Dienstag, 30. Oktober 2018

Heinrich Füssli, ein Gruselromantiker im Rokkoko.

Johann Heinrich Füssli: „Amor und Psyche“ (um 1810)   | Foto: kunstmuseum
aus Badische Zeitung, 27. Oktober 2018                                                              Johann Heinrich Füssli Amor und Psyche, um 1810

Ganz großes Drama 
Das Kunstmuseum Basel widmet dem Schweizer Maler Johann Heinrich Füssli eine Ausstellung.

Von Hans-Dieter Fronz 

Sogar ein Bier brauen ließen sie am Rheinknie zu seinen Ehren. "Veli Shakesbeer", ein dunkles, leicht würziges Gebräu wie zu Shakespeares Zeiten, so ist auf dem Etikett zu lesen, gibt es im Restaurant des Kunstmuseums Basel. Nutzte Johann Heinrich Füssli (1741–1825) für seine Bilder mit literarischen Motiven doch als Vorlagen gerne Szenen aus den Dramen des großen Briten. In London wurden sie, mit Werken anderer Künstler, von 1786 an dauerhaft in zwei Shakespeare-Galerien präsentiert. 17 von ihnen finden sich jetzt unter den knapp 70 Gemälden des Künstlers mit literarischen Sujets im Kunstmuseum Basel.

Der Nachtmahr, Zweite Fassung

Ein Bild von Füssli kennen viele. Mit "Nachtmahr" gelang dem gebürtigen Zürcher 1782 in London eine Sensation. Dort hatte er sich 1765 niedergelassen, dort lebte er – mit der Unterbrechung eines neunjährigen Rom-Aufenthalts – bis zu seinem Tod 1825. Das frappierend modern anmutende Gemälde existiert in etlichen Varianten. Eine davon, aus einer Schweizer Privatsammlung, bereichert jetzt die Ausstellung "Füssli. Drama und Theater". Das Bild läuft sozusagen außer Konkurrenz. Denn während Thema der Schau Füsslis Gemälde zu Werken der Literatur sind, fehlt dem "Nachtmahr" ein literarischer Bezug. Oder hat die auf einem Sofa im Gazekleid hingestreckte Dame vor dem Einschlafen womöglich belletristischen Stoff konsumiert, der ihr nicht gut bekommen ist? Eine jener zu Füsslis Zeit modischen Schauerge- schichten vielleicht – "Gothic Novel" hieß das Genre, auch der überaus gebildete und belesene Künstler verschmähte es keineswegs.


Cerasimus und Huon fliehen vor dem Elfenkonig Oberon

Stünde "Der Nachtmahr" am Beginn des Parcours und nicht an seinem Ende, das Gemälde schlüge in seiner Dunkelto- nigkeit und düsteren Stimmung den passenden Ton zu den übrigen Gemälden an. Viele dieser Bildschöpfungen haben als Schauplatz dunkel verschattete, anonyme Innenräume. Nicht wenige Szenen führen in Verliese, Grotten und Höhlen. Kaum einmal, dass die abgeschatteten Interieurs einen Blick nach draußen gewähren wie das Fenster in "Milton als Kind". Düster sind selbst viele Szenen im Freien, der Schauplatz ist meist in abendliches oder nächtliches Dunkel gehüllt. Eine wolkenverhangene Landschaft bei Dämmerung bildet die Bühne für den Rütli-Schwur, die Bilder zu Shakespeares "Sommernachtstraum" und Wielands "Oberon" spielen in Waldesdunkel.

Delirium, Wahnsinn, Tod 
Gänzlich im Vagen bleibt der nächtige Schauplatz von "Amor und Psyche" [s. o.]. Die Konstellation mit dem über die in seinen Armen schlafende Psyche gebeugten Liebesgott erinnert stark an die von "Nachtmahr". Ist der Schauplatz von Füsslis Bildern ein abstrahierter? Die Seele – Psyche – mit ihren inneren Dämonen? Als Künstler wie Dichter steht Füssli an der Schwelle der Klassik zur Romantik. Diese interessierte sich brennend nicht nur für die "Nachtseiten der Naturwissenschaft" (der Titel eines Buch des Naturphilosophen Gotthilf Heinrich Schubert), sondern auch für die des Individuums: für Phänomene wie Somnambulismus oder, lange vor Freud, das Unbewusste.
 Die Einsamkeit bei Tagesanbruch

Die literarischen Motive, zu denen Füssli greift, umkreisen nicht selten existenzielle Ausnahmezustände: Delirium, Wahnsinn, Tod. Auch die zahlreichen Szenen von Kampf, Bedrohung und Befreiung mögen Materialisationen seelischer Konflikte sein. Wenn sich bei Ovid Theseus und Ariadne mit dem Faden ins Labyrinth des Minotaurus vorwagen, tasten sie sich bei Füssli womöglich ins eigene Innere vor.

 Fallstaff im Wäschekorb 1792

Die Bilder sind großes und vorwiegend großformatiges Drama; nicht umsonst liebte Füssli Shakespeares Tragödien und Komödien. "Shakespeare der Leinwand" nannten sie den "wilden Schweizer" an der Themse. Füssli fährt Hexen und Helden, Kobolde und Höllenhunde auf, Skylla und Charybdis, die Migardschlange und andere Ungeheuer, nicht selten in Lebensgröße. Der eigentliche Held des Gemäldes "Oberon träufelt Blumensaft in die Augen der schlafenden Titania" nach Shakespeares "Sommernachtstraum" ist ein Kobold, der sich im Hintergrund diabolisch ins Fäustchen lacht. An Satan zeigt Füssli größeres Interesse als an Adam und Eva oder den himmlischen Heerscharen. Er vergegenwärtigt ihn in der Statur einer Heroengestalt in antiker Nacktheit. Dankbare Motive liefern ihm Sophokles und Vergil, das Nibelungenlied und die Edda – oder zeitgenössische Dichter wie William Cowper, Wieland oder Friedrich de La Motte Fouqué. Zu Miltons Versepos "Lost Paradise" entstehen 47 Bilder.

The Night-Hag Visiting Lapland Witches

Füssli liebe den "Thrill mit theatralen Mitteln", sagt Eva Reifert, die Kuratorin. Gegenüber den extremen Hell-Dunkel-Kontrasten und der dramatischen Gebärdensprache tritt die anatomische Richtigkeit gern in den Hintergrund. Mit Vorliebe greift Füssli Momente der Krise, der dramatischen Wendung, des Übergangs heraus; "mittlerer Augenblick" heißen sie ihm. Wobei seine reiche Vorstellungskraft jede naturgetreue Illustration überflutet. Vom "Elysium der Phantasie" spricht ein Aphorismus. Den Parcours beschließen Autorenbilder: Shakespeare als Säugling an der Brust der Allegorie der Tragödie. Oder der blinde, seiner Tochter diktierende Milton. "Ein bisschen brainy" nennt Reifert diese dem Genre "Der große Dichter als Kind" geschuldeten Gemälde.

Kunstmuseum Basel, St. Alban-Rheinweg 60, Basel. Bis 10. Februar, Di bis So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr.

 Die drei Hexen 1783

Nota. - Ich habs schon öfter angemerkt: Guardi, Caspar Wolff, Thomas Jones, Vernet,  Wright of Derby und eben - Heinrich Füssli in England lassen mich daran zweifeln, dass die ironische, nachtseitige Romantik eine so spezifisch deutsche Angelegenheit ist, wie man meint (und auch mein merkwürdiges Faible für Fragonard findet hier einen Unterschlupf). Das forciert leichtsinnige Rokkoko konnte mit dem aufziehenden Aroma der Fäulnis des Ancien Régime seine Frivolität nicht mehr... nun ja, nicht mehr ganz ernstnehmen und musste ihr einen Spritzer von Gift und Galle beimengen; doch auch das noch ein wenig scherzhaft.
JE