Freitag, 25. Mai 2018

Erste Geigen sollten Menschenstimmen imitieren.

Andrea Amati, um 1559
aus derStandard.at, 23. Mai 2018, 06:00

Frühe Geigen sollten menschliche Stimmen imitieren 
Neue Analysen stützen die Hypothese, dass sich die ersten Geigenbauern Gesang zum Vorbild nahmen.

Washington/Wien – Musikhistoriker haben den Verdacht schon lange, nun untermauern Forscher die Vermutung mit technischen Methoden: Frühe Geigenbauer dürften mit ihren Instrumenten die menschliche Stimme nachzuahmen versucht haben. Die ersten modernen Geigen aus dem 16. Jahrhundert "konnten dieselben klanglichen Charakteristika erzeugen wie menschliche Stimmen", resümiert eine Forschergruppe der Universität Taiwan im Fachblatt "PNAS".

Für ihre Studie nahmen die Wissenschafter zunächst Tonproben von 15 frühen Geigen auf – unter ihnen ein Instrument, das der Vater des modernen Geigenbaus, Andrea Amati aus dem italienischen Cremona, 1570 konstruiert hatte. Auch der Klang mehrerer Geigen aus der berühmten Stradivari-Familie wurde ausgewertet.

Vergleichbare Klangfarbe

Dann nahmen die Forscher die Stimmen von je acht männlichen und weiblichen Sängern auf, die Tonleitern sangen. Die Ergebnisse von Instrumenten und Sängern glichen sie mithilfe einer Software zur elektronischen Akustikanalyse ab – und trafen auf viele Übereinstimmungen in der jeweiligen Klangfarbe.

Die berühmte Amati-Geige etwa ahme offenbar männliche Singstimmen in Bass- oder Baritonlage nach. Dieser Befund "lässt es wahrscheinlicher erscheinen, dass die Geigenbaumeister dieser Epoche die Instrumente gebaut haben, um männliche Stimmen zu imitieren", schreiben die Forscher.

Bei den Stradivari-Geigen stellten sie die Besonderheit fest, dass diese eher an weiblichen Singstimmen – etwa in der Alt-Lage – herankommen. (APA, red, 23.5.2018)



Violinen von Stradivari wird ein ganz besonderer Klang nachgesagt. Stradivari, 17. Jhdt.
aus scinexx

Violinen: Stradivaris "singen" wie Tenöre
Italienische Geigen ahmen Klangspektrum der menschlichen Stimme nach

Stimme als Vorbild: Der Wohlklang der berühmten Geigen von Stradivari und Amati kommt nicht von ungefähr, wie eine Analyse ihres Klangspektrums enthüllt. Die alten Geigenbaumeister konstruierten ihre Violinen demnach bewusst so, dass sie wie die menschliche Singstimme klingen. Interessant auch: Der Klang der frühesten Geigen ähnelt eher der männlichen Bariton- und Bassstimme. Stradivari dagegen imitierte mit seinen Instrumenten die etwas höhere Tenor- und Altstimme.

Ob Stradivari, Amati oder Guarneri – die Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus gelten bis heute als besonders wohltönend. Worin das Geheimnis ihres Klangs liegt, ist jedoch bis heute nur in Teilen geklärt. So scheinen unter anderem die Form des Schallochs sowie das Holz und seine Vorbehandlung eine wichtige Rolle zu spielen. Auch ein Pilzbefall des Holzes trägt zum Wohlklang der Instrumente bei.
 
"Wie die perfekteste menschliche Stimme"

Doch was zeichnet den besonderen Klang dieser Geigen aus? Eine Hypothese dazu hatte bereits vor gut 250 Jahren der italienische Komponist und Violin-Pädagoge Geminiani: 1751 schrieb er, dass der ideale Geigenklang "der perfektesten menschlichen Stimme nahekommen soll." Könnte darin das Geheimnis der Amati und Stradivari-Violinen liegen?

Um das herauszufinden, haben Hwan-Ching Tai von der Nationalen Universität Taiwan und seine Kollegen den Klang von sechs Stradivaris, einer Geige von Andrea Amati und acht weiteren Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus analysiert. Sie verglichen das Klangspektrum mit dem von acht weiblichen und männlichen Sängern, die jeweils eine chromatische Tonleiter auf verschiedenen Vokale sangen.

 
Amati-Violinen klingen wie ein Bariton

Das Ergebnis: Tatsächlich ähnelt das Klangspektrum der alten Violinen stark dem der menschlichen Singstimme, wie die Forscher herausfanden. Geigenklang und Stimme gleichen sich dabei vor allem in vier wesentlichen Formanten – den Frequenzbereichen, die durch Resonanzeffekte besonders hervortreten. An ihnen erkennen wir beim Gesang unter anderem das Geschlecht des Sängers und welche Vokale er gerade singt.

 

Die Violinen von Amati und einem seiner Schüler klingen demnach wie eine männliche Bariton- und Bassstimme, die ein offenes "e" singt. "Die frühen Geigenbaumeister in Cremona und Brescia konstruierten ihre Geigen offenbar bewusst so, dass sie die männliche Stimme nachahmten", so Tai und seine Kollegen. Das erscheine plausibel, weil zur damaligen Zeit die meisten öffentlich auftretenden Sänger Männer waren.

Das Klangspektrum von Stradivari-Geigen liegt etwas höher als das anderer Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus. 


Das Klangspektrum von Stradivari-Geigen liegt etwas 
höher als das anderer Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus.









Stradivaris "singen" in Tenor und Alt

Anders jedoch Stradivari, der gut 100 Jahre nach Amati lebte. "Stradivari verschob die Resonanzpunkte bei seinen Violinen nach oben", berichten die Forscher. "Seine Violinen klingen dadurch eher wie eine Tenor- oder Altstimme und sind der weiblichen Stimme näher als die älteren Geigen." Gleichzeitig ist ihr Ton offener und ähnelt daher eher einem Vokal, der weiter vorne im Mund gesprochen wird.


Nach Ansicht der Forscher könnte dies erklären, warum der Klang von Stradivaris oft als besonders brillant, hell und gleichzeitig rund beschrieben wird. Stradivari selbst könnte mit dieser Anpassung des Klangspektrums einem Trend der Zeit gefolgt sein. Denn ab Anfang des 17. Jahrhunderts begannen auch weibliche Sängerinnen aufzutreten und erfreuten sich wachsender Beliebtheit. "Die akustische Entwicklung von Amati zu Stradivari könnte diese zunehmende Popularität von Sängerinnen widerspiegeln", sagen Tai und seine Kollegen.

 

In jedem Falle demonstrieren diese Ergebnisse, dass Geminiani mit seiner Beschreibung von "idealen Geigen" Recht hatte: Sie sind der menschlichen Stimme tatsächlich besonders ähnlich. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1800666115)

(PNAS, 23.05.2018 - NPO) 

Nota. - Bis weit ins 18. Jahrhundert wurden auch Altpartien zumeist nicht von Frauen, sondern von männlichen Sängern vorgetragen - Kastraten, falsettierenden Jünglingen oder Knaben vor dem Stimmbruch. Das gilt sogar für Soprane, die aber von den frühen Geigen kaum erreicht werden. Es kann aber sehr gut seit, dass die Stradivari-Geigen den Sängerin- nen den Weg geebnet haben.
JE




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