Sonntag, 22. März 2015

Die Kunst eines Jasagers.

Der Schweizer Künstler Hans Erni, aufgenommen im Februar 1969 in Meggen. Der Maler und Bildhauer wurde am 21. Februar 1909 in Luzern geboren und starb am 21. März 2015 ebenda.aus nzz.ch, 22.3.2015, 16:13 Uhr

Zum Tod von Hans Erni
Ein Naturtalent

von Matthias Frehner

Genau einen Monat nach seinem 106. Geburtstag ist der Luzerner Kunstmaler und Grafiker Hans Erni am 21. März gestorben. Als Künstler war Erni umstritten: Technisch ohne Zweifel hochbegabt, waren seine Werke vielen doch zu gefällig – ihr Publikum fanden sie dennoch.

Interviewpartnern, die ihn über sein «Schaffensziel als Maler» befragten, pflegte Hans Erni kurz und bündig zu antworten: «Erfreuen – Nützen.» Diese beiden Begriffe «umschreiben meinen beweglichen Standort irgendwo auf dem Weg zum Nächsten». Erni wollte verstanden werden. Dass ihm sein Publikum folgte, war die Grundvoraussetzung seiner schöpferischen Aktivitäten. Er schaffe, schrieb Hans-Jörg Heusser 1983, «eine Kunst, die man verstehen kann, ohne etwas von Kunst zu verstehen». Nichts war er weniger als ein Rufer in der Wüste, nie war er einsamer Vorkämpfer, Avantgardist nur so lange, als er sich akzeptiert wusste. Seine Künstlerkollegen, die ihn um seinen Erfolg unisono beneideten, haben ihm aus seinem Anspruch auf Verständnis den Strick des Anpassertums gedreht und sich damit auf eine ebenso eindimensionale Ebene begeben wie seine breite Gefolgschaft, die ihn, «ohne etwas von Kunst zu verstehen», zum Nationalkünstler kürte.
Stillleben mit Wasserkrug 1933

Kontroverse Meinungen

In der Schweizer Kunst des 20. Jahrhunderts ist Erni ein Phänomen. Seit der Schweizerischen Landesausstellung von 1939 war er ihr populärster Künstler, den man, wie E. Y. Meyer 1977 festgestellt hat, «fast immer mit den Arbeiten beauftragt, die irgend etwas mit dem nationalen Ansehen zu tun haben», mit Wandgemälden, Plakaten, Postwertzeichen, Schulwandbildern. Seine Pferde, seine sportlichen Griechinnen und Griechen fanden in allen Bevölkerungsschichten Verbreitung. Lithographiert nobilitierten sie die falschen Stilinterieurs normierter Wohnungen, gezeichnet und gemalt demonstrierten sie die klassische Bildung vornehmer Villenbesitzer. Erfreuen – Nützen: Über sein umfassendes Engagement hinaus dachte Erni auch an sich. Diese athletischen Helden hat ein Narziss gemalt.
Komposition 15. 1934

Über keinen anderen Schweizer Künstler sind die Meinungen so kontrovers. Seine stilistische und inhaltliche Allgemeinverständlichkeit war all jenen, die Kunst mit Können gleichsetzen, schlüssiger Beweis, dass die anderen Künstler nichts konnten. Im Kreis der Experten jedoch erwies sie sich als Bumerang. Erni erkämpfte sich den offiziellen Erfolg, nicht aber die Achtung der Kunstgeschichtsschreibung. Für sie war er ein Leichtgewicht, einer, der den Leuten nach den Augen zeichnete. Als einziger Schweizer Künstler unseres Jahrhunderts hat er es zu Lebzeiten zu einem eigenen Museum gebracht. Allerdings ist es Teil des Luzerner Verkehrshauses.
Neue Satelliten 1937 

Die Kunst war Hans Erni nicht in die Wiege gelegt. Der 1909 Geborene wuchs in Luzern auf als eines von acht Kindern eines Schiffsmaschinisten auf dem Vierwaldstättersee. Seine Lehre als Bauzeichner führte zu ersten Kontakten mit der Kunst. 19-jährig reiste er nach Paris an die Académie Julian. Zeichnen, Malen, Gestalten stellten ihm in technischer Hinsicht von Anbeginn an keine Probleme. Erni war ein Naturtalent, einer der ganz wenigen Virtuosen unter den Schweizer Künstlern, dem nichts leichter fiel, als das Schwierigste vom Blatt zu spielen. Am eindrücklichsten offenbarte sich diese Begabung in der Zeichnung. Man hat seinen Strich mit Picasso und Matisse verglichen. Erni besass die Gabe, das Wesentliche in einem Strich zu erfassen, nicht aber den schöpferischen Ehrgeiz, daraus etwas Neues zu kreieren.
Bios 1941

Auf der konstruktivistischen Klaviatur

In Paris, Berlin und wiederum in Paris eignete er sich in den frühen dreissiger Jahren in kürzester Zeit ein breites Stilvokabular an. Unter dem Pseudonym «François Grècque» malte er frisch und sicher im Stile von Braque und Picasso. Eigenständigkeit erreichte er auf der konstruktivistischen Klaviatur. Die grossen Ausstellungen zum Thema «Dreissiger Jahre Schweiz» von 1981 in den Kunstmuseen von Zürich, Winterthur und Aarau unterstrichen mit aller Deutlichkeit, dass Erni als Konstruktivist zu diesem Zeitpunkt Max Bill Ebenbürtiges geleistet hat. Erni war Mitglied der Pariser Künstlergruppe «Abstraction-Création», 1935 massgeblich an der programmatisch-ungegenständlichen Ausstellung «These – Antithese – Synthese» im Kunstmuseum Luzern beteiligt, 1937 Gründungsmitglied der Zürcher Künstlervereinigung «Allianz».
Ikarus Lilienthal II, 1941

Im Verlauf der dreissiger Jahre verstärkte sich der Druck auf die Künstler zusehends. Man drängte sie, angesichts der Gefahr von aussen Stellung zu beziehen: So forderte Peter Meyer 1936, jeder Künstler solle «nützen, helfen, bessern und seinen Zeitgenossen in der Verworrenheit des Alltags eine Harmonie zeigen». Wer sich nicht einer spezifisch schweizerischen Gegenständlichkeit zuwandte, wurde als Nihilist gebrandmarkt. Erni verstand das Signal. Von seinem sozialistischen und kommunistischen Engagement sagte er sich schleunigst los. Dass er sich später damit entschuldigte, Konrad Farner habe seine «humanitären Gefühle», seine «Sensibilität» und «bescheidene Herkunft» bewusst missbraucht, war unfair. Erni war ein ausserordentlich begabter Künstler. Erfolg war sein Ziel. Seine Kehrtwendung um 180 Grad erinnerte an Gustav Gründgens.
André Bonnard und die Sphinx 1953

Aufträge setzten in den späteren dreissiger Jahren das Bekenntnis zur Schweizer Tradition voraus. Keiner reagierte so wendig wie Erni. 1935 gewann er den Wettbewerb für ein Wandbild im Luzerner Bahnhof mit der Darstellung eines altertümlichen Dorfplatzes, auf dem sich Trachtenmädchen und -burschen tummeln. Zu seiner Rechtfertigung notierte er im Bild: «Eigentlich» male er abstrakt, aber die Not dränge ihn zu gefallen. Daneben entstanden weiterhin konstruktive und organisch-surrealistische Kompositionen. 1939 war er dann soweit: Mit seinem 500-Quadratmeter-Bild «Die Schweiz, das Ferienland der Völker» war Erni der Held der «Landi». «Die Vielschichtigkeit der zu bewältigenden Themen in diesem Fresko sprengte den einengenden Rahmen der ungegenständlichen Malerei», erklärte er 1981. Man ist versucht, daraus den Schluss zu ziehen, Erni habe die Avantgarde aufgegriffen, aber letztlich nicht begriffen. Auf keinen Fall war er – wie selbstverständlich Bill – von ihr ergriffen.
Rast neben einem Elefantenkopf, 1973

Gewinn aus der Moderne

Dennoch hat er aus der Moderne Gewinn gezogen. Im «Ferienland der Völker» bediente er sich geschickt des Collageprinzips, um Tradition und Technik zu verbinden, und später wurde die Kombination frei schwingender, teilweise abstrakter Linien mit gegenständlichen Flächenformen zu seinem Markenzeichen. Prodesse et delectare: Erni hat sich ganz mit der Schweiz identifiziert. In unzähligen Abstimmungsplakaten hat er seinen bürgerlichen Realismus für erreichbare Ziele eingesetzt: 1942 für die Anbauschlacht, 1946 für das Frauenstimmrecht, 1947 für die Einführung der AHV, 1954 für eine Welt ohne Atomkrieg, 1961 zum Schutz des Wassers.
Laokoon 1977

Zum 100. Geburtstag von Hans Erni zeigte das Kunstmuseum Luzern im Sommer 2009 eine grosse Ausstellung – und unternahm dabei auch den Versuch, überraschende Facetten in dem während mehr als achtzig Jahre entstandenen Werk zu entdecken. Trotzdem wurde die Schau mit grosser Zurückhaltung aufgenommen. Bei der Eröffnung sagte der Kurator Peter Fischer, heute Direktor des Zentrums Paul Klee in Bern, Erni habe die Ansprüche erfüllt, die ein breites Publikum an die Kunst stelle. Das hat er zweifellos – und er hat ein äusserst umfassendes Werk geschaffen, auch weil er bis zuletzt nicht müde wurde, täglich neue Kunst zu produzieren. Noch an seinem 106. Geburtstag vor einem Monat betonte er, dass er sich einen Tag ohne Zeichnen nicht vorstellen könne. Am vergangenen Samstag hat Hans Erni den Stift für immer aus der Hand gelegt.
Baum der Erkenntnis 1978

Ernis Weg verlief gegenläufig zur Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst. Die Beschäftigung mit seinem Werk und seiner Person wirft Licht auf eine noch wenig erforschte Facette der Kultur. Ernis Position war die des Jasagens, die der Avantgarde kein Thema war.
Nuklearer Winter 1986
Von der Qualle umfangen 1990
Selbstporträt 1993
Clean Energy 1999
Gefährdeter Gletscher 2009

Nota. - So kitschig und gefällig finden Sie das gar nicht? Ja, die Bilder hat ein wohlmeinender Kenner ausgewählt: Er hat den Mist weggelassen. Glauben Sie's nur, der hat Sachen gemacht, die Ihnen das Wasser in die Augen treiben, ich werde darauf zurückkommen. Ob Erni ein bedeutender Maler ist, kann ich nicht beurteilen. Aber ein höchst bedeutsames Phänomen der Kunstgeschichte ist er auf jeden Fall.

Lesen Sie morgen an dieser Stelle:
Das Werk des Verschmähten.





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