Montag, 7. April 2014

Vor vierhundert Jahren starb El Greco.

aus Badische Zeitung, 7. 4. 2014                                                                                        Laokoon, 1610–1614
 
Wo Figuren wie Flammen lodern.

Er ist ein Sonderfall der Kunstgeschichte: Domenikos Theotokopoulos, den wir El Greco, den Griechen nennen, wurde über Jahrhunderte verdrängt und vergessen. Heute gilt er als Vater der Moderne.  

Vor hundert Jahren stand dieser Maler zwischen Renaissance und Barock dann auf einmal in der Väterriege der Moderne. Der Münchner Kunsthistoriker Hugo Kehrer liefert in seiner 1914, zur dreihundertsten Wiederkehr des Todestages, erschienen "Kunst des Greco" eine Begründung für das gesteigerte Ansehen des Malers gerade zu der Zeit. "Mit souveräner Freiheit und oft brutaler Rücksichtslosigkeit" arbeite dieser "von innen nach außen". Ein Expressionist avant la lettre also. "Ein Mann aus der Gegend Rembrandts und uns so nahe wie ein Zeitgenosse" – lässt der brillante Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe hören.

Berg Sinai, Modena, 1570
 

Es ist dieser "Zeitgenosse", vor dem Carl Justi in seinem "Diego Velázquez und sein Jahrhundert" zur selben Zeit warnt. Der Spanienforscher würdigt durchaus die italienische Lehrzeit des Mannes aus Kreta und den Porträtisten Greco auch. Aber dann! Das im spanischen Toledo entstandene Hauptwerk "Das Begräbnis des Grafen Orgaz": ein Bild "in seiner schlimmsten Art". Das spätere Œuvre lässt den Kunsthistoriker erst recht scharf schießen: "wilde Manier, "rasendes Gefuchtel", "grausame Klecksereien". Erklärungen bietet er dafür gleich mehrere an. Er weist den Meister in die Wahnsinnsecke ("pathologische Störung") und schreibt ihm eine "Erkrankung des Sehorgans" zu.


Das Begräbnis des Grafen Orgaz, zwischen 1596 und 1600 

Er unterstellt ihm eine nicht minder krankhafte "Originalitätssucht". Um schließlich noch mit der Deutung zu kommen: "Künstlerisch vereinsamt, sank er." In Italien habe er in der Kunstszene noch einen Halt gehabt. Nicht so in dem "Felsennest" Toledo. 

Die Inbrunst des Ikonenmalers

In diesem Toledo aber sehen wir El Greco doch gerade erst zu sich kommen. In Spanien wird der Grieche unvergleichlich. Eine frühe Tafel, die sich auf der Insel Syros fand, zeigt noch den Ikonenmaler Theotokopoulos. Werke der anschließenden venezianischen Tage machen deutlich, dass für ihn die westliche Kunst noch eine Fremdsprache ist, die er lernt. Vor allem seine Faszination für die Dramatik Tintorettos zeigt er. In Spanien dann mit Mitte dreißig (ab 1576) beginnt die Entwicklung, die ihn zum "Visionären" führt. Zunehmend setzt er die Emotion zur Gestaltung ein. Es ist die Inbrunst des Ikonenmalers, die sich aber nun mit Druck – und den in Venedig und Rom erlernten Mitteln – nach außen wendet. Sie wird zur Quelle seiner Ausdruckskunst.


 
Anbetung der Hirten, um 1614 

Seine Bilder gehen den Betrachter an, fangen ihn ein. Doch will ihr Schöpfer durchaus nicht nur als das Gefühlswunder gelten. Er kalkuliert, was er will. Ein Traktat, das er schrieb, ging verloren. Doch ist seine Kunstanschauung wenigstens fragmentarisch erhalten. In sein Exemplar der Künstlerviten Giorgio Vasaris zum Beispiel trägt er seinen Widerspruch ein. Er ist nicht einverstanden, wie der Florentiner Renaissance-Apostel das Griechisch-Byzantinische sieht. Wenn Vasari es besser kennen würde, er würde es höher einschätzen, da ist er sicher.

Der Hl. Lukas malt eine Ikone der Jungfrau Maria, Syros, zw. 1560 und 1567

Laokoon als Willenserklärung 

El Grecos "Laokoon" der, wie "Die Öffnung des fünften Siegels der Apokalypse", in den letzten Lebensjahren entstand, ist eine klare künstlerische Willenserklärung. Meier-Graefe hatte für den Eigenwillen El Grecos eine treffende feuilletonistische Formel gefunden: "Der Pinsel wird ein Organ des Hirns." In dem "Laokoon", der sich im Nachlass dreifach fand und in einer Fassung erhalten ist, sprengt sein Pinsel die Form der berühmten römischen Marmorgruppe – und den Rahmen jeder klassizistischen Anschauung.

Die Öffnung des fünften Siegels der Apokalypse, zw. 1608 und 1614 

Der Ästhetiker Winckelmann erklärte die antike Skulptur, den mit den Schlangen ringenden trojanischen Priester, als ein Bild des Maßes. "So wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig bleibt", so sieht der Schöngeist selbst in des Laokoons Todeskampf noch Ruhe gewahrt. Greco nimmt den mythologischen Stoff – und widerspricht doch dem bildkünstlerischen Vorbild. Bei ihm ist der Laokoon nicht Träger einer Haltung, sondern hilfloses Opfer. Dem gilt das Mitgefühl. Und Empathie lässt ihn auch den Hintergrund malen, in dem an der Stelle Trojas sein Toledo erscheint.

Toledo, 1597-1599 

Sein "Laokoon" war als Leihgabe von 1911 bis 1913 in München. Hier sah ihn Paul Klee im Kontext einer Ausstellung der Sammlung Nemes mit ihren El Grecos. "Um das Aktuelle zu betonen, will ich mich dem Strom der Pinakothekbesucher anschließen, der sich hinten bei Greco zum tiefen See staut", so der Kritiker Klee in einer Besprechung. Und dies "Aktuelle" dokumentiert im selben Jahr 1911 "Der Blaue Reiter"-Almanach. Da ist von Greco ein ragender "Johannes der Täufer" vis-à-vis einem "Eiffelturm" von Robert Delaunay reproduziert.

Johannes der Täufer, um 1600 

Den Heiligen hatte August Macke den "Onkel" Bernhard Koehler zu kaufen gedrängt; der "Eiffelturm" gehörte dem Sammler ebenso. Und wie der Kubist Delaunay sich zu Greco bekannte, so tat es Franz Marc, der in einem Aufsatz im Almanach den "alten Mystiker" mit Cézanne zusammenbringt. Man könnte viele zusammenzählen, die im Bann Greco’schen Eigenwillens standen, von Picasso bis Beckmann.

Beweinung Christi, um 1565 bis 1570 

Der Greco der lodernden Figuren, der turbulenten Himmel und mit Handlung zum Bersten gefüllten Räume: Er legte den Modernen nah, das Bild als Bild zu sehen, das Kraft, das Überzeugungskraft ganz aus sich selbst gewinnt. Den Glauben an die Magie der Bilder hatte der Grieche sich aus seiner Ikonenmalerzeit bewahrt. Damit half er, einen Mythos neu zu begründen.

 Die büßende Maria Magdalena, um 1580


Nota. 

Im Venedig der Tizian und Tintoretto herrschte eine erbitterte Konkurrenz unter den Malern. Sie suchten sich an Ausgefallenheiten zu überbieten. Auf Teufel komm raus eine eigene Handschrift finden - dazu musste man nicht an krankhafter Originalitätssucht leiden; schlichter Selbsterhaltungstrieb reichte aus.
JE 

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