Samstag, 26. Oktober 2013

Wien - Berlin, II.

 
aus Süddeutsche.de,Franz Lerch, Mädchen mit Hut, 1929.


Zum Schönen gezwungen
 
Von Ruth Schneeberger, Berlin 
 
...Weil es sich um Kunstwerke von der Secession bis zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten handelt, ist das alles nicht neu und war - bis auf wenige Ausnahmen - auch anderswo schon zu sehen. Und die Kombination Wien-Berlin ist nun auch keine, die zwingend ein Massenpublikum hinterm Ofen hervorlocken müsste. Trotzdem stehen hier Besucher noch bis in die Nacht an, um in einzelne Räume hineingelassen zu werden; Ordner müssen dafür sorgen, dass der Andrang pro Rundgang nicht zu groß wird. Das liegt unter anderem daran, dass die Berliner sich für ihre Stadt interessieren - und für deren Widerhall in Kunst, Medien und Kultur. Und dass sie ein offenes Völkchen sind. Wie man dann auch an der Ausstellung und im Vergleich mit Wien noch einmal deutlich erkennt.
 
Franz Skarbina, Dame auf der Wandelbahn eines Seebades, 1883, 

"Volk ohne künstlerische Instinkte" 

...Und sie sind auch an Berlin-Bashing gewöhnt. "Dort lebt ein Volk ohne künstlerische Instinkte", urteilte einst die Wiener Journalistin und Kunstkritikerin Berta Zuckerkandl, wie Klebba verlas. "Ein Volk mit zersetzender, nutzenabwägender Verstandesart, fremd dem heiteren Zug der Phantasie. Es muss sich förmlich zum Schönen zwingen, um eine Empfindungsfähigkeit zu erlangen, welche der Wiener aufgrund seiner Veranlagung von Hause aus besitzt. Aber diese Leute haben an sich gearbeitet. Sie haben mit Macht alles Fremde an sich gerissen, um zu sehen und zu lernen. Und so hat Verstandesarbeit bessere Resultate ergeben als Talent." Soweit das doch ein wenig vergiftete Lob der damaligen Kunstkritikerin. Dazu muss man wissen: Die alte Kaiserstadt Wien hatte gerade ihren Rang als führende Kunststadt an den Newcomer Berlin als Reichshauptstadt abtreten müssen. Berlin war schwerst angesagt. Da kann man als Wiener Kulturinstanz schon mal ein bisschen säuerlich reagieren. 

Jeanne Mammen, Schachspieler, 1929-30.








 
Die Ausstellung zeigt indes, wie sich beide Metropolen von der Jahrhundertwende bis zur Machtergreifung durch die Nazis künstlerisch entwickelten - nämlich auf sehr unterschiedliche Weise, aber dennoch stark verbunden.

Max Liebermann vs. Gustav Klimt
 
Erstmals werden hier zentrale Werke der Berliner und Wiener Moderne zusammen gezeigt, von den Secessionen über den Expressionismus bis zur Neuen Sachlichkeit. Die Secessionisten wollten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Abkehr vom allzu akademischen Kunstbetrieb zwischen Jugendstilkunst und Spätimpressionismus bewegen. Neue künstlerische Ausdrucksmittel wurden gesucht, um den Aufbruch in die Moderne zu verkünden. Doch während sich die Berliner Künstler um Max Liebermann zunehmend der Alltagswirklichkeit widmen (schwer arbeitende Frauen, Bettler am Rande des Glanzes der Stadt) und die Erfahrungen mit der Großstadt aufs Papier bringen (Vergnügungsviertel, die neue burschikose Frau, junge Leute ohne Perspektive), dominieren bei den Wiener Kollegen um Gustav Klimt die ornamentale Form und das Symbolhafte.










Gustav Klimt, Johanna Staude, 1917; unvollendet

Eminent. Oder einfach dufte
 
Trotz dieser sehr unterschiedlichen Ausrichtungen gab es regen Austausch. Viele Wiener Künstler übersiedelten nach Berlin und erfassten die pulsierende Großstadt noch einmal ganz anders als ihre deutschen Kollegen. Junge österreichische Künstler wie etwa Egon Schiele treten aus dem Schatten Klimts und werden mit ihrer avantgardistischen Kunst, geprägt auch durch die Psychologisierung Sigmund Freuds, in Berlin einem größeren, aufgeschlosseneren, aber auch kritischerem Publikum bekannt gemacht. Kunsthändler und Publizisten knüpfen Netzwerke zwischen beiden Städten. 
 









Hannah Höch, Die Journalisten, 1925
 
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Tod von Klimt und Schiele gerät die Wiener Kunstwelt international in den Hintergrund, während sich in Berlin die Vertreter von Dada und der Neuen Sachlichkeit offensiv mit der politischen und gesellschaftlichen Lage auseinandersetzen und zu neuer Blüte reifen. Währenddessen kennt man in Wien keinen alles in Frage und auf den Kopf stellenden, scharfzüngigen Dadaismus. Kinetismus ist stattdessen die Kunstform der Stunde: utopistische Weltentwürfe und avantgardistische Bildsprache.
 









Erika Giovanna Klien, Lokomotive, 1926 
 
Das progressive, aggressive Berlin versus das behütete, sinnliche Wien gibt es also unter vielen Werken großer Künstler zu entdecken. Damals gingen manche Kritiker so weit, Wien als die Frau und Berlin als den Mann unter den Kunstmetropolen zu sehen.
 
Eindringlich, umwerfend, witzig, schön
 
Abgesehen von diesem gewollten Vergleich: Auch abseits der damaligen Berlin-Wien-Rivalität sind die hier gezeigten Bilder für den Besucher eine großartige Gelegenheit, sich in die Herzen der Bevölkerung rund um die beiden Weltkriege und in die Köpfe ihrer schlauesten Kritiker zu versetzen. Die größten Künstler ihrer Zeit wie Max Beckmann, Otto Dix, George Grosz, Hanna Höch, Käthe Kollwitz, Max Oppenheimer, Max Pechstein und viele weitere sind hier zu sehen. Es braucht Stunden, um einen Rundgang ernsthaft zu Ende zu bringen, so eindringlich sind viele Arbeiten - und so eingängig kuratiert.
 









Filiale der Wiener Werkstätte in Berlin, Ende der 20er Jahre. 
 
Darunter umwerfende Arbeiten wie eine Mappe von Otto Dix, in der er Erinnerungen an seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg als Radierungen festhielt: Verwundete mit unsäglich hilfesuchenden Gesichtern. Die nächtliche und fast schon komische Begegnung mit einem Irrsinnigen, der inmitten des kriegerischen Irrsinns dümmlich lächelt. Tote mit halb verwesten Schädeln. Oder auch Lithografien von Willy Jaeckel mit nicht minder eindringlichen Kriegserinnerungen: Aggressive, verzweifelte und auch eigentlich unwillige, aber durch die Kumpanen angefeuerte Soldaten beim Vergewaltigen einer Frau und ähnlich abscheuliche Szenen machen deutlicher als jedes Foto, wie stark der Krieg die Menschen deformierte.
Lotte Laserstein, Im Gasthaus, 1927
Oder auch intensive Arbeiten der Künstlerin Lotte Laserstein: "Im Gasthaus" heißt schlicht ihr Bild von 1927 - und es erzählt doch viel mehr: Laserstein war eine der ersten Frauen, die an der Berliner Akademie der Künstler studieren durfte, der Zugang zur akademischen Ausbildung war Frauen erst seit 1919 erlaubt. Ihr Mix aus altmeisterlicher Maltechnik und alltäglichen Motiven war so bestechend, dass der Magistrat der Stadt Berlin ihr Gasthaus-Bild mit dem Portrait der blonden jungen Frau 1928 kaufte. Zeit ihres Lebens dachte die Künstlerin, die 1937 wegen ihrer jüdischen Familie vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste, ihr Bild sei im Zweiten Weltkrieg zerstört worden.
 









Ernst Neuschul, Zwei müde Frauen, 1925. 
 
Stattdessen wurde es nach ihrer Flucht als "entartete Kunst" beschlagnahmt und kam in Privatbesitz. Erst kürzlich wurde es auf einer Kunstauktion entdeckt und jetzt, fast 80 Jahre später, wird es erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Noch ein weiteres Bild der Künstlerin ziert die Ausstellung: ein großformatiges Ölgemälde mit dem Titel "Abend über Potsdam" von 1930 zeigt intensiv die Stimmung intellektueller junger Großstädter in den frühen Dreißigerjahren: trüb, orientierungslos, aber noch nicht gänzlich hoffnungslos, was sich später als Trugschluss erweisen sollte.
 









Herbert Ploberger, Selbstbildnis (mit ophthalmologischen Lehrmodellen), 1928 – 1930 
 
Zuguterletzt gibt es auch einfach Schönes und Witziges: Wie etwa die tiefgründigen Portraits dekadenter Damen von Christian Schad mit den für die 20er Jahre üblichen Bubikopffrisuren oder die Bleistiftzeichnungen berühmter Künstler, die sich gegenseitig karikierten.
 
Die Wiener würden zu dieser Fülle an hochpolitischer wie historisch verdichteter als auch optisch höchst zugänglicher Kunst wohl sagen: eminent. Im Berliner Sprech hieße es dagegen schlicht: dufte. [Ich habe seit wenigstens zwei Jahrzehnten keinen Berliner mehr dufte sagen hören. JE]
 









Carry Hauser, Jazzband,1927
























 
Die Ausstellung ist bis zum 27. Januar in Berlin zu sehen, von Mitte Februar bis Mitte Juni 2014 in der Galerie Belvedere in Wien, die am Konzept beteiligt war. Zur Ausstellung erscheinen ein Katalog und eine App, dazu gibt es verschiedene Wien-Nächte. Weitere Infos unter http://www.berlinischegalerie.de/

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