Samstag, 23. Juni 2018

Die Kindlichkeit der Kunst.

 
Klee, Roter Ballon                                                                          aus Von der Künstlichkeit des Kindes und er Kindlichkeit der Kunst.

Die Kindlichkeit des Kindes und die Künstlichkeit der Kunst haben einen gemeinsamen Nenner, und zwar: eine Sache um ihrer selbst willen tun. Es ist die Art von Tätigkeit, die landläufig Spiel genannt wird. Immer wieder hat man versucht, das Spiel definitorisch gegen die Arbeit abzusetzen. Vergeblich

Nämlich solange der Unterschied in den technischen, ergonomischen Merkmalen der Tätigkeit selbst gesucht wurde. 

Der Unterschied liegt in ihrer verschiedenen Bedeutung fürs Leben. Arbeit ist eine Tätigkeit, die um eines gesetzten Zweckes willen geschieht. Der Zweck ist ihr Was, die Unbotmäßigkeit des toten Stoffs bestimmt das Wie: An der Sicherheit, mit der sie den Stoff dem Zweck anverwandelt, mißt sich ihre Qualität. 

Und wenn es möglich wird, die Tätigkeit zu ersparen und ihre Qualität den Maschinen einzubauen, umso besser. Industriear- beit, Lohnarbeit ist die „reine“ Form der Arbeit. Nicht logisch, aber historisch, und darauf kommt’s an. Sie ist die Art von Tätigkeit, die gesellschaftlich gilt – qua Tauschwert, denn der ist der allgemeinste Zweck. Die Mühsal ist, allen Etymologien zum Trotz*, kein Bestimmungsgrund von Arbeit. Wenn Arbeit Spaß macht, hört sie nicht schon auf, Arbeit zu sein. 


Spiel dagegen wird „um seiner selbst willen“ getan. Aber was bedeutet das? Daß es „befriedigt“? Dann wäre die Befriedigung Zweck, nicht die Tätigkeit, und wir würden uns im Kreise drehn. Das Eigentümliche am Spiel ist aber, daß vorher nicht fest- steht, ob es befriedigen wird oder enttäuschen. 

Das Eigentümliche am Spiel ist sein offener Ausgang. Daß es also keinen Zweck hat. 

Es werden Folgen eintreten, wie bei allem, was man tut. Aber man weiß nicht, welche. Man kann sie nicht „bedenken“. Man mag sie erahnen oder erhoffen, aber man muß es wohl drauf ankommen lassen… Spiel ist Risiko, und das Risiko ist sein Zweck. Es lebt vom Zauber des Unbestimmten. Arbeit dagegen will Bestimmtheit. 

Die Unbestimmtheit der Zwecke – daß man erst sehen wird, was es werden soll, wenn es etwas geworden ist -, das macht Kunst zum Spiel. Die Künstler der Vergangenheit waren sich ihrer Zwecke freilich sicherer als die heutigen. Sie wußten sich beauftragt. Zuerst von geistlichen, dann von immer weltlicheren Mächten. Erst als der Markt die Künstler vom Geheiß der Auftraggeber befreit und ihre Existenz aber auch unsicher gemacht hatte, wurde der Ausgang der künstlerischen Tätigkeit offen. Kunst trat in einen polemischen Gegensatz zur Bürgerlichkeit – d. h. zur Arbeit.

Der Künstler wurde vor die Tür gesetzt und lebt seither in einem Reich des Ungewissen. Wie die Kinder. Nur am Sonntag ließ man ihn in die gute Stube: wie die Kinder. In ihnen beiden hat unser Gattungsstil überlebt, als Residuum. Der Vergleich von Kunst und Kindheit ist mehr als eine Metapher. Denn ist der Künstler immer ein bißchen wie ein Kind, so ist das Kind, mit Maurice Ravel zu reden, „von Natur künstlich“.

*) mhd. arebeit: Mühsal ; engl. labour von lat. labare: „unter einer Last wanken“, frz.travail  von lat. trepanum - ein Strafinstrument für unbotmäßige Sklaven 


Nota. - Hier ist die Rede von dem, was Künstler tun, nicht von Ästhetischem und Zweckmäßigem; und das ist das historisch Gegebene. Ästhetisches und Zweckhaftes unterscheidet erst die philosophierende Reflexion.


 

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