Landschaft, oder Die Entbindung des Ästhetischen.


Allererste Landschaftsdarstellungen ‘gibt es’ wohl schon im Altertum, aber nicht ‘thematisch’, sondern nur so nebenher, wie in diesem Fresko, das die Wand eines Wohnhauses in Pompeji zierte und also vor 20 n. Chr. entstanden ist:

pompeji-landschaft-mit-dem-heiligen-baum
Es dient offenbar einem rein dekorativen Zweck, und die ‘Landschaft’ hätte schwerlich solche Ehre erfahren, könnte man ihren Baum nicht als einen ‘heiligen’ auffassen…

Auch in der “gotischen” Malerei vor der Renaissance kommt Landschaft hier und da als Staffage vor – um die dargestellte allegorische Szenerie zu erläutern, wie hier im Palazzo Pubblico von Siena (aus dem Jahr 1340):

Ambrogio Lorenzetti, Auswirkung der guten Regierung auf dem Land, 1338-1340, Fresko, Siena,Palazzo Pubblico

In der italienischen Renaissance treten neben den allegorischen und Heiligengeschichten nach und nach weltliche Sujets in den Vordergrund der Malerei. Und weltlich wird auch ihr Format: An die Stelle des Wand- oder Altargemäldes tritt das Tafelbild.

Paolo Uccello (1395-1475) St. Georg im Kampf mit dem Dachen
Eine Landschaft “kommt vor” als momentum differentiale der “Szene”.

Doch zum Thema wird die Landschaft anscheinend erstmals auf diesem Bild von Jan van Eyck aus dem Jahr 1437:
eyck-van-jan-madonna-des-kanzlers-nicholas-roli-787714
Der Kanzler Jean Rolin und die Jungfrau Maria; quasi ein Triptychon: Links der Kanzler, rechts die Jungfrau, dazwischen – wie ein “allererstes reines Landschaftsgemälde” – der Fensterausblick in die Umgebung. Zwar gibt auch hier die fromme Szene den Anlaß für die Darstellung “der Natur” (wie sie nämlich draußen ist). Aber dem Betrachter wird nicht die Wahl gelassen, ob er sie zur Kenntnis nehmen will oder nicht. Sie macht die Bildmitte aus, aber wer sie anschaut, sieht nicht mehr zugleich Maria und den Betenden. Und wer auf jene achtet, muss die Landschaft beiseite lassen. Die Landschaft – “die Natur” – ist zwar (noch) nicht das Thema des Bildes, aber doch (schon) die “andere Ebene”, ohne die die erste nicht auskommt. (Freilich will dieser Zwiespalt sinnbild lich aufgefasst werden.)

eyck-van-jan-madonna-des-kanzlers-rolin-787747

Und es handelt sich, trotz seiner Frömmigkeit, schon nicht mehr um ein Wandgemälde oder einen Altaraufsatz, sondern, ganz weltlich, um ein Tafelbild.

In den Niederlanden verschiebt sich dann nach und nach das Gewicht. Gelegentlich sieht es aus, als sei die heilige Szene nur noch ein Vorwand für die Naturdarstellung; oder richtiger: für die Nutzbarmachung  der Landschaft für malerische Zwecke.

patinir-ueberfahrt-in-die-unterwelt
Joachim Patini(e)r, Überfahrt in die Unterwelt  (1515-1524)

Ein künstlerischer Zufall? Und wie ist es damit:

patinier-san-cristoforo2

Patinier hat ein Schwäche für diese Art von Bild. Indes,  das sind Phantasielandschaften – zu einem vorgegebenen Sujet malerisch hinzu erfunden.

*

Die ältesten erhaltenen reinen Landschaftsdarstellungen ohne äußeren thematischen Vorwand finden sich bei den deutschen Renaissance-Malern Hans Traut (1453-1516)

hans-traut-landschaft-mit-hohem-felsen-an-einem-fluss-um-1490

und Albrecht Dürer, der auf dem Wege nach Italien eine ganze Reihe von Landschaftsstudien anfertigte:

weiher-im-wald, ca. 1494

Und nun handelt es sich um wirkliche Landschaften – die Natur, wie sie “vorkommt” und nicht, wie man sie sich denken könnte; nicht Sinn bild, sondern Abbild.

Aber: Das sind eben nur private Studien, Arbeitsskizzen für den eignen Gebrauch, keine Tafelbilder im großen Format für den repräsentativen öffentlichen Ort, an denen der Maler mit seiner Werkstatt viele Jahre zu tun hatte.

Die ersten wirklichen Landschaftsbilder sind erst von Albrecht Altdorfer überliefert:

altdorfer-landschaft-mit-steg

Er malt Waldansichten aus dem Donauraum bei Regensburg. Diese “Landschaft mit einem Steg”  ist ca. 1516 entstanden.

Holland und Italien

Zu einer besonderen Gattung, einem Genre, hat sich die Landschaftsmalerei in zwei Gegenden Europas ausgebildet, in Holland und in Italien. Das einemal als Merkmal eines nationalen Erwachens, das andermal als ein Zeichen des Niedergangs.

Beides hat seine (selbe) Ursache im sechzehnten Jahrhundert: nämlich die Verschiebung des Welthandels aus dem Mittelmeer auf den Atlantik. Hier die mittlerweile erdrückende Seeherrschaft des osmanischen Reiches, der Venedig kaum noch standhält, dort die Entdeckung Amerikas und die Umrundung Afrikas. Italien verbauert, Holland blüht auf.

Italien kann kulturell noch lange an seinem gewaltigen Erbe zehren. Aber mit dem politischen und kommerziellen Niedergang hängt es gewissermaßen in der Luft und irrt ziellos durch die Gegend. Irgendwie wird – der Manierismus öffnet die Tore – künstlerisch “alles möglich”. Warum nicht auch hier und da mal eine Landschaft;

giorgione-od-tizian-landlkonzert1

doch ob sie von Tizian oder von Giorgione oder von beiden) stammt, ist bei dem berühmte Ländlichen Konzert (ca. 1511) nicht einmal mehr sicher. Auffällig ist an dem Stück, dass die Umrisslinien, die doch die Körperlichkeit der abgebildeten Gegenstände verbürgen, wie in deinem Dunst verschwimmen – was erstens eine Spezialität Giorgiones war, und sich zweitens als ein vorteilhaftes Mittel der Landschaftsdarstellung bewähren sollte…

In Holland blühte wohlbemerkt unter dem doppelten Anreiz der wirtschaftlichen Explosion und der nationalen Erhebung nicht nur die Landschaftsmalerei, sondern alle Kultur auf. Stilleben, Stadtveduten, Genreszenen, Interieurs und Seestücke waren nicht mindert gefragt als die Landschaftsbilder.

vermeer-klopplerin

Das einzige, was fehlte, war die prächtige Repräsentationsmalerei, wie sie in den südlichen Niederlanden Peter Paul Rubens vertrat. Denn dafür fehlten die Kunden: die katholische Kirche und die Adelshöfe; der holländische Adel bestand allenfalls aus Landjunkern, die weder politischen Einfluss noch kulturelles Gewicht hatten. Das erklärt den insgesamt (mit Ausnahme einiger Stilleben) so schlichten Charakter dieser Kunst, die man nur ungern barock nennen mag, bloß weil sie im 17. Jahrhundert entstand.

Das Besondere an der Landschaftsmalerei ist, dass sie ein neues Genre war, das… na, ich will nicht sagen: nur, aber doch am ehesten unter diesen Bedingungen entstehen konnte; und dass es dort bald wieder verflachte – aber eine Grundlage geschaffen hatte,  auf der die bedeutsamste Entwicklung der gesamten Kunstgeschichte aufbauen konnte.

Holländer.


Haarlem.

Das 17. Jahrhundert war – trotz oder wegen des endlosen Unabhängigkeitskrieges gegen Spanien – wirtschaftlich und kulturell das Goldene Zeitalter der Niederlande. Eine breite Schicht wohlhabender Bürger und Kleinbürger entwickelte wachsende kulturelle Ansprüche. Ein weiter Markt für Gemälde entstand – in bescheidenem Format, zu bezahlbaren Preisen, mit beschaulichen und schlichten Motiven. Entsprechend der Nachfrage vervielfältigte sich die Zahl der Maler, die sich ihrerseits aus Bürger- und Kleinbürgertum rekrutierten. Ein neuer Typus von unmittelbar am Markt orientierten Berufskünstlern wuchs heran – ohne konventionelle Schulbindung und ohne tradierten ästhetischen Kanon. Eine zuvor in der Malerei nicht bekannte Freiheit des Blicks wurde möglich. So konnte sich in Holland die Landschaftsmalerei-Malerei erstmals als ein selbständiges Genre etablieren.

Jacob Isaaczoon van Ruisdael (ca. 1628-1682) war ein Schüler seines Onkels Salomon van Ruysdael und gilt heute als der bedeutendste Vertreter der holländischen Landschaftsmalerei.

bleichen-von-haarlem

Die holländische Landschaft hat nicht viel Gegenständliches zu bieten – nicht viel, das eine lebenspraktische “Bedeutung” von Hause aus mitbrächte. Eine Windmühle ‘bedeutet’ Müller, Korn und Brot; ein Kirchturm ‘bedeutet’ Bürgersinn und Gotteslob; ein Segelschiff ‘bedeutet’ Handel und Verkehr. Topographisch passiert dort nicht viel. Ein Wasserlauf bedeutet Boote, ein Wald würde Wildnis und Gefahr bedeuten – aber es gibt höchstens Wäldchen. Ansonsten ist alles flach, die höchsten Erhebungen sind die Stranddünen. Das Augenfälligste an dieser Landschaft sind immer noch: ihre phantastischen Himmel und alle Augenblicke wechselnde Beleuchtungen. Nichts wirklich ‘Gegenständliches’ und nichts wirklich ‘Bedeutsames’!

Jacob van Ruisdael hat denselben Blick – selber Standpunkt, selber Ausschnitt – auf seine Heimatstadt Haarlem immer wieder gemalt. Dennoch ist es jedesmal ein ganz anderes Bild: wegen des Himmels und der Hell-Dunkel-Verhältnisse. Oben zwei Beispiele.

Dorf im Winter

Jacob van Ruisdael liebte es dramatisch und auch ein bißchen düster, so wie hier. Mehr als seinen Kollegen, kam es ihm auf den malerischen Gesamteindruck an, weniger auf das Motiv. So zögerte er nicht, seinen holländischen Landschaften gelegentlich Berge, Felsen und Wildbäche einzufügen, die es dort in der Wirklichkeit nicht gab.

Hier fügt er nicht ein, sondern läßt weg: nämlich die Körperlichkeit der Gegenstände. Das abgebildete Dorf wird weitgehend auf farbige Flächen reduziert, und die Palette beschränkt sich auf Tönungen derselben Farben. Eine räumliche Perspektive wird sich der Betrachter schon hinzudenken…

Ein Wort noch zum Goldenen Zeitalter: Als erfolgreicher Maler hatte Jacob van Ruisdael die Bürgerrechte der Stadt Amsterdam erworben. Als er alt und verarmt war, schickten ihn seine Amsterdamer Mitbürger in seine Heimatstadt Haarlem zurück, wo er in einem Armenhaus starb.

Salomon van Ruydael, Egmond-an-Zee
Salomon van Ruysdael Egmond-an-Zee

Die deutschen Niederlande haben sich überhaupt erst durch den Kampf gegen die Spanier zu einer ‘Nation’ zusammengefunden. Die Malerei hat ihren Teil beigetragen zur Ausbildung eines Bewußtseins von der kulturellen Eigenart. Prächtig und repräsentativ war die höfische Kunst der Spanier (auch die Gemälde von Rubens im südlichen, spanischen Teil der Niederlande). Die ‘holländische’ Kunst war dagegen still und unspektakulär, wie die holländische Landschaft.

Zunächst war daher die dortige Malerei sanft und idyllisch, bürgerlicher Alltag in einem befriedeten Milieu. Ihren deutlichsten Ausdruck fand dies bei Salomon van Ruysdael (1600-1670).

deventer-1657

Ausgesprochen typisch für Salomon: vorn ein Flußlauf mit Booten, im Hintergrund eine scheamtisch angedeutete Siedlung – unter einem einem sanften, fast liebliche Himmel.

(Vergleiche damit Jacobs Himmel: fast immer dunkler, mit starken, beunruhigenden Kontrasten. Da “passiert” immer etwas!)

Der eigentlich bedeutende ästhetische Schritt ist freilich bei Salomon schon getan: Plastische Bildmodule werden zu farbigen Flächen und Tupfern aufgelöst; Linien verblassen zu tonigen Streifen und Bändern. Mit andern Worten, die ‘Linearperspektive’ (=Krümmung und Verkürzung der Linien) wird zugunsten der ‘Luftperspektive’ (=je weiter, desto verschwommener) verflüchtigt.

Fluss mit Fähre, 1650

Hier ist der Abendhimmel nicht bloß lieblich: Er ist auch das einzig Farbige auf diesem Bild! Für das ‘eigentliche Motiv’ reichen ihm einige Brauntöne.

Jan van Goyen, Merwede bei Dordrecht, 1645
Vor rund zweihundert Jahren war wohl von allen holländischen Landschaftern Jan van Goyen (1596-1656) in Deutschland mit den meisten Bildern vertreten. Er galt daher bei unseren Romantikern, die die Landschaftsmalerei als ein bevorzugtes Feld ihrer Kunsttheorien erkannten, als ihr wichtigster Vertreter. Und tatsächlich hat er viel mehr Gemälde hinterlassen als seine Kollegen. Er hatte sich bei finanziellen Spekulationen übernommen und mußte viel verkaufen, da konnte er sich für das einzelne Stück nicht so viel Zeit lassen: Flotte Pinselführung und der Mut zum Weglassen, die bis heute seine Wertschätzung begründen, sind diesem Umstand ebenso geschuldet wie seiner malerischen Kühnheit.

Ebenfalls diesem Umstand geschuldet ist aber auch ein wachsender Wiederholungszwang: Die Bilder ähneln einander immer öfter und werden immer gefälliger. (Woran im übrigen nach nur einem Jahrhundert das ganze Genre wieder zugrunde gegangen ist…) Jan van Goyen, Emmerich; 1645

Es fällt auf, daß sich bestimmte stilistische ‘Richtungen’ bei den Holländern des Goldenen Zeitalters nicht ausmachen lassen. Dazu kam die Blüte zu rasant und waren zu viele Künstler daran beteiligt- bei einem unerschöpflichen Markt. Jeder behielt die Freiheit, den eigenen Vorlieben zu folgen.

Aber ein paar durchgängige Eigenarten kann man bemerken. So wie auch hier: die schemenhafte Behandlung der Stadtsilhouetten in demütigem Braun und die liebevolle Ausgestaltung des Himmels – dem eigentlich Charakteristischen der holländischen Landschaft.

goyen_jan_van_dunen-1629


Ein so geringfügiges Motiv wie eine Düne zum Bildgegenstand zu wählen, dazu brauchte es im 17. Jahrhundert Mut. Aber in einem Land, in dem es kaum andere Anhöhen gibt, nicht so viel wie anderswo. So etwas in ein Ölgemälde zu fassen, war hier geradezu ein trotziger Akt niederländischer Selbstbehauptung gegen die iberische Besatzungsmacht.

Adriaen van de Velde, Strand bei Scheveningen; 1669


Ein typischer, wenn auch nicht herausragender Vertreter der niederländischen Landschaftsmalerei ist Adriaen van de Velde (1636-72).

Seine Vorliebe sind die weichen Linien und das milde Licht. Auf unserm Bild verschwindet die Stadt ganz hinter den Dünen, und die Menschen dienen eigentlich auch nur zur Belebung der Szenerie, die ansonsten etwas öd wäre. Hauptperson ist wieder einmal der Himmel, und zwar ein freundlich sanfter.



.Philips Koninck, Weite Landschaft mit einer Straße bei einer Ruine



Diese nicht näher lokalisierte “weite Landschaft” von Philips Koninck (1619-88) markiert den Abschluß einer Entwicklung. Ein besonderer, identifizierbarer Gegenstand wird dem Bild nicht einmal mehr pro forma zugewiesen. Das sandige Gelände sieht aus wie eine bloße Graphik, der Himmel ist der einzige Ort, der eine ‘Gestalt’ aufweist – aber eine ätherische, unbeständige, in Sekunden flüchtige…


Engländer und Italiener

Ihren zweiten großen Aufschwung nimmt die Landschaftsmalerei in England – nachdem sie sich in Holland in Routine und Gefälligkeit verausgabt hatte.

Die englischen Maler können an zwei Traditionen anknüpfen – die Holländer und die Italiener.
War bei den Holländern der im nationalen Aufbruch befreite Blick die Voraussetzung für den künstlerischen Auschwung gewesen, so war er in Italien das Ergebnis einer Jahrhundertelangen Arbeit an der Kunst. Hier war die Landschaft ein Sujet, dem sich die Malerei, nachdem sie sich so viele Gebiete jenseits der Heiligengeschichte erschlossen hatte, schließlich “auch noch” zuwenden musste – neben und nach allen andern.

Annibale Carracci, Landschaft

So finden sich unter den Bildermengen der alleskönnenden Carracci-Brüder (1555 bis 1622) schon auch drei oder vier reine Landschaften.



Während in 17. Jahrhundert die Landschaftsmalerei in Holland in voller Blüte stand, war sie in Italien noch eine bloße Marotte Einzelner. Salvator Rosa (1615-1673), der ein Liebling der deutschen Romantik werden sollte, wählte sie aber nicht um ihrer selbst, sondern um ihrer bizarren Effekte willen:



Salavator Rosa, Apoll und Sybille; 1655

Und natürlich sind es keine realen Landschaften, sondern um – dem Effekt zuliebe – vorgestellte.
Damit auch in Italien ein besonderes Genre daraus entstehen konnte, bedurfte es der Ausländer. Nämlich der englischen Aristokratie, in der im siebzehnten Jahrhundert the Grand Tour, die ausgedehnte Bildungsreise durch den Kontinent, zur Bedingung und zum Ausweis der Hoffähigkeit wurde. Die Ansichten der antiken Stätten, der venezianischen Palazzi und der Golfs von Neapel wollten  festgehalten und auf das neblige Eiland mitgebracht werden..

Und… eines Holländers! Caspar Adriaensz. van Wittel (Vanvitelli; 1653-1736) hatte soeben die Veduten-Kunst dort als selbstständiges Genre etabliert.

 van Wittel, Der Tiber bei Porto di Ripa


Seine Stärke waren die topographisch exakten Stadtansichten, und dank der englischen Nachfrage machte er schnell Schule. Doch den Geschmack an stimmungsvollen Landschaften brachten erst die Touristen ins Land, und die einheimischen Künstler folgten ihren Neigungen.

Antonio Canal-Canaletto, San  Cristoforo, San Michele und Murano in der Lagune; 1725-30.

Und folgten wohl gar den Touristen selbst in ihre feuchte Heimat:

Antonio Canal-Cabaletto, Die Themse und die Londoner City gesehen von Richmond House

Der ältere Canaletto malte ihnen London mit einem südlichen Himmel, als wär’s Venedig…

Den Weg hatte ein in Italien malender Ausländer gewiesen, Claude Gellée (1600-1682) aus Lothringen, genannt Le Lorrain – der vor zweihundert Jahren so berühmt war, dass man ihn wie Tizian, Raffael und Michelangelo nur bei seinem Vornamen zu nennen brauchte.
.
claude-the-return-of-odysseus-1644

Mythische Häfen mit auf- oder untergehenden Sonnen – das war sein Lieblingssujet. Stilbildend wurde er aber als Landschafter.

claude-lorrain-hagar-und-ismael-mussen-wegziehen-1668

Es sind Ideallandschaften. Die Figuren, die wie Holzpuppen wirken, dienen nur als Anlaß, nicht einmal mehr als Vorwand. ‘Italienisch’ ist der Landschaftstyp, die Vegetation und – das Licht!

Reale Landschaften hat auch Claude  nur als Studie abgebildet:
[Das stimmt nicht! Es gibt eine ganze Reihe von ausgesprochnen 'Landschaftsporträts' aus der Gegend um Tivoli aus den 60er, 70er Jahren. Nachtrag 2015]

claude-the-tiber-from-monte-mario-looking-south-1640

Und während er bei seinen heroischen Phantasielandschaften neben der Luftperspektive noch großen Wert auf die Linien und die Tiefe des Raumes legt, wird die ‘echte’ Landschaft rein flächig – sobald er zum weichen Tuschpinsel greift..

*

Wieso die Italiener und den wahlitalienischen  Claude zu Beginn des Abschnitts über die Engländer?

Lancelot "Capability" BrownWeil Claude seine historische Wirksamkeit von Italien aus in

England fand. Im achtzehnten Jahrhundert verarmte der italienische Adel rasant, die ‘Claudes’, die ihre Palazzi geziert hatten, wurden von den wohlhabend wohltätigen Touristen nach England heimgeschafft, wo sie die aufkommende Mode der Landschaftsparks anfachten – manche sind, noch heute sichtbar, direkt einem Lorrain-Gemälde nachempfunden (und von denen hingen seither zwei Drittel in englischen Schlössern).

Hier Capapility Browns Punkstück, Stourhead Garden (den italienischen Himmel hat er nicht so hingekriegt wie Canaletto):
Stourhead Garden, entworfen von Lancelot Brown

So sieht es in Stourhead Garden aber auch aus:

stourhead Garden, oberer See

Croome Park war Lancelot Browns erster ganz eigener Entwurf. Es sieht aus “wie gewachsen”, dass eine gestaltende menschliche Hand daran mitgewirkt hat, ist nicht zu erkennen. Im Laufe seines Arbeitslebens sollte dieser Geschmack Browns – aus ganz eigenen Gründen – immer stärker in den Vordergrund treten.

croome-park

Indes ist die Geschichte des Landschaftsparks eine ganz eigne Sache, die eine gesonderte Behandlung verdient.


Ein Nachempfindsamer: Gainsborough


Der englische Rokkokomeister Thomas Gainsborough (1727-1788) hat sich vor allem durch seine Porträts – damals das vornehmste malerische Genre – hervorgetan. Als deren Hintergrund wählte er aber gern, im Geschmack der soeben modischen Empfindsamkeit, statt eines hochherrschaftlichen Interieurs eine bescheidene Landschaft…

Und auch ein paar ’reine’ Landschaften sind von ihm erhalten.

gainsborough1

Doch seine ‚englische’ Waldlandschaft wirkt auffallend italienisch;

gainsborough--landscape-with-figures-on-a-path-c-1746-48

und auch dieser Sandweg in der Heide sieht nicht so aus, als habe er ihn nach der Natur gefertigt, sondern nach einer holländischen Vorlage…

[Gainsborough hätte eine aufmerksamere Behandlung durch mich verdient. Er hat fast so viele Landschaften wie Porträt gemalt, obwohl er wusste, dass es seinem Renommé schadete - gerade in seiner Fehde mit Joshua Reynolds, der nie eine Landschaft anders denn als Würze zu einem Porträt gemalt hat. Aber Gainsborough brauchte seine Landschaften, um sich von den ewigen Porträts zu erholen: aus ganz privat geschmacklichen Gründen! Nachtrag 2015]

Ein romantischer Expressionist: Constable

Der Pionier der modernen Landschaftsmalerei – und damit, wie sich finden wird, der modernen Malerei überhaupt – war John Constable (1776-1837). Etwas anderes als Landschaften malte er nicht – wie vor ihm nur die Holländer des Goldenen Zeitalters. Zwar hatte er zu Lebzeiten nie wirklich Erfolg, aber als man ihn schließlich doch zum Ehrenmitglied der Royal Academy machte, hatte er immerhin die Landschaftsmalerei in England als eine selbstständige Kunstgattung durchgesetzt – während auf dem Kontinent noch Rokkoko-Idyllen und klassizistische Historienschinken vorherrschten.

Obwohl auch er Claude Lorrain studiert hat, ist ein italienischer Einfluss bei ihm nicht wahrzunehmen, und er war auch nie in Italien – nicht einmal am Rhein. Seine Landschaften sind nicht heroisch, sondern ausdrucksstark; und sie sind real: Am liebsten malt er seine unmittelbare Heimat, die Grafschaft Suffolk.

Flussufer

Er schließt sich ungebrochen an die holländischen Tradition an, italienischer Geschmack, italienische Versatzstücke sind nirgends zu erkennen.

John Constable, Epsom

Das ist hier keine Constable-Werkschau, dafür reicht selbst bei Blogspot der Platz nicht. Ich suche ein paar Stücke heraus, an denen besonders sichtbar wird, was Constable zu meinem Thema beigetragen hat – nämlich zur Entbindung des rein-Ästhetischen aus seinen sachlich-thematischen Zusammenhängen, indem er die spezifischen künstlerischen Möglichkeiten der Landschaftsmalerei ein kleines Stück weiter entdeckt hat.

Ich behandle zum Beispiel nicht, daß Constables Landschaft immer die Wohnstatt des Menschen ist, weshalb seine Stücke oft eine Spur von Genremalerei haben. Das wird auf den großformatigen Bildern deutlich, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Das Publikum sollte erkennen können, was der Maler zeigen wollte. Hier geht es aber mehr darum, was Constable in den englischen Landschaften sehen wollte, und das erkennt man  auf den skizzenhaften Gelegenheitsarbeiten besonders gut.


John Constable, The Stour

Linien, die die Körper begrenzen, gibt es gar nicht mehr. Die Pinselführung ist derb, auch der Lichteinfall wird nicht genutzt, um auf der Leinwandfläche eine Tiefe des Raumes vorzutäuschen, die Farbflächen – d. h. die Farbstreifen liegen unverholen nebeneinander, und ungeniert wird nicht das gemalt, ‘was wirklich da ist’, sondern was die Landschaft ausdrücken zu wollen scheint. Und immer ist es ein herber, mitunter düsterer Ausdruck, den Constable seinem Land abgewinnt. Heiter, verspielt, lieblich? Das ist vielleicht Italien. Die Nebelinsel in der Nordsee kann froh sein, wenn er ihr auf den Bildern, die er verkaufen will, ein paar Sonnenstrahlen gönnt. Für den Eigengebrauch tut er  nicht einmal das.


Constable, Kähne auf dem Stour

Ein Romantiker ist er, allerdings; aber ein expressionistischer.

john constable-seestuck-m-regenwolken-1827

Der gewaltige Turner

Joseph Mallord William Turner, 1775-1851Jetzt wird es ernst. Denn wir kommen zum – will das einer bestreiten? – größten Maler aller Zeiten. Na, der ergiebigste war Joseph Mallord Turner (1775-1851) auf jeden Fall. Allein dem englischen Staat hat er 20 000 Bilder vermacht… Er war einer der großen Revolutionäre in der Malerei und gilt zu Recht als Wegbereiter der Moderne. Aber wie bei Constable, geht es auch bei ihm hier nicht um eine kunsthistorische Würdigung, nicht einmal um eine Darstellung der Entwicklung seines ‘Personalstils’ (das könnte ich nicht; außerdem hatte er auch zu viele davon); deswegen ist auch keine Chronologie angestrebt. Sondern um seine spezifische Rolle dabei, wie die Landschaftskunst dazu beigetragen hat, das rein-Ästhetische aus seinen Bezügen zu sachlich-Thematischem zu entbinden. Und eigentlich hat er in dieser Hinsicht schon alles erledigt, was ihm die andern Künstler bis in die klassische Moderne hinein immer wieder nur nachgesehen haben.

Wunderkinder gibt es nicht in der Bildenden Kunst. Zum Bilden braucht es Handwerk und das muss man erlernen. Aber des jungen Turners Begabung war so auffällig, dass sein Vater sie von Anbeginn unterstützte – indem er die Bilder seines Sohnes in seinem Friseursalon an die Wände hängte. Turner wurde mit vierzehn Jahren in die Schule der Royal Academy aufgenommen und stellte mit fünfzehn erfolgreich sein erstes Gemälde aus; ein Aquarell.

An Claude Lorrain kam er selbstverständlich nicht vorbei, und er hat ihn ganz unbefangen nachgemacht. Dass alles ein wenig verschleiert wirkt, mag am englischen Nebel liegen; oder am persönlichen Geschmack? Das italienische Licht hat er erst nach seinen Claude-Stücken selber kennengelernt.


Der Niedergang Karthagos, 1817

Keiner vor ihm hatte wie Claude in der Luftperspektive (je ferner, um so verschwommener) exzelliert. Turner setzt eins drauf. Wenn es auch nicht möglich ist, ihn einem bestimmten ‘Stil’ zuzuweisen, zieht sich doch ein ästhetisches Merkmal durch das ganze Werk: Die Körper haben keine Konturen, die Flächen haben keine Grenzen mehr. Wie ein Über-Claude holt er den Hintergrund bis in den Vordergrund: Alles schwimmt.




regulus-1828-1837


Claudes formales Schema bleibt unbehelligt, aber die Ästhetik ist eine ganz neue.


waltton-reach

Waltton Reach

Turner hat nicht nur Claude studiert. Ebenso gründlich hat er sich mit den Holländern befasst. Waltton Reach ist dafür ein Beispiel. Und das hervorstechende Merkmal der holländischen Landschaftsmalerei ist ihm nicht entgangen: Hier ist es mehr die flächige Behandlung der Gegenstände als die ‘Luftperspektive’, die die Körper entmaterialisiert und zu einem ästhetischen Datum verflüchtigt. Und mehr als die Farben sind es die valeurs (Hell-Dunkel-Grade), die die Komposition gliedern.



turner_joseph_mallord_william_petworth_park_tillington_church_in_the_distance


Petworth Park geht ein ganzes Stück weiter. An die Stelle einer identifizierbaren Szenerie tritt der bloße optische Eindruck. Eine ‘Stimmung’, möchte man sagen. Aber während bei Constable die Stimmungen so aussahen, also wollten die Motive selber “etwas ausdrücken”, ist bei Turner eigentlich kein Zweifel, dass es das Auge, nein, die Hand des Künstlers war, die hier “gestimmt” hat.


Immerhin bleibt hier die Tiefe des Raums sichtbar;



kanal-v-chichester-um-1828

.

bei dem fast monochromen “Kanal von Chichester” dagegen muss sich der Betrachter vom Raum aus den Verhältnissen der Farb-, d. h. Valeur-Massen zu einander  “selber ein Bild machen”. Vom Maler wird nur Fläche geboten.

_________________________


Immer wieder wird Turner als Vorläufer des Impressionismus genannt. Aber mehr noch als Constable, darf man ihn auch als einen  Wegbereiter des Expressonismus ansehen:

keelmen-heaving-in-coals-1835

entangled-in-flaw-ice-endeavoring-to-extricate-themselves-exhibited-1846

sturmische-see


Ach, es ist wirklich schwer, über William Turner etwas zu sagen, das gescheiter wäre, als nichts zu sagen. Bei einem andern Künstler kann man in der Regel nacherzählen und bebildern, in welchen Etappen und unter welchen Einflüssen und in welcher ‘Tendenz’ er seinen Personalstil ausgebildet hat. Nicht so bei Turner. Er kann jederzeit alles. Mal so und dann auch wieder so. Was ich auf diesen Seiten als eine Bewegung fort von der Körperlichkeit und hin zur bloßen Erscheinungsweise der Gegenstände darzustellen versuche, ist bei Turner keineswegs eine chronologische Abfolge und schon gar nicht ein logisches Gesetz, sondern ein rein ästhetisches Schweben zwischen allen künstlerischen Möglichkeiten. 
Unter diesem Geischtpunkt bitte ich Sie, sich die folgenden vier Bilder anzusehen:



venedig-gondel


felsige-bucht-um-1830



distant river



william_turner_-_sunrise_with_sea_monsters



Ein verfrühter Impressionist?

Seit Tagen will ich an dieser Stelle etwas über den angeblichen Impressionismus bei Turner schreiben. Mir ist ganz flau. Aber ich habe mich nunmal erkühnt, jetzt muss ich weitermachen – auf die Gefahr hin, lauter Sätze aufzuschreiben, in denen mehr Falsches als Richtiges steht.


Auf den ersten Blick springt eine Verwandtschaft ja ins Auge – die Pinselführung, das Licht, die aufgelösten Konturen, die Farben vor den Formen…



das Sklavenschiff


Aber es wird nicht die subjektive ‘Stimmung’ des Malers wiedergegeben und kein ‘Eindruck’ des Augenblicks. Das Bild ist ja offenkundig nicht ‘vor der Natur’ entstanden, sondern wurde – wie nahezu alle Bilder Turners, auch die meisten Aquarelle – aufs Sorgfältigste im Atelier ausgearbeitet. Turner malt keinen Himmel, ‘wie ihn der Künstlert sieht’. Er wählt exzessive Farben, aber er ‘sieht’ das Meer nicht gelb. Gelb – das berühmte Turner-Gelb – hat für ihn offenbar einen expressiven Wert, und er malt es an Stellen, wo es weder ‘von Natur’ hingehört, noch wo es ‘dem Auge so vorkommt’. Bei diesem Bild geht es überhaupt nicht um Eindrücke. Das Meer ist grauslich, weil das Motiv grauslich ist. Ein Sklavenschiff wirft auf dem Weg nach Amerika die Kranken über Bord. Und zwar ist das Bild schon grauslich, bevor der Betrachter die Szene überhaupt erkannt hat. Dieser Maler verfolgt andere Absichten als: der Welt seine Befindlichkeit darzustellen.



Licht und Farbe - der Morgen nach der Sintflut


Licht und Farbe – Der Morgen nach der Sintflut wird im Untertitel als eine Studie zu Goethes Farbenlehre ausgewiesen.


Nicht minder programmatisch ist



regen_dampf_geschwindigkeit


Regen Dampf Geschwindigkeit; es ist eine Reflexion über ‘die Natur’ im (beginnenden) industriellen Zeitalter. Unerachtet seiner nervösen Pinselführung und des enthusiastischen Farbauftrags ist Turner kein Impressionist, sondern ein Romantiker – und, wie Constable, einer von der expressiven Art. Noch seine stillsten und kontemplativsten Stücke wollen offenkundig mehr über die Dinge sagen als über des Malers  Seelenverfassung.



norham-castle-bei-sonnenaufgang


Aber sie sagen etwas Ästhetisches.

________________________________________


[ah, es geht weiter!]

‘Aquarell in Öl’


Wie man auf den ersten Blick in Turner einen verfrühten Impressionisten sehen mag, könnte es scheinen, als habe er die malerischen Effekte der Aquarelltechnik in die Ölmalerei eingeführt – als Paradebeispiel könne das obige Norham Castle gelten. Ganz falsch ist auch das nicht: wenn man nämlich im Auge behält, dass er jene Aquarelltechnik zur selben Zeit eigentlich erst recht entwickelt hat.

Überall in der Welt gilt das Aquarell als eine ganz hübsche, aber nicht vollwertige Stieftochter der Malkunst – nur nicht ganz so in England. Das hatte schon vor Turner begonnen. Die Eigentümlichkeiten der Wasserfarben wurden dort buchstäblich geadelt durch ein gewisses vornehmes Publikumsbedürfnis.
Was den Vorzug der Wasserfarben ausmacht – dass sie rasch trocken -, setzt ihnen auch eine Grenze: das kleine Format. Aber nur das kleine Format lässt den Mangel der Wasserfarbe – die fehlende Deckkraft – als einen Vorteil erkennen: ihre Durchsichtigkeit. Das Aquarell ist eine intime Kunst, man muss nah herantreten und eine ganze Weile draufschauen. Oder kann es als bloßes Dekor einfach übersehen. Mit andern Worten, für die repräsentativen Zwecke bei Hof und Altar kommt es gar nicht in Betracht.

Darum war es durch die Jahrhunderte lediglich ein probates Werkzeug für Studien und Entwürfe. Albrecht Dürers erstes reines Landschaftsbild – Weiher im Wald von 1495 – ist selbstverständlich ein Aquarell. Die weitere Besonderheit der Wasserfarben: Für Skizzen unter freiem Himmel, und also für Landschaftszeichnungen nach der Natur, sind sie dem Öl weit überlegen. Aber sie werden auf Papier oder Karton aufgetragen, die leicht durchweichen und reißen, und sicher nicht die Jahrhunderte überdauern wie Leinwand und Holztafel.

Und noch eine Besonderheit hat das Aquarell: Hier muss eigentlich der kleinste Tupfer ‚sitzen’, es lässt sich kaum etwas korrigieren, jeder Deckfarbenauftrag springt ästhetisch aus dem Bild heraus. Es kann da nichts sorgfältig ‚vollendet’ werden, das Aquarell sieht immer ein bisschen unfertig aus – und nur, wer sein Handwerk beherrscht, darf sich dranwagen.


the-burning-of-the-houses-of-parliament-1834-watercolour

Brand des Parlaments 1835-2

Brand des Parlaments 1835

The Castel dell’Ovo, Naples, with Capri in the Distance, 1819 Aqu.

sunset-ca-1845.

.

venice_san_guirgio_from_the_dogana_sunrise_1819



venice__from_the_guidecca_sunrise



 schiff auf hoher see



study_of_a_castle_by_a_lake, "Das blaue Schloss"



william-turner-sonnenuntergang-ueber-einem-see-1840


Er fing an in einer Aquarellmanufaktur, wo vornehmlich für Londoner Stadtwohnungen des hohen Adels mit fotographischer Präzision topographisch exakte Aufnahmen von deren Landsitzen und Parks angefertigt wurden. Er kam sein Leben lang immer wieder aufs Aquarellieren zurück, hat aber schnell erkannt, daß gerade diese Technik dem Maler neue Freiheitsbereiche erschließt. Und er übertrug die Wirkungen der Wasserfarben auf die Ölmalerei.

[Dies sollte ein kurzer Abschnitt über Turner und das Aquarell werden. Es wird wohl aber doch ein Abschnitt über die Affinität der Aquarelltechnik zur Landschaftsmalerie dabei herauskommen. Wie kurz er wird...? Jedenfalls brauche ich dazu etwas länger.]



Farnley Hall, east front, 1815; watercolour



interior_of_salisbury_cathedral_ca_1802



Festung, Lombardei



tintern-abbey-1

.

Tintern Abbey


Thomas Girtin


rue-st-denis-gros1

.

part-of-the-tuileries-and-the-louvre-by-thomas-girtin

.

girtin-thomas-distant-view-of-whitby-northumberland

.

white house, chelsea

.

landscape_hill_clouds

.

Mühle in Essex

.

.

Storia II: Nach Turner.

{in Arbeit}

[Der Abschnitt über die natürliche Affinität der Landschaft zum Aquarell wird noch auf sich warten lassen. Ich will aber meine Storia nicht zu lange unterbrechen, sonst gerät sie noch in Vergessenheit.]
Als nächste wären wohl die deutschen Romantiker dran. Nicht wegen ihres besonderen Beitrags zur Freisetzung des Ästhetischen durch die Entbindung der Malerei aus ihren thematischen Vorgaben, sondern vielmehr – weil sie gerade keinen geleistet haben.
Beginnen wir bei dem berühmtesten:

Caspar David Friedrich












Man muss gar nicht wissen, dass Friedrich einer mystisch-pantheistischen Weltanschauung anhing und ihm ‘die Natur’ als diesseitiges Antlitz Gottes galt – man sieht es ja auf seinen Bildern. Es geht ihm offenbar nicht darum, die Natur so malen, ‘wie sie wirklich aussieht’, und es ging ihm nicht darum, ein ‘schönes Bild’ zu komponieren. Er will etwas zeigen, das den geschäftigen Blicken des Alltags verborgen bleibt, und die Malweise (vgl. die Lichtstudie im untersten Bild) dient dem Zweck, es auf der Leinwand sichtbar zu machen. Er malt die Natur nicht so, wie sie erscheint, sondern als etwas, das hinter ihr steht.

Darum kommen die Menschen auf seinen Bildern eigentlich nicht vor. Bei Claude erschienen sie nur als Staffage und als mythologischer Vorwand für ein triviales Landschaftsgemäde. Bei Corot erfüllen sie später nur eine optische Funktion. Wenn auf Friedrichs Bildern mal ein Mensch vorkommt, dann klein vor einer großen Landschaft, reglos und von hinten: Sie ‘stehen für’ den Bildbetrachter selbst, allein und der Natur gegenüber, und von ihr überwältigt. Und noch lieber würzt er seine Tableaux mit verrottendem Menschenwerk, das an unsere Vergänglichkeit erinnert.

Mit andern Worten, Friedrich frömmelt altmodisch wie die Maler des Mittelalters. Im neunzehnten Jahrhundert geriet er bald in Vergessenheit, und seine Verklärung zum “deutschen” Maler im Dritten Reich hat er nicht wirklich verdient. Aber weltanschaulich ist seine Kunst, das macht sie fungibel, und auch für andere Zwecke als die seinen. Eine neue, verstohlene Popularität gewann sie im Umwelt-, Ganzheits- und Gesundheitskitsch der Achtziger Jahre, und das war so unverdient nicht.

Die heikle Nähe zum Kitsch macht freilich den besonders modernen Reiz von Friedrichs Bildern aus: Man muss aus ironischer Distanz ‘über sie wegsehen’, um ihre ästhetische Qualität wahrzunehmen. Man muss abstrahieren; im Anschauen reflektieren. Das Modernste an Friedrich ist etwas, das er ganz bestimmt nicht beabsichtigt hat.



(Ob ich nicht doch gelegentlich mal ein paar Sätze über Carl Rottmann zusammenbekommen? Und über Carl Blechen auch?)




Corot, ein Revolutionär, dem man's nicht ansieht.

Ach, ich sehe doch: unter normalen Umständen werde ich mit diesem angefangenen Fortsetzungsroman wohl nicht mehr fertig. Allerdings - mit dem Aufkommen des Impressionismus müsste ich mich zu dem Thema, das ich hier behandle: dem Beitrag der Landschaftsmalerei zur Entbindung der bildenden Kunst aus außerästhetischen Zwecken, nur noch wiederholen, am Beispiel vieler schöner Bilder zwar, aber die haben Sie dann alle schonmal irgendwo gesehen, und sei's in diesem Blog.

Das gälte auch schon für die Bewegung, die in der Darstellung auf die deutsche Romantik folgen müsste, die Schule von Barbizon. Die waren eng an Constable orientiert, an Turner hatten sie, anders als die Impressionisten, gar kein Interesse. Über Constable hinaus sind sie kaum gegangen, ihr bekanntester Vertreter war Théodore Rousseau:


Théodore Rousseau, Unter Birken

Der hat zwar manches starke Stück hinterlassen, aber man wird kaum mal auf die Idee kommen, beim Bild eines anderen Malers zu sagen: "Ach das sieht ja aus wie von Rousseau!" Eher würde man bei obigen Stück sagen: Erinnert ein bisschen an Millet. Und der gilt als der oder doch jedenfalls ein Begründer der Schule.


Jean François Millet, Frühling

Der zweite bekanntere Vertreter der Schule, oder derer, die dazu gezählt werden, war Charles-François Daubigny. Aber von dessen Sachen könnte einer sagen: Nein, nach Schule von Barbizon sieht das nicht mehr aus, eher schon ein bisschen nach Corot.


Daubigny, Das große Tal von Optevoz

Und Corot gilt als der andere Begründer der Schule von Barbizon, obwohl er sich, wie Millet, nur kurz dort am Rand des Waldes von Fontainebleau niedergelassen hatte. Aber sie waren beide die ersten und hatten den Nachfolgern ein künstlerisches Prinzip hinterlassen.

Hier finden Sie eine kleine Zusammenstellung zu Corot, die ich lange, bevor ich mich an diese Serie gemacht habe, in der Fotocommunity eingestellt habe (weil ich mich gefragt habe, ob es in der Landschaftsfotografie eigentlich ähnliche oder ganz andere ästhetische Probleme gibt wie in der Malerei):

Camille Corot Kathedrale von Chartres von Jochen Ebmeier
Kathedrale von Chartres

Der andere große Revolutionär der Malerei im 19. Jahrhundert war Jean Baptiste Camille Corot (1796-1875). Allerdings muß man zweimal hinsehn, um es zu bemerken. Angefangen hat er als klassizistischer Realist. Ein Meilenstein war dieses Bild der Kathedrale von Chartres aus dem Revolutionsjahr 1830. 

Was sehen wir im Vordergrund? Keineswegs das 'Motiv', das dem Bild den Namen gab, sondern einen unförmigen, indessen charakteristisch getönten Sand- und Steinhaufen, der nicht einmal zur Landschaft gehört, sondern nur vorübergehend und rein zufällig dort liegt; und vielleicht nicht einmal das: Corot hat nie gezögert, seinen Landschaftsporträts die Ingredienzien hinzuzufügen, die ihm ästhetisch 'passend' erschienen. Das 'Motiv' ist ganz entschieden nicht mehr der Gegenstand, der abgebildet wird, sondern das Ganze Bild, das dem Künstler beim Malen vorschwebt.(Man beachte z.B. die beiden Figürchen im Vordergrund, die motivisch gar nichts zu sagen haben und nur aus kompositorischen Gründen da stehen 'wie gemalt'.)

Camille Corot Augustusbrücke bei Narni von Jochen Ebmeier
Augustusbrücke bei Narni

Corot hat sein malerisches Handwerk bei 'klassischen' französischen Landschaftsmeistern gelernt. In den 1820er Jahren war er zum erstenmal in Italien (und dann immer wieder). Im dortigen Licht hat sich seine Farbpalette um einige warme und lebhafte Töne erweitert. Aber vor allem hat er den Weg zu seiner eigenen, 'modernen' Bildauffassung gefunden.

Auf diesem Bild schwindet die titelgebende Brücke zu einer schattenhaften Figur irgendwo im Mittelgrund, während der Blickfänger der - seinerseits nur im Schatten mögliche - blaue Fleck im Wasser ist. Es geht offenbar nicht um diesen oder jenen 'Gegenstand', sondern um den Gesamteindruck.

Camille Corot Campagna romana von Jochen Ebmeier In der Campagna romana

Den Großteil von Corots Italienbildern machen Studien und Skizzen aus - so wie dieses Bild von den Resten eines römischen Aquädukts; aufgelöst in neben einander gesetzte monochrome Flächen, die sich mehr durch ihren Hell-Dunkel-Wert ("Valeur";) unterscheiden als durch eigentlich farblichen Kontrast.


Diese Arbeiten, die häufig 'vor der Natur' erstanden waren, behielt Corot zeitlebens für sich. An die Öffentlichkeit - in den Pariser "Salon"; und vor das zahlende Publikum - brachte er nur große Stücke, die im Atelier akribisch nach 'klassischen' Regeln ausgearbeitet waren (und erhebliche Preise erzielen konnten). Obwohl er vom Malen nicht leben mußte, unterschied er klar zwischen einer 'Kunst für mich' und einer 'Kunst für die Öffentlichkeit'.

Heute gelten seine Privatwerke den Kunsthistorikern - als die 'avantgardistischeren' - für die bedeutenderen; so das Obige, von dem im Net leider keine bessere Reproduktion aufzufinden ist.


Die Brücke von Mantes

So wie die 'Kathedrale von Chartres' als das Schlüsselwerk des 'frühen' Corot gilt, gilt die 'Brücke von Mantes' als das Schlüsselwerk des 'späten' Corot. Das Sujet, das dem Bild den Namen gibt - die Brücke - ist nach oben gerückt: dort, wo man sonst den 'Hintergrund' erwartete. Im 'Vordergrund' ist ein Angler, der aber offenbar nur darum auf dem Bild erscheint, um ihm als farbliche Pointe eine rote Mütze aufsetzen zu können. Im 'Mittelpunkt' steht eine blaugraue Wasserfläche, die gar nichts zu sagen scheint - durchkreuzt von dunklen, ungegliederten Strünken. Und dennoch zeigt das Bild einen bestimmten Ort in einem bestimmten Moment.

Die bloße 'Komposition' ist zum selben Rang aufgerückt wie das 'Motiv'. Das Auge gleitet vom einen zum andern hin und her und findet keine Ruh. Die Subjektivität des Betrachters hat nichts Objektives mehr, woran sie sich 'halten' kann: Das ist die Lebenssituation des Menschen in "der Moderne".

Camille Corot, S. Bartolomeo in Rom von Jochen Ebmeier San Bartolomeo in Rom

Camille Corot Avray von Jochen Ebmeier
Avray (ein Lieblingsmotiv des älteren Corot und darum dutzendfach vertreten)

Von Corot zum Impressionismus und darüber hinaus.

Camille Pissarro war in jungen Jahren mit Corot befreundet und hat zeitweilig mit ihm im selben Atelier gearbeitet. Ihn seinen Schüler zu nennen wäre wohl übertrieben, aber der Einfluss ist unübersehbar. Die Manier, Landschaftsansichten in farbige oder gar nur tonige Flächen zu zerlegen und den Raum darin aufgehen zu lassen, ist von Corot begründet worden, Pissarro hat sie fortgeführt, ohne sich freilich darauf festzulegen; das hat Corot auch nicht getan.

Camille Pissarro Die roten Dächer von Jochen Ebmeier
Camille Pissarro, Die roten Dächer

Getan hat es ein Maler, der ein bisschen außerhalb der großen Entwicklungslinie zu stehen scheint, als wäre er vom Himmel gefallen. Paul Cézanne war nicht nur Autodidakt - das war Pissarro auch -, sondern scheint auch von niemandem etwas 'her' zu haben. 


Ein früher Cézanne: Straße in der Provence, 1868

Aber mit Pissarro war er bekannt, der gab ihm den Tip, seine Farbpalette einzuschränken. Erdtöne, Grün und Blau - so kennt man Cézanne: 


Cézanne, Der Steinbruch von Bibémus, 1895

Kubistisch wird man diese Manier schließlich nennen, und sie wird die Landschaft längst verlassen haben. Aber dort ist sie entstanden. 

Der Kubismus ist nur die eine der beiden Bewegungen, die die Moderne Malerei, die Kunst des 20. Jahrhunderts, endgültig begründet haben. Die andere waren Les Fauves. Die kamen unmittelbar aus dem Impressionismus.

Als Begründer und als eine Art Pate des Impressionismus kann wiederum - Camille Pissarro gelten. 

C. Pissarro, Bei Pontoise, ca. 1872

Er war es, der die Gruppe zusammenhielt, genauer gesagt: der dafür sorgte, dass sie bei allen Rivalitäten und Zwistigkeiten von der Öffentlichkeit überhaupt als Gruppe wahrgenommen wurden. Er war aber nicht der radikalste von ihnen und wurde nicht zu ihrer Galionsfigur.

Das war vielmehr Claude Monet, dessen Sonnenaufgang (Impression) von 1872 mit gutem Grund als Quintessenz des Impressionismus gilt (ihm aber nicht, wie die Legende sagt, den Namen gegeben hat - das tat wohl ein Journalist schon vorher).


Claude Monet Impression von Jochen Ebmeier


Angefangen hatte er so:

Monet, Die Straße von Chailly nach Fontainebleau, 1865

Das liegt landschaftlich wie stilistisch in der Nähe von Barbizon, und auch Corot ist nicht weit: die Auflösung des Raums in Flächen und Flecken ist dessen Erbe, nicht das von Millet oder Th. Rousseau. Und tatsächlich gehörten einige Maler aus Barbizon zu den frühesten künstlerischen Bekanntschaften Monets. Zum Malen überredet - er hatte bis dahin autodidaktisch gezeichnet - hat ihn der "Vorimpressionist" Eugène Boudin aus seiner Heimatstadt Le Havre; auch anfangs ein Autodidakt und keiner Schule verpflichtet. Der malte ausschließlich Landschaften, mit Vorliebe am heimischen Meer, und hat Monet gedrängt, auch dieses Fach einzuschlagen. 

Eugène Boudin, Weiße Wolken über der Seine-Mündung, 1855

Das ist eins seiner frühesten (erhaltenen) Stücke. Es ist nur eine Kreidestudie, und dennoch wurd deutlich: Es geht ihm nicht über die naturgetreue Wiedergabe, sondern um den ästhetischen Eindruck. Und in den siebziger Jahren - das genaue Datum ist nicht auszumachen - konnte er so malen:

 E. Boudin, Morgengrauen über Le Havre

Monets Impression hat er da schon weit hinter sich gelassen. 

Dagegen hatte Monet dieses schon 1864 gemalt:

Monet, Honfleur; ein Boot wird an Land gezogen.

Da mussten Les Fauves nur noch wenig hinzutun.

Georges Braque, Le port de l'Estaque, 1906

Dass er sich nicht missverstanden fühlte, hat Monet ihnen spätestens 1906 bestätigt:

Monet, San Giorgio maggiore bei Sonnenaufgang

Bei wenig haben es die Fauves nicht belassen. Georges Braque malt kurz darauf so:


 Braque, La petite baie de La Ciotat, 1907


Doch dann bald so:

Braque, Viadukt bei L'Estaque, 1908

Und schließlich so.

Braque, Les usines de Rio Tinto à L'Estaque, 1910

Ich denke, damit ist meine Demonstration abgeschlossen. Es war die Landschaftsmalerei, die die bildende Kunst aus den Fesseln der Themen entbunden und den Sinn für das Nur-Ästhetische frei gemacht hat.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen