Samstag, 12. Oktober 2013

...ist die Malerei ein Handwerk.

aus NZZ, 12. 10. 2013                                                                                      Caspar Wolff,1735-83, Schweizer Landschaft

«Zu Zürich ist die Malerei ein Handwerk»
Zeiten der Enge - die ältere Sozialgeschichte der Schweizer Künstler
 


In der frühen Neuzeit unterschied sich der Malerberuf in seiner Organisation von keinem anderen Handwerk - das zeigt ein Blick auf die ältere Sozialgeschichte der Schweizer Künstler. Auch wurde der Beruf des Malers oft eher aus wirtschaftlichen Gründen denn aus künstlerischem Interesse ergriffen.

von Rolf E. Keller

«Es ist schwerer, als man glaubt, eine Geschichte der Künstler zu schreiben, von einer Nation, wo der grössere Teil bei einer edlen Einfalt der Sitten und einer glücklichen Mittelmässigkeit der Reichtümer ihren Aufwand mehr auf das Nötige verwendet, und wo folglich der Künstler, um zu einer wahren Grösse zu gelangen, aus Mangel von Kunst Sachen, und folglich auch Aufmunterung, sein Vaterland verlassen, und auswärts sich bilden muss, will er dann die Früchte seiner Kunst geniessen, so findet er sein Glück leichter und gewisser in Königs Städten und in Ländern, wo Pracht und Aufwand keine Grenzen haben.» In der heutigen Zeit mit dem boomenden Kunstbetrieb und der jährlichen Kunstmesse Art in Basel klingen diese Zeilen seltsam. Ihr Autor ist Johann Caspar Füssli (1706-1782), der in der Art der Viten Vasaris unter dem Titel «Geschichte der besten Künstler in der Schweiz» die erste Schweizer Kunstgeschichte verfasst hat, die zwischen 1769 und 1779 in zweiter und wesentlich erweiterter Auflage erschien. Füssli war selbst Maler und Vater des berühmteren Johann Heinrich Füssli. In knappen, aber präzisen Worten hat Füssli die damalige Situation des Künstlers in der Schweiz festgehalten
Anton Graff, Johann Caspar Füssli, 1765

Erwachen aus der Isolation

In dieser Zeit erwachte die Schweiz aus ihrer Isolation. Die Republik war keine anachronistische Staatsform mehr, sondern eine denkbare Alternative zur Monarchie. Reisen in die Schweiz erfreuten sich bei der gebildeten Schicht einer grossen Beliebtheit. Doch bei den bildenden Künsten ist diese Wende, von der Produktion von Schweizer Landschafts-Veduten einmal abgesehen, noch nicht angekommen. Der Republikanismus und ein gerade in der Schweiz ausgeprägt bildfeindlicher Protestantismus hatten ihre Spuren hinterlassen. Füssli gibt der Hofkunst eindeutig den Vorzug und rät dem Schweizer Künstler auszuwandern. Trotzdem sind es patriotische Gefühle, die ihn zur Niederschrift seiner nationalen Kunstgeschichte veranlasst haben.


In den schon im 17. Jahrhundert aufkommenden Kunstakademien, die die Schweiz nicht kannte, wurde die Künstlerausbildung wesentlich gefördert. Füssli hält allerdings nicht allzu viel von den Akademien, begrüsst aber umso mehr die Gründung der ersten staatlichen Zeichenschule in Genf im Jahr 1751. Diese Schule will allgemein das Zeichnen fördern und soll auch Handwerkern offenstehen. Ähnliche Schulen werden dann in den Städten Basel, Bern und Zürich eröffnet. Mit keinem Wort erwähnt Füssli die Institution, die die Ausbildung und das Berufsbild nach wie vor prägt: die Zunft. Ganz anders äussert sich sein Kollege, der Porträt- und Landschaftsmaler Johann Balthasar Bullinger (1713-1793): «Zu Zürich ist die Malerei ein Handwerk und den schlechtesten gleich an eine Zunft gebunden.» Bullinger wusste, wovon er sprach. Er kannte Oberitalien und Holland und war bei Tiepolo als Schüler.

Johann Balthasar Bullinger, Schweizer Landschaft 

Macht der Zünfte 

Die Zürcher Maler waren mit andern Handwerkern in der Weinleutezunft und waren der gleichen Ordnung unterstellt wie die Flachmaler, welche deutlich in der Überzahl waren. Dekorationsmalerei oder das Malen von Sonnenuhren, Zifferblättern und Wappentafeln gehörte ebenso zum Alltag eines Malers. Der bekannte Zürcher Porträtist Hans Asper (um 1499-1571) strich auch Fensterläden für die Obrigkeit an. Die Lehre, die in der Regel mit 13 oder 14 Jahren begann, dauerte in Zürich mindestens 3, in Schaffhausen 4 und zum Vergleich in Münster (Westfalen) gar 6 Jahre. Danach wurde der Lehrling zum Gesellen, und es folgten Wanderjahre, für die Zürcher mindestens zwei. Danach konnte der Maler sich mit einem Meisterwerk um die Meisterschaft bewerben. Die Zünfte schützten die Maler vor auswärtiger Konkurrenz und regelten den Wettbewerb unter den Zunftmitgliedern. Gefördert wurden die Söhne von Malern. Ihre Lehrzeit und ihre Wanderjahre waren kürzer, ihr Lehrgeld geringer, oder sie mussten gar keines bezahlen. Das führte dazu, dass der Malerberuf manchmal eher aus wirtschaftlichen Gründen denn aus künstlerischem Interesse ergriffen wurde. Auch Gesellen, die die Witwe eines Malers heirateten, konnten rascher die Meisterschaft erwerben. Der Malerberuf unterschied sich in seiner Organisation von keinem anderen Handwerk. 

Hans Asper, Leonhard Euler 

Goldenes Zeitalter 

Auch im Ausland befand sich der Maler nicht immer in «Königs Städten und Ländern». Das bekam der Zürcher Maler Samuel Hofmann (um 1595-1649) 1644 in Frankfurt a. M. zu spüren, als die dortigen Kollegen schon bald nach seiner Ankunft seine Ausweisung verlangten. Die Aufenthaltserlaubnis wurde ihm schliesslich verlängert, und dank seinen qualitätvollen Porträts für angesehene Persönlichkeiten konnte er bis zu seinem Tod dort bleiben. Bern kannte den Zunftzwang nicht, und man sprach deshalb im 17. Jahrhundert von einem goldenen Zeitalter, zu dem die patrizische Gesellschaft als Auftraggeber das Ihrige beitrug. Der liberalere Umgang mit den Künsten war auch noch 1746 der Grund für den Basler Maler Emmanuel Handmann (1718-1781), sich mit Unterbrüchen in Bern niederzulassen. Auch in Zürich wurde der Zunftzwang nicht immer gleichermassen durchgesetzt. Das Porträtieren und Zeichnen wie übrigens auch die Glasmalerei galten als freie Künste, was aber 1630 für das Porträtieren aufgehoben wurde.

Hans Asper, Ulrich Zwingli 

Keine Impulse

Die Kontrolle der Zünfte beschränkte sich auf die Stadt. Neben den zünftigen Malern waren in der Landschaft auch andere Handwerker wie Schreiner, Maurer und Hafner und angelernte Maler auf diesem Gebiet tätig. Die Freiheit oder besser gesagt die fehlende Kontrolle auf dem Land brachte aber keine künstlerischen Impulse, da den Malern für ambitionierte Aufgaben die nötige Ausbildung fehlte. Bauernsöhnen war es nicht erlaubt, eine Lehre zu machen. 

Hans Kölla, Kaspar Escher, Staatsschreiber von Zürich 

Erst dank dem Geniekult wurde der Bauernsohn Johann Kölla (1740-1778) aus Stäfa als Maler entdeckt und von Füssli gefördert. Er blieb aber Autodidakt. Die damals hohe Wertschätzung für ihn ist heute nicht mehr nachvollziehbar. In Luzern und Zug waren die Maler und Bildhauer mit den Glasmalern und anderen Berufen von den St.-Lukas-Bruderschaften vertreten. Neben handwerklich-zünftigen Anliegen dienten diese Bruderschaften der Geselligkeit und übernahmen auch seelsorgerische Aufgaben.

Konkurrenz aus Süddeutschland

Die Bilderfeindlichkeit der protestantischen Orte führte dazu, dass sich die Maler auf Porträts, Stillleben, Allegorien, Historien- und Landschaftsbilder konzentrierten und keine Erfahrung in der illusionistischen Wand- und Deckenmalerei erwerben konnten. Die Zürcher Musikgesellschaft beauftragte deshalb 1717 den Zuger Barockmaler Johannes Brandenberg (1661-1729) mit dem Deckenbild für den Musiksaal (Verkündigung an die Hirten, heute im Stadthaus) am Fraumünster.

Brandenberg, Johannes, Christus steigt herab zur Weihe der Einsiedler Gnadenkapelle, 1709-1710,

Der Protest der Zürcher Maler blieb nicht aus, ja sie wollten die Auftraggeberin sogar dafür büssen. Füssli schreibt, dass Zug für Brandenberg zu klein gewesen sei, um ihn und seine Familie zu ernähren. So malte er unter anderem auch Wand- und Deckenbilder für das Benediktinerstift Einsiedeln. Er war einer der letzten Schweizer Maler, die für solche umfassenden Aufträge zum Zuge kamen. Für die Einsiedler Klosterkirche wird es später der süddeutsche Maler Cosmas Damian Asam sein. Im 18. Jahrhundert wurden in der katholischen Ost- und Innerschweiz zahlreiche Kirchen erweitert, neu ausgestattet oder anstelle bestehender erbaut. Als Architekten, aber auch für die Ausstattung dieser Kirchen kamen fast nur süddeutsche Künstler zu Aufträgen. Sie verfügten über die notwendige Erfahrung in der Wand- und Deckenmalerei und in der Herstellung von Skulpturen und Stuckaturen. 

Cosmas Damian Asam als Stuck-Skulptur vor dem Deckengemälde der Klosterkirche Weltenburg. 

Den Schweizer Künstlern fehlten dagegen oft die notwendige Praxis und die Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Bildhauern und Stukkateuren. Manche suchten Zuflucht in Nischenproduktionen. Einige Innerschweizer Maler verlegten sich beispielsweise ganz oder teilweise auf die Hinterglasmalerei. Von grösserer Bedeutung war die mit der Entdeckung der Schweiz verbundene Nachfrage nach Landschaftsbildern, die möglichst den idealen Vorstellungen der Reisenden entsprechen sollten. Maler, Radierer und Verleger boten diese als Gemälde, Gouachen, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgrafiken und kolorierte Umrissradierungen an.

Ende des Zunftzwanges

Die Emanzipation des Künstlers vom Handwerk, dem die Maler und Bildhauer im Mittelalter zugerechnet wurden, beginnt in Italien schon in der Frührenaissance. In den deutschsprachigen Ländern bleibt die Macht der Zünfte erhalten. Sie strukturieren die Biografie des Künstlers, indem sie Lehrzeit, Wanderschaft, Gesellen- und Meisterschaft vorschreiben. Sie fördern die Übernahme der Werkstatt durch die Nachkommen und schränken die Zuwanderung ein. 

 Alexandre Calamé, Lutschental mit Wetterhorn, um 1830

Dass die von Malern verfassten Viten Angaben zur Lehre und Wanderung machen und die künstlerische Entwicklung hervorheben, aber die Zunft als Hemmschuh mit keinem Wort erwähnen, versteht sich. Es war gerade die Herausforderung für den ambitionierten Künstler, sich aus diesem handwerklich strukturierten Milieu gegen erheblichen Widerstand zu befreien und Freiräume zu schaffen, beispielsweise auch durch den Wechsel des Arbeitsortes. Der Untergang des Ancien Régime 1798 bedeutet auch das Ende des Zunftzwanges. Dass die bildenden Künste danach gleich zu einer grossartigen Blüte erwachten, kann, wenn man von Einzelschicksalen absieht, sicher nicht gesagt werden. Die Schweiz lag ausserhalb der grossen Zentren, und ein Teil der Protestanten blieb den Künsten gegenüber lange Zeit reserviert. Der Titel der Ausstellung «Freie Sicht aufs Mittelmeer» im Kunsthaus Zürich rief 1998 vielleicht zum letzten Mal in Erinnerung, dass es diese Enge einmal gab.

Ein vom Europäischen Forschungsrat unterstütztes Projekt zur bis jetzt noch nicht systematisch erforschten Künstlersozialgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit im deutschsprachigen Raum wird an der Universität Trier unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Tacke, der durch mehrere Publikationen zu diesem Thema hervorgetreten ist, durchgeführt.

 Johann Heinrich Füssli, Selbstporträt, 1779.

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