Hölderlin hat 1794 und '95 in Jena Fichtes Vorlesungen zur Wissenschaftslehre gehört. Fichtes Wissenschaftslehre sei, schreibt Egon Friedell, "eine radikale Künstlerphilosophie. Und die Romantiker verstanden sie und machten Fichte zu ihrem Pro- pheten".* Auf Fichtes Vortrag nimmt der obige Aufsatz aus dem Frühjahr 1795 unmittelbar Bezug, doch das Verständnis erscheint in einem eignen Licht.
Damit, dass die Identität von Subjekt und Objekt mit dem aboluten Sein nicht 'identisch' sei, hat Hölderlin wohl Recht. Das Ich der intellektuellen Anschauung 'ist' keineswegs absolut; es 'ist' lediglich im actus der intellektuellen Anschauung, nicht vorher, nicht nachher. Es 'ist' Noumenon und wird im besten Fall Idee, als Postulat. Das wäre Hölderlin offenbar nicht genug. Er will ein absolutes Sein - was er in der Transzendentalphilophie freilich niemals würde finden können.
Was Transzendentalphilosophie bedeutet, verstanden sie mehr intuitiv, in der Vorstellung, als rationell - nach Begriffen. Dass es eine intelligible Welt im Modus des Als-ob gäbe, an deren Maßstab das Wirkliche blass und dürftig wirkt, war ihnen als Künstlern ein Apriori und gewissermaßen ihre Existenzgrundlage. Aber die romantische Weltauffassung liebäugelt mit der Möglichkeit, im Als-ob zu leben; das reale Individuum im Alltag mit dem transzendentalen Subjekt zum Absoluten Ich zu vereinen.
Das ist keinem von ihnen gelungen, Friedrich Schlegel wird zum Agenten Metternichs und zum Spitzel des Vatikans, Novalis verliert den Verstand und stirbt seiner zwölfjährigen Verlobten nach, Brentano wird zum frommen Schwärmer; und Hölderlin verbringt den Rest seines Lebens im Turm überm Neckar.
Der einzige Romantiker, der den Versuch durchgehalten hat, indem er den Zwiespalt zu seinem täglich' Brot machte, war der Berliner Amtsgerichtsrat Hoffmann. Na ja, es war wohl doch eher ein täglich' Rausch.
Wo bei Hölderlin der transzendentale Standpunkt doch irgendwie erhalten bliebe, kann ich nicht sagen, so gut kenne ich mich in der schönen Literatur nicht aus. Bei den Jenaer Romantikern ist es jedenfalls die Ironie, von der Hölderlin ganz frei ist (so- fern man nicht die Gedichte aus dem Turm darunter fasst). In ihr erscheint das Einereseits-andererseits und Sowohl-als-auch als lebenspraktische Einheit, Ironie ist der Modus des Künstlerlebens. Und ob man diesen Standpunkt durchhalten kann, ist daher ebenfalls eine lebenspraktische Frage; siehe oben.
*) in Kulturgeschichte der Neuzeit, III. Buch, 3. Kapitel
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