Freitag, 6. März 2015

"Neuroästhetik".

aus Die Presse, Wien, 7. 3. 2015

Neuroästhetik: 
Schönheit liegt im Gehirn des Betrachters
Musik oder eine mathematische Gleichung – wie wird Kunstvolles im Gehirn verarbeitet? Forscher wollen mit naturwissenschaftlichen Methoden die biologische Basis von ästhetischem Empfinden erklären.

von Julia Riedl  

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ – diese alte Redensart muss vielleicht bald umgeschrieben werden. Zumindest laut einigen Neurobiologen sollte es wohl eher heißen: Schönheit liegt im Gehirn des Betrachters. Schon seit den 1970er-Jahren ist bekannt, dass in Primatengehirnen unterschiedliche optische Aspekte wie Farbe und Form in getrennten Gehirnarealen verarbeitet werden. Doch erst in den vergangenen Jahren versuchten Forscher das Empfinden von Schönheit und den sogenannten Kunstgenuss im Gehirn zu verorten.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Forschungsfeld der Neuroästhetik etabliert. Mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden wird versucht, die biologische Basis und Funktion von ästhetischem Empfinden zu erklären. Tatsächlich konnten britische Forscher mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRI) zeigen, dass dabei ein spezifisches Areal an der Stirnseite des Gehirns – der orbitofrontale Cortex – aktiviert wird. Und das unabhängig davon, was genau als schön empfunden wird: ein Gemälde, Musik oder eine mathematische Gleichung.

Über die Entwicklung der Neuroästhetik – und wie die Forschung neue Verbindungspunkte zwischen Neurobiologie, Philosophie und Kunst schaffen könnte – sprach der Lektor der Philosophie und Erkenntnistheorie Matteo Giannasi am Mittwoch im kürzlich eröffneten Angewandte Innovation Laboratory (AIL) der Uni für angewandte Kunst in Wien.

„Die Neuroästhetik ist als Disziplin noch im Teenageralter, aber es könnte sein, dass sie unser Bild davon, warum wir etwas als schön empfinden und wie wir insbesondere Kunst wahrnehmen, verändern wird“, sagte er im Rahmen seines Vortrages.

Gleichzeitig bekomme die Kunst durch die biologische Forschung auch ganz neue Bedeutung, da ihre Funktion in der Evolution des Menschen aufgeklärt wird.

Kunst als Evolutionsvorteil

Für Evolutionsbiologen gibt es kein L'art pour l'art, sondern sehr wahrscheinlich einen starken evolutionären Vorteil von künstlerischer Betätigung und ästhetischem Empfinden, der überhaupt erst zur Entwicklung von Kunst geführt hat. Nichts sonst kann den enormen Aufwand erklären, den Menschen seit den ersten Höhlenmalereien vor 45.000 Jahren betreiben, um ästhetisch Ansprechendes zu erschaffen. Gleichzeitig riet Giannasi aber auch zur Vorsicht vor überzogenen Vorstellungen davon, wie sehr die Neurobiologie unser Weltbild ändern wird. Sehr wahrscheinlich werden wir auch in Zukunft noch „schön“ sagen und nicht „meine frontalen Neuronen sind aktiviert“, wie amerikanische Philosophen vorhersagen.

Der Verbindung von Kunst und Wissenschaft hat sich mit dem AIL auch die Angewandte verschrieben. „Wir wollen an die Tradition des Wiener Salons anknüpfen und einen Ort der Begegnung schaffen, wo sich Menschen unterschiedlicher Disziplinen austauschen können“, so Projektleiterin Alexandra Graupner.

Das AIL steht Interessierten ganztägig offen. Es gibt eine Lounge zum Arbeiten und für Meetings und darüber hinaus Ausstellungen und Vorträge. Ziel ist es, die Kommunikation zwischen verschiedenen Feldern wie Kunst und Natur- und Geisteswissenschaften zu fördern und so vielleicht zu neuen grenzüberschreitenden Projekten zu inspirieren.


Nota. - "Nichts sonst kann den enormen Aufwand erklären..." Vielleicht braucht er ja gar nicht - nämlich durch etwas Anderes - erklärt zu werden? Man darf sicher sein: Das spezifisch Ästhetische an den Gegenständen, die wir als Kunst- werke ansehen, wurde erst angegangen, wenn das Nützliche, das unter Umständen auch an ihnen ist, besorgt war; wenn die Anstrengung folglich keine mehr war, sondern freie Verausgabung von Kraft. Wenn, wie altmodische Leute meinen, das Ästhetische daran zu erkennen wäre, dass es um seiner selbst willen da ist...

Auch die Wahrnehmung des Ästhetischen geschieht in unserm Zentralorgan, und nicht die Augen sehen, sondern das Gehirn. Und natürlich wird die Erforschung dieses unseres Zentralorgans hier und da ein Licht werfen auf das, was wir mangels eines bestimmteren Ausdrucks unser ästhetisches Erleben nennen. 

Aber bestimmt nicht, wenn sie mit so läppischen Prämissen zu Werke geht wie Matteo Giannasi.
JE

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