Donnerstag, 23. Juni 2016

Der Waldkult der Deutschen.


aus Die Presse, Wien, 23. 6. 2016                                                                                               C. D.Friedrich, Abend 1821

Der „deutsche Wald“ und seine dunklen Geister

von Anne-Catherine Simon

Das ist der Teutoburger Wald, den Tacitus beschrieben, das ist der klassische Morast, wo Varus stecken geblieben (...) Die deutsche Nationalität, sie siegte in diesem Drecke“: So dichtete Heinrich Heine 1844 über die mehrtägige Schlacht im Teutoburger Wald zwischen römischen Truppen und germanischen Stämmen. Diesen war der sumpfige, unwegsame Wald vertraut, für die ganz andere Natur gewohnten Römer war er feindliches Territorium.

Wer weiß, ob der deutsche Nationalismus ohne die Schlacht den Wald so unermüdlich vereinnahmt hätte, wie es keine andere Nation Europas getan hat? Ohne diesen martialischen deutschen Gründungsmythos, ist der deutsche Historiker Johannes Zechner jedenfalls überzeugt, hätte der Wald als Bestandteil „deutscher“ Identität nie so eine zentrale Rolle erlangt. So umfassend wie bisher wohl keiner hat Zechner im soeben erschienenen Buch „Der deutsche Wald“, das aus seiner Dissertation entstanden ist, die faszinierende und zunehmend düstere Ideengeschichte dieses „deutschen Waldes“ verfolgt.

Die Deutschen, ein „Waldvolk“?

Sie beginnt um 1800 mit den Romantikern, speist sich aber aus vielen älteren Wurzeln. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist sie allmählich in der geschichtlichen Versenkung verschwunden, klang hier und da in der Diskussion um das „Waldsterben“ noch einmal nach und ist heute vergessen – das heißt, nicht ganz: Noch 2012 gab es in Rostock einen heftigen Streit um eine Eiche, die (wegen ihrer Langlebigkeit) als Friedenszeichen und zur Erinnerung an rechtsextreme Pogrome 20 Jahre davor gesetzt worden waren; eine antifaschistische Gruppe sägte sie ab, weil Eichen einst ein „Symbol für Deutschtümelei und Militarismus“ gewesen seien.


A. Kiefer, Winterland, 2010

Tatsächlich wurden im Nationalsozialismus gern „Hitler-Eichen“ gesetzt, Jahrhunderte vorher feierte sie der Dichter Klopstock als Verkörperung germanisch-deutschen Wesens, viel früher noch schrieb der Humanist Conrad Celtis über die religiös motivierten „germanischen Eichen-Haine“. Und berief sich dabei auf Tacitus. Die Eiche war der deutsche Paradebaum, der Wald überhaupt aber stand für das deutsche Volk.

Auch anderswo hat man Wald und Baum als Symbole für kollektive Identitäten verwendet, in waldreichen skandinavischen Regionen etwa oder bei den zionistischen Siedlungsprojekten im Nahen Osten; aber nirgendwo, meint Zechner, wurde der Wald so exklusiv vereinnahmt wie seit der Wende zum 20. Jahrhundert vom deutschen Nationalismus. „Wir Deutschen sind von alters her ein Waldvolk gewesen und in unserem innersten Wesen bis heute geblieben“, hieß es noch in einer deutschen Anthologie vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch Robin Hood, den englischen Nationalhelden, schützte der Wald, der Freiheit bedeutete und Rebellion gegen die Normannen, trotzdem waren die idyllischen Wiesen das wichtigere Element englischer Identität. In der Schweiz hatten die Alpen einen vergleichbaren Stellenwert, in den USA war es die Wildnis.

Städter mystifizieren verlorene Natur

All diesen Natursymbolen ist gemeinsam, dass Städter sie kreiert haben. Sie mystifizierten eine Landschaft, die ihnen längst unvertraut geworden war – und im Fall des Waldes zugleich zunehmend zum ökonomisch genutzten Territorium wurde. Die Waldsymbolik der deutschen Romantiker war noch individuell und vielschichtig. Über ein Jahrhundert später war das „deutsche Volk“ zum „Waldvolk“ geworden, das dem slawischen „Steppenvolk“ beziehungsweise dem jüdischen „Wüstenvolk“ entgegengesetzt wurde. Was lag dazwischen, wie wurde Tiecks und Eichendorffs „deutscher Wald“ zum platten Propagandainstrument? Die Waldbilder des Anselm Kiefer, von denen einige vor Kurzem in einer Ausstellung in der Wiener Albertina zu sehen waren, thematisieren künstlerisch diese Pervertierung; Johannes Zechner zeichnet diesen in Details wenig bekannten Weg als Historiker nach.


C. D. Friedrich, Nachmittag

Da erfährt man zum Beispiel von den breitenwirksamen Schriften des Universitätsprofessors Wilhelm Heinrich Riehl, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutschen Wald und deutsches Volk gleichsetzte, den „deutschen Baum“ als Gegensatz zur „Mollusken-Existenz“. England und Frankreich identifizierte er abwertend mit Feldern und Parks.

Nicht nur bei ihm hatte die deutsche Waldverherrlichung eine antifranzösische, antirevolutionäre Stoßrichtung – so sehr, dass Zechner die napoleonischen Kriege als eigentliche Geburtsstunde des deutschen Silvanationalismus, wie er es nennt, ansieht. In all den Erschütterungen seit dem Ende des Heiligen Römischen Reichs und angesichts der territorialen Zersplitterung sollte der „deutsche Wald“ Beständigkeit und kollektive Einheit signalisieren. Auch nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918 war der Wald im rechten politischen Lager ein wichtiges Symbol, für die Verwurzelung und Stärke, die man wiedergewinnen sollte, für das „deutsche Wesen“, gegen das Demokratisch-„Nomadische“, aber auch gegen die „Gefahr aus dem Osten“. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Feldmarschalls Paul von Hindenburg 1923 gegründete „Deutsche(r) Wald e. V.“, der sich der „Wehr und Weihe des Waldes“ verschrieben hatte. Von da zum „Waldrassismus“ (Zechner) des Nationalsozialismus war es nur noch ein kleiner Schritt.

Johannes Zechner: „Der deutsche Wald. Eine Ideengeschichte zwischen Poesie und Ideologie 1800−1945“ (Verlag Philipp von Zabern/Wissenschaftliche Buchgesellschaft). 446 Seiten, 69,95 Euro.

Anselm Kiefer

Nota. - Klingt brav und bieder und vor allem politisch korrekt.Warum gebe ich es wieder? Wegen eines winzigen Details:

Dass der Wald und gar erst le waldsterben woanders lange nicht so prominent sind wie bei den Deutschen, ist ein alter Hut. Auch, dass bei uns Parks lange nicht so beliebt sind wie in England und barocke Gärten längst nicht so, wie in Frankreich -  springt ins Auge, sobald man darauf hingewiesen wird. Doch dass beides zusammenhängt, darauf muss einer erst mal kommen; danke, Herr Riehl.
JE






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