Mittwoch, 19. November 2014

Der Jugendstil-Gestalter Hans Christiansen.

aus nzz.ch, 19. 11. 2014                           Frauenakt mit schwingendem Schleier in Kreisscheibe, Entwurf für eine Bonbonniere 1898

Farbenprächtig und hochpoetisch 

von Karin Leydecker

Bei der Gründung der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt war der Jugendstil-Gestalter Hans Christiansen ein Pionier der ersten Stunde. Erstmals ist dort nun in einer umfassenden Retrospektive sein vielseitiges Schaffen zu sehen.

Die Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt gilt als ein gebautes Manifest der grossen Utopie einer Synthese aus Kunst und Leben. Massgeblich geformt haben es sieben eigens von Grossherzog Ernst Ludwig auserwählte Künstler, die hier mit komplett durchgestalteten Künstlerhäusern die «ästhetische Innovation des Menschen» einläuteten. Der Erstberufene der «Darmstädter Sieben» war Hans Christiansen (1866–1945), der mit seinen wegweisenden Titelbild-Illustrationen für die Zeitschrift «Die Jugend» schon sehr früh das Bild des Jugendstils in Deutschland geprägt hatte.

Andromeda, Entwurf für ein Titelblatt der Münchner Zeitschrift «Jugend», (1898)

Obwohl Christiansen auf der Mathildenhöhe als genuiner «Gesamtkunstwerker» in Architektur, Malerei und angewandter Kunst sowie als virtuoser Inszenator von Lichterfesten wirkte, ist sein Name neben prominenten Mitstreitern wie Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens heute verblasst.

Facettenreiche Persönlichkeit

Die Mathildenhöhe rückt nun mit einer längst überfälligen Retrospektive die facettenreichste und farbigste Persönlichkeit der Künstlerkolonie in den Blickpunkt. Die chronologische und sämtliche Schaffensperioden illustrierende Schau im «Museum Künstlerkolonie» präsentiert ein vielfältig inspiriertes Œuvre: Das Kunstgewerbe des späten 19. Jahrhunderts spielt herein, die Glaskunst von Louis Comfort Tiffany, Motive japanischer Farbholzschnitte, die Plakatkunst von Toulouse-Lautrec sowie die Malerei der Nabis. Synästhetischer Jugendstil pur: farbenprächtig, erotisch und hochpoetisch.

Bauchige Vase und Deckel mit Margeritendekor und blauen Blättern auf grünem Fond («Küchentopf»)

Hans Christiansen, der seine Karriere als Dekorationsmaler in Hamburg begann, an der berühmten Pariser Académie Julian fundiertes Handwerk lernte und im fruchtbaren Klima des Pariser Fin de Siècle zur dynamisch-floralen Stilisierung fand, verhalf dem Jugendstil prinzipiell zum Durchbruch. 1899 von Grossherzog Ernst Ludwig als Professor nach Darmstadt berufen, entfaltet er bei der ersten Ausstellung der Künstlerkolonie 1901 sein schöpferisches Talent, indem er seine Entwürfe freier und angewandter Kunst souverän verbindet. Und er baut sein «Haus in Rosen»: «Hier soll kein Alltagsmensch wohnen, aber einer, der seine Welt für sich hat und sich sein Nest nach seiner Meinung und seiner Individualität geschaffen hat.»

Haus in Rosen

Dieses «Totalkunstwerk», das Christiansen von der Kaffeetasse bis zum Empfangskleid für die Dame des Hauses starkfarbig und reich mit Rosenmotiven durchkomponierte, war eine Liebeserklärung an seine Frau Claire, geborene Guggenheim, die er in Paris geheiratet hatte. Überall Rosen, überall Claire! Im zeitgenössischen Urteil wirkt die Villa «selber wie ein Rosenstrauss, wie eine ungeheure Blütengarbe». Leider ist dieser einzigartige Entwurf einer ästhetizistischen Enklave in der Ausstellung nur per Diaschau und historische Dokumente erlebbar: 1944 wurde die Villa beim britischen Luftangriff auf Darmstadt stark beschädigt und in den 1950er Jahren abgerissen.

Exklusivmodell der Lebensreform

Christiansens «Villa in Rosen» war – wie alle anderen Künstlerhäuser auf der Mathildenhöhe auch – ein Exklusivmodell der Lebensreform. Ökonomischen Erfolg brachte die Musterschau nicht, sie etablierte aber dauerhaft den Einfluss Darmstadts in Architektur und Kunsthandwerk. In diesem Kontext ist Hans Christiansen äusserst erfolgreich und brilliert international auf Ausstellungen wie zum Beispiel der Weltausstellung 1904 in St. Louis. Aber schon 1911 verlässt er wegen interner Querelen die Künstlerkolonie Mathildenhöhe und übersiedelt ins mondäne Wiesbaden.

Wohnzimmer

Obwohl sich Christiansen auf den ersten Blick formal immer noch treu bleibt, bekommt die künstlerische Identität Risse. Bestes Beispiel dafür sind seine beiden ausgeführten und konzeptionell völlig konträren Möbelentwürfe für die Wiesbadener Wohnung: der «Goldene Salon» im pompösen Neo-Empire und der «Schwarze Salon» im geometrisch strengen Wiener Jugendstil. Eine einmalige Gelegenheit wäre es gewesen, in der Darmstädter Schau beide Christiansen-Entwürfe nun erstmals im Original und im Kontrast nebeneinander zu zeigen. Aber weil das Kölner Museum für Angewandte Kunst sein schwarzes Exemplar nicht ausleihen mag, bleibt dem Besucher leider nur das halbe Vergnügen.

Sofa aus dem Goldenen Salon (1910-1911)

Das Dekorative und Formschöne dominiert auch Christiansens Arbeiten in Wiesbaden. Typisch bei seinen Entwürfen für Textilien, Tapeten und Gebrauchsgegenstände sind schwungvolle Linien, vegetabile Formen und Bildkompositionen mit ornamentaler Rahmung, in die erzählerische Motive eingebunden werden. Aber die Götterdämmerung der schönen Künste in den 1920er Jahren macht ihn zusehends orientierungslos. Seine Mode- und Schmuckentwürfe, die Zeichnungen und die Plakatkunst zeigen nun eine erstaunliche stilistische Vielfalt, die vom Art déco über den Expressionismus bis hin zur Neuen Sachlichkeit reicht. Virtuos orientiert er sich an den Vorgaben des jeweiligen Auftraggebers, aber zu einer neuen prägnanten Handschrift findet er nicht.

aus der Ausstellung

Ein grosser Kunsthandwerker

Die aufbrandende Industriekultur und die Ideale des neugegründeten Deutschen Werkbundes bleiben dem Romantiker Christiansen geistig fern. Im Dritten Reich erhält er Berufsverbot, weil er sich von Claire, seiner jüdischen Frau, nicht scheiden lässt. Vereinsamt und verarmt stirbt Hans Christiansen kurz vor Ende der Hitlerdiktatur. Wie in Darmstadt zu sehen, hat er bis zuletzt im Geheimen an lichten Landschafts- und Gartenimpressionen gearbeitet und an eines fest geglaubt: «Meine Zeit wird schon noch kommen.» Die Mathildenhöhe feiert nun die Wiederentdeckung eines der grössten Kunsthandwerker des 20. Jahrhunderts.

Bis 1. Februar 2015, anschliessend im Bröhan-Museum Berlin und in der Villa Stuck München. Katalog: Hans Christiansen. Die Retrospektive. Hrsg.: Ralf Beil. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2014. 216 S., € 29.–.

Dessert-Teller mit blauem und grünem Blattdekor (1901)

1 Kommentar:

  1. Hier noch ein weiteres Gemälde des Jugendstilkünstlers Hans Christiansen
    https://www.lotsearch.de/lot/christiansen-hans-landschaft-am-see-mit-pavillon-35333427

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