Samstag, 12. April 2014

Lesser Ury in Baden-Baden.

 
aus Badische Zeitung, 12. 4. 2014                                                                 Nächtliches Berlin, 1919

Nach Einbruch der Dunkelheit
Ein Maler und die Lichter seiner Stadt: Das Museum für Kunst und Technik in Baden-Baden zeigt Werke des wenig bekannten Impressionisten Lesser Ury.
 

Das Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden, genannt "LA 8", glänzt mit einer Ausstellung, die gut zum gründerzeitlichen Flair der Stadt passt. An der Lichtentaler Allee sind Werke eines Zeitgenossen von Max Slevogt, Lovis Corinth und Max Liebermann zu sehen. "Lesser Ury und das Licht" lautet der Titel der Schau, die die Frage aufwirft, warum dieser bedeutende deutsche Impressionist im Gegensatz zu seinen Kollegen weitgehend unbekannt geblieben ist. Die Ausstellung führt überzeugend vor Augen: Es kann nicht an der Qualität der Werke liegen, dass man in den großen Museen nahezu vergeblich nach Spuren des künstlerischen Wirkens von Ury sucht.



Bahnhof Bülowstr. 1922 

Lesser Ury wird 1861 bei Posen als dritter Sohn eines jüdischen Bäckermeisters geboren. Nach dem Tod des Vaters zieht die Familie nach Berlin, eine kaufmännische Ausbildung bricht Ury schnell ab. Sein Weg führt ihn in die europäischen Kunstmetropolen Düsseldorf, Brüssel und Antwerpen, Paris und München. 1887 kehrt er in die deutsche Hauptstadt zurück. Kurz vor der Eröffnung seiner großen Retrospektive zum 70. Geburtstag in der Berliner Nationalgalerie stirbt er 1931. Ein Jahr später veranstaltet der Nachfolger des Berliner Verlegers Paul Cassirer eine umfangreiche Auktion mit Gemälden, Pastellen und Zeichnungen aus dem Nachlass. Das Werk wird in alle Winde zerstreut. Nach 1933 verschwindet mit seinen Bildern auch sein Name aus der Öffentlichkeit.


 
Caféhausszene, um 1920

Dass sich ein Museum für Kunst und Technik für den vergessenen Impressionisten interessiert, hat Sinn. Ury war Zeuge der zweiten Welle der Industrialisierung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Zahlreiche historische Lichtwerbeplakate zeigen es: Diese Welle brachte die Elektrizität und damit das Licht in die Städte. Berlin, Berlin – mit dem Ausbau einer Gas- und Elektrobeleuchtung konnte Lesser Ury in einer Stadt aufwachen, die nicht mehr schlief. Ab 1913 verfügte er selbst über ein elektrisch beleuchtetes Atelier und malte nun auch nachts; für ihn eine echte Alternative zur impressionistischen Freilichtmalerei. Seine wunderbaren Ansichten des verregneten, nächtlichen Berlin geben davon Zeugnis ab: Es musste nicht mehr natürliches Licht sein, und Ury musste seine Staffelei nicht in der Natur aufstellen. Künstliche Lichtquellen, Gaslicht und Glühlampen, verschafften ihm nicht minder faszinierende Wahrnehmungs-Ereignisse. Dass Ury nicht nur mit der Farbe umgehen konnte, beweisen die ausgestellten Arbeiten auf Papier. Schnell fängt er mit dem Zeichenstift nächtliche Impressionen ein, gestaltet ungemein stimmungsvolle Radierungen vom Berliner Großstadtleben.


Im Café Bauer, undatiert

Tiergarten, Nollendorfplatz, Unter den Linden – was gab es in dieser Stadt nicht alles nach Einbruch der Dunkelheit zu beobachten: die fahle Beleuchtung der Pferdedroschken und die Spiegelung der Autoscheinwerfer auf den nassen Straßen, die elegant gekleideten Damen und die rauchenden Herren mit ihren Zeitungen an den runden Tischchen im mondänen Café Bauer. Als erstes privates Etablissement verfügte dieses Kaffeehaus schon seit 1884 über elektrisches Licht. Klar, dass Lesser Ury dort Stammgast war. Der persönliche Umgang mit ihm gestaltete sich allerdings schwierig. Nachdem Liebermann Ende 1891 das Gerücht zu Ohren gekommen war, Ury würde in Berlin herumerzählen, dass die violetten Lichteffekte auf Liebermanns Bild "Flachsscheuer in Laren" von ihm stammen,* war die Freundschaft beendet. Ury weilte zu diesem Zeitpunkt in Italien und ahnte nichts von den dunklen Wolken, die in Berlin aufzogen. Die Ausstellung präsentiert einen Brief vom Februar 1892, in dem Ury den älteren Maler dringend um eine Antwort auf seine letzten beiden Briefe bittet. Er sollte sie nie bekommen. Liebermann blieb verstimmt und nutzte seinen Einfluss, um den nicht arrivierten Kollegen aus den Kunstkreisen zu verdrängen. Schlimm für Ury, der das Gegenteil eines Selbstvermarkters war. 

Dem aktuellen Kunstmarkt ist Ury übrigens überraschend gut bekannt. Immer wieder tauchen Ölgemälde auf Auktionen auf und werden mit Preisen von bis zu 250 000 Euro gehandelt. Eine Rezeption wird dadurch nicht in Gang gesetzt. Matthias Winzen, der Direktor des "LA 8" bemerkte trocken: "Der Markt erzeugt keinen Sinn".


Nächtliche Straßenszene, Berlin, 1920.

*) Diese Anekdote wird auch anders kolportiert. Danach soll Liebermann Urys Behauptung kommentiert haben: "Det darf er. Wenn er aber erzählt, eins seiner Bild sei von mir, verklag' ich ihn." - Die wahren Gründe für das Zerwürfnis der beiden sind ganz unklar. - Ury wurde übrigens 1921, als Lovis Corinth Nachfolger Liebermann an der Spitze der Berliner Secession geworden war, dort aufgenommen und hat sehr erfolgreich ausgestellt. JE


Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Lichtentaler Allee 8, Baden-Baden. Bis 21. August, Dienstag bis Sonntag 11-18 Uhr.

Lesser Ury, Waterloo-Brücke Foto: © Museum LA8
aus Stuttgarter-Nachrichten.de, 10.04.2014 17:30 Uhr                                                                Waterloo-Brücke
 

Lichter der Großstadt  
In den 1920er Jahren ein prominenter Vertreter des künstlerischen Lebens in der Weimarer Republik, gerät der Maler Lesser Ury in den Jahren nach 1933 ins Abseits und wird von der Kunstgeschichtsschreibung in der Folge nahezu vergessen. Jetzt scheint die Zeit reif für eine Wiederentdeckung.

von Oliver Class 

Der Künstler-Demokrat

Als der Publizist Hanns Brodnitz 1933 in ­seinem Essay über das Kino der Weimarer Republik das demokratische Gesicht des Berliner Nollendorfplatzes charakterisierte, tat er dies, indem er die Kanzlei des bekannten jüdischen Anwalts und Staatsrechtlers Max Alsberg und das Atelier des Malers Lesser Ury als prominente Orte republikanischer Gesinnung im Zentrum der Reichshauptstadt anführte.

Diese Nennung des Künstlers Lesser Ury im demokratischen Herzen Berlins bezeugt dessen Stellung als eines prominenten Vertreters des künstlerischen Lebens der zu diesem Zeitpunkt schon verflossenen ersten deutschen Republik, eines Starkünstlers, der das großstädtische Leben Berlins auf unvergleichliche Art und Weise auf die Leinwand zu bringen verstand und die pulsierende Bewegung der Metropole in bildnerische Form zu zwingen vermochte.

Nasse Straße, oJ

Ausgestellt wurden Lesser Urys Gemälde in den bedeutenden Galerien der Zeit, so beispielsweise bei Paul Cassirer und Fritz Gurlitt in Berlin oder bei Heinrich Thannhauser in München. Seine Gemälde hingen in der Berliner Nationalgalerie und wurden von prominenten Sammlern wie Harry Graf Kessler und Walther Rathenau geschätzt.

Frühes Vergessen

Umso überraschender muss es erscheinen, dass Ury in den Jahren nach 1933 von der Kunstgeschichtsschreibung nahezu vergessen wurde, eine wissenschaftliche Einordnung seines Œuvres bisher weitestgehend fehlt und sich seine Werke zwar im Kunsthandel auch heute noch regen Interesses erfreuen, jedoch nur in wenigen öffentlichen Museen zu finden sind. Die Gründe hierfür sind einerseits im schwierigen Charakter des Menschen Lesser Ury, andererseits im Umgang mit seinem künstlerischen Nachlass und den Zeitläuften nach seinem frühen Tod am 18. Oktober 1931 zu suchen.

Paris, Sonnenaufgang, 1928

Ein Künstlerleben

Lesser Ury, der am 7. November 1861 in Birnbaum (heute Miedzychód, Polen) in der preußischen Provinz Posen in eine fromme jüdische Kleinbürgerfamilie geboren worden war, hatte eine schwierige und verschlungene Lehr- und Ausbildungszeit durchlaufen, war von Benjamin Vautier an der Akademie in Düsseldorf gefördert worden, erhielt auf Empfehlung Adolph von Menzels 1890 den Beer-Preis der Berliner Akademie, der ihm einen Aufenthalt in Italien ermöglichte, reiste zu Studienzwecken durch halb Europa und konnte sich schließlich ab Beginn der 1890er Jahre im Kunstbetrieb der Reichshauptstadt etablieren.*

Pariser Interieur, 1881

Vielleicht war es dieser steinige Weg zum künstlerischen Erfolg, der Ury zu einer ­sozial kaum verträglichen Persönlichkeit werden ließ, einem Mann, der sich auch nicht davor scheute, mit dem einflussreichsten Künstler seiner Zeit und Großmeister der Malerei Max Liebermann einen langjährigen Streit vom Zaun zu brechen. Liebermann verhinderte es daraufhin fast 20 Jahre lang, dass Ury in der von Liebermann geleiteten und für die fortschrittliche Kunst tonangebenden Berliner Secession ausstellen konnte. Mit zunehmendem Alter wurde Ury immer unkonventioneller, was sein Verhalten und seine äußere Erscheinung betraf. Besuche in seinem Atelier waren nur möglich, indem man von einem der wenigen Vertrauten Urys eingeführt wurde. Auch dann jedoch riskierte der Besucher, vom Künstler grundlos angeschnauzt und aus dem Atelier geworfen zu werden.

Selbstporträt, rauchend im Atelier, um 1912

Ury trug, wenn er seine Wohnung verließ, einen legendär armseligen, verschmutzten Mantel, hatte in der Anzugstasche seine gesamte Barschaft bei sich und meldete sich am Telefon notorisch mit dem Pseudonym „Lehmann“, um sich vor der Außenwelt, der er zutiefst misstraute, zu tarnen.

Kurz nachdem der misanthropische Einzelgänger Lesser Ury gestorben war, fand im November 1931 in der Berliner Nationalgalerie eine umfassende – noch zu Lebzeiten des Künstlers geplante – Einzelausstellung seines Werkes statt, im Herbst 1932 wurde in den Räumlichkeiten der Galerie Cassirer der gesamte Nachlass Lesser Urys versteigert. So gelangte ein großer Teil seines Werkes in Privatbesitz und wurde der musealen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung – auch nach Ende der nationalsozialistischen Kulturdiktatur – entzogen.

im seinem Atelier am Nollendorfplatz 1 vor dem Triptychon Der Mensch (1898), um 1927

Ein Schatz wird gehoben

Nun aber hat man im Baden-Badener Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts Gelegenheit, sich dem Schaffen Lesser Urys zu nähern. Im Wesentlichen aus den Beständen zweier Privatsammlungen sind hier rund drei Dutzend Gemälde sowie Zeichnungen, ein Skizzenbuch, Dokumente und eine repräsentative Auswahl druckgrafischer Blätter versammelt, um Ury als einen ganz außergewöhnlichen Vertreter des deutschen Impressionismus kennenzulernen. Bereits der Titel der Baden-Badener Ausstellung „Lesser Ury und das Licht“ rückt den Maler in den stilgeschichtlichen Kreis der deutschen Vertreter impressionistischer Lichtmaler wie – sein Intimfeind und Antipode – Max Liebermann, Max Slevogt, Lovis Corinth oder Fritz von Uhde. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass er im Unterschied zu den genannten und vor allem auch zu den französischen Großmeistern des Impressionismus nicht ein Maler des hellen Tageslichtes, sondern der künstlichen Beleuchtung der großstädtischen Nacht und ihrer ­Bewohner war.

Nächtliche Szene am Kurfürstendamm mit Blick in Richtung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, um 1925.


In Stadtszenen wie der Schilderung des „Kurfürstendamm mit Blick in Richtung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ von 1925 (Stadtmuseum Berlin) gelingt es Ury, den Schein und Widerschein der zum dunklen Tag gemachten Nacht virtuos zu schildern. Die eleganten Damen, die in luftigen hellen, von den Straßenlaternen erleuchteten Sommerkleidern auf dem Boulevard flanieren, die künstliche Dämmerung des elektrisch erhellten Himmels über Berlin, schließlich die aufgerissenen Lichtaugen der sich auf dem nassen Asphalt spiegelnden Scheinwerfer der Automobile sind die typischen Lichtakkorde, die Ury in unzähligen Variationen seiner vielen Nachtveduten immer wieder neu orchestriert hat.

Bahnhof Nollendorfplatz bei Nacht  1925

Die Gemälde Urys sind Dokumente der Faszination, die das Leben der Metropole Berlin ausstrahlte und zeitgleich in Filmen wie Joe Mays „Asphalt“ (von 1929) oder der Großstadtlyrik Erich Kästners und Bertolt Brechts thematisiert wurde.

Zeuge der Großstadt

Auch in Zeichnung und Druckgrafik erweist sich Lesser Ury als ein Meister des städtischen Nachtstücks. In seiner „Nächtlichen Begegnung in der Tiergartenstraße“ (1919) wird der Raum, in dem sich die Figuren und eine Droschke bewegen, durch die rigide Lichtführung einer Allee von Straßenlaternen definiert, in der Innenraumszene des „Abend im Café Bauer in Berlin“ (1919) ermöglicht die elektrische Beleuchtung den Kaffeehausbesuchern die bequeme nächtliche Lektüre des druckfrischen Abendblatts. Die Gäste der Cafés und Restaurants, die Lesser Ury in seinen Blättern schildert, sind fast immer ganz auf sich selbst zurückgeworfene, monadenhafte Großstadtbewohner, die lesend, rauchend, schreibend oder dösend, aber nie mit anderen kommunizierend als Vorfahren der Bildprotagonisten eines Edward Hopper ihre Nächte durchwachen. Damit repräsentiert sein Bildpersonal wohl oft Spiegelbilder seiner eigenen Persönlichkeit und seines Künstlertums, dessen eigenwillige Originalität nun entdeckt werden will.

*) Dabei ist ihm Liebermann behilflich gewesen. JE

 Budapester Straße oJ

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