aus tagesspiegel.de, 10. 4. 2018 Begrüßung, 1922
Ausstellung in München
Paul Klee als Konstrukteur
Die Münchner Pinakothek der Moderne würdigt den Einfluss der
Bauhaus-Zeit auf Paul Klee und wirkt seinem Image als versponnener
Märchenonkel entgegen.
von Bernhard Schulz
„Diesseitig bin ich gar nicht fassbar“, schrieb Paul Klee
1920 und gab so, nachdem das Wort sich verbreitet hatte, den Ton vor,
in dem Darstellungen und Würdigungen seines Œuvres zumeist gehalten
sind. Die berühmte, heute nur noch in Abbildung überlieferte Collage des
Bauhaus-Kollegen Ernst Kállai von 1930 zeigt ihn – nur halb ironisch –
als „Bauhausbuddha“, aus der Höhe herabschwebend auf das Dessauer
Bauhausgebäude, zu dessen beiden Seiten Studentinnen ihn kniend anbeten.
Abstractionen in Hinblick auf einen blühenden Baum 1925
Klee der Romantiker, Klee der Mystiker, Klee, der Poet unter den
Malern. Es stimmt ja, der 1879 in der Schweiz geborene und 1940
verstorbene Maler, der sich nur schwer gegen eine Karriere als Musiker
entscheiden konnte, hat das Mögliche dazu beigetragen, sein Werk und die
Sicht darauf zu verrätseln. Mehr als 10 000 Werke hat er geschaffen und
den meisten von ihnen Titel gegeben, die eine geistige Spannung zum
Sichtbaren aufbauen, so dass die Bilder gewissermaßen zu vibrieren
beginnen und verborgene Bedeutungsebenen offenbaren. So hat er es auch
in den Jahren als Lehrer, Meister und Professor am Bauhaus gehalten, dem
er immerhin ein Jahrzehnt die Treue hielt – nicht obwohl, sondern
gerade weil er sich in einem Spannungsverhältnis zu dem immer stärker
Platz greifenden Nützlichkeitsstreben dieser Lehranstalt befand.
Architektur 1923
Klee am Bauhaus, das war durchaus kein Missverständnis. Wenn sein
Fortgang nach Düsseldorf im Jahr 1931 an die dortige Kunstakademie dem
Künstler auch Erleichterung bedeutete, nach der zunehmend als einengend
empfundenen Lehrverpflichtung am Bauhaus, so hat er diese zehn Jahre
doch überaus produktiv zu nutzen verstanden – für die Lehre ohnehin,
aber für seine Kunst nicht minder.
Kandinsky und Klee wohnten Wand an Wand
Das ist der Grundgedanke, mit dem Oliver Kase, der Sammlungsleiter an
der Münchner Pinakothek der Moderne, dort die Ausstellung „Paul Klee.
Konstruktion des Geheimnisses“ erarbeitet hat. Nicht noch eine
Klee-Ausstellung, die sich bei einem Eigenbestand von rund zwanzig
durchweg bedeutenden Arbeiten vergleichsweise leicht hätte realisieren
lassen; sondern eine Untersuchung der Frage, wie Klee der
Herausforderung durch die abstrakten und insbesondere
konstruktivistischen Tendenzen der zwanziger Jahre begegnet ist, zumal
er ihnen am Bauhaus hautnah ausgesetzt war.
Stufen, 1929
Es musste
doch immer erstaunen, dass gerade Klee, aber auch Kandinsky am Bauhaus
arbeiteten; Kandinsky bis zu dessen Ende, Klee immerhin, bis sich die
Zerstörung durch die Nazis bereits abzeichnete. Nicht zufällig wohnten
die beiden Meister in Dessau Wand an Wand in einem der kubischen Meisterhäuser.
Klee war 1920 als bereits gefeierter Künstler berufen worden,
überschwänglich aufgefordert von Bauhaus-Gründer Walter Gropius, der das
ausgleichende Temperament, wohl auch sphinxhafte Auftreten Klees
schätzte, des großen Schweigers in allen Bauhaus-Streitereien.
Kreis, Dreieck und Quadrat
Klees Beziehung zum
Bauhaus – wo sein Unterricht, pädagogisch aufs Tiefste fundiert, doch
legendär war –, wurde bislang zumeist nur unter dem Aspekt eben der
Lehre abgehandelt. Um Bauhaus-Interna geht es auch der Münchner
Ausstellung nur am Rande. Sie konzentriert sich in zehn Kapiteln, deren
Überschriften allesamt Bildtiteln Klees entlehnt sind, auf die Werke,
grundsätzlich in chronologischer Ordnung, aber doch in Vor- und
Rücksprüngen, um bestimmte Themen und Motive fassbarer zu machen. In der
Münchner Ausstellung schälen sich erst bei genauer Betrachtung
wiederkehrende Grundformen heraus, wie etwa Mond, Sonne, Gestirne; oder
aber Wege, Treppen und Leitern, schließlich Häuser und Gebautes
allgemein. Dann lassen sich daraus die für das Bauhaus, darüber hinaus
für konstruktive Tendenzen überhaupt typischen Grundformen von Kreis,
Dreieck und Quadrat destillieren. Sie wiederum basieren alle auf der
Linie, womit der Bogen geschlagen ist zurück zum eminenten Zeichner
Klee.
Autumnal Place 1929
Dabei befragt sich Klee immer wieder selbst, nicht
nur in ausdrücklichen Selbstbildnissen, sondern auch verschlüsselt in
oft märchenhaften Figuren, die sich im Kontext sehr wohl als
Selbstbildnisse zu erkennen geben. Etwa das „Gespenst eines Genies“ von
1922, das an einen an Schnüren zu ziehenden Hampelmann erinnert, mit den
als Rädchen geformten Augen wie auch dem zentralen, Kopf und Rumpf eher
labil zusammenhaltende Rädchen als mechanisches Wesen mit
unverständlichem Räderwerk gelesen werden kann. 1922 rüttelte Theo van
Doesburg, Mitbegründer der niederländischen De-Stijl-Bewegung,
das junge Weimarer Bauhaus mit seinen Vorträgen auf. In seinem Gefolge
kamen auch die brandaktuellen russischen Tendenzen in die beschauliche
Stadt. Klee reagierte darauf, freilich in seiner subtilen Weise.
Gespenst eines Genies 1922.
Er, der seit jeher der Romantik zugerechnet wurde –
wenngleich er selbst schon 1915 die „kühle Romantik dieses Stils ohne
Pathos“ als „unerhört“ bezeichnet –, hat den Konflikt von Verstand und
Gefühl, von Wahrnehmung und Eingebung immer wieder in seinen Bildern
thematisiert. Die Münchner Ausstellung ist geradezu voll davon, und
etliches mehr ist im hervorragenden, handbuchartigen Katalog versammelt.
Grenzen des Verstandes 1927
Mitte der zwanziger Jahre, als sich die Gropius’sche Losung „Kunst und
Technik – eine neue Einheit“ mit dem Umzug nach Dessau ganz entfalten
konnte, entstehen Arbeiten wie „Aufstieg“ – der Mensch auf der
(Himmels-)Leiter – oder „Luft-Station“ – ein Liniengeflecht unter der
Mondsichel – in der damals hochmodernen Spritztechnik. Ein Schlüsselwerk
ist „Grenzen des Verstandes“ von 1927, dessen feine Linien einen
abstrakten Grundriss oder aber ein Gesicht andeuten können; und wieder
führt eine Leiter hinauf zu einer freilich tief dunkelroten Sonne – „ein
sonnenartiger Planet“, so der Katalog, „dessen Zone für alle irdischen
Verstrickungen der künstlerischen Reflexion unerreichbar bleibt“.
Einfachheit im Vielfachen
Klee ist, auch wenn er sich selbst bisweilen mit geschlossenen Augen
zeichnet, hellwach. Der Architektur gilt seit jeher sein Interesse.
„Architektur“, mit diesem Klee-untypisch nüchternen Titel versieht er
ein Hauptwerk von 1923 [s. o.] , das die Berliner Nationalgalerie entliehen hat:
unregelmäßige Quadrate und Rechtecke, die zugleich ein Farbmuster
bergen; ebenso in dem paradoxerweise „Blühender Baum“ bezeichneten Werk
von 1925. Da klingt die Vorgabe von Gropius an: „Einfachheit im
Vielfachen; Beschränkung der typischen Grundformen und ihre Reihung und
Wiederholung“.
Roter Ballon 1922
Später nahm Klee Stellung zu den
Forderungen, die sich am Bauhaus unter dessen neuem Direktor, dem
politisch weit links stehenden Schweizer Hannes Meyer,
unmissverständlich in Richtung Nützlichkeit und Produktdesign unter dem
Motto „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ entwickelten. In der Zeitschrift
„bauhaus“ schrieb Klee 1928 sibyllinisch: „auch der kunst ist zu exakter
forschung raum genug gegeben und die tore dahin stehen seit einiger
zeit offen. (...) heilsam ist hier der zwang, sich zunächst mit den
funktionen zu befassen und zunächst nicht mit der fertigen form.
algebraische, geometrische aufgaben, mechanische aufgaben sind
schulungsmomente in der richtung zum wesentlichen, zum funktionellen
gegenüber dem impressiven.“ Aber er wendet gegen dieses vorgebliche
Einverständnis selber ein: „das alles ist sehr gut, und doch hat es eine
not: die intuition ist ganz nicht zu ersetzen.“
Die Tendenzen der Zeit beeinflussten Klee
An Intuition gebrach es ihm wahrlich nicht. Klee verwendet 1918 das
Paradox der „konstruktion des geheimnisses“. So hat Kurator Kase die
Ausstellung überschrieben, die in den eigentlich zu hohen Räumen der
Pinakothek der Moderne durch die gestalterische Annäherung an die
Geometrie des Dessauer Wohn-Ateliers wunderbar zur Geltung kommt.
Nichtkomponiertes im Raum, 1929
Auch sie will Klee nicht zum nüchternen Konstruktivisten machen. Aber
sie zeigt, dass die Tendenzen der Zeit an Klees Kunst nicht nur nicht
vorübergingen, sondern sie spürbar beeinflusst und reich befruchtet
haben.
Wenn es an der Ausstellung etwas zu kritisieren gibt, dann, dass der Einfluss des Dessauer Wohnungsnachbarn Kandinsky,
der 2015 in einer vorzüglichen Bern-Münchner Ausstellung
herausgearbeitet wurde, zu kurz kommt. Jedenfalls ist Klee nicht der
versponnene Märchenonkel, als der er so gern hingestellt wird. Die
jetzige Ausstellung nimmt ihm nichts an Eingebung und Rätselhaftigkeit,
sondern gibt ihm sein historisches Umfeld zurück. Diesseitig ist Klee
sehr wohl fassbar.
München, Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, bis 10. Juni. Katalog bei Hirmer, 39,90 €.
Italienische Stadt, 1928