Montag, 2. April 2018

Berliner Realismus im Bröhan-Museum.

Otto Nagel, Weddinger Jungen 1928
aus Tagesspiegel.de, 1. 4. 2018

Berliner Kunst der Weimarer Republik 
Grüße aus dem Rinnstein  
Zwischen Grabenkriegen und Partyflitter: Die Ausstellung "Berliner Realismus" im Bröhan-Museum zeigt Kunst aus den turbulenten 1920er-Jahren.
 


Ein kleiner Mann baut Hügel aus Sand, so selbstvergessen, wie es nur spielende Kinder können. Gleich neben ihm geht es aber zur Sache: Zwei Jungen streiten um einen Laib Brot, zwei andere prügeln sich, ein fünfter droht mit waffenspitzem Spielzeug. Und die Erwachsenen sehen wie abwesend zu. „Sie wachsen unter Steinen heran“, hat Karl Hubbuch sein Aquarell von 1929 genannt.Vielleicht meint er die Stadt, denn die Kinder spielen mitten auf der Straße, eingepfercht zwischen Backsteinhäusern und überschattet von dicker Luft, die alles fahl gelblich aussehen lässt. Doch ebenso gut taugt Hubbuchs Titel zur Beschreibung der deutschen Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen. Es sind Gefühlszombies, traumatisiert, ohne Arbeit oder Hoffnung, die in der Liebe vor allem eine harte Währung sehen. Menschliche Steine halt.

Karl Hubbuch, Kinder, die unter Steinen aufwachsen, 1933-1935

Das Blatt ist Teil der aktuellen Ausstellung „Berliner Realismus – Von Käthe Kollwitz bis Otto Dix“ im Bröhan-Museum. Hubbuch, in Karlsruhe geboren, studierte vor 1914 nur kurze Zeit in der Hauptstadt. Sein Blatt, das durchaus in Berlin entstanden sein könnte, zeigt in Wahrheit ein Karlsruher Armenviertel. Doch den Kuratoren reicht die Nähe zur Malweise der Neuen Sachlichkeit, ihnen genügen die Analogien in Duktus und Absichten zwischen Hubbuch, Otto Dix oder Georg Grosz, um ersteren unter die Berliner Künstler zu mischen.

Am Ende des 19. Jahrhunderts sehen sie jene „spezifisch berlinische Tradition des sozialkritischen Realismus" entstehen, die später in der Kunst der Weimarer Republik ihre konsequente Fortsetzung fand“. Der Maler und Fotograf aus dem Süden passt insofern, als seine Schilderung der miserablen Lebensverhältnisse weniger Mitleid wecken als Kritik formulieren will: am Kapitalismus, der Weimarer Republik und später der Kriegstreiberei durch die Nationalsozialisten.

Die Garnisonsstadt wurde zum Moloch

Knapp 200 Exponate dokumentieren diese Entwicklung, beginnend mit Käthe Kollwitz, Hans Baluschek und Heinrich Zille, der das Berliner Milieu zeichnet und fotografiert. Die Garnisonsstadt ist, als Konsequenz der Industrialisierung, innerhalb weniger Jahre zum Moloch geworden, die Landflucht hat aus Kleinbauern ein abhängiges Proletariat gemacht.

Hans Baluschek, Feierabend, 1910,

Der Gang durch ihr Spalier aus Verwahrlosten und Verzweifelten ist kein Ausstellungsvergnügen, auch wenn die Künstler ihnen ein Stück Würde zurückgeben. Allerdings entfalten diese oft schwarz-weißen, in Kohle oder grauen Aquarelltönen realisierten Gestalten gerade im Dialog mit den kunsthandwerklichen Schätzen des Hauses, seinen großbürgerlichen Interieurs, ihre Kraft – als ob sich mit ihnen das Bild der Ära vervollständigt.

 Käthe Kollwitz, Arbeiter, vom Bahnhof kommend, 1899

Seine Waffen seien „Pinsel, Kohle, Feder, Bleistift“, ließ Hans Baluschek sein Publikum wissen, getrieben wurde der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Maler vom sozialen Gewissen. Das Bröhan-Museum sammelt Baluscheks Werke seit langem und hat viel von ihm im Depot. Andere Exponate der Ausstellung stammen aus internationalen Institutionen und privaten Sammlungen wie der Steinhardt Collection New York.

Heinrich-Maria  Davringhausen, Die Dirne, 1921

Noch klagen die Künstler vorrangig das Schicksal der Arbeiter an. Als Plattform ihrer Kritik dient ab 1898 die Berliner Secession mit regelmäßigen Ausstellungen. Als Kaiser Wilhelm II. zwei Jahrzehnte später abdankt, dessen Schmäh von der „Rinnsteinkunst“ legendär geworden ist, sind die Künstler zwar ihren ärgsten Feind los. Gleichzeitig sinkt Berlin noch tiefer, die Armut großer Teile der Bewohner korrespondiert mit der Dekadenz einer kleinen Schicht aus Neureichen, korrupten Klerikern und verrohtem Militär. Die nächste Generation malender Chronisten – Otto Dix, George Grosz, Conrad Felixmüller, später John Heartfield – blickte in beide Richtungen, politisiert sich und lieferte eine manchmal ins Karikierende gleitende Zustandsbeschreibung.

 Conrad Felixmüller, Zeitungsjunge, 1928

Wie tief selbst bei klugen, kritischen Köpfen Vorurteile verankert waren, dokumentiert ein Blatt von Hubbuch, der seine „Bankmenschen“ (1923) mit typisch klischeehafter jüdischer Physiognomie versieht. Es dauert noch zehn Jahre bis zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Eine Zeit, die von Streiks und Kämpfen zwischen Sozialisten, Kommunisten und einer erstarkenden Rechten, aber auch von den tuberkulösen „Weddinger Jungen“ (1928) eines Otto Nagel [s. o.] oder jenen Ausschweifungen geprägt ist, wie sie Grosz Anfang der 20er Jahre in seiner erotisch geprägten Bildermappe „Ecce Homo“ festhält.

„Im Café“ von George Grosz (1922).
George Grosz, Im Café (1922).
Dass sich die Kritik so produktiv entfalten konnte und Bilder von einer ätzenden Tiefenschärfe geschaffen hat, die noch heute unmittelbar berühren, basiert nach Ansicht der Kuratoren auf Berlins einzigartiger künstlerischer Situation. In acht Kapiteln zeichnen sie nach, wie Kollwitz oder Baluschek den Boden bereiten und eine selbstbewusste Arbeiterschaft die Fotografie für sich entdeckt, während Zille in den „Hurengesprächen“ die ausbeuterische und missbräuchliche Seite von Prostitution illustriert.

 Bruno Böttger-Steglitz, Aufruhr, 1924

In den späten 20er Jahren radikalisiert sich auch die Kunst, John Heartfield etwa formuliert in seinen fotografischen Collagen, was er von der nationalsozialistischen Bewegung hält. Seine „Drei Weisen aus dem Sorgenland“ von 1935 lassen Hitler, Göring und Göbbels auf einem Seil über dem Abgrund torkeln. Aber da ist die Weimarer Republik in ihrem ganzen Chaos und allen demokratischen Experimenten bereits Geschichte.

 Arthur von Kampf, Wählt kommunistisch 1918

„Berliner Realismus“ reiht sich in einen Zyklus von Ausstellungen zur Geschichte der Berliner Secession, die das Bröhan-Museum 2019 mit einem dritten Teil beschließt. Das Projekt wurde lange vorbereitet, wirkt jedoch auf unheimliche Weise gegenwärtig. Wer durch die aktuelle Ausstellung geht, weiß sehr wohl, dass ihn knapp hundert Jahre von diesen Szenen der Extremisierung trennen. Doch die Kulissen sind geblieben, von den alten Mietshäusern mit ihren engen Hinterhöfen bis zum Gasometer in Schöneberg, wo Bruno Böttger 1924 in dem Zyklus „Aufruhr“ einen Hungermarsch der Arbeiter eskalieren lässt. Ihre Nähe lässt einen mit dem unguten Gefühl zurück, dass der Firnis über diesen Bildern ein Jahrhundert alt sein mag, aber dennoch sehr dünn ist.
Heinrich Zille, Vor der Schaubude, 1904,

Nota. - Während die Künstler vor dem Krieg weitestgehend mit Fragen der Form beschäftigt waren, geht es danach um 'Aussage'. Aber doch nur, muss man hinzufügen, wenn man den Blick ausschließlich auf Berliner Künstler begrenzt. Die Maler der Brücke malten schließlich weiter; nicht zu reden von den Bauhaus-Künstlern
JE 

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