Mittwoch, 1. Mai 2019

Der physiologische Ursprung des Ästhetischen?


aus derStandard.at, 20. März 2019                                                                          Eine Fruchtfliege muss nicht abwägen, ob etwas verlockend oder widerlich riecht – die Wahrnehmung der Duftmixtur wird automatisch in eine Richtung gelenkt

Gestank ist Trumpf: 
Üble Gerüche stechen Düfte aus
Forscher setzten Fruchtfliegen Mischungen aus anziehenden und abstoßenden Gerüchen aus

Jena – Die Geruchswahrnehmung spielt ganz unterschiedliche Rollen – selbst beim Menschen mit seiner vergleichsweise unsensiblen Nase, erst recht aber bei anderen Tierarten. Eine dieser Rollen ist auch eine Schutzfunktion: Ein übler Geruch kann signalisieren, dass potenzielle Nahrung verdorben und dadurch schädlich ist.

Anhand von Fruchtfliegen der Spezies Drosophila melanogaster – für biologische Studien gerne als Modellorganismen herangezogen – haben sich deutsche Forscher das etwas genauer angesehen. Sie wollten vor allem wissen, wie sich eine Kombination von anziehenden und abstoßenden Gerüchen auf die Tiere auswirkt.

Keine reinen Düfte

Fruchtfliegen sind bei ihrer Orientierung in der natürlichen Umgebung immer Duftgemischen ausgesetzt, berichtet das Max-Planck-Institut für chemische Ökologie. Solche Mischungen bestehen oft aus sowohl attraktiven als auch abstoßenden Gerüchen, wie etwa eine mit giftigen Bakterien verunreinigte Nahrungsquelle. Die Entscheidung, sich zu nähern oder die Geruchsquelle zu meiden, ist äußerst wichtig für das Überleben und die Fortpflanzung des Tiers.


Doch bislang war wenig darüber bekannt, wie im Gehirn unterschiedliche Duftstoffe in einer Mischung verarbeitet werden. In früheren Studien konnten die Arbeitsgruppen um Silke Sachse und Markus Knaden vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie bereits zeigen, dass sich Riechkanäle, die auf anziehende Düfte reagieren, von denen unterscheiden, die durch abstoßende Gerüche aktiviert werden. Außerdem verstärken zwei angenehme Düfte einander in bestimmten neuronalen Kreisläufen im Fliegengehirn, was sich wiederum im Verhalten widerspiegelt.

Versuchsreihe

Die Wissenschafter um Studienerstautor Ahmed Mohamed setzten also Fruchtfliegen künstlichen Duftmischungen aus, die jeweils einen anziehenden und einen abstoßenden Duftstoff in einem bestimmten Verhältnis enthielten. Bildgebende Verfahren ermöglichten es, die Gehirnaktivitäten zu studieren – dabei zeigte sich, dass ein abstoßender Geruch innerhalb einer Geruchsmischung die Geruchskanäle für anziehende Stoffe spezifisch hemmt.

"Unsere Daten belegen eine spezifische, hemmende Wechselwirkung im Geruchszentrum des Fliegenhirns. Durch genetische Veränderung konnten wir zeigen, dass Glomeruli, kugelförmige Funktionseinheiten im Geruchszentrum, die auf anziehende Gerüche reagieren, über bestimmte hemmende Nervenzellen mit den auf abstoßende Gerüche regierenden Einheiten im Geruchszentrum verknüpft sind", beschreibt Mohamed die Ergebnisse.

Einige Gerüche sind besonders

Allerdings zeigen nicht alle Geruchsmischungen die gleiche hemmende Auswirkung. Eine Ausnahme bildete Geosmin, der typische Geruch giftiger Bakterien oder Schimmelpilze. Geosmin wird im Fliegenhirn nur von einem Rezeptortyp erkannt, und folglich wird nur ein hochspezifischer Glomerulus aktiviert."Es ist denkbar, dass dieser Geosmin-Glomerulus keine starken Wechselwirkungen mit anderen Glomeruli aufweist und sie entsprechend auch nicht beeinflussen kann", spekuliert Markus Knaden, ein weiterer Autor der Studie. Ähnliche spezialisierte Wege wurden nur für den Nachweis von Sexualpheromonen, Kohlenstoffdioxid und Iridomyrmecin, dem Geruch einer parasitischen Wespe, die Fruchtfliegen befällt, beschrieben.

Doch inwieweit sind diese Ergebnisse auf andere Spezies übertragbar, nicht zuletzt auf uns? Das lässt sich aus den Ergebnissen mit dem Modellorganismus Fruchtfliege nicht wirklich sagen. Die Wissenschafter gehen allerdings davon aus, dass sich neuronale Mechanismen wie im Fliegenhirn auch in anderen Riechsystemen finden werden – sogar im Riechkolben von Säugetieren, und damit möglicherweise auch beim Menschen. Ein solcher Mechanismus könnte also auch uns davor schützen, dass wir verunreinigte Lebensmittel zu uns nehmen, da die üble Geruchsnote die attraktiven aussticht. (red.)


Link
Nature Communications: "Odor mixtures of opposing valence unveil inter-glomerular crosstalk in the Drosophila antennal lobe"


Nota. - Angenommen, das gälte auch für den Menschen. Wir hätten dann im urwüchsigsten Sinnesorgan abso- lute Maße; selbst die Abstufungen weniger wohlriechend - ziemlich stinkend - ekelhaft gälten nicht relativ zu- einander, sondern absolut jede für sich.

Die Drosophila wird sich kaum was vorstellen. Wir aber sind gewohnheitsmäßig vorstellend. Dass das Urteil 'an sich gut' und 'an sich übel' schließlich auf andere Sinnesbereiche übergreift, wäre immerhin denkbar. Jedenfalls käme das qualitative Urteil dann nicht, wie Ernst Tugendhat* meint, von besser und schlechter. Wenn auch Ver- mischungen im Alltag allgegenwärtig sind, beruhten sie  doch aus sinnlichen Absoluta. Mit andern Worten: Die Maßstäbe wären nicht aus der Erfahrung gewonnen, sondern lägen ihr zugrunde. Dass in ihnen ihnen wiederum die Gattungserfahrung vererbt würde, stünde auf einem andern Blatt.
*) in Anthropologie statt Metaphysik, München 2007, S. 29; 33
JE

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