Dienstag, 8. Juli 2014

Die Neue Nationalgalerie zu Gast in Schwäbisch Hall.

aus Badische Zeitung, 8. 7. 2014                                                                             Kandinsky, Hornform, 1924

Berliner Neue Nationalgalerie in der Kunsthalle Würth
Für fast ein Jahr sind rund 200 Werke aus der Sammlung der Berliner Nationalgalerie in Schwäbisch Hall zu sehen. "Moderne Zeiten" zeigt Gemälde und Skulpturen aus den Jahren 1900 bis 1945

von Hans-Dieter Fronz 

Seit Rimbaud wissen wir, dass es gilt, absolut modern zu sein. Die Stoßrichtung seiner berühmten Losung war eine rein ästhetische, aber irgendwann wandelte sich das Projekt der Moderne in ein Fortschrittsprojekt mit politischen und gesellschaftlichen Implikationen. "Besser leben" stand in großen Lettern über seinem Portal. Als erstes räumten die Modernisten mit allem Überholten auf, dem Schwulst von gestern, der schöngeistigen Beschaulichkeit vergangener Tage, dem Ornament. Das Ergebnis ihrer Aufräumaktion war eine wohltuende Versachlichung, in deren Zentrum freilich Verarmung hauste. Und den Blick nach vorn gerichtet, entwarf die Moderne Utopien, die uns heute frösteln lassen.

Fernand Léger, Les deux soeurs

So trugen Künstler und Architekten, Literaten und Theoretiker ihr Scherflein bei zur Schaffung einer durch und durch rationalisierten, kalt mechanisierten Welt. Dem einzelnen war darin keine andere Rolle zugedacht als die, ein Rädchen im seelenlosen Getriebe zu sein: dem Heidegger’schen Gestell, das in Charlie Chaplins Spielfilm "Modern Times" Gestalt erlangt in dem riesigen Mechanismus aus Zahnrädern, in den der Held in einer Szene von surrealer Sinnfälligkeit gerät. Glanz und Elend der Moderne sind, so gesehen, aufs engste verschwistert.

Modern Times mit Charly Chaplin

Aber die Moderne hatte stets auch ein feines Sensorium für ihre Fehlentwicklungen. Und sie war selbstkritisch genug, sie zu thematisieren – ein Aspekt, der in einer Ausstellung der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall Gewicht erlangt, die Chaplins Film im Titel führt: "Moderne Zeiten". Für annähernd ein ganzes Jahr versammelt sie rund 200 Werke aus der Sammlung der Berliner Nationalgalerie zur Kunst der klassischen Moderne – Gemälde und Skulpturen aus den Jahren 1900 bis 1945, mit starkem Gewicht bei der deutschen Kunst; der Chaplin-Film darf nicht fehlen. Neben berühmten Namen sind weniger illustre bis vergessene Künstler vertreten. Die Schau ist eine süddeutsche Neuauflage des ersten Teils der großen Ausstellungstrilogie, in der die Neue Nationalgalerie vor drei Jahren ihre Sammlung präsentierte. Ermöglicht wurde sie durch die bevorstehende Generalinstandsetzung des Berliner Museums. Für drei bis vier Jahre wird gebaut, und nur kleinere Teile der Sammlung werden in der Zeit in der Stadt zu sehen sein.

Curt Querner, Agitator, 1931

"Melancholische Moderne" könnte der Titel der Schau auch lauten. Die Aufbruchstimmung, die utopischen Intentionen der Moderne bleiben ausgespart; Groteske, Kritik, Anklage und Trauer behaupten demgegenüber das Feld. Skepsis gegenüber Heilsversprechungen jedweder Art und düstere Diagnosen zur modernen Wirklichkeit dominieren. Der "Demonstration" des neusachlichen Malers Curt Querner von 1930 mangelt es an bildsprachlicher Zuversicht, seinem großspurig gestikulierenden "Agitator" von 1931 an Glaubwürdigkeit. Nur Ferdinand Hodlers reformationszeitlicher "Redner" von 1912 zitiert das aufrüttelnde Pathos der Moderne – bereits in der Bildanlage des monumentalen Gemäldes, das die Figur in Untersicht gibt.

Ferdinand Hodler, Der Redner, 1912 

Eine stumme Kritik an der schäbigen Wirklichkeit

Demgegenüber liest sich Wilhelm Lehmbrucks übermannsgroßer "Gestürzter" in Bronze von 1915 als Allegorie gescheiterter Hoffnungen – zugleich als Kommentar auf den Krieg, den Otto Dix und Franz Radziwill als apokalyptisches Geschehen vergegenwärtigen. Noch im Jahr des Kriegsausbruchs malt Ernst Ludwig Kirchner den Potsdamer Platz in Berlin oder die Rheinbrücke in Köln als Stätten klaustrophobischer Verengung . In Lovis Corinths Gemälde "Das Trojanische Pferd" von 1924, einem allegorischen Postskriptum zur Katastrophe des Weltkriegs, steht das Unheil noch vor den Toren.

Lovis Corinth, Das Trojanische Pferd, 1924

Anders als bei George Grosz, der 1926 die vermeintlichen "Stützen der Gesellschaft" in einer höhnischen Parade aufmarschieren ließ, formuliert sich der Zeitbezug in der glänzenden kleinen Galerie von Beckmann-Bildern. Die großformatige "Geburt" von 1937 – eine Schlachthausszene. "Tod", ein Jahr später entstanden – eine Groteske mit nach Baselitz-Manier Kopf stehendem tiergestaltigem Putto, der in die Posaune des letzten Gerichts bläst. Die mediterran in den Bildraum stechenden Lanzen der Agavenblätter in "Meerlandschaft" wiederum schreiben die Gewaltgeschichte seit der Antike insgeheim in die unmittelbare Gegenwart (das Gemälde entstand 1939) fort.

Max Beckmann, Meerlandschaft mit Agaven und altem Schloss, 1939.

Und sind nicht selbst die Glücksverheißungen der Kunst eine stumme Kritik an der schäbigen und desillusionierenden Wirklichkeit? Max Pechstein entwirft in der verführerischen Sinnlichkeit seines ins Exotische gewendeten "Sitzenden Mädchens" von 1910 so gut ein Bild sinnlichen Glücks wie Lehmbruck im wunderbaren "Torso" einer Nackten aus demselben Jahr. Und so Kirchner in der "Stehenden" aus Erle oder Otto Mueller in den "Zwei Mädchen" in abgetönter Leimfarbe. Paula Modersohn-Beckers expressive "Kniende Mutter mit Kind" gibt ein anrührendes Bild elementarer Menschlichkeit. Ihr Früchtestillleben kündet vom Reichtum des Lebens.

Ernst Ludwig Kirchner, Potsdamer Platz, 1914

Aber dann eben auch und insbesondere: Melancholie. Das Schlussbild von Munchs Lebensfries für das Max-Reinhardt-Theater in Berlin führt sie ebenso im Titel wie ein surreales Porträtbild Dalís. In Otto Modersohns "Birkendamm" erfüllt sie die Luft. Und überhaupt ist Schwermut die Signatur der Moderne in ihrer besseren Gestalt. Mehr als ein Hauch von ihr liegt auf Christian Schads "Sonja" in Öl, als Baudelaire'scher ennui auch auf der kleinen Gesellschaft von Lotte Lasersteins Gemälde "Abend über Potsdam" von 1930. Ein Künstler mit dem gleichermaßen sprechenden und verpflichtenden Namen Wilhelm Lachnit malt drei Jahre später die Allegorie eines "Traurigen Frühlings". Während Karl Hofer unterm Eindruck von NS-Diktatur und Krieg die seelische Dimension dieser Gestimmtheit in Gemälden wie "Die Wächter" und "Die schwarzen Zimmer" ins Bild existentieller Unbehaustheit, transzendentaler Obdachlosigkeit vertieft.
 Karl Hofer, Die Wächter
"Moderne Zeiten", Kunsthalle Würth, Lange Straße 35, Schwäbisch Hall. Bis 1. Mai 2015, täglich 10–18 Uhr.



 

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