Mittwoch, 4. Dezember 2013

Der Fotograf James Welling in Winterthur.

aus NZZ, 4. 12. 2013

Fotokunst in Sugus-Farben
Das Fotomuseum Winterthur zeigt mit «Autograph» eine eigenwillige Auswahl des Amerikaners James Welling


von Urs Steiner

James Welling produziert mit den Mitteln der Fotografie abstrakte Bilder und streng konzeptionelle Bildfolgen. Was wir in seiner Retrospektive im Fotomuseum Winterthur sehen, sind weniger fotogene Motive als eine Auseinandersetzung mit der Fotografie. 
 

Ob er nun ein Fotograf oder vielleicht doch eher ein bildender Künstler sei, fragte der Kurator Thomas Seelig den 62-jährigen Amerikaner in seiner Ausstellung im Fotomuseum Winterthur. James Wellings Antwort, wie aus der Pistole geschossen: Fotograf. - Die Begründung dafür war allerdings eher fadenscheinig. Er empfinde sich als Fotograf, weil er seine Bilder zeitlebens mit fototechnischen Mitteln hergestellt habe.


In der zur Ausstellung «Autograph» erschienenen Monografie stellte die MoMA-Kuratorin Eva Respini dieselbe Frage, und da sagte Welling, in seiner Generation habe sich niemand als Fotograf bezeichnet, selbst wenn er ausschliesslich fotografiert habe. Ihm gehe es darum, dass er seine Arbeit als Teil sowohl der Fotografiegeschichte als auch der Kunst sehen wolle.


Diese Ambivalenz wird gut sichtbar, betrachtet man Wellings Arbeiten der letzten gut vier Jahrzehnte: Viele seiner Bilder sind ganz und gar abstrakte Kompositionen, auch wenn sie in Wirklichkeit fotografierte Gegenstände zeigen: das Spiel von Licht und Schatten auf zerknitterten Aluminiumfolien etwa oder Papierstreifen, die er im Labor aufs Fotopapier geworfen hat, wodurch er Fotogramme erzeugt hat. Das Resultat erinnert an Strömungen der Malerei wie den Tachismus, den abstrakten Expressionismus oder die Minimal Art.


Vollendete Transzendenz 

Extrem wird die Auflösung des Gegenstandes in einer Bildserie mit dem Titel «Degrades», die an Mark Rothkos Farbfeld-Malerei denken lässt: Diese teilweise monochromen, teilweise mehrfarbigen Farbfelder sind entstanden, indem Welling das Fotopapier in der Dunkelkammer intuitiv mit verschiedenen Farben und Tonintensitäten belichtet hat. Die «Degrades» sind komplett entmaterialisierte Bilder - Fotografie in vollendeter Transzendenz sozusagen.

Die Ausstellung im Fotomuseum Winterthur zeigt schwerpunktmässig diesen abstrakten, um nicht zu sagen esoterischen Welling. Das ist natürlich eine kuratorische Entscheidung - es wäre auch anders gegangen. Denn Welling hat durchaus auch auf klassische Weise fotografiert, vermutlich sogar mehrheitlich. Seine erste Referenz als junger Künstler sei Paul Strand gewesen, sagt er. Strands formale Strenge und seine Natur-Pathetik schwingen denn auch in Wellings Serie «Light Sources» mit. Unter dem Allerweltstitel «Lichtquellen» lässt sich alles Mögliche subsumieren - und genau das war auch Wellings Absicht. Er habe sich die Tatsache zunutze gemacht, dass das letzte Bild einer Filmrolle nicht mehr auf seinen Kontaktkopien Platz gehabt habe. Die überzähligen Bilder habe er jeweils abgeschnitten und beiseitegelegt. Aus diesem Material sei schliesslich die Serie «Light Sources» entstanden, von der das Museum jetzt einen kleinen Ausschnitt präsentiert. Zu sehen sind darauf Lichtquellen aller Art, aber auch Porträts, Landschafts- oder Architekturaufnahmen, die nur mit viel Phantasie zum Titel der Reihe passen.
 
  

Hippie-Farborgien

Geradezu spektakulär anders als alle bekannten Architekturfotos sind Wellings Aufnahmen von Philip Johnsons Glass House. Die üblicherweise streng sachlich wiedergegebene Ikone des Pavillons auf dem Anwesen des Architekten in New Canaan, Connecticut, verwandelte Welling in eine Art «Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby», um es mit einem Tom-Wolfe-Titel zu sagen. Zu eigentlichen Hippie-Farborgien geraten Welling auch seine Fotogramme von Pflanzen («Flowers»), die er auf besonders glamourösem Fotopapier hergestellt hat, das vorwiegend in der Werbung Verwendung fand. Überhaupt sticht Wellings Liebe zum Experimentieren ins Auge: Es blubbert, glänzt, überstrahlt und oszilliert allenthalben. Da ist kein Purist am Werk, sondern ein Tüftler im Labor und hinter dem Computerbildschirm, ein Fotografie-Alchimist.


Allerdings setzt der Professor des UCLA Department of Art in Los Angeles seine Referenzen auf die (Kunst-)Geschichte kaum je zufällig. Im Gegenteil: In seiner Auswahl aus der Serie «Diary of Elizabeth and James Dixon (1840) Connecticut Landscapes» arbeitet Welling akribisch konzeptionell: In Bildpaaren verschränkt er Ansichten des Tagebuchs seiner Ur-Urgrossmutter mit der Fotografiegeschichte und mit seinem eigenen Werk. Blümchen und Pflanzen, die seine Vorfahrin um 1840 im Tagebuch gepresst hat, interpretiert er als formale Entsprechung des Fotogramms. Die historischen Querbezüge schlagen in alle Richtungen Purzelbäume, von der Erfindung der Fotografie zur zeitgenössischen Fotokunst, zurück zu Abraham Lincoln und über Man Ray und Moholy-Nagy zur Minimal Art.


Das alles mag ein wenig auf einen Bilder-DJ am Photoshop-Mixer schliessen lassen. Bei genauerer Betrachtung jedoch erweist sich James Welling als ein Grundlagenforscher des zeitgenössischen Bilder-Tsunamis. Ja - er ist tatsächlich durch und durch Fotograf. Zumal er, wie er sagt, kürzlich angefangen hat zu malen.

Winterthur, Fotomuseum Winterthur, bis 16. Februar.



Nota.

Ist das ein Lob für einen Künstler, wenn man sagen kann: Seine Bilder lassen an X oder an Y denken -? In diesem Falle würde ich loben: Eine eigene Handschrift ist nicht zu erkennen. Mit andern Worten, er lässt jedem Ding sein eignes Recht widerfahren, eine Masche hat er nicht. 
JE

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