Freitag, 18. Oktober 2013

"Japanismus" in Winterthur.

aus NZZ, 17. 10. 2013


Revolution des Sehens
Bonnard, Vallotton und Vuillard im Bann des japanischen Holzschnitts - eine Ausstellung in der Villa Flora
 


Eine feine Kabinettausstellung in der Villa Flora widmet sich dem Einfluss des japanischen Farbholzschnitts auf die Kunst der Nabis. Erstmals werden neu entdeckte Blätter von Hokusai, Hiroshige und anderen japanischen Künstlern gezeigt.

von Philipp Meier

Ob sie als «Mona Lisa» der japanischen Kunst betrachtet werden kann, ist zwar fraglich, denn lange galten Holzschnitte im Land der aufgehenden Sonne als Erzeugnisse der Populärkultur. Dennoch aber kennt heute jedermann die «Grosse Welle» von Hokusai. Sie gilt als das weltweit bekannteste Kunstwerk Japans. Dass die auch heute noch ungemein zeitgemäss anmutende Komposition einer riesigen, über ein paar Fischerboote hereinbrechenden Meereswelle aber einst die Sehgewohnheiten in der westlichen Kunst revolutionierte, mag weniger bekannt sein. Längst hat sich das moderne Auge an Bilder mit Extremperspektiven wie jener in Hokusais Geniestreich gewöhnt.

darf nicht fehlen

Phänomen Japonismus

Einst aber waren solche Kompositionen ungewohnt - und bald der letzte Schrei. Mit der Entdeckung japanischer Holzschnitte wie etwa der «Grossen Welle» brach am Ende des 19. Jahrhunderts im Westen eine Japan-Manie aus, die eine kopernikanische Wende im Kunstverständnis auslöste. Das Phänomen ist bekannt als Japonismus. Es entstand vorab in Paris eine Sammelleidenschaft unter Künstlern und Kunstliebhabern, die sich fast ausschliesslich einem einzigen Aspekt japanischen Kunstschaffens zuwandte, dem Ukiyo-e. Durch die Öffnung Japans für den internationalen Markt 1854 und durch die Weltausstellungen drang diese der japanischen Volkskunst zuzurechnende Kunstgattung mit ihren bunten Drucken von Schauspielern, Landschaftsansichten, schönen Frauen und erotischen Szenen rasch ins westliche Bewusstsein.

van Gogh, Sämann, 4. Version, 1888

Künstler wie van Gogh adaptierten die verknappte Bildauffassung eines Hokusai oder Hiroshige. Manet machte sich den flächig vibrierenden Einsatz von Farben japanischer Holzschnitte zu eigen und verzichtete weitgehend auf die Modellierung der Körper und Gegenstände. Und dem Geschmack insbesondere der Nabis wie Bonnard, Vallotton und Vuillard entsprachen Kompositionsprinzipien des Holzschnitt-Genres wie gewagte Aufsichten und Ausschnitte sowie Nah- und Fernsicht dicht nebeneinander. Begierig nahmen sie solche Stilelemente in ihre immer dynamischer werdenden Kompositionen auf. Die Nabis sind bekanntlich in der Sammlung der Winterthurer Villa Flora besonders gut vertreten. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich in den ehemaligen Sammlungsbeständen von Arthur und Hedy Hahnloser auch eine ganze Mappe japanischer Druckgrafik auffinden liess. Diese - auf Anregung der Künstlerfreunde des Winterthurer Sammlerpaars erworbenen - Blätter werden nun erstmals zusammen mit Werken aus den hauseigenen Beständen ausgestellt.
 
Vallotton, La paresse 1896

Wie so viele andere Sonderschauen zuvor auch bringt diese feine Kabinettausstellung den Charme des häuslichen Ambiente dieses Juwels unter den Schweizer Kunstmuseen voll zur Geltung. Sie wirft aber vor allem auch den Blick auf einen weiteren Aspekt der Sammlungsgeschichte. «Bonnard, Vallotton, Vuillard im Bann des japanischen Holzschnitts» ist der zweite Teil eines Ausstellungsprogramms, das die wenig bekannte Hahnloser/Jaeggli-Stiftung mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken will. Diese steht hinter dem Museum mit heute über hundert Gemälden in ihrem Besitz.
 
 Pierre Bonnard, Dame mit Regenschirm, und Suzuki Harunobu, Lesende Dame 

In den kleineren Räumen werden Arbeiten, sowohl Gemälde wie auch Grafiken, von Bonnard, Vallotton und Vuillard japanischen Holzschnitten aus der Sammlung gegenübergestellt. Die Holzschnitte dürfen dabei als veritable Entdeckung gelten, war ihr Vorhandensein in der Sammlung Hahnloser bisher doch kaum bekannt. Für die Präsentation erfolgte durch die Zürcher Doktorandin Sabine Bradel eine wissenschaftliche Sichtung und Aufarbeitung dieses interessanten Materials.
 

Édouard Vuillard, Mutter und Kind

«Le nabi japonard»

Die stimulierende Wirkung japanischer Farbholzschnitte auf das Schaffen Vallottons, Bonnards oder Vuillards lässt sich in der direkten Gegenüberstellung bestens erfahren. So scheint Bonnard, der im Freundeskreis «Le nabi japonard» genannt wurde, etwa in einem Gemälde mit Gewitterstimmung über Vernouillet die schematischen Regenstreifen direkt einem Manga-Bändchen von Hokusai entnommen zu haben.
 
Pierre Bonnard, L’orage à Vernouillet, 1908,

Auch die von einem Windstoss ergriffenen Passanten in einem berühmten Schwarz-Weiss-Holzschnitt Vallottons («Le coup de vent») wären ohne Hokusais Vorreiterrolle nicht denkbar gewesen. Gelang dem Meister aus Japan doch selbst die Visualisierung unsichtbarer Elemente wie der klirrenden Kälte von Schnee, des süssen Dufts einer Blüte, des leisen Summens eines Insekts - oder eben einer plötzlichen Windböe. 
 
 Vallotton, Le coup de vent

Schöne Frauen in Innenräumen waren ein beliebtes Motiv sowohl im japanischen Holzschnitt als auch in der Kunst der Nabis. Die Musterung von Tapeten und Kleidern spielt hier eine zentrale Rolle. In Vuillards Interieurs wie etwa der «Dame en noir assise», die allein schon des Hochformats wegen an japanische Vorbilder erinnert, hat sich die Zentralperspektive gänzlich aufgelöst: Die einzelnen Raumelemente und selbst die im Vordergrund sitzende Dame bestehen nunmehr aus unterschiedlich intensiv leuchtenden Farbflächen.
 
Edouard Vuillard, Dame en noir assise (La mère a la fenêtre), 1893

Anderseits lassen sich auch Befruchtungen aufzeigen, welche die andere Richtung nahmen, jene von West nach Ost. In der Bibliothek stehen sich zwei Winteransichten gegenüber: Während Bonnards «Paysage d'hiver» den verschneiten Landschaftsraum à la japonaise in reiner Flächigkeit zelebriert, ist Hiroshiges winterliche Szenerie
 
«36 Ansichten der mit einem shintoistischen Schrein aus den Östlichen Hauptstadt» nach abendländischer Manier von strenger Zentralperspektive geprägt.

Winterthur, Villa Flora, bis 2. Februar 2014.

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