Die heutige Weltführerschaft des Hip-Hop im Musikbusiness wäre ohne Jacksons immensen Erfolg beim weißen Publikum schwer vorstellbar. Er zwang MTV umzudenken. Seine Fans nötigten den Sender, das fast 14-minütige Thriller-Video mehrmals pro Stunde zu spielen. Mit seinem Einfluss steht er auf einer Stufe mit Elvis Presley (dessen Tochter er 1994 ehelichte) und den Beatles (deren Backkatalog er sich einmal unter den Nagel riss).
Dangerous
In seinen letzten Jahren und Arbeiten manifestierte sich diese Wirkmächtigkeit nicht mehr, da überwog der Tratsch den Freak. Erst als die Nachricht seines Todes eintraf, rückte einem plötzlich ins Bewusstsein, was dieser tragische Solitär, dieses körperliche und psychische Wrack bewirkt hatte.
Am Abend der Wiederkehr
Das besaß Elvis-, Lady-Di- und John-Lennon-Dimension. Madonna weinte, und einen Moment lang hielt die Welt inne und versuchte sich mit dem Gedanken zu arrangieren, dass einer der Größten nicht mehr war. Just in dem Moment, als Jackson sich nach Jahren als Sujet der Schadenfreude und der Klatschspalten wieder beweisen wollte.
50 Konzerte waren in London anberaumt gewesen, eine Million Menschen hätten Jackson sehen sollen. Unvorstellbare 800.000 Karten waren verkauft worden – doch anstatt wiederzukehren, ging Michael Jackson für immer.
Man In The Mirror
Nota. - Wenn man das Allgemeine recht verstehen will, müsse man sich bloß nach einer berechtigten Ausnahme umsehen, sagt Kierkegaard. Die größte Ausnahme von allen Allgemeinheiten aller Zeiten war Michael Jackson, und berechtigt war sie ästhetisch. Er ist mit nichts und niemand zu vergleichen, er war der größte Freak aller Zeiten (Sie müssen's nur recht verstehn!).
JE
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