aus Tagesspiegel.de, 1. 3. 2019 Giovanni Bellinis Toter Christus, von Engeln gestützt, um 1475.
Das Traumpaar der Renaissance Die Ausstellung „Mantegna und Bellini“ in der Berliner Gemäldegalerie ist ein Höhepunkt des Jahres 2019. Nie zuvor wurden ihre Werke so umfassend gezeigt.
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Mantegna und Bellini – das sind geläufige Namen zweier bedeutender Künstler der Renaissance. Sie waren verschwägert, kannten und schätzten die Werke des jeweils anderen und nahmen sie als Anregung. Schon die Werke eines von ihnen zu zeigen, wäre für jedes Museum ein Traum; beider Werke gemeinsam auszustellen aber ist das Privileg der Museen von Weltrang. > Die Berliner Gemäldegalerie zählt dazu, gerade im Falle dieser beiden Künstler, von denen sie Hauptwerke besitzt. So ergab sich die Zusammenarbeit mit einem anderen Weltmuseum, der National Gallery in London. Dort war die Ausstellung "Mantegna und Bellini“ bis in den Januar hinein zu sehen, jetzt ist sie nach Berlin gekommen und bleibt am Kulturforum für gleichfalls vier Monate geöffnet.
Mantegna, Christus als Schmerzensmann
In Berlin und London befinden sich die beiden Museen mit den größten Sammlungen an Mantegna und Bellini außerhalb Italiens, insgesamt zehn in Berlin und 18 in London. Die Zusammenarbeit der beiden Häuser ermöglicht diese ideale Begegnung. Es ist die Kunstausstellung des Jahres. Was immer an der hiesigen Gemäldegalerie kritisiert wird, zumal der wenig einladende, derzeit noch durch Baustellen geradezu verbarrikadierte Zugang – jetzt ist das wie weggeblasen.
Idee war wichtiger als Ausführung
Die insgesamt knapp 100 Werke an Malerei, Grafik und einigen wenigen Skulpturen, souverän zusammengestellt von Neville Rowley (Gemäldegalerie) und Dagmar Korbacher (Kupferstichkabinett), dürften für die meisten Besucher eine einmalige Gelegenheit bedeuten. Denn weder für sich noch gar in dieser Zusammenstellung werden die kostbaren Gemälde in absehbarer Zeit reisen, auch wenn die Verlockung einer Blockbuster-Ausstellung groß ist. Dies hier ist eine – und in Berlin.
Bellini. Pietà, um 1500
Die italienische Renaissance feierte die invenzione, die Erfindung, als höchstes Vermögen eines Künstlers so sehr, dass in der Hoch- und Spätrenaissance die Ausführung einer zeichnerisch fixierten Idee oftmals lässig gehandhabt wurde. In der frühen Renaissance des 15. Jahrhunderts, in Italien als Quattrocento bezeichnet, stand die handwerklich makellose Ausführung eines Gemäldes obenan, dafür zahlte der Auftraggeber schließlich.
Und Auftraggeber bedeutete, ein genaues Bildmotiv sowie dessen Details vorzugeben. Die Erfindungen des Künstlers spielen sich innerhalb des vorgegebenen Themas ab, der Geschichte, die erzählt wird, und diese Historie entstammt zumeist der Bibel. Doch es gibt auch die storia als philosophische Erzählung im Sinne Leon Battista Albertis, des Baumeisters, Theoretikers und uomo universale, der die Renaissance wesentlich mitgeprägt hat.
Mantegna, Beweinung Christi
Familiäre Verbindungen
Auch Andrea Mantegna (um 1431-1506) und Giovanni Bellini (um 1435-1516) beginnen als Historienmaler, als Schöpfer religiöser Szenerien. Ihre Lebenswege teilen sich alsbald. Ihr reifes Werk entstand in verschiedenen Städten unter verschiedenen, ja gegensätzlichen Bedingungen. Aber sie waren verschwägert, seit Mantegna im Jahr 1453 Bellinis Halbschwester Nicolosia geheiratet hatte. Die Familienbande bedeuten in dieser Zeit alles. Sie bedeuteten Zugang zu Märkten und Auftraggebern, und im Fall von Mantegna und Bellini einen trotz der räumlichen Entfernung lebenslangen Austausch, Anregung und Ansporn gleichermaßen.
Mantegna, der 46 Jahre bis zu seinem Tod 1506 als Hofmaler am Hofe der Gonzaga in der etwas melancholischen Provinzstadt Mantua verbrachte, gilt in seiner Neugier auf die Antike als idealer Renaissancekünstler. Er studiert die literarischen Quellen und entnimmt ihnen Themen und Motive, die er in eigenständiger Weise gestaltete. Bellini hingegen, Spross einer angesehenen Malerfamilie der Lagunenstadt, bedient in der Handels-, ja, Weltmetropole Venedig eine vielfältige Klientel und hatte Zugang zu den unterschiedlichsten Gedanken, Nachrichten, Anregungen aus der damaligen Welt, bis hinein in den islamischen Kulturkreis. Bellini produzierte hauptsächlich die gefragten Altäre und Andachtsbilder, aber er fügte ihnen als invenzione nie zuvor gemalt gesehene Landschaften hinzu, Berge, Flüsse und Stimmungen.
Bellini, Christus am Ölberg, um 1465.
Zeitlebens gestalten die beiden Schwager immer wieder dieselben Themen. Sie kennen die Bilder des anderen, so sehr, dass sie bisweilen über Jahrzehnte hinweg Kompositionen des Schwagers aufgriffen und abwandelten. So ergeben sich in der Ausstellung wundervolle Bildpaare, deren ergreifendstes die "Darbringung Christi im Tempel" ist, ein Kernthema der christlichen Kunst.
Es erlaubt die Darstellung der jungen Mutter Maria mit ihrem neugeborenen Kind inmitten würdiger Priester, mithin eine Bandbreite von Menschendarstellungen. Nicht zufällig begann sich das Porträt gerade erst als eigenständige Bildgattung herauszulösen. Nun ist aber Mantegnas Gemälde – auf dem sich der Künstler und seine frisch angetraute Ehefrau verewigt hat – kurz nach 1453 entstanden, Bellinis ganz ähnliches, etwas figurenreicheres Werk jedoch erstaunliche zwanzig Jahre später. Der Venezianer hat das Bild des Schwagers abgepaust und getreulich nachgemalt.
Die Ausstellung hat Hansjörg Hartung als Architekt in die ansonsten funktionslose Wandelhalle der Gemäldegalerie in eine Art fließenden Raum gebracht, reich an Durchblicken auf die einzeln ausgeleuchteten Bildwerke vor dunkelfarbenem Hintergrund. Doch lohnt es sich, ganz nah heranzutreten, um die Zusammenarbeit beider Maler zu entdecken.
Mantegna, Christus am Ölberg, um 1455.
So zeichnet Mantegna 1468 zu dem in Italien beliebten Thema „Christus in der Vorhölle“ eine Komposition mit komplizierten Figuren in Drehung und Rückenansicht. Später entsteht in seiner Werkstatt ein entsprechender Kupferstich. Womöglich aber auch gezeichnete Kopien: Eine solche scheint Bellini in Händen gehabt zu haben, um sie sodann in Öl zu übermalen. Die näheren Umstände liegen im Dunkeln, aber hier lässt sich dieser Prozess der Idealkonkurrenz beider Maler verfolgen wie nie zuvor.
Zudem wurde während der dreijährigen Vorbereitung der Ausstellung entdeckt, dass zwei – in Berlin gezeigte – kleinformatige Gemälde Mantegnas ursprünglich als ein größeres vereint waren. Dass es möglich ist, Gemälde und lichtempfindliche Grafik Rahmen an Rahmen zu zeigen, belegt die Qualität der Ausstellung in Konzeption und Gestaltung.
Minerva wird vertrieben
Ganz anders verhält es sich mit einer der aufregendsten Bild-Begegnungen der Ausstellung. Mantegna malt um 1500 „Minerva vertreibt die Laster aus dem Garten der Tugend“, eine für die Renaissance so kennzeichnende Darstellung eines Tugend(vor)bildes in antikischem Gewand. Im Katalog des Kunsthistorischen Museums Wien, das 1994 die Kunstschätze der hochgebildeten Auftraggeberin Isabella d’Este vereinte, wird das Gemälde als „das komplizierteste, anspruchsvollste und am grandiosesten verwirklichte Gebilde eines ebenso komplexen Darstellungsgegenstandes aus der Zeit um 1500“ gerühmt. Dass der Louvre den ebenso komplexen „Parnass“ Mantegnas, gleichfalls für das studiolo der Isabella gemalt, nicht auch noch herleihen wollte, ist so bedauerlich wie zugleich verständlich.
Mantegna, Minerva vertreibt die Laster aus dem Garten der Tugend
Bellini folgt ein Dutzend Jahre später mit dem „Fest der Götter“, wiederum einer antiken Szene. Bezeichnenderweise wurden die Gemälde von zwei Geschwistern bestellt, Mantegnas Werk von Isabella, der Fürstin von Mantua, und dasjenige Bellinis von Isabellas Bruder Alfonso, dem Herzog von Ferrara. Auch wenn Bellinis Gemälde später unter anderem von Tizian teilübermalt wurde: Das ist ein grandioses Bildpaar und ganz nah am Wesenskern der Renaissance, die eben die Wiedergeburt der Antike meint.
Bellini, Fest der Götter
Bellini malt Landschaften in seine Bildgeschichten, um – wie der Humanist Pietro Bembo feinsinnig anmerkte – „stets nach Belieben im Gemälde umherwandern“ zu können. So hat er in dem frühen, gegen 1460 geschaffenen Gemälde „Christus am Ölberg“ die wenige Jahre ältere Komposition Mantegnas spiegelbildlich ausgeführt, aber eine ganz eigene Landschaft mit einer Stadt auf dem Hügel als Hintergrund gemalt, die seiner Zeit entnommen ist. Und er hat ein zartrosa Morgenrot mit entsprechend schimmernden Wolkenrändern gemalt, wie es vor ihm noch kein Künstler festgehalten hat.
In königlichem Besitz
Ohne Entsprechung im Werk des Anderen sind die drei Großformate aus dem neunteiligen Zyklus „Der Triumphzug Cäsars“, den Mantegna zwischen 1480 und 1506 für seinen fürstlichen Auftraggeber gemalt hat. Die Gemälde erwarb der englische König Charles I. 1631 für die Residenz Hampton Court, wo sie bis heute in der königlichen Kunstsammlung bewahrt werden. Dass immerhin drei dieser Kompositionen nach Berlin reisen durften, ist eine Sensation.
In ganz Europa war der Bilderzyklus durch Stiche, Kopien sowie Vasaris Künstlerviten bekannt. Zudem gab es eine Holzschnittfolge, knapp ein Jahrhundert nach Mantegnas Tod geschaffen. Ein Exemplar hat später Goethe erworben und ihm umfangreiche Beschreibungen gewidmet. In einem seitlichen Grafikkabinett sind diese Blätter ausgestellt.
Madonna im Gespräch mit Heiligen
Was in der Ausstellung fast völlig fehlt und fehlen muss, sind die großformatigen Altarwerke, die beide Künstler geschaffen haben. Zumindest eine und ganz exquisite Ausnahme ist Bellinis mittelgroße „Auferstehung Christi“ (vor 1479), die 1902 in die hiesige Sammlung kam, zur Zeit der umfangreichsten Erwerbungen der Berliner Museen.
Zumeist befinden sich die Altartafeln – glückliches Italien! – noch an ihrem ursprünglichen Platz. Einige sind im Anhang des opulenten, ein gelehrtes Handbuch bildenden Kataloges abgebildet. So etwa Bellinis Schöpfung einer sacra conversazione, eines Madonnenbildes mit Heiligen von 1505 für die Renaissance-Kirche San Zaccaria in Venedig.
Bellini, Auferstehung
Einen solchen Zusammenklang von Architektur, Malerei und Kunsthandwerk kann keine Ausstellung bieten. Die ganze Schönheit der Renaissance, ihre umfassende Weltsicht erschließt sich auch heutzutage, wenn überhaupt, nur an ihren authentischen Orten.
Tipps für Besucher
Die Ausstellung „Mantegna und Bellini. Meister der Renaissance“ ist bis zum 30. Juni in der Gemäldegalerie am Kulturforum zu sehen, geöffnet Di, Mi, Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa/So und feiertags 11-18 Uhr. Der Eintritt beträgt 14 € (ermäßigt 7 €) einschließlich Dauerausstellung. Das Museum ist barrierefrei. Führungen werden für Gruppen nach Voranmeldung (90 € plus Eintritt) sowie für Einzelbesucher Di – Fr um 16 Uhr, Sa/So/Feiertag 14.30 und 16 Uhr angeboten (4 € plus Eintritt); in Deutscher Gebärdensprache am 23.3. und 22.6. von 16-18 Uhr.
Zudem gibt es Führungen in Italienisch, Englisch und Russisch. Kurator N. Rowley führt jeweils donnerstags am 7.3., 4.4., 2.5. und 6.6. (Anmeldung online erforderlich).
Ferner gibt es ein umfangreiches Programm für Kinder und Familien sowie zur Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer. Für alle weiteren Informationen sowie für die Buchung von Tickets und Führungen gibt es die Webseite www.mantegnabellini.de Kontakt per Mail an service@smb.museum
Der Katalog zur Ausstellung ist erschienen im Hirmer Verlag (München), 304 Seiten m. 287 Abb. in Farbe, im Museum 29 €, im Buchhandel 39,90 €.
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