Samstag, 29. Dezember 2018

Elementare Ästhetik.

kurt michel, pixelio.de

Das Schönste, das wir erleben können, sei das Geheimnisvolle, hat Albert Einstein gesagt. Der war ein großer Geist, wir zitieren ihn gern, und so kommt manch beiläufig gesprochener Satz zu hohen Ehren. Ob er diesen beiläufig ge- sprochen hat, weiß ich nicht. Aber eine ästhetische Theorie wollte er sicher nicht aufstellen.

Hätte er aber können: Es ist ihr Geheimnis, das die Schönheit ausmacht. "Kunstwerke sind Rätsel", meinte Adorno, und das war nicht beiläufig gemeint. Rätselhaft sind Kunstwerke freilich nur, wenn sie welche sind. Doch gibt es Na- turerscheinungen, die unbeschadet ihrer wissenschaftlichen Erklärung immer noch rätselhaft bleiben. Ob sie dann schön sind, mag der eine so, der andere anders sehen. Ästhetisch erheblich sind sie jedenfalls. 




Freitag, 28. Dezember 2018

Der ästhetische Zustand - gehirnphysiologisch.

aus scinexx                                                                                                                       van Gogh, Sternennacht

Gute Kunst wirkt nach 
Unser Gehirn reagiert in überraschender Weise auf gute Kunst.

Tiefgehender Eindruck: Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir ein Kunstwerk betrachten? Diese Fragen haben nun Forscher erstmals mittels Hirnscans beantwortet – und Überraschendes entdeckt. Denn bei Bildern, die wir als besonders beeindruckend empfinden, schaltet sich ein Hirnnetzwerk ein, dass normalerweise nur unser Innenleben steuert. Lässt uns das Bild dagegen kalt, bleibt auch dieses „Default Mode Netzwerk“ stumm. 

Schönheit liegt nicht nur im Auge des Betrachters, sondern vor allem im Gehirn. Denn erst die Reaktion unseres Denkorgans entscheidet, ob ein ästhetischer Reiz bei uns Wohlgefühl auslöst oder nicht. Studien zeigen, dass gleich mehrere Netzwerke im Gehirn reagieren, wenn wir etwas als schön empfinden. Auch unser Belohnungszentrum ist beteiligt und ruft das besonders Glücksgefühl hervor.

Blick ins Gehirn beim Kunstgenuss

Doch gerade bei der Betrachtung eines Kunstwerks bleibt unser Eindruck oft nicht statisch, sondern verändert sich mit der Dauer des Anschauens. Stellen wir uns vor, wir betrachten van Goghs „Sternennacht“ zum ersten Mal. Vielleicht fällt uns zuerst das Vorherrschen der Farbe Blau auf. Dann schauen wir genauer hin und entdecken die Sterne und die Farbringe um sie herum. Schließlich nehmen wir das kleine Dorf und seine Details wahr. Dabei wirkt das Blau des Himmels immer noch nach.

Was im Gehirn bei einer solchen Kunsterfahrung abläuft, haben nun Amy Belfi von der Missouri University of Science and Technology näher untersucht. Für ihre Studie baten die Forscher ihre Probanden, sich jeweils 15 Sekunden lang ein Kunstwerk auf dem Bildschirm anzuschauen. Während dieser Zeit zeichnete ein funktioneller Magnetresonanz-Tomograf (fMRT) die Hirnaktivität der Teilnehmer auf.

Netzwerk fürs Innenleben

Das Ergebnis war überraschend: Immer dann, wenn die Probanden ein Bild als besonders bewegend oder beeindruckend empfanden, wurde in ihrem Gehirn das sogenannte Default Mode Netzwerk (DMN) aktiv. Dieses Netzwerk jedoch feuert normalerweise vor allem dann, wenn wir uns der inneren Nabelschau hingeben – wenn wir tagträumen, geistig abschalten oder auch in leichtem Schlaf liegen.

Normalerweise müsste daher die Aktivität des Default Mode Netzwerks sinken, wenn wir ein Bild betrachten. Denn dann verarbeitet das Gehirn vornehmlich äußere ästhetische Reize. Tatsächlich blieb das DMN auch immer dann stumm, wenn die Studienteilnehmer ein Kunstwerk anschauten, das sie nicht attraktiv fanden, wie die Forscher berichten. 

Überraschende Aktivität 

Anders aber ist es, wenn ein Kunstwerk uns besonders gefällt: „Finden wir ein Kunstwerk ästhetisch ansprechend, werden Teile des DMN wieder aktiv, obwohl der Fokus auf der Außenwelt – dem Kunstwerk – liegt“, berichtet Koautor Edward Vessel vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik. Unser Default Mode Netzwerk bleibt dann über die gesamte Zeit der Betrachtung aktiv.
 
Nach Ansicht der Forscher belegt dies, dass die Wirkung eines besonders beeindruckenden Kunstwerks erst durch die Kombination äußerer Reize und innerer Reaktionen zustande kommt. Unsere Aufmerksamkeit ist dabei einerseits auf die Außenwelt, andererseits auf unser Innenleben gerichtet. „Wir konnten beobachten, dass dieser Hirnzustand relativ selten eintrat und wahrscheinlich ein Merkmal für bewegende ästhetische Erfahrungen ist“, sagt Belfi. (NeuroImage, 2018; doi: 10.1016/j.neuroimage.2018.12.017)

Quelle: Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik


Freitag, 21. Dezember 2018

Van Gogh ganz ohne Manier.

van Gogh, In den Dünen, 1883

Am Großteil der Bilder, die van Gogh vor seiner provenzalischen Zeit gemalt hat, stört mich einerseits der schockierende Mangel an Talent (oder an gestalterischem Willen), und andererseits die krampfhafte Suche nach einem eigenen Stil. Als er aber in Arles seinen eigenen Stil mehr als reichlich gefunden hatte, brach ein zuvor ganz unmerkliches Talent hervor. 

Nicht ganz, nur fast unmerklich. Ein paar Stücke waren ihm früher schon unterlaufen, wo er ganz unbefangen nur das gemalt hat, was er eben vor Augen hatte, und so, wie seine Hände es ihm eben erlaubten. Die paar Blicke vom Montmartre über die Dächer von Paris vom Mai 1886 gehören dazu.

Und dieses hier: "Ich kam triefend nass aus den Dünen hinter Loosduinen nach Haus, wo ich drei Stunden an einer Stelle im Regen gesessen hatte, wo alles nach Ruisdael, Daubigny oder Jules Dupré aussah."

Die Stelle aus einem Brief zeigt, dass er ganz unbefangen doch nicht war. Ruisdael ist ein ehrgeiziger Vergleich, und Daubigny und Dupré waren renommierte Vertreter der Schule von Barbizon. Ganz so intimistisch wie jene malt er nicht mehr, er ist schon expressiver, doch die Farben sind ganz Corot; selbst das knallrote Fleckchen rechts unten fehlt nicht.

 

Dienstag, 18. Dezember 2018

Unscheinbare Avantgarde.

Claude Monet, Gare St. Lazare im Sonnenlicht, 1877

Monet hat sich nicht um Avantgardismus bemüht. Er hat, wie es sich eigentlich gehört, jedem Motiv gegeben, was ihm frommte.

Eine besondere Neigung hatte er für die Pariser Bahnhöfe, Dampf und Technik, für Monets Verhältnisse ziemlich trüb und düster, aber nicht ohne Dynamik.

Hier aber ist nicht das Innere eines Bahnhofs, sondern die Außenansicht. Die Sonne scheint, dass da Eisenbahnen fahren, deutet nur der Dampf im Licht an. Das Bild entstand auf dem Höhepunkt der impressionistischen Bewe- gung. Das sieht man. Aber es weist weit darüber hinaus, man sieht Les Fauves, deutschen Expressionismus und die Farben des Münchener Kandinsky.

Das Bild ist wohl recht unbekannt, ich habe es nie zuvor gesehen. Dabei weist es weit über seine Zeit hinaus und ist eigentlich ein Kracher.