Montag, 16. Dezember 2013

Die Wormland-Schenkung in München.

 
aus NZZ, 16. 12. 2013                                                                                                               Otto Freundlich, Aufstieg

Das Rätsel der Begierde
Bilder aus der Wormland-Schenkung von Max Ernst bis Martin Disler in der Pinakothek der Moderne München 


von Hanne Weskott 

Der Textilunternehmer Theo Wormland war ein Bewunderer von Max Ernst und René Magritte und suchte auch in der Kunst seiner Zeit nach surrealen Tendenzen. Jetzt ist seine Sammlung in den Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen übergegangen und wird in einer spannenden Ausstellung vorgestellt.

Manchmal müssen Geschenke erst verdient werden, und sei es bloss durch eine lange Wartezeit. So war die Sammlung des Textilunternehmers Theo Wormland 30 Jahre als Leihgabe in der Bayerischen Staatssammlung Moderner Kunst, bis sie gemäss der testamentarischen Verfügung endgültig in den Besitz des Museums überging. Materielle Verpflichtungen musste der Freistaat dabei nicht eingehen. Ganz im Gegenteil. Die Stiftung Wormland verhielt sich all die Jahre den Staatsgemäldesammlungen gegenüber sehr nobel. Sie hat Schenkungen getätigt, Ausstellungen, Kataloge und Ankäufe unterstützt wie den des wichtigen Bildes von Salvador Dalí «L'énigme du désir - ma mère, ma mère, ma mère» von 1929. Zur Wiedereröffnung der Pinakothek der Moderne Mitte September nach einer halbjährigen Schliessung wegen notwendiger Sanierungsmassnahmen wurde die Schenkung rechtskräftig, was mit der Ausstellung «Traum-Bilder. Ernst, Magritte, Picasso, Antes, Nay . . . Die Wormland-Schenkung» gebührend gefeiert wird. Teile der Sammlung waren zwar immer wieder ausgestellt, jetzt aber wird sie 30 Jahre nach dem Tode des Sammlers, der von 1907 bis 1983 gelebt hat, zum zweiten Mal in ihrer Gesamtheit vorgestellt, nicht lückenlos, aber doch umfassend.

Dalí, Das Rätsel der Begierde, 1920

Neue Sicht auf Werke  

Oliver Kase, zuständiger Referent für die Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Haus, hat das vorzüglich gemeistert, weil er der Intuition des Sammlers folgte und den klassischen Surrealismus mit den surrealistischen Tendenzen in der damals zeitgenössischen Kunst mischt. Es gibt also keine Künstlerräume, was sicher bei dem relativ grossen Bestand von Max Ernst und René Magritte verlockend gewesen wäre, sondern ein spannendes Mit- und Gegeneinander von Kunst aus unterschiedlichen Zeiten. Das bringt so manche neue Sicht auf Werke, die man zu kennen glaubte. Man wird dazu verlockt, zweimal hinzusehen.

Max Ernst, Die Windsbraut II

Theo Wormland war ausgebildeter Textilkaufmann und kam nach einem wechselhaften und erfolgreichen Leben als Textilunternehmer 1969 nach München, wo er neben den Geschäftshäusern in Hannover und Köln ein weiteres gründete, sich aber gleichzeitig aus dem Tagesgeschäft zurückzog. Er liess sich im Münchner Nobelvorort Grünwald vom Kölner Architekten Peter Neufert ein schönes modernes Haus im Stil der siebziger Jahre errichten, das er zusammen mit dem Garten als Privatmuseum unter der Regie der Städtischen Galerie im Lenbachhaus einrichten wollte. Diese Pläne scheiterten 1981, zwei Jahre vor seinem Tod, am Einspruch der Nachbarn. So kamen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zum Zuge, was überraschte, weil Wormland gute Beziehungen zum damaligen Direktor des Lenbachhauses, Armin Zweite, pflegte, auf dessen Rat Wormland bei seinen Ankäufen gerne hörte. So findet man in der Sammlung heute noch Stücke, die einst unter Zweite im Lenbachhaus ausgestellt waren, wie das grosse Bild von Eduardo Arroyo «Angel Ganivet stürzt sich in die Düna» von 1977. Doch ging auch das Lenbachhaus nicht leer aus und bekam ein Bilderkontingent geschenkt.

Eduardo Arroyo, Angel Ganivet stürzt sich in die Düna,  1977
 
Zum Sammler wurde Wormland 1957. Damals richtete er sich sein erstes eigenes Haus in Köln ein. Dafür kaufte er, was ihm gefiel. Das entschied er ganz intuitiv, denn er wollte mit der Kunst ja leben. Unter den frühen Erwerbungen waren eine «Tessiner Landschaft» von Karl Hofer, Bilder von Christian Rohlfs, eine Reihe Arbeiten von Eduard Bargheer, mit dem Wormland befreundet war, und einige sehr schöne Ölbilder von Hans Purrmann, alles Namen, die im Konvolut der Schenkung nicht mehr vorkommen. Besonders bedauerlich ist der Verlust der Purrmann-Bilder, weil dessen Ansichten von Porto d'Ischia von 1957 Italien, das Sehnsuchtsland der Deutschen der fünfziger Jahre, mit seiner mediterranen Architektur, den Palmen und dem Meer zeigen. Jeder hätte sofort verstanden, dass sich ein Kölner Geschäftsmann solche Bilder in seine Wohnung hängt. Aber Wormland hatte sich selbst noch von einer Reihe seiner frühen Ankäufe getrennt, was er dann später bereute. So beginnt das heutige Bild des Sammlers mit abstrakter Kunst, die in der deutschen Nachkriegszeit als Avantgarde gehandelt wurde. Beraten wurde er von der Galerie Brusberg in Hannover und der Galerie Spiegel in Köln, die ihn mit der Kunst von Otto Piene, Serge Poliakoff, Josef Albers und Ernst Wilhelm Nay bekannt machte.

Ernst Wilhelm Nay, Ultramarin und Gelb, 1960  

Von Nay, der damals in Köln lebte, erwarb Wormland direkt im Atelier ein sehr schönes Scheibenbild in «Ultramarin und Gelb» von 1960, das die Ausstellung zusammen mit Larry Rivers' «Studio» (1959/60) und den Skulpturen «Der Herbst» (1948) von Henri Laurens [s. ganz unten] und «Aufstieg» (1929) von Otto Freundlich [s. Kopfbild] eröffnet, wobei die biomorphen Formen der Skulpturen gut mit Nays Farbscheiben korrespondieren. Zu Rivers führt hier allerdings genauso wenig ein Weg wie zu Arroyo, dessen oben erwähntes Bild auch hier hängt. Das aber ist wieder ein Zeichen für die Unabhängigkeit des Privatsammlers, der spontan kaufen konnte, was ihm gefiel. So entdeckte er auf einer Fahrt durch das Neckartal Skulpturen von Erich Hauser, die ihn so beeindruckten, dass er den Künstler in Rottweil aufsuchte und die Doppelröhrenskulptur «Säule 7/70» sofort erwarb, weil er sie in Gedanken bereits in seinem Grünwalder Garten sah. Diese ist nicht Teil dieser Ausstellung, die ja aufzeigen will, wie Wormlands Liebe zur Kunst ihre Heimat im Surrealismus fand. Bei Hauser führt da kein Weg hin, bei Otto Herbert Hajek normalerweise auch nicht. Hier ist er aber mit dem «Raumknoten 117» von 1959 vertreten, eine mehrfach geschichtete, zerklüftete, wie ausgefranst wirkenden Bronzeskulptur, die in die Zeit des Informel gehört. Sie korrespondiert vorzüglich mit den wie von Moos überwucherten Pflanzen in Max Ernsts Bild «Totem und Tabu» von 1941. Beide befinden sich im zentralen Raum der Ausstellung, der dem Wald als romantischem und geheimnisvollem Rückzugsort gewidmet ist und mit hohen, schmalen Stellwänden selbst an einen Wald erinnert.


Max Ernst, Totem und Tabu, 1941-42 

Hier geht das Konzept des Kurators Oliver Kase, klassischen Surrealismus mit surrealen Tendenzen der damaligen zeitgenössischen Kunst zu konfrontieren, voll auf. So scheinen auch Bernhard Schultzes «Wuchernder Schiffs-Migof» von 1967 und sein «Stern über Gomorrha» von 1982/83 endlich ihren Ort gefunden zu haben. Und Martin Dislers Figur aus der Serie «Häutung und Tanz» von 1991, die erst 2002 von der Wormland-Stiftung für die Staatsgemäldesammlungen erworben wurde, ist das geniale Gegenüber zu Rolf Szymanskis «Synagoge» von 1963.

Bernard Schultze, Wuchernder Schiffs-Migof

Intuitiv herausgefiltert

Der Sammler Theo Wormland hat die surrealen Tendenzen in der Gegenwartskunst intuitiv herausgefiltert und landete dabei fast automatisch beim klassischen Surrealismus. Bereits 1965 kaufte er ein erstes Bild von Max

Ernst, «Die Sirenen erwachen, wenn die Vernunft schlafen geht» (1960); den berühmten «Hausengel», ein Spitzenbild von 1937 [s. u.], erwarb er 1977 bei Jean Krugier in Genf und über die Jahre eine ganze Reihe weiterer Werke, so dass Max Ernst zusammen mit René Magritte, von dem er 1973 das erste Bild, «Der Schlüssel der Träume» (1927), erstand, den Ruhm der Sammlung Wormland als einer Sammlung surrealistischer Kunst begründet hat. Hinzu kommen noch das nicht weniger bekannte Bild «Femme» von 1930 von Picasso, ein Hauptwerk seiner kurzen surrealistischen Phase, und das oben erwähnte Gemälde von Dalí, «L'énigme du désir»

(Das Rätsel der Begierde). Sie alle haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Staatsgalerie Moderne Kunst in München eine höchst qualitätsvolle Sammlung des Surrealismus vorzeigen kann. Dass sie das einer grosszügigen Schenkung verdankt, ist nichts Ungewöhnliches. Ist doch ihre Geschichte eine Geschichte der Schenkungen. Sie hat 1945 mit lediglich sechs bedeutenden Kunstwerken begonnen, darunter das «Stillleben mit Geranien» von Matisse von 1910, und hat heute einen Bestand, den sie nie aus eigenen Mitteln hätte erwerben können.

Traum-Bilder. Die Wormland-Schenkung. Pinakothek der Moderne.
Bis 26. Januar 2014. Katalog (Hatje-Cantz-Verlag) € 34.80.


Henri Laurens, Der Herbst, 1948

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