Samstag, 19. Oktober 2013

Afritektur II.

aus NZZ, 18. 10. 2013                                                                                           schwimmende Schule von Makoko bei Lagos


Kleine Lösung, grosse Hoffnung In München ist eine Ausstellung über gemeinschaftliche afrikanische Architektur zu sehen

Die Pinakothek der Moderne in München zeigt alternative Architektur aus Afrika. Diese öffentlichen Bauwerke sind oft klein dimensioniert und setzen auf traditionelle Techniken. Sie stammen von afrikanischen und westlichen Architekten.

von Judith Leister

Sie heissen Appolonia, Cité du Fleuve, King City, Konza City, Tatu City oder Kilamba, und sie 
werden immer mehr. Das Tempo, mit dem die Trabantenstädte um die urbanen Zentren Afrikas wachsen, kann sich mit jenem der boomenden Megalopolen Asiens messen. Die für die afrikanische Mittelschicht meist von ausländischen Investoren realisierten Wohnblöcke und Quartiere schaffen neue Realitäten: Millionen Menschen werden an die Stadtränder gedrängt. 61 Prozent der afrikanischen Stadtbevölkerung leben in Slums. Alternativlösungen zum Bauen nach westlichem Vorbild entwirft die Ausstellung «Afritecture - Bauen mit der Gemeinschaft», die derzeit im Architekturmuseum der Technischen Universität in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen ist. Sechsundzwanzig Projekte aus der Subsahara-Region führen eindringlich vor Augen, dass es zwischen Hochhaus- und Reihenhausarchitektur auch Raum für alternative Ideen und Entwürfe gibt.
 
Die schwimmende Schule von Makoko bei Lagos


Gemeinsam mit der Bevölkerung

Zunächst aber heisst es beim Betreten der Ausstellung: Schuhe aus! Auf Strümpfen tastet man sich durch die Ausstellungslandschaft aus beigefarbenem Karton, in der neben Projektvideos auch Fotos, Texte, erklärende Comics und Baupläne von öffentlichen Bauten - Krankenhäusern, Kulturzentren, Schulen, Sportanlagen oder Wohnprojekten - aus Ländern wie Burkina Faso, Kenya, Mali, Nigeria, Rwanda oder der Republik Südafrika gezeigt werden. Oft entstanden die Gebäude in Gemeinschaftsarbeit; immer jedoch sind sie so angelegt, dass sie in Eigenregie gepflegt und erhalten werden können. Traditionelle Bauweisen und lokale Materialien wurden mit innovativen Techniken kombiniert. Entscheidend ist: Die Projekte wurden nicht oktroyiert, sondern gemeinsam mit der Bevölkerung entwickelt. So stärken sie nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern auch das lokale Handwerk und ermöglichen in gewissem Umfang sogar Kleingewerbe.

Der Münchner Architekt Dominikus Stark baute dieses Ausbildungszentrum in Ruanda
Die Bauten sichern oft die grundlegende Infrastruktur. Die Kibera Public Space Projects in Nairobi fussen auf der Initiative von sechs Harvard-Studenten, die in dem Areal durch die Befestigung des Flussufers, durch eine öffentliche WC-Anlage und eine Kanalisation die notwendige Hygiene sicherstellten. Beim Projekt Marlboro South in Johannesburg kartierte ein deutsches Architektenteam eine informelle Wohnsiedlung, die in alten Lagerhallen entstanden war, und konnte so politischen Druck auf die Behörden ausüben. In Rwanda schaffen Gemeinde- und Frauenzentren sowie Schulen und Sportplätze Hoffnung für eine traumatisierte Nachkriegsgesellschaft.

Schulbau von Francis Kéré in Gando, Burkina Faso. Stroh-Lehm-Ziegel speicher die Hitze tagsüber und geben sie nachts ab. Klimaanlangen sind überflüssig. 

Der aus Burkina Faso stammende Architekt Francis Kéré, bekannt durch sein zusammen mit Christoph Schlingensief konzipiertes Operndorf-Afrika-Projekt, initiierte in seinem Heimatort Gando den Bau einer Schule aus Lehm, der anschliessend Lehrerhäuser, eine Bibliothek und ein Frauenzentrum folgten (NZZ 8. 12. 10), und erhielt dafür den Aga-Khan-Preis, die wichtigste Architekturauszeichnung der muslimischen Welt. Eindrücklich ist die schwimmende Schule von Makoko, einem Slum im Stadtgebiet von Lagos. Die Siedlung mit ihren rund 150 000 Bewohnern steht zum grössten Teil auf wackeligen Pfählen im Wasser und wird regelmässig von Überschwemmungen heimgesucht. Ein nigerianischer Architekt hat nun ein leichtes, filigranes Schulhaus aus Holz entworfen, das sich dem Wasserstand flexibel anpasst. Im Rahmen des grossangelegten Lagos Water Community Project soll bald eine ganze Siedlung aus schwimmenden Häusern entstehen.

Mapungubwe Interpretation Center in Limpopo, South Africa, von Peter Rich.
Vielversprechender Kurswechsel 

«Afritecture» ist die erste Ausstellung von Andres Lepik, dem neuen Direktor des Architekturmuseums der Technischen Universität in der Münchner Pinakothek der Moderne. Lepik, der vorher Kurator am Museum of Modern Art in New York war, setzte bereits Akzente mit Ausstellungen jenseits der «Starchitecture». Er fordert, dass die «hochspezialisierten Gestaltungsfähigkeiten» von Architekten der globalisierten Gesellschaft stärker zugutekommen. Wichtiger als «Luxusprodukte der Architektur» seien neue Lösungen für Slums und Flüchtlingsströme. Dabei gehe es um die Kooperation mit der lokalen Bevölkerung und darum, «lehrend zu lernen». Der Kurswechsel an einem der wichtigsten Architekturmuseen Deutschlands verspricht interessant zu werden.

Bis 12. Januar 2014. Katalog: Afritecture. Bauen mit der Gemeinschaft. Hrsg. Andres Lepik. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2013. 272 S., Fr. 49.40 (€ 38.- in der Ausstellung).

 Schule in Gando, Burkina Faso

 

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