Otto Nagel, Weddinger Jungen 1928
aus Tagesspiegel.de, 1. 4. 2018
Berliner Kunst der Weimarer Republik
Grüße aus dem Rinnstein
Zwischen Grabenkriegen und Partyflitter: Die Ausstellung "Berliner
Realismus" im Bröhan-Museum zeigt Kunst aus den turbulenten
1920er-Jahren.
Ein kleiner Mann baut Hügel aus Sand, so selbstvergessen,
wie es nur spielende Kinder können. Gleich neben ihm geht es aber zur
Sache: Zwei Jungen streiten um einen Laib Brot, zwei andere prügeln
sich, ein fünfter droht mit waffenspitzem Spielzeug. Und die Erwachsenen
sehen wie abwesend zu. „Sie wachsen unter Steinen heran“, hat Karl
Hubbuch sein Aquarell von 1929 genannt.Vielleicht meint
er die Stadt, denn die Kinder spielen mitten auf der Straße,
eingepfercht zwischen Backsteinhäusern und überschattet von dicker Luft,
die alles fahl gelblich aussehen lässt. Doch ebenso gut taugt Hubbuchs
Titel zur Beschreibung der deutschen Gesellschaft zwischen den beiden
Weltkriegen. Es sind Gefühlszombies, traumatisiert, ohne Arbeit oder
Hoffnung, die in der Liebe vor allem eine harte Währung sehen.
Menschliche Steine halt.
Karl Hubbuch, Kinder, die unter Steinen aufwachsen, 1933-1935
Das Blatt ist Teil der aktuellen Ausstellung „Berliner Realismus – Von Käthe Kollwitz bis Otto Dix“ im Bröhan-Museum.
Hubbuch, in Karlsruhe geboren, studierte vor 1914 nur kurze Zeit in der
Hauptstadt. Sein Blatt, das durchaus in Berlin entstanden sein könnte,
zeigt in Wahrheit ein Karlsruher Armenviertel. Doch den Kuratoren reicht
die Nähe zur Malweise der Neuen Sachlichkeit, ihnen genügen die
Analogien in Duktus und Absichten zwischen Hubbuch, Otto Dix oder Georg
Grosz, um ersteren unter die Berliner Künstler zu mischen.
Am
Ende des 19. Jahrhunderts sehen sie jene „spezifisch berlinische
Tradition des sozialkritischen Realismus" entstehen, die später in der
Kunst der Weimarer Republik ihre konsequente Fortsetzung fand“. Der
Maler und Fotograf aus dem Süden passt insofern, als seine Schilderung
der miserablen Lebensverhältnisse weniger Mitleid wecken als Kritik
formulieren will: am Kapitalismus, der Weimarer Republik und später der
Kriegstreiberei durch die Nationalsozialisten.
Die Garnisonsstadt wurde zum Moloch
Knapp
200 Exponate dokumentieren diese Entwicklung, beginnend mit Käthe
Kollwitz, Hans Baluschek und Heinrich Zille, der das Berliner Milieu
zeichnet und fotografiert. Die Garnisonsstadt ist, als Konsequenz der
Industrialisierung, innerhalb weniger Jahre zum Moloch geworden, die
Landflucht hat aus Kleinbauern ein abhängiges Proletariat gemacht.
Hans Baluschek, Feierabend, 1910,
Der
Gang durch ihr Spalier aus Verwahrlosten und Verzweifelten ist kein
Ausstellungsvergnügen, auch wenn die Künstler ihnen ein Stück Würde
zurückgeben. Allerdings entfalten diese oft schwarz-weißen, in Kohle
oder grauen Aquarelltönen realisierten Gestalten gerade im Dialog mit
den kunsthandwerklichen Schätzen des Hauses, seinen großbürgerlichen
Interieurs, ihre Kraft – als ob sich mit ihnen das Bild der Ära
vervollständigt.
Käthe Kollwitz, Arbeiter, vom Bahnhof kommend, 1899
Seine Waffen seien „Pinsel, Kohle, Feder, Bleistift“, ließ Hans Baluschek sein Publikum wissen,
getrieben wurde der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Maler
vom sozialen Gewissen. Das Bröhan-Museum sammelt Baluscheks Werke seit
langem und hat viel von ihm im Depot. Andere Exponate der Ausstellung
stammen aus internationalen Institutionen und privaten Sammlungen wie
der Steinhardt Collection New York.
Heinrich-Maria Davringhausen, Die Dirne, 1921
Noch klagen die
Künstler vorrangig das Schicksal der Arbeiter an. Als Plattform ihrer
Kritik dient ab 1898 die Berliner Secession mit regelmäßigen
Ausstellungen. Als Kaiser Wilhelm II. zwei Jahrzehnte später abdankt,
dessen Schmäh von der „Rinnsteinkunst“ legendär geworden ist, sind die
Künstler zwar ihren ärgsten Feind los. Gleichzeitig sinkt Berlin noch
tiefer, die Armut großer Teile der Bewohner korrespondiert mit der
Dekadenz einer kleinen Schicht aus Neureichen, korrupten Klerikern und
verrohtem Militär. Die nächste Generation malender Chronisten – Otto
Dix, George Grosz, Conrad Felixmüller, später John Heartfield – blickte
in beide Richtungen, politisiert sich und lieferte eine manchmal ins
Karikierende gleitende Zustandsbeschreibung.
Conrad Felixmüller, Zeitungsjunge, 1928
Wie tief
selbst bei klugen, kritischen Köpfen Vorurteile verankert waren,
dokumentiert ein Blatt von Hubbuch, der seine „Bankmenschen“ (1923) mit
typisch klischeehafter jüdischer Physiognomie versieht. Es dauert noch
zehn Jahre bis zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Eine Zeit, die
von Streiks und Kämpfen zwischen Sozialisten, Kommunisten und einer
erstarkenden Rechten, aber auch von den tuberkulösen „Weddinger Jungen“ (1928) eines Otto Nagel [s. o.]
oder jenen Ausschweifungen geprägt ist, wie sie Grosz Anfang der 20er
Jahre in seiner erotisch geprägten Bildermappe „Ecce Homo“ festhält.
Dass sich die Kritik so produktiv entfalten konnte und
Bilder von einer ätzenden Tiefenschärfe geschaffen hat, die noch heute
unmittelbar berühren, basiert nach Ansicht der Kuratoren auf Berlins
einzigartiger künstlerischer Situation. In acht Kapiteln zeichnen sie
nach, wie Kollwitz oder Baluschek den Boden bereiten und eine
selbstbewusste Arbeiterschaft die Fotografie für sich entdeckt, während
Zille in den „Hurengesprächen“ die ausbeuterische und missbräuchliche
Seite von Prostitution illustriert.
Bruno Böttger-Steglitz, Aufruhr, 1924
In den späten 20er
Jahren radikalisiert sich auch die Kunst, John Heartfield etwa
formuliert in seinen fotografischen Collagen, was er von der
nationalsozialistischen Bewegung hält. Seine „Drei Weisen aus dem
Sorgenland“ von 1935 lassen Hitler, Göring und Göbbels auf einem Seil
über dem Abgrund torkeln. Aber da ist die Weimarer Republik in ihrem
ganzen Chaos und allen demokratischen Experimenten bereits Geschichte.
Arthur von Kampf, Wählt kommunistisch 1918
„Berliner
Realismus“ reiht sich in einen Zyklus von Ausstellungen zur Geschichte
der Berliner Secession, die das Bröhan-Museum 2019 mit einem dritten
Teil beschließt. Das Projekt wurde lange vorbereitet, wirkt jedoch auf
unheimliche Weise gegenwärtig. Wer durch die aktuelle Ausstellung geht,
weiß sehr wohl, dass ihn knapp hundert Jahre von diesen Szenen der
Extremisierung trennen. Doch die Kulissen sind geblieben, von den alten
Mietshäusern mit ihren engen Hinterhöfen bis zum Gasometer in
Schöneberg, wo Bruno Böttger 1924 in dem Zyklus „Aufruhr“ einen
Hungermarsch der Arbeiter eskalieren lässt. Ihre Nähe lässt einen mit
dem unguten Gefühl zurück, dass der Firnis über diesen Bildern ein
Jahrhundert alt sein mag, aber dennoch sehr dünn ist.
Heinrich Zille, Vor der Schaubude, 1904,
Nota. - Während die Künstler vor dem Krieg weitestgehend mit Fragen der Form beschäftigt waren, geht es danach um 'Aussage'. Aber doch nur, muss man hinzufügen, wenn man den Blick ausschließlich auf Berliner Künstler begrenzt. Die Maler der Brücke malten schließlich weiter; nicht zu reden von den Bauhaus-Künstlern
JE
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