Montag, 31. Oktober 2016

Bildersozialismus.

Peter Gut
aus nzz.ch,   

Revolutionär freier Zugang zu Technik und Öffentlichkeit
Der neue Bildersozialismus
Facebook, Snapchat, Instagram – heute kann jeder technisch gute Fotos machen und sie ins Netz stellen. Das ist revolutionär.

Gastkommentarvon Wolfgang Ullrich



In der langen Geschichte der Bilder gab es noch nie so grosse Veränderungen wie in den letzten beiden Jahrzehnten. Mit der Digitalisierung und dem Internet, mit Smartphones und Social Media etabliert sich gerade erstmalig etwas, das man als «Bildersozialismus» bezeichnen könnte. So sind, in Analogie zum politisch-philosophischen Begriff des Sozialismus, die Produktionsmittel, die der Herstellung und dem Vertrieb von Bildern dienen, nicht mehr exklusiv, sondern viele Menschen haben Zugang dazu und können sie nutzen. ...

Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier

Man mag's schon nicht mehr sehen.



 

Fragonard
 

 

Wolfgang Ullrich lebt als freier Autor und Kulturwissenschafter in Leipzig. Zuletzt ist 2016 im Berliner Wagenbach-Verlag erschienen: «Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust».


Dienstag, 25. Oktober 2016

Apology.

Den gestrigen Eintrag hätte ich gar nicht machen dürfen. Ein paar Klicks weiter, und ich wusste schon, wer das Bild wirklich gemalt hat; doch weil's schon gepostet war, konnte ich das nur noch nachtragen.

Ich werde von all den schönen Dingen, die ich übers Internet schon gesagt habe, nichts leichtfertig zurücknehmen. Aber Haare finden sich auch in dieser Suppe reichlich. Zum Beispiel die vielen Fehlzuschreibungen, die sich ruck-zuck verzehn-, verhundert- und vertausendfachen - man hat ja wirklich nicht immer Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen, und posten kann man mit nur einem Klick.

 Stanisław Ludwik de Laveaux, On the way to Morskie Oko,1889
 
Dafür heute eine richtige Rarität. Wie Sie wissen, ist mein Schlachtross und Steckenpferd die Rolle der Landschaftsmale- rei bei der Freisetzung des Ästhetischen in der westlichen Kunst aus seiner Befangenheit im sachlich-Thematischen. 

Der polnisch-französische Maler Ludwik de Laveaux hat das obige Bild im Alter von 23 Jahren gemalt, viel Zeit für eine künstlerische Entwicklung hatte er da noch nicht gehabt und hatte er danach auch nicht: Er hat zwei Jahre lang in München studiert und ging dann nach Paris, wo er nur drei Jahre später gestorben ist..

Seine Malweise ist im Großen und Ganzen ziemlich realistisch. Das obige Stück ist fast ein Ausreißer. Warum zeige ich es? Weil es natürlich ein Landschaftsstück an der Grenze der Gegenständlichkeit ist, mit dem er sich zu einem frühen Vorboten der Expressionisten macht.




Montag, 24. Oktober 2016

Van Gogh war drauf und dran, seinen Stil zu überwinden.


Haus mit rotem Baum.

Dieses Bild fand ich eben im Internet. Dabei stand, es stamme von van Gogh und sei aus dem Jahr 1890; ob noch aus der Provence oder schon aus Auvers, steht nicht dabei, die Beleuchtung wirkt südlich.

Dass van Gogh drauf und dran war, die van-Gogh-Manier hinter sich zu lassen, war schon auf den letzten Bildern aus St. Rémy zu sehen. Aber das obige Bild geht so weit, dass ich kaum glauben mag, dass es wirklich von ihm ist.




Samstag, 22. Oktober 2016

Bob Dynklan.



Sein Dünkel ist so dicht gepackt, dass man ihn in Scheiben schneiden kann. Man sieht ihn in seiner Physiognomie und hört ihn in seiner näselnden Stimme.




Freitag, 21. Oktober 2016

"Ist das Biedermeier?"

aus Die Presse, Wien,

Belvedere: 
Jedem ein Biederling und Waldmeier 
Amerling und Waldmüller sind die Namen, die man gemeinhin mit „Biedermeier“ verbindet. Im Unteren Belvedere wird jetzt behauptet, dass diese Bezeichnung uns hindert, seine internationale Bedeutung wertzuschätzen.

von  

"Ist das Biedermeier?" Den Titel ihrer Ausstellung kann Kuratorin Sabine Grabner selbst nicht beantworten. Sie will auch gar nicht, sondern stellt die Gegenfrage: „Was will das Publikum als Biedermeier sehen?“

Natürlich ist dieser Begriff ein Konstrukt, das auf der fiktiven Figur des schwäbischen Dorflehrers Gottlieb Biedermaier beruht, den ein Münchner Arzt und ein Jurist erfanden und ab 1855 in den satirischen „Fliegenden Blättern“ dichten ließen. Aufs Korn genommen wurde der vorsichtige, zögerliche, auf das Häusliche beschränk- te Spießbürger, geprägt in der Zeit von 1814 bis zur Revolution 1848. Die Kunst dieser Zeit wird ebenfalls unter diesem wenig wertschätzenden Begriff subsumiert, die angewandte Kunst betraf das vor allem. 2007 rückte die Albertina zur großen Ehrenrettung der gepolsterten Möbel und des geblümten Geschirrs aus und proklamierte den Beginn der Moderne in diesen Entwürfen: „Die Erfindung der Einfachheit“.

 Ferdinand Georg Waldmüller, Am Fronleichnamsmorgen, 1857

Jetzt will das Untere Belvedere die Malerei von „Waldmüller, Amerling und mehr“ aus dem Sumpf holen, den man dachte, schon längst trockengelegt zu haben, betrachtet man etwa die Preise, die heute für rosenwangige Amerling-Kinder und Waldmüller'sche Sonnendurchflutungen gezahlt werden. Aber Kuratorin Grabner wünscht sich mehr als bloße Anerkennung von Qualität, sie möchte etwa statt des vergleichsweise hinterwäldlerisch münchnerischen Biedermeiers für die Wiener Kaiserstadt die „Nestroy-Zeit“ ausrufen. Und stilistisch bevorzugt von Klassizismus, Romantik und Naturalismus sprechen.

 Friedrich von Amerling, Rudolf von Arthaber und seine Kinder Rudolf, Emilie und Gustav, 1837

Es sind schließlich die das Private, Bürgerliche betonenden Inhalte, die die Maler verbinden – und zwar über die historisch mit 1848 begrenzte Biedermeier-Zeit um etwa 20 Jahre hinaus. Und über Landesgrenzen hinweg. Das ist die stärkste Botschaft dieser 100 Gemälde (und Möbel) reichen Ausstellung: Was wir als Biedermeier-Malerei verstehen, das war ein monarchieweites Phänomen. Die Wiener mögen zwar qualitativ und thematisch führend gewesen sein – Amerling etwa erfand die Genre-Einzelfigur, so Grabner –, erreichte keiner die unfassbar herbe Realität eines Waldmüller'schen Familienporträts. Aber es gab daneben eine ungeahnte Fülle anderer Charismatiker: Ernst Christian Moser etwa, dessen Porträt der eigenen Mutter aussieht wie Neue Sachlichkeit fast 100 Jahre später. 

Giuseppe Molteni La desolata per la perdita dell' amante

Giuseppe Molteni, der italienische Freund von Netzwerker Amerling, dessen um den toten Geliebten „Trauernde“ aus einem Fellini-Film stammen könnte. Johann Baptist Reiter, dessen Porträt der Gastwirtin Barbara Meyer von 1836 wirkt, als sei es nach einem Foto der überschminkten Cindy Sherman gemalt. Der Italiener Francesco Hayez, dessen Bildnis der mächtigen Frau Schnauss in ihrem brautschleierartigen Überwurf sowieso ein Highlight ist. Genauso wie die weiten, menschenleeren Landschaften des Tschechen Bedřich Havránek, die von der Prager Nationalgalerie nur herausgerückt wurden, weil sie hier neben Waldmüllers Landschaftspoesien zu hängen kommen.

Eine bürgerliche Venus? Unerhört!

Schaut alles rosig aus? Die gesellschaftlichen Tiefen der Zeit kann man ausloten, wenn man sich überlegt, warum das lebensgroße Aktbild der Tänzerin Carlotta Chabert 1830 ein Skandal war: Nein, nicht wegen der Nacktheit. Sondern weil Hayez sie mit den Füßchen im Wasser, also als dem Meer entsteigende Venus porträtierte – und das war einer Bürgerlichen nicht angemessen. Dafür durfte Frau schon bildfüllend schmollen, die Emanzipation begann damals sachte mit der Aufwertung des Häuslichen und der Mutterrolle (hier hat auch der Stillterror seine Anfänge): Ernst Christian Moser zeigt in „Die Versöhnung“ sozusagen den Beginn von Brangelina, der Ehekrise zwischen zwei vermeintlich gleichberechtigten Partnern – Gattin in Rosa schmollt, Gatte im Hausrock schaut böse, die Kinder und ein Einflüsterer versuchen zu vermitteln.

Ernst Christian Moser, Die Versöhnung

Zeitgenössische Beispiele für dergleichen Biedermeierlichkeiten sind Besucher aufgefordert zu fotografieren und unter #dasistbiedermeier in den sozialen Medien des Belvederes zu posten, sozusagen den „Fliegenden Blättern“ von heute.

Bis 12. Februar, tägl. 10–18 h, Mi bis 21 h.


Nota. -  Anzumerken ist noch, dass mit dem Niedergang der Romantik im Biedermeier zugleich eine Dreiteilung der Kunst eintrat, die es allein in der westlichen Kultur gibt: Nach oben setzt sich die Avantgarde von einem Mainstream ab, der den Markt beherrscht, und nach unten, in die Niederungen der Ungebildeten Masse, breitet der Kitsch sich aus. 

Warum westlich? Weil es eine Markt-Erscheinung ist.

Spitze Zungen mögen hinzufügen, seit die Avantgarde selber zum Mainstream wurde, konnte sie sich mit dem Kitsch wieder vereinigen.
JE


 

Donnerstag, 20. Oktober 2016

Reduktion.


Reduktion ist die große Stärke der chinesischen Kunst. Sie ist nur der eine Pol, auf der anderen Seite findet man ausgesprochene Opulenz. Die klaren Linien und schlichten Formen der japanischen Kunst sind von einer eigenen Radikalität, das gibt es in China wohl nicht. Dort ist geschmacklich viel mehr möglich; eben auch, dass einige die Reduktion ins Extrem treiben.

Zum Großteil der Bilder, die ich hier zeige, habe ich keine weiteren Informationen, daher lasse ich auch die zu den andern fort. Eines kann ich Ihnen aber versichern: Am Alter der Bilder erkennen Sie gar nichts, ob ein Bild vor 50 oder 500 Jahren entstanden ist, kann man - als uneingeweihter Europäer zumindest - nicht sehen. 'Entwicklungen' und Stilepochen sind eine westliche Besonderheit, die findet man sonst nirgends.
 

































Mittwoch, 19. Oktober 2016

Nachtrag zu Twachtman: Abstraktion und Reduktion.



Ich habe die späten Bilder Twachtmans - ab etwa 1895 - wegen ihrer Farbigkeit mit den fauves verglichen. Das nehme ich zurück, es gilt nur für wenige Stücke. Und doch überwindet er den Tonalismus in eine moderne Richtung, gewissermaßen am Impressionismus vorbei; nicht durch Abstraktion, sondern durch ihr Gegenteil, Reduktion. Im Denken ist der Gegen- pol der Abstraktion die Reflexion, im Ästhetischen sieht die Abstraktion von aller Bedeutung ab, die Reduktion aber sieht von allem andern ab. Das, worin sich die Bedeutung verdichtet, wird herausgehoben, das Übrige verblasst. 

  

Eigenartigerweise ist die ästhetische Wirkung beider auf die Betrachter eine ähnliche: Die Kunst scheint zu sich selbst zu kommen. Nämlich dann, wenn als bedeutend nicht das gegenständlich-Thematische, sondern das Ästhetische selbst ange- sehen wird. Und dann ist die Reduktion der Abstraktion artistisch überlegen, weil sie an den Gegenständen auf deren schönen Schein absieht, statt sie einfach beiseite zu lassen; und das ist des Blickes würdiger.