Samstag, 5. Oktober 2013

Das Ästhetische entsteht als Gegensatz zum Ökonomischen.

Thomas Max Müller, pixelio.de                                                                                                                          aus Über Ästhetik, Rohentwurf, 8.

Das Ästhetische (‚Schöne’) ist der Gegensatz zum Ökonomischen (‚Nützlichen’); d. h. es entwickelt sich als ein solcher. Es ist aber nicht der „bestimmte“ Gegensatz, sondern es ist vielmehr der Gegensatz des Unbestimmten zum Bestimmten; des zu-nichts-Brauchbaren gegen das, womit sich ‚was anfangen läßt’. Ein dynamischer Gegensatz. Nämlich nur in dem Maß, da das Bestimmte, bzw. das Noch-zu-Bestimmende im wirklichen Erleben (historisch) einen Vorrang erhält (nämlich in der Geschichte der Arbeitsgesellschaft) vor „all dem Andern“, wird aus der ‚bloßen’ Differenz der beiden eine spezifische; wird aus der Masse des (ökonomisch) Indifferenten, ‚Zwecklosen’, dasjenige Zwecklose ‚auserlesen’, das (ironisch!) so scheint, als ob es dennoch „einen Zweck hat“ - als dessen counterfeit, Konterfei, Parodie. Polemisch wird das Ästhetische erst, wenn und weil das Ökonomische Überhand nahm. Das Ästhetische ist „das polemisch Nicht-Positive“. Anders: das Bestimmt-Unbestimmte (Adorno). Das prägnant-Unbestimmte. ‚Bestimmt’ ist etwas durch die Eigenschaft, die es mir bei der Verfolgung meiner Zwecke ‚zeigt’; nämlich der Grad, in dem es sie fördert oder hindert. ‚Vollkommen bestimmt’ ist Etwas dann, wenn es im (idealen) System aller möglichen Zwecke immer wieder nur auf ein und dieselbe Weise ‚begegnet’ - nicht nur meistens; ab und zu; mal so mal so... In einer schon weitgehend auf die ‚normalen’ Zwecke hin ausgelegten Welt haben alle ‚normalen’ Dinge ihren Platz. Die Welt selbst ist zweckmäßig eingerichtet, und ipso facto sind die Dinge, die in ihr vorkommen, bestimmt - und bestimmen ihrerseit die ‚Welt’: „Wechselbestimmung“ findet statt immer nur unter der Prämisse der Zwecke als des allgemeinen Tertium - dies das Wahre am Pragmatismus. Aber es ist ein historisch Wahres; bloß! Es ist das Wahre der bürgerlichen Gesellschaftsform. In ihr ist das Bestimmte das Normale; nämlich das Gewöhnliche. Triviale. Selbstverständliche. Und daher Langweilige. Noch langweiliger ist höchstens der indifferente Stoff, der erst der Bestimmung harrt: das Noch-nicht-Bestimmte, das womöglich noch nicht einmal ‚zur Bestimmung bestimmt’ ist. Sobald es zur Bestimmung vorgesehen ist - vorbereitet zum Eingang in den Arbeitsprozeß -, gewinnt es Relief: als Hindernis = Negative Bestimmung. Praktische Umbestimmung = Arbeit; Produktion. „Ent“bestimmung durch Verzehr; Konsum. Folgt: Mangel. Mangel an diesem ist: bestimmter Mangel; Mangel bestimmt durch ‚dieses’. Bürgerlicher Alltag. Banalität des Geschäfts. 

Andreas Hermsdorf, pixelio.de

Dem gegenüber bietet das Unbestimmte-weil-nicht-Bestimmbare, das Zur-Bestimmung-nicht-Bestimmbare Prägnanz. „Sensation“. Die Sensation ist das Ästhetische: Was das eine auf Griechisch, ist die andre in Latein. Die Frage ist, ob die Sensation hält; vorhält; hält, was sie verspricht... Denn nur, was die Erwartung der Bestimmbarkeit weckt, kann dieselbe enttäuschen und als Enttäuschung wahrgenommen werden. (Was gar nicht erst so aussieht, als könne es zu Zwecken in ein Verhältnis treten, wird überhaupt nicht bemerkt.) Nur so ist das Unbestimmte prägnant; nämlich als unbestimmt. Allerdings wird am Ende der Arbeitsgesellschaft das Bestimmte allenthalben erwartet. Da kann jede ungestalte Kacke momentan Sensation machen. Wie der Beuys, so der Zladko. Und jede Obszönität in der Talkshow. Aber sie enttäuscht die Erwartung, denn sie ist bestimmt… als Kacke. 

Guenter Hamich, pixelio.de                 

Wäre der Gang der Geschichte der von einer verzweckten Welt in eine unverzweckte gewesen, wäre an ihrem Ende das Bestimmte das Prägnante; die Sensation; das Ästhetische. So ist es aber nicht gewesen. Historisch ist es, wie es ist. Am Anfang war das Chaos, in das ein Kosmos allmählich hineingebildet werden mußte. Den Booten, die sich der Küste bei Pästum näherten, sprang die gefügte Bestimmtheit des dorischen Tempels ins Auge: Der war die Prägnanz, die ungestalte Landschaft ringsum war Brache. (Dem Schiffsreisenden geht es, nach Stunden, Tagen eintönigen Meeres, noch heute so. Allerdings macht uns die Bucht von Neapel - mit Vesuv, Capri, Ischia - heut mehr Sensation als die Stadt.) - Übrigens ist der Gang der Vorgeschichte andersrum gegangen: Aus der Bestimmtheit des Regenwalds in die Unbestimmtheit der offenen Baumsavanne; aus der Nische in die Welt. Der gegenwärtige Übergang aus der Arbeitswelt in die [...?!] erinnert daran. Das Unbestimmte wird wieder prägnant und lockt; „Ästhetisierung der Welt“ wird das genannt...  

Poelzig, IG Farben

Nota.

Das Bild am Kopf dieses Eintrags widerspräche der Aussage des Textes, das sei ja ein Industriegerät, nicht allein bestimmt, sondern unverhohlen ausschließlich zu seinem Zweck bestimmt; und dennoch fänden wir einen ästhetischen Reiz daran...?!

Ganz falsch. Das war ein industrielles Gerät. Heute ist das nicht mehr. Heute ist es ein museales Exponat im Denkmalpark Ruhrgebiet. In den fünfziger, sechziger Jahren, als diese Dinger in Betrieb waren, haben wir gar nichts Ästhetisches an ihnen gesehen, und wir dachten, was hilft ein blauer Himmel über der Ruhr, wenn immer noch überall diese Scheußlichkeiten stehen? 

Einen ästhetischen Reiz entfalten sie - ich meine für die große Masse der Laien -, weil sie inzwischen entbestimmt sind.

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