Dienstag, 22. Oktober 2013

Willi Baumeister aus und in Stuttgart.

aus Badische Zeitung, 22. 10. 2013                                                                         Monturi, Diskus, 1954

Systematiker des Unbekannten
"Willi Baumeister International": Eine Retrospektive und Recherche im Kunstmuseum Stuttgart. 

von Volker Bauermeister

In Stuttgart hatte der gebürtige Stuttgarter Willi Baumeister einen Lehrer, der dem Akademiebetrieb eine Wendung gab. Die Kunst begann für Adolf Hölzel mit der Formlehre: mit einem Nachdenken über die Elemente des Bildes und deren Wirkung. Baumeister lernte, das Bild vom Bild aus zu sehen. Er übt sich im Farbenweben à la Cézanne. Hölzel war überzeugt von ihm und ließ dies auch hören: Der würde es mal weit bringen!

Selbstbildnis, 1910.

Wie weit, das will die Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum erklären, die dem Namen des Malers einen Begriff anfügt – eine Behauptung, für deren Nachweis sie weit ausholt. "Willi Baumeister International". Es ist eine Retrospektive, die erste seit 1954 in Stuttgart, seit Baumeisters 65. Geburtstag. Doch mit dokumentarischen Implantaten auch. Ergebnis einer Recherche, in Zusammenarbeit mit dem dem Museum angeschlossenen Archiv Baumeister. Die Bilderstrecke begleiten Tischvitrinen mit Publikationen, Briefen et cetera. Ein Raum ist Fotoalbum. Baumeister im Porträt, im Verein mit der Kunstwelt: mit Mondrian, Léger oder Arp. Ein zum Wandbild vergrößertes Foto zeigt ihn vor einer Transportkiste mit der Adresse der Pariser Galerie Bucher.

1949

Für die Franzosen war er – weit entfernt vom Expressionismus – einmal ein ganz anderer Deutscher. Er wurde beachtet und anerkannt. Die von Le Corbusier und Ozenfant herausgegebene Zeitschrift "L’Espit Nouveau" stellte (schon 1922) den Puristen aus Deutschland vor. Und nach dem Krieg war er der erste Deutsche, der in Paris ausstellte. Die Ausstellung porträtiert den Netzwerker in seinem Netzwerk.

Phantom rot, 1951

Sie zeigt einen Künstler, der in seiner Arbeit einen erstaunlich weiten Horizont ausmisst. Der junge Baumeister unterwirft seine Bilder strikt der Ratio. Ein Konstruktivist. Und von Cézannes Textur findet er schlüssig zum Begriff des Bildes als Objekt. Die Wand ist, was er im Auge hat. Seine mit plastischen Elementen – Gips, Pappe, Pappmaché – angereicherten "Mauerbilder" nehmen in der Schau einen zentralen Raum ein. Aber dann sind es ältere – ja, uralte Wände, die sein Interesse wecken. Seine Sportler, exemplarische Darsteller der modernen Zeit – Protagonisten ihrer Geschwindigkeit, ihres Freiheitsversprechens: Sie scheinen nun viel eher Höhlenbildern entsprungen zu sein. Baumeister sucht eine neue historische Tiefe in den Malereien der Steinzeit. Er durchstreift die Formwelten der Erdteile. Suggeriert Afrikanisches. Nähert sich ostasiatischer Kalligraphie. Um die Kunst auf dem Formweg zu weiten.

A I Orange-Grün, 1923

Es war die Zeit des Ausstellungsverbots, der Ablehnung und Hetze. Der Inhumanität und Unkultur der Nazis setzt Baumeister die Kunst entgegen, eine Spurensuche in der Geschichte der Kultur. Formschöpfung ist seine Gegenwehr. Er sucht den Einklang mit der Kunst aller Zeiten. Und den mit der Natur als schöpferischer Kraft. Schon Ende der 20er Jahre spielen sich biomorphe Gebilde ein. "Wachstum" ersetzt Konstruktion. Bilder sollten das Leben repräsentieren, angesichts der leidvoll erfahrenen "Erschütterung aller Lebensbedingungen". Nach dem Krieg trägt das Üben und Nachdenken Früchte – als Bildserie auf Bildserie folgt.

Flämmchenbild, 1931.

Der Maler legt sich auf wechselnde Sprachen fest, nicht auf Inhalt und Aussage. Die Natur sagt ja auch nicht, worauf sie hinaus will. Und wenn es ein Bildziel gibt, dann ist es "Das Unbekannte". Das macht er zum Titel eines 1947 publizierten Buchs. "Das Unbekannte in der Kunst" propagiert ein fernöstlich inspiriertes Offenlassen und Sich-Öffnen. Offenheit ist, was Bilder unverfügbar macht.
Metamorphose schwarz,1950

"Beweglichkeit ist seine Charakteristik", sagt Le Corbusier über Baumeister. Der hat seine "Richtung" geändert, sich der Festlegung immer wieder entzogen. Und doch nicht aufgehört der zu sein, der er in den modernistischen Anfängen war. Ein "Gesetzgeber in gesetzloser Zeit", wie ihn HAP Grieshaber, der Holzschneider, nennt. Ein Systematiker bei allem. Seine in klaren Formschritten entwickelte, zeichenhafte Abstraktion ist weit entfernt von den Eruptionen der Jüngeren.

Hommage à Jérôme Bosch 1953

Späte Bilder wirken schlagartig durch eine gewonnene Einheit. "Montaru" – der Serientitel – will klanglich an Monument und Montagne erinnern. Der unaufschließbaren Zentralform in Schwarz schließen kleinere leuchtend farbige Elemente sich an, lagern sich ein und bilden Satelliten. "ARU" sind zerklüftete, bildbeherrschende schwarze Gebilde. "Monturi" zeigen eine weiße Dominante. Baumeister zielt auf eine Wirkung wie ein Paukenschlag. Und gibt doch das Beziehungsmuster der Komposition nicht auf. Der Geschichte der Malerei bleibt er verpflichtet. Anders als seine anti-historischen amerikanischen Zeitgenossen.

Großes Montaru, 1953

Die Kunst auf dem Formweg weiten

Zusammen mit den "Montaru" "ARU" und "Monturi" sind hier am Schluss auch Scheinreliefs zu sehen – dunkle Mauertexte, die mit ihrer Zeichenschrift aus den archaisierenden Zeichnungen der letzten Kriegsjahre hervorgehen. Noch einmal küsst der Künstler Kulturgeschichte wach. Der zeitkünstlerische Konnex stellt sich gesondert in einem Abteil dar. Was alles er sammelt: Miró und Picasso, von Jawlensky einen Konstruktiven Kopf, ein Blatt von Kandinsky und Blätter von Klee, auch von Bissier eine Tusche . . . Von Hans Arp kommt ein großes Holzrelief; er gibt dafür einen kleinen "Montaru-Kreis". Auch mit Freund Léger kommt es natürlich zum Tausch von Bildern.

Nocturno mit rotem Segment, 1953.

"Jour heureux", eine metaphysische Landschaft von 1947, ging aus dem Stuttgarter Atelier an den französischen Staat und kommt jetzt aus dem Centre Pompidou zu Besuch nach Stuttgart. Die französische Militär-Administration hatte eine Suite bedeutender Druckgrafik der Moderne in das auch kulturell verwüstete Deutschland geschenkt. Das Baumeister-Bild war die Gegengabe. Ein Bildertausch vor zeitgeschichtlichem Fond. Auf einer Postkarte kommentiert Baumeister den politischen Akt mit einer kleinen Bildsatire. Für ihn beginnt nun eine Zeit der weltweiten Auftritte. Auf den großen Foren der Nachkriegskunst ist er vertreten. Die erste Documenta zeigt ihn postum, im Todesjahr 1955.
Jour heureux,1947
 Kunstmuseum Stuttgart. Bis 2. März, Di bis So 10–18, Fr 10–21 Uhr.

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