Donnerstag, 10. April 2014

Zurbarán in Brüssel.

Ruhig und gefasst trotz misslicher Lage – so malt Francisco de Zurbarán zwischen 1598 und 1664 sein «Agnus Dei» als fast übertrieben wirkendes Chiaroscuro-Ereignis.
aus nzz.ch, 10. April 2014, 07:41                                                                                                      Agnus Dei

Francisco de Zurbarán in Brüssel
König der Wiederholungen 


von Kerstin Stremmel 

Von Malerkollegen schon lange geschätzt, ist das Werk von Francisco de Zurbarán mittlerweile fast so bekannt wie das seiner Zeitgenossen Velázquez oder Murillo. Im Brüsseler Palais des Beaux-Arts werden derzeit fünfzig seiner Werke gezeigt, die die Bandbreite eines produktiven Malers mit grosser Werkstatt demonstrieren. 


Bereits im ersten Raum der umfangreichen Retrospektive von Francisco de Zurbarán im Brüsseler Bozar taucht ein Lieblingsmotiv der meisten Verehrer seines Werks auf: das schlichte Stillleben mit Tasse und erblühter Rose auf einem kleinen Silbertablett. Es befindet sich hier en miniature auf einem Beistelltisch neben dem Krankenlager von Reginald von Orléans, der sich von seinem Bett erhebt, um sich Maria entgegenzubeugen, die sanft seine Stirn berührt. Diese «Wunderheilung» aus dem Jahr 1626 ist ein frühes Bild des 1598 geborenen Malers aus Fuente de Cantos. In einer kühnen Komposition durchschneidet Reginalds Körper das Bild genauso diagonal von unten links nach oben rechts wie der schräg ins Bild gesetzte «Heilige Bonaventura», der leider nicht gezeigt wird: Dieses Bild war das erste, das
Pablo Picasso wählte, als ihn im Jahr 1947 der damalige Direktor des Louvre aufforderte, seine eigenen Werke neben die von ihm geschätzter Maler zu hängen. Künstlerkollegen schätzen Zurbarán seit langem; die Brüsseler Ausstellung mit fünfzig Werken lässt erkennen, was für wen interessant war und ist.

Der Bauernsohn aus der Extremadura

Dient das Stillleben auf dem beschriebenen Bild auch als Symbol der Reinheit der Gottesmutter, sind die Dinge auf dem vier Jahre später entstandenen autonomen Stillleben, das sich, der grob chronologisch geordneten Ausstellung folgend, einige Räume weiter befindet, ihres Zeichengehalts scheinbar entledigt. Auf undefinierter brauner Fläche vor dunklem Hintergrund strahlt die weisse Porzellantasse, die Henkel keck in die Hüften gestützt, und die Rosenblüte ist makellos auf dem schimmernden silbernen Teller placiert. Leider ist in der Ausstellung nur ein weiteres der wenigen Stillleben von Zurbaráns Hand zu sehen, auch dies ein Meisterwerk nach zeitgenössischem Geschmack, der Ethik des Einfachen folgend: Das «Stillleben mit vier Gefässen» ist eine nüchterne Reihung von nebeneinander angeordneten Objekten, wie für ein Familienporträt erfasst, und es lässt selbstverständlich an Giorgio Morandi denken, der erst im letzten Jahr in einer Ausstellung im Bozar präsentiert wurde.


Zwei weitere, deutlich opulentere Obst-Stillleben in der Ausstellung stammen von Zurbaráns früh verstorbenem Sohn Juan, der in die Werkstatt seines Vaters in Sevilla eintrat. Er war einer der vielen Mitarbeiter, die Zurbarán beschäftigte, als seine Auftragslage sich ab Beginn der 1630er Jahre deutlich besserte und er, nach Velázquez' Übersiedlung nach Madrid, zum ersten Maler Sevillas wurde.

 
Juan Zurbarán

Wie steht es nun mit der Einheitlichkeit, die der Kunsthistoriker Carl Justi angesichts Zurbaráns feststellte: «Keine schärfer gezeichnete, homogenere, die Tendenzen spanischen Wesens in dieser Zeit nachdrücklicher zur Schau tragende Gestalt gibt es als diesen Bauernsohn aus der Extremadura»? Nicht zu leugnen sind seine Vorliebe für die Farbe Braun und ein monumentaler Stil, der nicht nur den Wünschen seiner kirchlichen Auftraggeber, sondern wohl auch seinen eigenen Fähigkeiten und einem mönchischen Ideal zugleich entsprach. So sieht man bereits beim Betreten der Ausstellung auf der Stirnseite einer Raumflucht den beeindruckenden «Franz von Assisi», der, anders als die 
kleinformatige erste Fassung, auf die Rahmung des Heiligen durch eine Türöffnung verzichtet. Der Raum wird nur durch den Schatten des in die Betrachtung eines Totenschädels versunkenen Franziskus definiert, die Wirkung erinnert an ein expressionistisches Bühnenbild. Als Beweis für die Suggestivität der Darstellung sei erwähnt, dass tatsächlich drei Besucherinnen auf dem Boden vor Franziskus hockten, in der Hoffnung, ihm in das verdüsterte Gesicht unter die Kapuze schauen zu können.

 
Es gibt von Zurbarán Bilder mit dramatischer Licht-und-Schatten-Wirkung, ihn aber als spanischen Caravaggio zu bezeichnen, verfehlt den Haupteindruck einer gewissen Starre und Gefasstheit fast aller Bilder. Und wie variantenreich Zurbaráns Farbpalette sein konnte, wird bei einigen Bildern heiliger Frauen deutlich: Er zelebriert die Alabasterhaut und die opulente Kleidung der heiligen Casilda, Tochter des muslimischen Sultans Al-Mamún von Toledo, die gemäss der Legende die christlichen Gefangenen der Stadt mit Broten versorgte, die sich bei einer Kontrolle der Wachen ihres Vaters in Rosen verwandelten. Auch das schlammfarbene, aufwendig umsäumte Seidenkleid der heiligen Ursula 

glaubt man knistern zu hören, es setzt sich gewagt vom eng anliegenden blaugrünen Oberteil und vom mit kostbarer Schnalle angebrachten roten Umhang ab. Zwar richtet Ursula den Pfeil auf sich, mit dem sie der Legende nach der Hunnenkönig tötete, aber abgesehen von diesem Detail scheint es sich um das Porträt einer luxusliebenden Dame der besseren Gesellschaft mit Vorliebe für farbenfrohe Kleidung zu handeln.

Sta. Catalina von Alexandria

Maler des Königs – König der Maler

Andere Werke hingegen, etwa die im Jahr 1634 entstandenen Bilder aus dem Herkules-Zyklus, die Zurbarán im Auftrag Philipps IV. am Madrilener Hof für den Salón de los Reinos malte – aus dieser Zeit stammt sein Titel «Maler des Königs», den Philipp angeblich um die Sentenz «König der Maler» erweiterte –, sind wesentlich gröber und stärker auf Fernwirkung hin konzipiert. Das Antlitz des sterbenden Herkules, dessen Leib von den Flammen des Nessoshemdes umzüngelt wird, scheint Goyas grotesk verzerrte Gesichter vorwegzunehmen. Die Landschaften allerdings, die Zurbarán für diese Szenen schuf – in Brüssel ist noch der Kampf mit dem Nemeischen Löwen zu sehen –, sind in einem sanften Chiaroscuro gehalten, das den Bildern einen beinahe romantischen Zug verleiht.


Der sterbende Hercules, 1634

Auch bei anderen Bildern in der Ausstellung beeindrucken vor allem Details: So gibt es auf einer der zahlreichen manufakturartigen Mariendarstellungen, der «Unbefleckten Empfängnis» aus dem Jahr 1661, ein so perfektes Trompe-l'Œil eines Namensschildchens des Malers, dass man glaubt, es sei mit dem durchschimmernden Siegellack am Gemälde befestigt worden, und nachvollziehbar bleibt auch die Begeisterung vieler Autoren für Zurbaráns Stoffvolumina, die reine Abstraktion sind, wenn man selektiv schaut. Doch die Auswahl dieser Details sollte dem Betrachter überlassen werden, was zumindest die Postkartenpolitik des Bozar verhindert. Eine Karte hängt seit Jahren über meinem Schreibtisch, das «Agnus Dei», eine Reproduktion des Bildes aus dem Prado. In Brüssel gibt es leider 

nur das niedlichere Lämmchen aus San Diego [s. Kopfbild] zu sehen, das statt der Hörner einen Heiligenschein und die Inschrift «Tanquam Agnus» trägt, die das Prado-Bild nicht nötig hat. Beide Bilder zeichnet eine feinstoffliche Detailversessenheit aus, die das wollige, schmutzige Fell des Tieres greifbar macht. Auf der Postkarte im Bozar ist das Tier hinten beschnitten worden. Es heisst von Jesus: «Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf.» Schade, dass der Maler sich nicht gegen die Misshandlung durch schlechte Reproduktionen wehren kann. Die zurückhaltende Ausstellungsarchitektur und die verhaltene Beleuchtung kommen Zurbaráns Bildern allerdings zugute, und so strahlt auch eines seiner späten Werke, das den Evangelisten Lukas ergriffen und mit leuchtender Palette vor dem bleichen Leib des Gekreuzigten zeigt, wie von innen heraus. 

Francisco de Zurbarán. Palais des Beaux-Arts, Brüssel. Bis 25. Mai 2014. Katalog € 49.–.

Lucas vor dem Gekreuzigten; wird für ein Selbstporträt gehalten.

Nota.

Der spanische Caravaggio war er nicht? Weil Jusepe Ribera auf den Titel auch Anspruch erheben könnte? Dass seine Bilder so eigenartig statisch wirken, spricht jedenfalls nicht dagegen. Denn "Caravaggist" war er selbst- verständlich, so wie außer Guido Reni jeder Maler damals, der auf sich hielt, sogar Rubens in seinen Anfängen. Und die erwähnte Statik verschafft den Bildern paradoxerweise eine aufgestaute Dynamik wie bei Franz von Stuck; das ist wenigstens so expressionistisch wie der gefeierte Zeitgenosse El Greco.
 
 Hercules kämpft mit dem nemeischen Löwen,1634


 Hercules kämpft mit der lernäischen Hydra; 1634

JE
 

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