Freitag, 20. März 2015

Musste der Impressionismus sein?

aus Tagesspiegel.de, 14. 3. 2015                                                                               Monet, Le déjeuner, 1868

Frankfurter Städel Museum
Auf den Punkt

von Bernhard Schulz

Das Frankfurter Städel Museum, das am heutigen Sonntag sein 200-jähriges Bestehen feiert, besitzt tatsächlich ein Hauptwerk des frühen Impressionismus, von dem aus sich die Geschichte nochmals neu und anders erzählen lässt. So ist es berechtigt, dass sich das Haus mit einer opulenten Geburtstagsausstellung feiert. Ohne Zweifel wird auch diese Veranstaltung zur französischen Moderne des späten 19. Jahrhunderts ein Publikumserfolg werden, nun eben unter dem Titel „Monet und die Geburt des Impressionismus“.

Das Städel Museum, diese durch und durch bürgerliche Schöpfung und unter ihrem agilen Direktor Max Hollein erneut an der Spitze bürgerschaftlichen Engagements hierzulande, nennt das Gemälde „Das Mittagessen“ von Claude Monet (1840-1926) sein eigen [s. o.]. Es stammt aus dem Jahr 1869 – mithin ein impressionistisches Werk avant la lettre. Denn als Impressionisten wurden erst die Maler bezeichnet, die 1874 im Pariser Atelier des Erfolgsfotografen Nadar ausstellten, und dies unter dem nichtssagenden Titel „Erste Ausstellung der Gesellschaft von Malern, Bildhauern, Radierern etc.“. Die geläufige Story, der Name sei Monets Gemälde „Impression: Sonnenaufgang“ von 1872 entlehnt worden, gehört ins Reich der Legenden. Der Name sei – so der Frankfurter Kurator Felix Krämer – bereits im Schwange gewesen, bevor die immerhin dreißig Künstler bei Nadar ausstellten. In den Rezensionen ist dann 1874 schon wie selbstverständlich von „den Impressionisten“ die Rede.
Monet, Mittagessen - Dekorative Tafel 1873

Monets „Le déjeuner“ ist ein Großformat, wie es der Maler selbst nur noch ein weiteres Mal ausführte; bezeichnenderweise mit dem Gemälde „Das Mittagessen: dekorative Tafel“ von 1873, das ausdrücklich die innerhalb der kurzen Zeitspanne seit dem Erstling erreichte Entwicklung demonstrieren sollte. Das Zweitbild zeigt, was wir gemeinhin unter Impressionismus verstehen: die flirrenden, punkt- und strichartig gesetzten Farben, in denen sich die realen Gegenstände zu subjektiven Eindrücken, eben „Impressionen“ auflösen, um erst auf der Netzhaut des Betrachters wieder zu physischer Realität zurückzufinden. Der Erstling von 1869 hingegen ist alles andere als impressionistisch, er deutet die kommende Malweise allenfalls zaghaft an.
Monet, Le déjeuner sur l'herbe, Studie,1865

Beide Gemälde zählen zu den Höhepunkten der Städel-Gala rund um Monet. Von seiner Hand stammt die Hälfte der gezeigten Gemälde, und so kommen nun die übrigen Impressionisten denkbar (zu) kurz. Kurator Krämer hat seine Sorgfalt vielmehr darauf verwandt, die Ahnherren des Impressionismus zu würdigen, also die vorangehenden Landschafts- und Freiluftmaler insbesondere der sogenannten Schule von Barbizon. Corot, Millet, Daubigny, sie hatten den Weg gebahnt, den die Impressionisten beschreiten sollten, wenn auch, wie Monets in Frankfurt so reich wie selten zuvor präsentiertes Frühwerk belegt, erst im Laufe einer stürmischen Entwicklung.

Jean-François Millet Paysage de printemps avec arc-en-ciel

Es sind diese Anfangskapitel, in denen die Ausstellung ungemein präzise Einsichten in die titelgebende „Geburt des Impressionismus“ gewährt. Die weiteren Abteilungen arbeiten dann eher die herkömmlichen Aspekte des Impressionismus ab: die bevorzugten Themen in Natur, Stadt und städtischer Peripherie, dazu die Vergnügungen an den nahen Ausflugszielen der Seine-Dörfer und den ferneren der normannischen Küste. Bemerkenswert viele Werke entstammen der eigenen Sammlung und sind frühe, mutige Ankäufe. Als Hauptleihgeber fungiert das überaus großzügige Pariser Musée d’Orsay, und die weiteren Leihgaben sind Leckerbissen aus aller Welt.

Charles François Daubigny, Titel?

Das Ergebnis wirkt im Folgenden ein wenig wie ein illustriertes Lehrbuch, auch wenn einzelne Werke grandios sind – und ein großes Glück für den Besucher, sie an einem Ort vereint zu sehen. Beispielsweise zwei der zahlreichen Arbeiten, die Monet 1877 im damals ultramodernen Bahnhof Saint-Lazare anfertigte, von wo aus das Bürgertum in die Ferien fuhr. Monet stellte sich zwischen die Gleise, um den Rauch der Lokomotiven malerisch geradezu einzuatmen und in ihm alle Dingformen aufzulösen. Dann die Serienbilder, die allerdings erst im Atelier vollendet wurden, einmal von der Westfassade der Kathedrale von Rouen, der gegenüber sich Monet eingemietet hatte, um die wechselnde Farbwirkung der Tageszeiten zu studieren. Zum anderen die Londoner Nebelbilder über die Themse mit ihren Brücken hinweg: Schöner und farbiger ist der berüchtigte Smog nie verklärt worden.


Monet, Waterloo Bridge

Die Fotografie dokumentiert, die Malerei interpretiert.

Im Jahr der ersten gemeinsamen Ausstellung bei Nadar – bewusst als Antithese zum von Gebrauchsmalerei überquellenden, alljährlichen „Salon“ konzipiert – vollendete Monet die Ansicht des „Boulevard des Capucines“. Wie mit einem Teleobjektiv zusammengedrängt, erscheinen Passanten, Straßenbäume und Pferdedroschken, während links die Fassaden allerneuester Wohnhäuser aufragen. Es ist dies ein Programmbild sowohl der neuen Malerei wie der neuen (groß-) bürgerlichen Gesellschaft von Baron Haussmanns radikalem Stadtumbau.

Monet, Boulevard des Capucines

Wie spannend müsste es sein, ein Hauptwerk von Gustave Caillebotte dagegenzustellen, dem Maler und Mäzen des Impressionismus. Doch der enigmatische Caillebotte bleibt in Frankfurt außen vor. Und auch Edouard Manet, der doch von den Zeitgenossen als Haupt der neuen Schule anerkannt wurde, ist nur spärlich vertreten. Wenn auch mit der selten zu sehenden Ansicht der Pariser Weltausstellung von 1867, die in der bewussten Verzerrung der Proportionen und der Auflösung der Gegenstände einen anderen, radikaleren Zugriff auf die Abbildfunktion der Malerei darstellt.


Manet, Weltausstellung 1867

Dafür aber wartet die Ausstellung mit einer höchst instruktiven Ergänzung auf. In zwei Kabinetten sind zeitgenössische Fotografien, die in ihrer unglaublichen Detailschärfe verständlich machen, warum es den Impressionismus geradezu geben musste. Die Fotografie vereinnahmt die Aufgabe der Dokumentation; der Malerei blieb die Interpretation.


Étienne Clémentel, Monet and his Garden 1918 

Durch den Krieg mit Preußen und den Sturz des zweiten Kaiserreichs verzögerte sich die längst geplante Gemeinschaftsausstellung der von der Jury des Salons zurückgewiesenen Neuerer (denen ausgerechnet Manet niemals angehören wollte). Monet jedenfalls hielt sein Mittagessen-Bild für so zentral, dass er es fünf Jahre nach Fertigstellung bei Nadar präsentierte. Fünf Jahre – eine Ewigkeit in der Geschichte des Impressionismus. Claude Monet ist darin nicht der einzige Geburtshelfer, doch eine Zentralfigur allemal. Und das Städel feiert nicht nur ihn, sondern zugleich sich selbst für seine beneidenswerte Ankaufspolitik.

Frankfurt/Main, Städel Museum, Schaumainkai 63. Bis 21. Juni, Katalog 39,90 €. – Mehr Infos sowie eine App mit vollständigem Audioguide: www.staedelmuseum.de



aus Badische Zeitung, 18. 3. 2015                                                            Claude Monet, Der Bahnhof Saint-Lazare, 1877


Von Wind und Welt

von Volker Bauermeister

200 Jahre wird das Museum, und die Ausstellung, mit der das Jubiläumsjahr beginnt, ist für sich allein schon eine Feier. Ein Stück Selbstreflexion zudem. "Monet und die Geburt des Impressionismus" erzählt Pariser Kunstgeschichte – und geht von der Frankfurter Sammlung aus. Vor rund einem Jahrhundert, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, hatte Direktor Georg Swarzenski – gegen den herrschenden Kunstgeschmack im Kaiserreich – das Städel um französische Impressionisten bereichert.


Corot

Die Schau zum frühen Impressionismus beginnt jetzt mit einem Vorspiel: im Wald von Fontainebleau, vor den Toren von Paris, wo eine Gruppe von Künstlern eine neue, intime Nähe zur Natur suchte . Bei Corot, Daubigny und Co. lernten sie Sehen – die kommenden Impressionisten. "Der Wald ist herrlich", rief der junge Claude Monet dem Freund Bazille zu.

Monet, in Paris geboren, doch in Le Havre aufgewachsen, hatte an der Seite des Marinemalers Boudin das Freilichtmalen gelernt – die Distanz zum geschlossenen Atelierraum schon eingeübt. In den 1860er Jahren wird für ihn und für die, die ihm nah sind, dann auch die Großstadt, die Stadtlandschaft, zum Experimentierfeld. Édouard Manet malt 1867 das Getriebe auf dem Gelände der Weltausstellung. Monet vom Louvre aus den bevölkerten Quai an der Seine. Das Museum lässt er buchstäblich hinter sich. Traut seinen Augen. Malt nicht mehr, was er weiß – oder die Alten Meister ihm sagen.


Boudin

Ein früher Höhepunkt der Frankfurter Inszenierung ist das hauseigene "Mittagessen" (1868/69), mit dem ein schlicht alltägliches Ambiente, das Esszimmer im Hause Monet, zum Paradestück emanzipierter Malerei wird; die Liebe zu den optischen Reizen lebt sich ungehemmt darin aus. Ein paar Jahre darauf malt Monet ein neues, in allem noch weitergehendes "Mittagessen", diesmal draußen im Freien. Ein Großformat wieder, doch kein Figurenstück mehr: eine flirrende, von Licht geflutete Raumstudie.


Monet, Le Déjeuner sur l'herbe, 1865

Schon die frühere, im Städel bewahrte "Mahlzeit" fand vor der Jury des Pariser Salons keine Gnade. Wie zur selben Zeit das in Schulternähe zu Auguste Renoir entstandene "La Grenouillère", das dem Ort der Handlung, dem Badeplatz und "schwimmenden Café", das schönste, leichtgewichtigste Denkmal setzt. "Damals konnte die Welt noch lachen", erinnert sich Renoir. Nicht anders wollte man sie. Und heiter illusionistisch spielen die Wellen von "La Grenouillère" noch heute um die Schuhspitzen des Bildbetrachters.


Monet, La Grenouillère

Vom etablierten Kunstbetrieb abgestraft, engagierten sich Monet und die Seinen für alternative Formen der Selbstdarstellung und Vermarktung.

Eine kleine Feier der Sinne

Im April 1874 wurde in Paris die Ausstellung eröffnet, die als erste Impressionistenschau in die Geschichte einging. Monet war mit einem Bild beteiligt, das er vorher am Ort der Ausstellung gemalt hatte, im Blick von oben auf den Boulevard des Capucines. Der Darstellungsmodus, das provokante Farbgefleck, ist die exakte Entsprechung zum flüchtigen Fensterblick – zur Flüchtigkeit des Hin und Her da auf der Straße. Malerei des gestalteten Eindrucks ist der Impressionismus: Er kennt keine Ewigkeit, keine Wahrheit jenseits des subjektiven Erlebens. Für den Betrachter ist die impressionistische Momentaufnahme eine Einladung zur visuellen Partizipation. Die Distanz von rund 150 Jahren lässt sie glatt vergessen.


Monet, Sonnenaufgang, Impression, 1872 (nicht das, was im Salon hing)

Der pointierte Augenblick – für den Impressionisten ist er Glücksmoment, eine kleine Feier der Sinne jedes Mal. Die Welt weht leicht und unvermittelt auf die Leinwand, so sieht es aus. Man meint, den Seewind auf der eigenen Haut zu spüren, in dem Monet die Fahnen von Trouville flattern sah. Man meint, den Duft aller Blumen Monets und Renoirs zu atmen. Ein Bild aber scheint aus der Reihe zu fallen. Ein Bild des Todes. Zum eigenen Erstaunen sieht sich Monet vom schwergewichtigsten aller Themen angezogen. Er porträtiert seine Camille – auf dem Totenbett. Was herauskommt, ist wieder ein wahrer Monet. Was er da im Sterbezimmer improvisiert, ist die impressionistische Anschauung des Todes. Dass das Leben (nur) ein Hauch sei, gelingt ihm zu sagen, beim Abschied von seiner Frau.


Camille Monet auf dem Totenbett

Und dann sucht der Maler der ewig fliehenden Augenblicke ja zweifellos auch nach einer bildnerischen Essenz für dies Schauspiel der Vergänglichkeit. Der Epilog im Städel schließt vier Fassungen aus der langen Bildserie der "Kathedrale von Rouen" (1893/94) ein. Einerseits sah sich Monet mit seiner Ambition, am Motiv der gotischen Kirchenfassade den Stimmungsfluss des Tageslichts präzise abzulesen, scheitern. Andererseits fand er gerade da zu einer weit reichenden Einsicht. Dass nämlich die Wirklichkeit, der er nachspürt, letztlich unfixierbar ist – und das Bild, das sich dem flüssigen Wesen der Erscheinungen wirklich stellt, gar nicht abschließbar. Letzte Konsequenz sind dann die halb fiktionalen, in ihrer Formauflösung undurchdringlichen Ansichten vom Wassergarten in Giverny.


Seerosen in Giverney

Anders als Renoir oder Degas mit ihrer Neigung zum Klassizismus, anders als Cézanne zumal, der den Impressionismus eher streifte, hat Monet dem malerischen Ansatz nie widersprochen. Er hat ihn reflektiert und weitergedacht. Über die Jagd nach dem authentischen Eindruck gelangt er schließlich zu Bildern, die sich sinnbildhaft verdichten. Am Ende ist es eine Art synthetischer Impressionismus, den er kreiert. Meta-Impressionismus.

Von ihrem Epilog aus gesehen, rechtfertigt die Ausstellung eindrucksvoll sich selbst: Es ist legitim, ja, naheliegend, die Geschichte des Impressionismus von Claude Monet aus zu sehen – und die Renoir, Degas, Sisley, Pissarro, Berthe Morisot... so neben ihm.

Städel-Museum, Frankfurt. Bis 21. Juni, Di bis So 10–19, Do, Fr 10–21 Uhr.


Pissarro - darf der hier fehlen?!







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