Mittwoch, 9. Mai 2018

Gab es eine Romantik in der Malerei?

Carl Rottmann, Schlachtfeld bei Marthon

Es hat sich eingebürgert, von einem Zeitalter der Romantik zu reden, und das hat auch einen guten Sinn, wenn man so eine Grenze nach hinten, zu Rokkoko und Ancien Régime zieht. Aber diesen Sinn hat es eigentlich nur für Deutschland, in Frankreich liegen Revolution und Empire dazwischen; so gründlich dazwischen, dass man fragen darf, ob Romantik zu Frankreich gehört. Delacroix und seine heroische Expressivität hat mit unsern Romantikern eigentlich nur die Abneigung gegen die akademische Form gemein. Und in England ist Turner ganz von allein aus dem Rokkoko in die Moderne geglitten.

Turner, Dolbadern Castle, 1799   

Man kann bezweifeln, dass es überhaupt einen Sinn hat, in der Malerei von Romantik zu reden. Jedenfalls nicht in der spe- zifischen Bedeutung wie in unserer Literatur: Die frühe Romantik in Jena hatte sich als deutsches Echo auf die französische Revolution verstanden, und als sie sich gegen die Aufklärung wandten, da nicht, um die Uhren zurückzustellen, sondern im Gegenteil: um sie zu radikalisieren und zu entspießern; nicht als Verleugner der Vernunft haben sie angefangen, sondern als deren Speerspitze, die Philosophie der frühen Romantik wollte die Kant'sche Kritik bis zu ihren letzten Konsequenzen wei- tertreiben. 1799 war plötzlich Schluss, die Romantikergruppe bröselte auseinander, es machte sich zusehends Katzenjammer breit. Eine große Rolle hatte der Atheismusstreit um Fichte gespielt, aber der war selber nur ein Zeichen der Zeit gewesen. 

Guardi, Venezianischer Hinterhof

Das hat kein Gegenstück in der Malerei; nicht Runge, nicht Friedrich und schon gar nicht die Nazarener passen in dieses Bild. Idyllik, gotische Schwärmerei und deutsche Innerlichkeit sind Markenzeichen des Biedermeiers und der politischen Restau- ration, denen die Romantik nur insofern den Weg bereitet hat, als sie den bis dahin geltenden Kanon des Guten Geschmacks zerbrochen hat.* Positiv ist sie nicht geworden, aber positiv scheint die Kunst sein zu müssen, wenn sie eine bildende sein will. Eine zersetzende, sprengende Kunst ist die Malerei erst mit den Fauves und den Expressionisten geworden.

*) Die dekadente Malerei eines Fragonard, Guardi oder Füssli hatte schon gründlich vorgarbeitet.

Füssli, The Shepherd's Dream, 1786 


Dass die Romantiker die Arabeske theoretisiert haben, ist wohl wahr - uind ein Thema für sich. Den Roman haben sie auch theoretisiert, aber dass einer von ihnen einen bedeutenden Roman hinterlassen hätte, ist nicht bekannt. (Ofterdingen ist weder ein Roman noch bedeutend.) Und was die Arabeske anlangt, könnte man sich fragen, ob das nicht doch eher eine biedermei- erliche Kunstform ist. Aber dann müsste man auch gleich die Frage stellen, was Romantik in der bildenden Kunst überhaupt bedeuten kann, und das, ach, ist ein 'zu weites Feld'; nämlich für die Frankfurter mit ihrem touristenträchtigen "Romantik- museum", das doch nicht kommt.

  Carl Julius Milde, Weiblicher Akt in einer Ranke, um 1830

Dass die Arabeske ihren Name dem muslimischen Bilderverbot verdankt, womit sie in den arabischen Ländern die einzige legitime Art von Bildender Kunst wurde, streift der Autor kaum am Rand. Dort wurde sie in der Tat zu eine "Verwandlung der Welt", die zu einem Ozean aus stilisierten Pflanzenranken und Koranversen zusammengepresst wurde. Bizarrerweise hat Kant die arabische Kunst als die gewissermaßen 'reinere', weil nicht an der Darstellung des Gegenstands haftende Schönheit (pulchri- tudo vaga)* aufgefasst, wo sie doch dem Künstler nicht nur die Hände, sondern mehr noch die Einbildungskraft bindet. Von Perspektive, Verteilung der Massen, Hell-Dunkel, Farbe, ja nicht einmal eigentlich von der Linie (von denen es nämlich viel zu viele, nämlich nichts anderes gibt) kann die Rede sein. Es ist eine gefesselte, gewürgte, gequälte Kunst. 

*) KU, A/49f.


Ist das noch Rokkoko oder schon romantisch? Der dekadente Gefallen an den starken Reizmitteln hat schon das Ende des Ancien Régime geprägt: schaurig, erhaben oder pittoresk; man denke nur an Wolfs Landsmann Heinrich Füssli, der bei den Engländern Karriere gemacht hat! Und auf eine eigene Weise auch ironisch, ganz für bare Münze darf man das nicht nehmen, man denke nur an Fragonards Schaukel oder an Guardis Ansichten von Venedig; in allem klingt das Nach uns die Sintflut der Gräfin Pompadour mit.
Caspar Wolf, NN 

Das macht den Unterschied zur Romantik aus. Es gibt im Rokkoko so viele Kunst, die man als verfrühte Romantik, und so vieles in der Romantik, das wie längst überholte Schäferidylle wirkt. Den Unterschied macht aus, dass zwischen beiden die Revolution lag. Während die verstohlene Ironie der einen sarkastisch und resigniert wirkt, weil ja doch nicht mehr viel Zeit bleibt, ist die Ironie der andern polemisch und herausfordernd, und noch der Quietismus der Naturbesoffenen fühlt sich als Künder einer neuen Zeit. 

Doch zurück zu Caspar Wolf: Während seine französischen Vorbilder im Landschaftsbild nach dem Effekt suchten (na ja, nicht nur) und großzügig so viel hinzutaten (na schön, nicht alle), bis es "funktionierte", malt Wolf Landschaftsporträts, Stellen, die es wirklich gibt, sogar (alle?) seine Höhlenbilder. Er malt aber nicht natur- getreu, sondern er holt aus dem, was er sieht, das Ästhetische heraus. Das war zu seiner Zeit noch neu. Und schon ein bisschen romantisch...  






Man muss gar nicht wissen, dass C. D. Friedrich einer mystisch-pantheistischen Weltanschauung anhing und ihm ‘die Natur’ als diesseitiges Antlitz Gottes galt – man sieht es ja auf seinen Bildern. Es geht ihm offenbar nicht darum, die Natur so malen, ‘wie sie wirklich aussieht’, und es ging ihm nicht darum, ein ‘schönes Bild’ zu komponieren. Er will etwas zeigen, das den geschäftigen Blicken des Alltags verborgen bleibt, und die Malweise (vgl. die Lichtstudie im oberen Bild) dient dem Zweck, es auf der Leinwand sichtbar zu machen. Er malt die Natur nicht so, wie sie erscheint, sondern als etwas, das hinter ihr steht. 

Darum kommen die Menschen auf seinen Bildern eigentlich nicht vor. Bei Claude erschienen sie nur als Staffage und als mythologischer Vorwand für ein triviales Landschaftsgemäde. Bei Corot erfüllen sie später nur eine optische Funktion. Wenn auf Friedrichs Bildern mal ein Mensch vorkommt, dann klein vor einer großen Landschaft, reglos und von hinten: Sie ‘stehen für’ den Bildbetrachter selbst, allein und der Natur gegenüber, und von ihr überwältigt. Und noch lieber würzt er seine Tableaux mit verrottendem Menschenwerk, das an unsere Vergänglichkeit erinnert.

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Mit andern Worten, Friedrich frömmelt altmodisch wie die Maler des Mittelalters. Im neunzehnten Jahrhundert geriet er bald in Vergessenheit, und seine Verklärung zum “deutschen” Maler im Dritten Reich hat er nicht wirklich verdient. Aber weltanschaulich ist seine Kunst, das macht sie fungibel, und auch für andere Zwecke als die seinen. Eine neue, verstohlene Popularität gewann sie im Umwelt-, Ganzheits- und Gesundheitskitsch der Achtziger Jahre, und das war so unverdient nicht.

Die heikle Nähe zum Kitsch macht freilich den besonders modernen Reiz von Friedrichs Bildern aus: Man muss aus ironischer Distanz ‘über sie wegsehen’, um ihre ästhetische Qualität wahrzunehmen. Man muss abstrahieren; im Anschauen reflektieren. Das Modernste an Friedrich ist etwas, das er ganz bestimmt nicht beabsichtigt hat.


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