aus derStandard.at, 8. Juni 2019,
Im Auge des Betrachters Verfügt der Mensch über einen Sinn fürs Schöne? Was bewirken schöne Dinge, und was passiert bei der Bewertung von Schönheit im Gehirn? Psychologen geben Antworten
Pfauenmännchen buhlen mit ihrem auffälligen Gefieder um die Aufmerksamkeit von Pfauenweibchen. Der Attraktivere hat bessere Chancen bei der Partnerwahl – das war bereits Charles Darwin bewusst. Als menschliche Merkmale, die Artgenossen zur Fortpflanzung animieren sollen, gelten hingegen etwa Gesichtssymmetrie und Hautreinheit. Wer hier gut ausgestattet ist, wirkt auf sein Umfeld gesund und schön.
Bei dieser Funktion hört es mit der Schönheit noch lange nicht auf. Immerhin müssen wir keine Pfauenweibchen sein, um die blaugrün schimmernden Federn ihrer Partner elegant zu finden. Auch Darwin mutmaßte, dass es einen spezifischen Schönheitssinn gebe, mit dem man die gesamte Umgebung ästhetisch wahrnimmt und bewertet.
"Unsere Sicht der Welt wird davon gesteuert, wo die schönen Dinge sind", sagt Helmut Leder, Leiter des Instituts für Psychologische Grundlagenforschung der Uni Wien. Bei der vom Wissenschaftsfonds FWF und der Agentur PR&D veranstalteten Reihe "Am Puls" diskutierte er vergangene Woche mit dem plastischen Chirurgen Artur Worseg darüber, wie uns der Schönheitssinn beeinflusst.
Am Wiener Institut liegt der Forschungsfokus auf dem Visuellen, obwohl sich die Schönheitswahrnehmung auch auf angenehme Melodien oder Gerüche beziehen kann. Bezeichnend ist, dass eine Einschätzung, ob man etwas schön findet, sehr schnell abläuft.
In einem Experiment fanden Leder und Kollegen heraus, dass Versuchspersonen beim Anblick typischer schöner Gesichter und Muster leicht lächelten – selbst dann, wenn sie bewusst gar nicht sagen konnten, ob es sich um einen angenehmen Reiz handelte oder nicht. Im Gegenzug konnte die Stimulation eines Gesichtsmuskels der Verärgerung gemessen werden, wenn ganz kurz ein unschönes Bild erschien.
Glücksgefühl in der Not
"Die Studie zeigt auch: Wenn uns etwas schön vorkommt, bringt das kleine Dosen Freude in unseren Alltag. Schöne Dinge machen uns glücklich", sagt Leder. Wie essenziell diese Art des Glücksempfindens sein kann, lässt sich beispielhaft in Krisengebieten und -situationen erkennen. In Frauengefängnissen stehen bei Insassinnen Make-up-Produkte hoch im Kurs, und selbst in kriegsgebeutelten Gegenden in der Ukraine und im Nahen Osten – und gerade dort – legen viele Menschen Wert auf Schönes: Kunst, Kultur, ein gepflegtes Äußeres.
Die deutsche Literaturprofessorin Barbara Vinken, die sich mit Ästhetik und Mode beschäftigt, sagte dazu: "In der Kleidung wird die Intaktheit des Selbst widergespiegelt. Je stärker man bedroht wird, desto stärker der Wille nach Intaktheit."
Wie sehr schöne Menschen im Alltag unsere Wahrnehmung beeinflussen, ist daran zu erkennen, dass unser Blick wesentlich häufiger und länger auf ihnen ruht. Das klingt naheliegend. Die Stärke dieses Effekts ist aber so groß, dass man im Umkehrschluss mittlerweile durch die bloße Beobachtung von Augenbewegungen sagen kann, welche Gesichter als schöner gelten. Ohne die Testpersonen befragen zu müssen.
Komplexes Schönheitsempfinden
Dass wir uns dezidiert zu Schönem hinwenden, weil es uns guttut und angenehme Empfindungen auslöst, kann sich evolutionär entwickelt haben. Neben biologisch erklärbaren Merkmalen ist Schönheitsempfinden aber weitaus komplexer, erläutert der Wahrnehmungsforscher Leder. Denn was wir als schön ansehen, ist von unserem kulturellen Umfeld abhängig, dazu kommen kurzfristige Erscheinungen wie Moden.
Doch wie funktioniert dieser Schönheitssinn – besonders, wenn die Bewertung so rapide und nahezu unbewusst abläuft? "Es, gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten. Haben wir einen Zähler für das Schönheitsmaß, der uns etwa auf einer Skala sagt, ob ein Gesicht wenig, mittel- oder sehr schön ist? Oder haben wir einen Prototyp, der einem symmetrischen Durchschnittsgesicht entspricht, und wir beurteilen die Abweichungen eines neuen Gesichts – wie eine große Nase oder sehr eng stehende Augen – ausgehend von diesem Prototyp?
Um zu testen, welche der beiden Annahmen näher an der Realität ist, hat Leder einen weiteren Versuch mitentwickelt. Dabei machten sich die Forscher den sogenannten Gesichtsinversionseffekt zunutze, der schlichtweg besagt, dass es Menschen schwerer fällt, auf dem Kopf stehende Gesichter zu erkennen. "Wenn wir eine Art eingebauten Schönheitsmesser hätten, müsste die Schönheit bei einem aufrechten Gesicht am höchsten bewertet werden, weil er nur dann optimal anwendbar ist", so Leder.
Innerer Prototyp
Das Ergebnis zeigte allerdings: Um 180 Grad gedrehte Gesichter erhalten die besten Bewertungen. Anstatt dass positive Eigenschaften eines Gesichts summiert werden, schätzen wir eher ab, in welchen Aspekten es negativ von der Norm abweicht. Weil uns dies bei umgedrehten Bildern schwerer fällt, werden sie schöner beurteilt, argumentieren die Studienautoren. Es gibt also erste Hinweise dafür, dass wir Schönheit mit einer Art innerem Prototyp abgleichen und bewerten.
Was aber passiert, wenn dieser ideale Prototyp mit künstlich verschönerten Fotos gefüttert wird, die in den Medien vorherrschen? "Unser Gehirn, unser Wahrnehmungssystem ist uralt und hat damit keine spezifische Verarbeitung für virtuell manipulierte Gesichter. Sie sehen der Realität ähnlich und werden daher automatisch als Gesicht erkannt", sagt Leder.
"Dies fließt also trotzdem in meine Repräsentation davon ein, wie ein Mensch aussieht. Und das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass ich mich selbst und andere für unzureichend und unschön halte." Wichtig sei daher, sich diesen Eindruck regelmäßig bewusst zu machen und zu hinterfragen. Die Begeisterung für klassisch Schönes mag Teil der menschlichen Natur sein – "sie ist aber auch eben nur ein Teil unserer Natur, nur eine Seite des Schönseins."
Variable Schönheit
Bei der Sorge darum, wie die eigene Wirkung einzuschätzen ist, kann man sich zumindest im vertrauten Umfeld entspannen. Die ästhetische Bewertung eines Gegenübers spielt nämlich vor allem beim Kennenlernen eine Rolle, also wenn es etwa um Bewerbungsverfahren oder Partnersuche geht. Unter Freunden ist man einander vertraut genug, um mit "innerer Schönheit" zu punkten.
Und es sollte auch eine Studie britischer Forscher nicht vergessen werden: Das Team um den Psychologen Mike Burton verglich unterschiedlich attraktive Personen mithilfe mehrerer Aufnahmen. Es zeigte sich, dass die Variabilität einer einzelnen Person ziemlich groß ist: Menschen, die allgemein weniger attraktiv eingeschätzt wurden, sahen auf Bildern, die sie an "guten Tagen" erwischt hatten, immer noch besser aus als allgemein Attraktivere auf einem schlechten Bild.
Nota. - Mit all diesen empirischen Untersuchungen zum ästhetischen Wahrnehmen ist es dasselbe: Sie betreffen Motive, die viele gemeinsam als schön beurteilen. Das liegt am Verfahren: Statistik ist naturgemäß quantifizierend, sie erfasst große Mengen und am liebsten gar Durchschnitte. Wenn sie ihre Daten beisammen hat, zählt sie aus. Und siehe da: Je größer die Menge, umso näher liegt die Versuchung, nach einer 'gemeinsamen Ursache' zu suchen.
Und da gibt es dann zwei Möglichkeiten. Entweder biologisch vorgegebene Reiz-Reaktions-Abläufe oder eingeborene Archetypen.
Doch beides übergeht das, was am ästhetischen Erleben das Erhebliche und daher das Problematische ist: das Urteilen. Wenn ich dem nachgebe, wozu ich sowieso neige, dann urteile ich gerade nicht, sondern verzichte auf ein Urteil. Was anderes ist es, wenn ich nach momentanem Schwanken zu meinem ersten Reflex zurückkehre. Dann habe ich mir mein Urteil vielleicht leichtgemacht, aber eben doch geurteilt.
Denn bedenke: Wenn wir tatsächlich alle denselben Geschmack hätten, dann... gäbe es das Ästhetische nicht, weil man es nicht unterscheiden könnte. Ohne Unterscheidung kein Urteil. Von Geschmack kann nur die Rede sein, wenn wir grund- sätzlich einem jeden seinen eigenen Geschmack anmuten.
So wenig das Ästhetische sonst auch mit Vernunft zu tun haben mag - in dem Punkt sind sie einig: Sie muten Jedem ein eigenes Urteil zu. *
*) Ihr Unterschied ist der: Da es bei der einen um das Zusammenwirken geht, verlangt sie für das eigene Urteil gemein- same Gründe. Das Ästhetische hat ein jeder für sich und braucht gar keine Gründe; und das macht seine Besonderheit aus: dass es ohne Grund urteilt.
JE
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