Montag, 17. November 2014

Männliche Gesichter.

aus Die Presse, Wien, 22.10.2014                                                                 Bildnis des Brixener Domherrn Gregor Angrer 1519

Männliche Gesichter sind nicht überall attraktiv
Werden bei der Wahl – der sexuellen wie der politischen – harte Züge bevorzugt? Es hat sich oft gezeigt, aber man hat immer nur in Gesellschaften unseres Typs analysiert. Anderswo ist es ganz anders.
       

Männlich muss ein Männergesicht sein, kantig und hart, wenn es gewählt werden will, sowohl von den Frauen als auch in der Politik. Dort haben Kandidaten mit „Babyface“ – rundes Gesicht, große Augen – kaum Chancen, es hat sich bei Wahlen in den USA wieder und wieder gezeigt. Und von dort und anderen hoch entwickelten Ländern stammen auch die Laborexperimente, die bei der Sexualwahl durchgängig zeigen, dass Männer an Frauen weibliche Gesichter als attraktiver empfinden und Frauen bei Männern männliche.

Burt Lancaster

Alle diese Befunde stammen also von WEIRDs – „western, educated, industrialized, rich, democratic“ –, aber dieser Umstand ist bisher kaum aufgefallen, schließlich geht es ja auch in der Natur bei der Sexualpartnerwahl der Weibchen um die Männlichkeit bzw. ihre Zeichen, das große Geweih etc. Aber nun hat Psychologe Ian Penton-Voak (Brunel University) doch einmal breiter nachgesehen: Man hat 982 Testpersonen aus zwölf Völkerschaften ins Labor gebeten – Briten, Kanadier und Chinesen waren dabei, aber auch Angehörige winziger Stämme in Nicaragua (Miskito), Namibia (Tchimba) und Zentralafrika (Aka) – und ihnen Fotos von Männern und Frauen vorgelegt, die stammten aus vielen Kulturen und waren mit dem Computer so bearbeitet, dass ihre Züge entweder männlich waren oder weiblich oder neutral.

Girolamo Macchietti, Lorenzo de' Medici

Miskito wählen anders als Britinnen

Dann wurde die Einschätzung der Attraktivität abgefragt, und die der Aggressivität. Das ergab bei der Sexualwahl ein ganz anderes Bild als das allein an WEIRDs erhobene: Beim Blick der Männer auf Frauen überwog zwar die Bevorzugung weiblicher Züge, nur die Aka und Tchimba und Shuar (Ecuador) zeigten keinerlei Präferenzen. Aber beim Blick der Frauen auf die Männer geriet alle Schulweisheit durcheinander: Die Frauen der Miskito und Shuar bevorzugten weibliche Züge in Männergesichtern, in vielen anderen Gesellschaften lagen neutrale Gesichter an der Spitze, und das herkömmliche Bild – hart und kantig – lag fast nur in Kanada, Malaysia und Großbritannien vorn (Pnas, 20.10.).

Naumburger Meister

Nicht ganz so deutlich war es bei der Einschätzung der Aggressivität: Die wird überall männlichen Gesichtern zugesprochen, aber am stärksten ist das Urteil in fortgeschrittenen, dicht besiedelten Regionen: „Präferenzen für geschlechtstypische Gesichter sind ein neues Phänomen von modernen Umwelten, vor allem von großen, städtischen Gesellschaften“, schließen die Forscher: „Sie ziehen sich nicht durch die gesamte Geschichte.“ Aber warum sind die WEIRDs so seltsam? Darüber kann Penton-Voak nur „karg spekulieren“: Es liege an der „visuellen Diät“, dem, was einem vor Augen kommt: In den großen Städten sieht man mehr Menschen mit mehr unterschiedlichen Gesichtern, die schärfen den Blick des Betrachters für Feinheiten.

Caracalla

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